Schweitzer Fachinformationen
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Klara Becker atmete tief durch. Es war geschafft. Markus hatte die Fähre erreicht. Der Tontechniker war bekannt für seine Unpünktlichkeit. Zwar gab es am Abend eine weitere Abfahrt von Neßmersiel, aber so war es besser. Bertus war im Vorfeld bereits wegen des möglichen Nichterscheinens des Kollegen stinksauer gewesen und hatte auf der Fahrt von Hannover bis an die Küste nur gemeckert. Bis sie ihm, was selten vorkam, über den Mund gefahren war. Aber das hatte sich nun erledigt.
Lachend ließ sich der Mann mit der halben Glatze auf die Bank gegenüber fallen. »Mensch, Leute, was haben wir für ein Glück mit unserem Job. Beinahe täglich lernen wir neue Gegenden und Menschen mit ihren unterschiedlichen Schicksalen kennen. Einfach super.«
»Nun übertreib mal nicht«, murmelte Bertus, »stundenlanges Autofahren, versagende Technik und Typen, die nicht wissen, worüber sie reden, gehören auch zum Geschäft.«
»Klar. Trotzdem - mit jedem Treffen können wir bei den Menschen etwas bewegen, wenn wir es richtig anstellen. Man muss nur den richtigen Ton und das passende Thema haben, oder?«
Klara stand auf. »Ich hole uns einen Kaffee. Wer möchte?«
Bertus schüttelte den Kopf, und Markus zog einen Metallbehälter raus. »Danke. Du weißt ja .«
Ja, sie wusste, dass Markus jeglicher konventioneller Nahrung abgeschworen hatte. Vermutlich befand sich wieder einmal extrem ökologisch angebauter Ingwertee in der Kanne.
Sie ging zu dem Stand, in dem ein Besatzungsmitglied die Kaffeemaschine bediente, und bat um einen Becher Milchkaffee.
»Kaffee kann ich Ihnen geben. Milch und Zucker stehen dort.« Er deutete auf ein Tablett.
Sie bezahlte, goss Milch in den Becher in der Hoffnung, dass sich das Getränk zügig abkühlte, und ging vorsichtig jonglierend zum Außendeck. Sollten sich die Männer allein vergnügen. Es war ziemlich kühl für Ende Oktober. Trotzdem war der eine oder andere Stuhl auf dem Oberdeck belegt. Sie wunderte sich, dass doch einige Menschen auf die Insel fuhren, denn die Herbstferien waren vorbei.
Es war nicht ihre erste Überfahrt, doch die erste mit der Baltrum III. Soweit ihr bekannt war, wurde dieses Schiff im Sommer für Ausflugsfahrten genutzt und im Winter, wenn die große Baltrum I in der Werft war, im Linienverkehr eingesetzt. Schon im Frühjahr hatte sie im Auftrag eines Fernsehsenders mit Bertus, ihrem Mann, und Markus Knube zu Recherchezwecken die Insel besucht. Damals war es um die Franzosenzeit gegangen, also die Jahre, in denen die Insulaner unter der Knechtschaft Napoleons gelitten hatten. Sie hatten das Heimatmuseum besucht und geschichtsinteressierte Einwohner befragt. Tatsächlich gab es in einigen Familien Unterlagen, die von der Zeit um 1806 zeugten. Damals wurde geschmuggelt, was das Zeug hielt, damit man dem Hungertod entkam.
Jetzt ging es um ein anderes Thema, das weitaus weniger dramatisch war. Es ging um die Zukunft Baltrums. Denn genauso hatte sich eine Gruppe Insulaner betitelt, die auf der Insel neue Wege gehen wollte. Sie hatte bereits einige der Mitglieder befragt, ob sie vor der Kamera Rede und Antwort stehen würden, und die meisten hatten spontan zugesagt. Sie würden in den nächsten drei Tagen mit Eva Hinrichs reden. Ihr gehörte der Bioladen, und Markus hatte darauf bestanden, sie einzubinden. Dann waren da ein Architekt, von dem sie sich nur an den Vornamen erinnerte, Fiete nämlich, und Julia Coordes auf ihrer Liste. Frau Coordes gehörte dem Vorstand der GENOBA, einer Wohnungsbaugenossenschaft an, die sich für bezahlbaren Raum für Angestellte einsetzte. Gleichzeitig war sie die Wortführerin einer Gruppe, die sich Baltrumer Zukunft nannte. Was genau dahintersteckte, würde sie sicherlich am nächsten Tag erfahren.
Das Schiff bog aus der Neßmersieler Hafeneinfahrt heraus. Ein kräftiger Wind wirbelte ihre Haare durcheinander. Es wurde ungemütlich. Klara nahm einen Schluck Kaffee, aber es half nicht wirklich. Gerne hätte sie sich die Seehunde im Norderneyer Osten aus der Nähe angesehen, aber im Gegensatz zu den Menschen um sie herum trug sie keine kuschelige Strickmütze. Die lag wohlverwahrt auf der Bank im Inneren des Schiffes. So hatte der Wind freies Spiel. Sie beschloss kurzerhand, die niedlichen Robben durch das Fenster zu bestaunen, und ging entschlossen zurück zu ihren beiden Männern. Aber nur Bertus saß dort, wo sie die beiden zurückgelassen hatte. Er fummelte an seinem Handy herum. Wie üblich. »Wo ist Markus?«, fragte sie ihren Mann.
Der zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung. Der hatte eine Eingebung oder so. Er meinte wohl, jemanden Bekanntes gesehen zu haben. Frag ihn selbst. Da kommt er.« Bertus deutete auf die Treppe, die ins Unterdeck führte.
Neugierig schaute sie Markus entgegen. Seinem Gesichtsausdruck ließ sich nichts entnehmen.
