Schweitzer Fachinformationen
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Nova Kälteschlaf Lösungen, Personalabteilung
New Chicago Erde, 2199
Die Demonstranten draußen werden lauter. Ihre Sprechchöre klingen immer noch weit weg, aber irgendwie klarer als zuvor. Vielleicht liegt es aber auch nur an Ophelias schlechtem Gewissen.
»Montrose tötet!« scheint ihr Lieblingsruf zu sein. Nicht wenige brüllen auch »Scheiß Brays!«, ein nicht totzukriegender Klassiker, wenngleich normalerweise nicht gegen Ophelia persönlich gerichtet.
Doch dieses Mal hat sie es eindeutig verdient.
Sie zuckt zusammen.
»Bitte halten Sie still«, sagt der junge Techniker höflich. Der Griff seiner Handschuhe an ihrem Unterarm verschiebt sich ein wenig, dann führt er die Nadel in den immer noch leicht schmerzenden Port an ihrem Handrücken ein.
»Sorry.« Sie versucht ein Lächeln und zieht den rauen Stoff des Einwegkittels enger um sich. Ophelia liegt auf einem mobilen Untersuchungsbett, unter dem Kittel ist sie nackt, und der Luftzug an ihrem entblößten Hals ist kurz davor, ihre Zähne klappern zu lassen.
Aber das ist in Ordnung. Bald wird ihr noch viel, viel kälter sein.
»Gut«, sagt der Techniker einen Moment später und lässt ihren Arm los. Seine sterilen Handschuhe machen beim Ausziehen ein schmatzendes Geräusch. »Es wird ein paar Minuten dauern, bis die Wirkung einsetzt. Ich bin gleich wieder da.«
Auf seinem digitalen Namensschild steht: »RAYON. Sagen Sie einfach Ray!« Dahinter leuchtet ein Smiley. Ray begegnet ihrem Blick nicht, als er sich auf seinem Rollhocker zurücklehnt und aufsteht, um den kleinen Vorbereitungsraum zu verlassen.
Scham steigt in Ophelia auf, und sie schließt die Augen für ein kleines, selbstsüchtiges Gebet.
Bitte, bitte lass es funktionieren. Es muss.
In der Stille, die nur vom Rattern von Metallrädern auf dem Flur sowie den Sprechchören draußen unterbrochen wird, lässt Ophelias QuickQ ein freundliches Blubb vernehmen. Erleichtert über die Ablenkung - vielleicht ist es ja ein Anruf ihrer jüngeren Schwester -, öffnet Ophelia die Augen.
Aber es ist das Gesicht ihres Onkels, das blau eingerahmt auf ihrem implantierten Interface erscheint. Als hätte er ihre Verzweiflung gerochen.
Scheiße. Ophelia schluckt schwer. Der gute Onkel Dar, gekommen, um mir den Todesstoß zu versetzen.
Aufgrund ihrer Privatsphäre-Einstellungen kann sie Darwin sehen, er sie aber nicht, was die Sache zumindest ein bisschen erleichtert. Das kunstvoll silbern melierte Haar über seiner unnatürlich glatten Stirn ist perfekt gescheitelt. Er ist ganz der schneidige, gut aussehende CEO eines großen Familienunternehmens, der mit seinem privaten Lufthover »spontan« Flüchtlinge aus dem Lager im Grant Park rettet.
Bis er den Mund aufmacht.
»Ich weiß, dass du mich hören kannst, du kleines Miststück«, sagt er durch sein umgängliches Lächeln hindurch. »Ich wollte nur vernünftig bleiben.«
Nein, er hat versucht, bestimmte Strippen bei ihrem Arbeitgeber zu ziehen, was überraschenderweise nicht funktioniert hat. Wahrscheinlich lag es daran, dass Ophelias Familie und ihr Arbeitgeber in gnadenlosem Konkurrenzkampf stehen und einander nur äußerst ungern einen Gefallen tun. Dann lieber Erpressung, Industriespionage sowie Verbreitung von Gerüchten über unappetitliche sexuelle Vorlieben unter den Führungskräften. Und das sind nur die Punkte, von denen Ophelia weiß.
»Du musst wenigstens dieses eine Mal an deine Familie denken. Komm heim nach Connecticut und verhalte dich ruhig, bis die Wogen sich geglättet haben. Diese Carruthers-Frau schnüffelt wieder herum, und du machst alles nur noch schlimmer.« Darwin schnaubt verächtlich. »Jazcinda. Was ist das überhaupt für ein Name?«
Der Name einer hoch angesehenen News-Streamerin. Ihr Channel ist eher der Boulevardpresse zuzurechnen, aber Jazcindas Reportagen sind stets grundsolide. Absolut seriös. Solange man sich keine Sorgen machen muss, dass sie einem das eigene Leben auf den Kopf stellen.
Ophelias Pulssensor gibt ein warnendes Blöken von sich.
