Schweitzer Fachinformationen
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Mühsam schälte sich Michael Röder aus seiner Bettdecke. Es war spät geworden gestern Abend. Doch das Klingeln seines Telefons zeigte ihm unmissverständlich an, dass er gebraucht wurde. Er langte zum Nachttisch hinüber, stieß den Wecker um und fegte beinahe sein kleines Radio herunter. Dann, endlich, fand er das Telefon. »Röder. Polizei Baltrum«, nuschelte er.
»Hallo, Michael. Hier ist Verena. Wir räumen gerade auf und der Mann, der die Hüpfburg abbaut, hat bemerkt, dass bei der alten Inselkirche etwas nicht stimmt. Die grüne Holztür steht weit offen und das Schloss der Glastür scheint defekt.«
»Bin gleich bei euch.«
Ein Morgen ohne Frühstück ist wie .? Nein, dachte er. Es ist eigentlich egal. Wenn Sandra, seine Frau, zu Hause war, dann war ein ordentliches Frühstück angesagt, ja. Aber sie weilte bereits vierzehn Tage am Festland zu Besuch bei ihrer Freundin Wiebke. Eigentlich hatte er zum Wochenende auch hinfahren wollen, aber sein Hilfssheriff hatte für eine Nacht nach Hause müssen. Notfall in der Familie. So war Michael auf der Insel geblieben und hatte fest versprochen, Sandra am nächsten Wochenende abzuholen. Er freute sich darauf, weil er dann seinen Freund Arndt Kleemann sehen würde, der mit Wiebke einen ganz neuen Lebensweg ging. Er hatte sich als Ermittler freistellen lassen und war Bauer geworden. Das Ehepaar hatte eine kleine Landwirtschaft in der Krummhörn gepachtet und baute Obst und Gemüse an.
Seitdem war sein Freund ein ganz anderer Mensch geworden. Es war, als sei das Wort Entspannung in sein Gesicht geschrieben. So ruhig und gelassen hatte er Arndt als ermittelnden Kommissar die letzten Jahre über nicht erlebt.
Röder griff nach Hemd und Hose und wurde kurz darauf in der Küche von Amir, dem Heidewachtel, begrüßt. »Kommst du mit?«, fragte er den Hund, wohl wissend, dass es dieses Satzes nicht bedurft hätte, um Amir aus dem Körbchen zu locken. Er konnte ihm kaum folgen, so schnell, wie der draußen war.
Er holte sein Fahrrad aus dem Schuppen und fuhr los. Es war schon ordentlich Leben auf den Straßen. Vor der Backstube Störtebeker standen die Menschen bis an die Straße, alle beseelt von dem Wunsch nach frischen Brötchen. Andere zogen ihren Bollerwagen zum Strand. Darin saßen Kinder umgeben von Liegen, Schaufeln, Bällen und allem, was man zum Leben am und im Wasser so benötigte. Auch der eine oder andere Pferdewagen mit Fracht war unterwegs, um die Lebensmittelmärkte zu versorgen. Die am Wochenende frisch angekommenen Gäste hatten die Regale leer geräumt, daher warteten die Mitarbeiter montags immer besonders dringend auf neue Ware vom Festland.
Auf dem Platz vor dem Restaurant Zum Seehund herrschte ebenfalls reges Treiben. Zelte wurden abgebaut und die Hüpfburgen lagen schlapp mit abgelassener Luft auf dem Rasen vor der Inselglocke. Mitten im Gewühl sah er Verena. Er stellte sein Rad ab und winkte ihr zu. »Was soll ich mir ansehen?«, rief er.
»Komm mit.«
Er folgte ihr zur alten Inselkirche. Die grüne Holztür stand tatsächlich offen. Auch die Glastür, die normalerweise fest verschlossen war, wenn nicht eine Hochzeit, eine Taufe oder ein Abendgottesdienst dort stattfand, war nur angelehnt. Ein Riss ging längs durch das Glas und am Schloss konnte er Bruchspuren erkennen. »Hast du was mitbekommen? Geräusche oder etwas anderes?«
Verena schüttelte den Kopf. »Nein. Das Inselglockenfest zog sich heute Nacht ziemlich hin. Es dauerte eine ganze Weile, bis die letzten Gäste weg waren. Das heißt, die Allerletzten sind, nachdem wir draußen Schluss gemacht hatten, noch auf ein Bier mit in die Gaststätte gekommen. Als endlich Feierabend war, bin ich todmüde ins Bett gefallen. Ich hätte nicht einmal gehört, wenn die die ganze Kirche abgerissen hätten.«
»Ist dir aufgefallen, ob irgendwas fehlt?«
Sie lachte. »Wie soll ich das wissen? Ich wohne zwar neben der Kirche, habe aber ewig nicht mehr reingeschaut.«
Röder schaute zum Altar. Er kam ihm merkwürdig leer vor. Es war zwar auch bei ihm schon eine ganze Weile her, dass er einen Blick in die Kirche geworfen hatte, aber er meinte sich zu erinnern, dass dort ein blauer Kelch gestanden hatte. »Ich rufe Nadja Recknagel an. Sie ist die Expertin.«
Er knotete Amirs Leine an den weißen Holzzaun und wartete.
Es dauerte keine fünf Minuten, da war die Pastorin zur Stelle. »Was ist passiert? Habe ich das eben richtig verstanden? Ein Einbruch? Ach, guten Tag erst einmal«, sprudelte sie atemlos heraus, während sie von ihrem Fahrrad sprang.
»Wir wissen gar nichts. Dafür brauchen wir Sie«, erklärte Röder.