Er ließ sich auf die Bank fallen und schwieg, was für den Tonassistenten eher ungewöhnlich war.
Klara wartete einen Moment, dann fragte sie: »Willst du uns nicht erzählen, was du erlebt hast?«
»Was ich erlebt habe? Etwas sehr Seltsames, genaugenommen«, flüsterte er. »Ich bin aufgestanden, um mir die Beine zu vertreten. Unten habe ich zwei Menschen sitzen sehen. Einen Mann und eine Frau.«
»Seltsam. Sehr seltsam. Tatsächlich. Da sitzen ein Mann und eine Frau. Das muss in die Tagesschau.« Bertus schaute kurz auf, bevor er sich wieder seinem Handy zuwandte.
Sie hätte ihn würgen können. Zehn Jahre war sie mit diesem Kerl verheiratet, und jedes Jahr war er ein bisschen ekeliger geworden. Aber es hatte bald ein Ende. Der Besuch beim Scheidungsanwalt war für nächste Woche vorgesehen. Danach gab es kein Zurück mehr. »Also, was war mit den beiden?«
»Die Frau. Ich habe sie sofort erkannt, obwohl sie eine Mütze trug. Und das hier drinnen. Sie hatte den Kragen ihres Mantels hochgeschlagen und ihren Schal vor dem Mund. Es war Dora Warfsmann. Ganz eindeutig.«
Donnerwetter. Das war ein Ding. Dora Warfsmann. Wenn sie die vor die Linse kriegten, das wäre ein echtes Highlight. »Was ist mit dem Mann? Hast du den auch erkannt?«
Markus schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es war so seltsam. Er redete leise, aber intensiv die ganze Zeit auf die Frau ein. Als ich kurz anhielt, weil ich so überrascht war, die Frau zu sehen, schaute der mich ganz böse an. Die Frau blickte in meine Richtung, und ich kann schwören, dass sie etwas bedrückte.«
»Bist du ganz sicher, dass es sich um die Warfsmann handelt?«
Markus zögerte. »Am besten überzeugst du dich selbst. Sie sitzen dort unten. Sie hatte ihr Gesicht fast verdeckt. Aber trotzdem - ja, ich bin ziemlich sicher.«
Klara stand auf. »Bin gleich wieder da.« Sie ging in die Richtung, aus der Markus gekommen war. Aufmerksam schaute sie sich die Menschen um sie herum an. Einige packten bereits ihr Handgepäck zusammen. Nicht mehr lange, und die Baltrum III würde den Baltrumer Hafen erreichen. Sie stieg die Treppe hinab in den unteren Bereich. Nur zwei Familien mit Kindern und eine einzelne Dame saßen dort. Sie ging wieder nach oben und raus zum Außendeck. Aber auch hier sah sie keine Frau, bei der sie eine Ähnlichkeit mit der bekannten Schauspielerin und Sängerin erkannt hätte. Zurück bei den Männern griff sie ihren Rucksack. »Kommt, lasst uns die Ersten sein, die vom Schiff gehen. Dann können wir auf dem Anleger alle beobachten, die nach uns die Fähre verlassen«, forderte sie die beiden auf. Doch nur Markus schien damit einverstanden.
Bertus verdrehte die Augen. »Seid ihr jetzt ganz verrückt geworden? Das sind Paparazzi-Methoden. Habt ihr vergessen, warum ihr hier seid?«
Nein, hatten sie nicht. Ihr Job war es, nette Einwohner zu befragen und daraus einen Film zu machen, der hoffentlich vom Sender angenommen wurde. Bertus hatte recht. Dennoch - wenn sich die Warfsmann auf Baltrum aufhielt, könnte sich daraus eine prächtige Story ergeben.
»Schon gut. Besinnen wir uns auf unseren Job und gehen ins Hotel. Dann sehen wir weiter.« Sie hängte sich den Rucksack um, ohne auf Markus zu achten. Sie war sich sicher, dass er mit ihrer Entscheidung nicht unbedingt einverstanden war.
Als der Landgang bereit war, zeigte sie ihre Fahrkarte vor und verließ zügig das Schiff. Sie schaute sich nicht einmal um, ob die Männer ihr folgten. Dort, wo die Handkarren der Hotels standen, sah sie den jungen Mann, der für ihr Gepäck zuständig war.
»Kenny Janssen«, stellte er sich vor. »Sie sind .?«
»Klara Becker. Mein Mann und Markus Knube sind auf dem Weg zu Ihnen. Wir sind wegen der Filmaufnahmen hier.«
»Welche Nummer hat Ihr Container?«
»105. Wir haben auch Einiges an technischem Kram mit. Normalerweise haben wir auch immer einen Bollerwagen zum Transport auf der Insel dabei, aber da ist uns in letzter Minute die Deichsel abgebrochen«, antwortete sie. »Mein Mann zeigt Ihnen, was alles uns gehört. Ich gehe schon mal vor.«
»Alles klar. Wir kommen mit dem Gepäck nach«, versprach Janssen.
Sie atmete ein paar Mal tief durch, dann reihte sie sich in den Strom der Gäste ein. Wie schön, wieder auf der Insel zu sein. Rechts der Hafenstraße sah sie ein kleines Flugzeug Fahrt aufnehmen, links grasten friedlich zwei kräftige Braune. Das Hotel Sonnenstrand war nicht weit entfernt. Sie hoffte, dass sich Bertus, wie abgesprochen, um das Gepäck kümmerte. Schließlich konnte der Hausmeister nicht ahnen, welche Taschen und Kisten in den Holzcontainern zu ihnen gehörten. Rechts sah sie das Nationalparkhaus. Ob sie die Chefin...
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