Schweitzer Fachinformationen
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Ich sah auf die Uhr. Noch eine Stunde. Marion kam wie immer zu spät. Prüfend schritt ich die Stellwände ab und rückte «Le Grand Rouge» gerade - eine riesige Komposition in Rot, die das Herzstück der Vernissage bildete, die um halb acht beginnen sollte.
Julien kauerte mit einem Glas Rotwein in einem der weißen Sofas und paffte schon seine elfte Zigarette.
Ich setzte mich zu ihm. «Na, aufgeregt?»
Sein rechter Fuß, der in einem karierten Van steckte, wippte. «Klar, Mann, was denkst du denn?» Er nahm einen tiefen Zug, und der Rauch stieg vor seinem hübschen jungenhaften Gesicht auf. «Ist immerhin meine erste richtige Ausstellung.»
Seine Offenheit war wie immer entwaffnend. Wie er da in den Kissen hing, mit seinem unspektakulären weißen T-Shirt über den Jeans und seinen kurzen blonden Haaren, hatte er was von einem jungen Blinky Palermo.
«Wird schon schiefgehen», sagte ich. «Ich hab schon weitaus größeren Mist gesehen.»
Das brachte ihn zum Lachen. «Mann, du kannst einem wirklich Mut machen.» Er drückte die Zigarette in dem schweren Glasascher aus, der neben dem Sofa auf einem Tischchen stand, und sprang auf. Wie ein Tiger lief er an den Wänden der Galerieräume entlang, umkreiste die Stellwände und sah sich seine großformatigen leuchtenden Bilder an.
«Hey, so schlecht sind die gar nicht», meinte er schließlich und schürzte die Lippen. Dann machte er ein paar Schritte zurück. «Wir hätten nur mehr Platz gebraucht, dann würde das alles noch besser kommen.» Er gestikulierte dramatisch mit seinen Händen in der Luft herum. «Platz . Fläche . Raum.»
Ich trank einen Schluck Rotwein und lehnte mich zurück. «Ja, ja. Nächstes Mal mieten wir das Centre Pompidou», sagte ich und musste daran denken, wie Julien vor einigen Monaten zum ersten Mal in meiner Galerie aufgetaucht war. Es war der letzte Samstag vor Weihnachten, ganz Paris glitzerte in Silber und Weiß, vor den Museen gab es ausnahmsweise mal keine Schlangen, tout le monde war auf der Jagd nach Geschenken, und auch bei mir ging die Türglocke den ganzen Tag.
Ich hatte drei relativ teure Bilder verkauft und nicht mal an Stammkunden, offenbar entfachte das bevorstehende Fest bei den Pariser Bürgern die Lust an der Kunst. Jedenfalls wollte ich den Laden gerade dichtmachen, da stand Julien plötzlich in der Tür der Galerie du Sud, wie ich meinen kleinen Kunsttempel in der Rue de Seine getauft habe.
Ich war nicht gerade erfreut, das können Sie mir glauben. Nichts ist nervtötender für einen Galeristen als irgendwelche Kleckser, die ohne einen Termin hereinstolpern, ihre großen Mappen öffnen und einem das, was sie für Gegenwartskunst halten, zeigen wollen. Und die sich - bis auf wenige bescheidene Ausnahmen - alle (alle!) mindestens für den nächsten Lucian Freud halten.
Eigentlich habe ich es Cézanne zu verdanken, dass ich dennoch mit diesem jungen Mann ins Gespräch kam, der seine Kappe tief ins Gesicht gezogen hatte und auf den ich mittlerweile große Hoffnungen setze.
Cézanne ist - ich erwähnte es bereits - mein Hund, ein drei Jahre alter, äußerst lebendiger Dalmatiner, und ich hege, wie man leicht erraten kann und obwohl ich mich Tag für Tag liebend gern mit zeitgenössischer Kunst herumschlage, eine stille Leidenschaft für den französischen Maler gleichen Namens, diesen genialen Wegbereiter der Moderne. Seine Landschaften sind für mich unerreicht, und mein größtes Glück wäre es, einen echten Cézanne zu besitzen, und wäre es der kleinste von allen.
Ich wollte Julien also gerade an der Tür abwimmeln, als Cézanne bellend aus dem Hinterzimmer hervorsprang, mit seinen Pfoten über den glatten Holzboden schlitterte, an dem jungen Mann im Parka hochsprang und ihm dann unter leisem Gewinsel hingebungsvoll die Hände leckte.
«Cézanne, aus!», zischte ich, doch wie immer hörte Cézanne nicht auf mich. Er ist leider sehr schlecht erzogen.
Vielleicht war es eine gewisse Verlegenheit, die mich bewog, dem jungen Mann, der sich nun mit meinem Hund unterhielt, Gehör zu schenken.
«Angefangen hab ich in den Vororten - mit Graffiti.» Er grinste. «War ziemlich geil, wir sind nachts losgezogen und haben gesprayt. Autobahnbrücken, alte Fabrikgelände, Schulmauern, einmal sogar einen Zug. Aber inzwischen mal ich auf Leinwand, keine Sorge!»
Meine Güte, ein Sprayer war wirklich das, was mir noch gefehlt hatte! Seufzend öffnete ich die Mappe, die er mir entgegenhielt. Ich blätterte durch das muntere Durcheinander von Skizzen, gezeichneten Graffiti und den Fotografien seiner Bilder. Sein Strich war leider nicht schlecht.
«Und?», fragte er aufgeregt und kraulte Cézanne den Nacken. «Was meinen Sie? In Wirklichkeit sehen die Bilder natürlich viel besser aus - ich mach nur große Formate.»