Nadja Recknagel drängte sich an ihm vorbei und starrte auf die zerbrochene Glastür. »Was ist das? Das sieht echt nach Einbruch aus!«
»Es kann natürlich auch sein, dass einer von den Gästen angeschickert gegen die Tür geknallt ist, was die dann nicht überlebt hat. Alle Möglichkeiten sind offen«, sagte Röder. »Ich möchte zunächst wissen, ob etwas fehlt.« Er deutete auf den Blumenstrauß, der zerfleddert vor dem Altar lag. »Stand noch mehr auf dem Altar?«
»Ein silbernes Kreuz. Ich kann es nicht entdecken. Und normalerweise ein blauer Abendmahlskelch. Den habe ich aber hinter den Altar gestellt.«
»Ist das Kreuz wertvoll?«, fragte Verena. »Wenn ja, hätte man es besser nicht da stehen lassen sollen. Das bietet sich doch zur Mitnahme an.«
Nadja Recknagel schaute die Wirtin ungläubig an. »Hier auf der Insel? Wer rechnet denn damit, dass das Ding geklaut wird? Außerdem war die Tür immer abgeschlossen.«
»Was jedoch für den Dieb kein Problem war, oder?«, hakte Verena nach.
»Offensichtlich nicht.« Nadja Recknagel wollte die Kirche betreten, doch der Inselpolizist hielt sie zurück. »Bitte nicht. Ich möchte erst einmal auf Spurensuche gehen. Da wäre es unklug, eben diese jetzt zu verwischen. Fehlt sonst etwas?«
»Nicht, soweit ich es von hier aus erkennen kann.« Die Pastorin atmete tief durch. »Wie gut, dass unser wertvollstes Stück hier nicht gestanden hat. Es ist ein Kelch. Er wurde der Gemeinde zwischen fünfzehnhundertfünfundfünfzig und -neunundfünfzig von Katharina von Schweden geschenkt. Sie war die Frau von Graf Edzard dem Zweiten. Der Kelch steht aber gut verwahrt in der Johannes-A-Lasco-Bibliothek in Emden. Ich gebe zu, dass es sinnvoll war, ihn sicher unterzubringen, bei dem Wert. Aber für das kleine Kreuz habe ich nie eine Gefahr gesehen. Der Geldwert ist nicht hoch.«
»Aber für den einen oder anderen vielleicht der ideelle«, überlegte Verena.
Nadja Recknagel schaute die Wirtin des Seehunds verblüfft an. »Sie denken doch nicht, dass Gäste zur Erinnerung an ihre Hochzeit das Kreuz haben mitgehen lassen?«
»Egal ob Gäste oder Einheimische, das Kreuz ist weg«, antwortete Verena trocken.
»Gut, dann werde ich meinem Kollegen Bescheid geben, dass er mit dem Spurensicherungsköfferchen erscheinen soll.« Röder schaute auf die Uhr. Das Schiff, mit dem sein Kollege Wille wieder zurück auf die Insel kommen wollte, hatte bereits angelegt. »Sie, Frau Recknagel, möchte ich bitten, nachzusehen, ob Sie ein Bild oder eine genaue Beschreibung des Kreuzes in den Unterlagen haben.«
»Ich bringe Ihnen alles auf die Wache.« Genauso schnell, wie die Frau erschienen war, verschwand sie wieder.
»Und ich, kann ich auch gehen?«, bat Verena. »Wir haben so viel zu tun heute Morgen.«
Röder nickte. »Kein Problem, ich weiß, wo ich dich gegebenenfalls finde.«
Wilfried Weerts, genannt Wille, meldete sich sofort und versprach zu kommen. Röder wartete vor der Tür und sah, wie zwei von Verenas Mitarbeitern die Theke ins Haus trugen. Die werde ich auch befragen, überlegte er. Schließlich wohnten die nicht weit entfernt. Vielleicht hatten sie etwas gehört.
Er zuckte zusammen, als es direkt neben ihm heftig quietschte. Die Bremse von Willes Pedelec konnte tatsächlich mal wieder etwas Reinigung vertragen, aber das würde er seinem Hilfssheriff überlassen, er selbst hatte zu so etwas einfach keine Lust. Daher war die Pflege der Räder seit Jahren der Job der Kollegen, die im Sommer zu seiner Unterstützung auf die Insel kamen. Bei ihm war das Pedelec für den täglichen Gebrauch bisher ohnehin nicht so recht angekommen. Es war auf den roten Verbundsteinen sehr rutschanfällig. Bei Minusgraden war es sogar äußerst gefährlich. Ein Schlenker oder ein wenig zu scharf gebremst und schon verlor man die Kontrolle.
»Na, alles gut zu Hause?«, begrüßte er seinen Kollegen.
Wille stöhnte leicht. »Nicht wirklich. Meine Mutter hatte einen Schlaganfall. Jetzt wird sie im Krankenhaus versorgt. Die Ärzte haben jedoch eine ganz positive Prognose abgegeben. Warten wir mal ab. Meine Schwester kümmert sich. Aber jetzt - was liegt hier an?«
»Eine aufgebrochene Kirchentür, etwas Randale und ein verschwundenes Kreuz«, sagte Röder knapp, während Wille den Koffer vom Fahrrad hob. »Was genau dahintersteckt, ob Diebstahl oder eine aus dem Ruder gelaufenen Fete - ich habe bis jetzt keine Ahnung.«
»Na, dann lass uns mal mit der Tatortarbeit beginnen und die Spuren sichern. Vielleicht kommen wir der Sache dann näher.« Wille öffnete den Koffer und reichte ihm Schutzkleidung.
Musste das sein? Schließlich lag kein Toter in der Kirche. Und Fingerabdrücke? Die waren reichlich vorhanden. So ungefähr jeder zweite Inselbesucher hatte mit Sicherheit schon einmal versucht, die Glastür zu öffnen, um einen näheren...
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