Ich nickte, und dann blieb mein Blick an einem Bild hängen, das «Erdbeerherz» hieß. Es zeigte ein lang gezogenes Herz, das in der Mitte eine kaum erkennbare Vertiefung hatte und die Oberfläche einer Erdbeere. Das «Erdbeerherz» war eingebettet in einen Hintergrund aus kleinen dunkelgrünen Blättern und bestand aus mindestens dreißig verschiedenen Rottönen. Ich hatte bei meinem Freund Bruno, der Arzt und bekennender Hypochonder ist, einmal eine Digitalaufnahme seines Herzens gesehen, einen Film, der in einer Diagnoseklinik gemacht worden war. (Sein Herz war übrigens kerngesund!) In der Tat glich dieser lebenswichtige Muskel mehr einer erdbeerähnlichen Frucht als den gemalten Herzen und Herzchen, wie sie einem überall begegnen.
Das «Herz» auf dem Bild des jungen Künstlers hatte jedenfalls etwas derart Organisch-Fruchtiges, dass man nicht wusste, ob man den Herzschlag der Erdbeere hörte oder doch lieber hineinbeißen wollte. Das Bild lebte, und je länger ich es mir anschaute, desto besser gefiel es mir.
«Das hier sieht interessant aus.» Ich tippte auf das Foto. «Das würde ich gern mal im Original sehen.»
«Okay, kein Problem. Ist allerdings zwei mal drei Meter. Hängt bei mir im Atelier. Sie können jederzeit vorbeikommen. Oder soll ich es herbringen? Ist auch kein Problem. Ich kann's Ihnen bringen, heute noch!»
«Um Gottes willen, nein.» Ich lachte, doch sein Eifer rührte mich. «Ist das Acryl?», fragte ich, um etwaigen Gefühlsduseleien aus dem Weg zu gehen.
«Nein, Öl. Ich mag keine Acrylfarben.» Er schaute einen Moment auf das Foto, und seine Miene verdüsterte sich. «Hab's gemalt, als meine Freundin mich verlassen hat.» Er schlug sich mit der linken Hand gegen die Brust. «Großer Schmerz!»
«Und . KBF, sind das Sie?», fragte ich, ohne auf seine Bekenntnisse einzugehen, und deutete auf die Signatur.
«Ja, Mann. C'est moi!»
Ich sah auf seine kleine Visitenkarte und zog die Augenbrauen hoch. «Julien d'Ovideo?», buchstabierte ich.
«Ja, so heiße ich», bestätigte er. «Aber ich signiere mit KBF. Ist noch aus der Graffiti-Zeit, wissen Sie? Kunst braucht Fläche.» Er grinste. «Ist immer noch mein Motto.»
Eine Stunde später als beabsichtigt schloss ich die Tür meiner Galerie ab, nicht ohne Julien versprochen zu haben, im neuen Jahr in seinem Atelier vorbeizuschauen.
«Mann, cool, das ist echt mein schönstes Weihnachtsgeschenk», sagte er, als wir uns verabschiedeten. Ich schüttelte ihm die Hand, er schwang sich auf sein Fahrrad, und dann spazierte ich mit Cézanne die Rue de Seine hinunter, um im La Palette noch eine Kleinigkeit zu essen.
In den ersten Januartagen fuhr ich wirklich zu Julien d'Ovideo und besuchte ihn in seinem etwas heruntergekommenen Atelier im Bastille-Viertel. Ich sah mir seine Arbeiten an, fand sie recht bemerkenswert, und am Ende nahm ich das «Erdbeerherz» mit und hängte es versuchsweise in meiner Galerie auf.
Zwei Wochen später stand Jane Hirstman, eine amerikanische Sammlerin, die zu meinen besten Kunden zählt, davor und stieß laute Begeisterungsschreie aus. «It's amazing, darling! Just amazing!»
Sie schüttelte ihre feuerroten Locken, die in alle Richtungen abstanden, was ihr eine äußerst dramatische Note verlieh, trat einen Schritt zurück und musterte das Bild einige Minuten mit zusammengekniffenen Augen. «Das ist die Verteidigung der Leidenschaft in der Kunst», sagte sie dann, und ihre großen goldenen Creolen erzitterten bei jedem Wort. «Wow! I love it, it's great!»
Nun, groß war das Bild wirklich. Ich wusste mittlerweile, dass Jane Hirstman ein Fan großformatiger Bilder war, eine spezielle Macke von ihr, aber das allein war auch für sie, die im Laufe der letzten Jahre immerhin einige nicht ganz unbedeutende Gemälde aus der Wallace Foundation erworben hatte, kein Kriterium.
Sie wandte sich zu mir um. «Wer ist dieser KBF?», fragte sie mit lauerndem Blick. «Hab ich was verpasst? Gibt es noch mehr zu sehen?»
Ich schüttelte den Kopf. Fast alle Sammler, die ich kenne, haben einen Zug ins Manische, wenn es darum geht, etwas Neues als Erster zu entdecken. «Ich würde Ihnen doch nie etwas vorenthalten, meine liebe Jane! Das hier ist ein junger Pariser Künstler, Julien d'Ovideo. Ich vertrete ihn erst seit Kurzem», erklärte ich und beschloss, mit Julien umgehend einen Vertrag aufzusetzen. «KBF steht für seine Auffassung von Kunst: Kunst braucht Fläche.»
«Aaaah», gurrte sie. «Kunst braucht Fläche. Das ist gut, das ist sehr gut.» Sie nickte anerkennend. «Kunst braucht Fläche, und Gefühle brauchen Raum, so ist das! Julien d'O. wie? Na, egal ....
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