Darwin atmet scharf ein und ruckt missbilligend mit dem Kopf. »Ich habe von Anfang an gewusst, dass du nur Ärger machen würdest. Wir hätten dich einfach dort lassen sollen.«
»Ist alles in Ordnung, Dr. Bray?« Ray taucht in der Tür auf und wirft einen fragenden Blick auf Ophelia, dann auf den Vitalmonitor an der Wand. Er ist sehr jung, möglicherweise nur ein paar Jahre älter als ihre siebzehnjährige Schwester. Sein Haaransatz weist diesen kecken Schwung auf, der zwingend eine Veränderung des Erbguts erfordert. Niemand hat von Natur aus einen so perfekten Neunzig-Grad-Winkel.
Ophelia setzt ein genauso beruhigendes wie falsches Lächeln auf. »Natürlich.«
»Geh verdammt noch mal ran, Ophelia!«, brüllt Darwin aus ihrem Implantat. »Du ziehst nur noch mehr ungebetene Aufmerksamkeit auf dich und machst alles noch schlimmer.«
Ihre Halsadern pochen, ihre Hände zittern. Aber es sind nur die Überreste einer Angst aus ihrer Kindheit. Das ist alles. Ophelia erinnert sich noch lebhaft, wie Onkel Darwin sich zu ihr herunterbeugte, um sie wegen irgendeines Fehlverhaltens anzuschreien, egal ob besagtes Fehlverhalten stattgefunden hatte oder nicht. Sie spürt noch immer seinen warmen Speichel auf der Wange, vermischt mit dem bitteren Geruch der letzten Phytopille.
Aber das ist schon lange her. Ophelia ist jetzt erwachsen und weit außerhalb seiner Reichweite. Er wird kaum seinen privaten Sicherheitsdienst herschicken, um sie zu holen. So verzweifelt ist er nicht. Oder so dumm. Dessen ist sie sich ziemlich sicher.
Trotzdem ist es besser, die Sache hinter sich zu bringen.
»Stimmt etwas nicht?«, fragt sie Ray.
Er schüttelt den Kopf und tritt ein. »Ich muss Sie lediglich bitten, alle Kommunikationsimplantate zu deaktivieren«, erwidert er und schließt die Tür hinter sich. »Damit es nicht zu Störungen kommt. Sie werden sie da draußen sowieso nicht benutzen können. All Ihre Nachrichten und Kontakte werden auf das Ihnen zugewiesene Handgelenkcomm übertragen.«
Ophelia setzt sich eilig auf. »Kein Problem.« Sie ruft sich den sechsstelligen Deaktivierungscode für ihr Implantat ins Gedächtnis, während Darwin im Hintergrund weiterbrüllt. Sie hat ihr QuickQ nur in der Hoffnung aktiviert gelassen, dass ihre jüngere Schwester Dulcie - Halbschwester, genau genommen - sich melden würde. Ophelia wird nächsten Monat Dulcies achtzehnten Geburtstag verpassen, auf dem sie »ohne all die Schwachköpfe feiern« wollten, »als ob sie wieder jung wären«.
Aber wie es scheint, ist Dulcie immer noch wütend. Oder die Familie hat sie in die Mangel genommen, was die wahrscheinlichere Möglichkeit ist. Gegen die Brays kommt niemand an.
Der Deaktivierungscode erscheint direkt über Darwins Mund, erst verschwommen, dann immer deutlicher. Ophelia blinzelt zweimal zur Bestätigung, und Onkel Darwin verschwindet.
Wenn es im echten Leben nur so einfach wäre. Wahrscheinlich - nein, definitiv - denkt ihr Onkel gerade genau das Gleiche.
»Sie sollten jetzt langsam schläfrig werden«, spricht Ray weiter. »Und dann .«
Schnelle Schritte auf dem Flur, und sie werden lauter, als würden sie näher kommen.
Ophelia krallt die Finger in die Matratze des Untersuchungsbetts. Als die Schritte innehalten und die Tür zum Vorbereitungsraum aufschwingt, setzt ihr Herz einen Schlag lang aus.
Aber es ist kein maskierter Söldner mit Pinnacle-Logo auf der Brust, wie sie halb erwartet hat, sondern ein weiterer in Weiß gekleideter Techniker. Und er befindet sich in Begleitung einer vertrauten Gestalt, die mit ihren breiten Schultern ein bisschen aussieht wie die Football-Spieler von damals. Die Kopfhaut ist braun und glatt rasiert.
»Julius!« Ophelia sackt erleichtert in sich zusammen und grinst ihn mit einer Mischung aus Freude und Verwirrung an. »Was machst du hier? Ich hab dir doch gesagt, dass nichts passieren kann.«
Julius winkt ab. »Als ob ich dir diesen Quatsch geglaubt hätte.« Er sieht gehetzt aus. Der Knoten seiner altmodischen Krawatte ist gelockert, und der Hemdkragen über seiner leuchtend gelben Weste sitzt schief.
Sie haben gestern Abend bei ihm in der Wohnung eine Abschiedsparty gefeiert. Zu dritt. Oder zu viert, wenn man Marlix mitzählt, Julius' und Jonathans bereits schlafende Tochter. Das ist jetzt noch keine sechs Stunden her. Es wurde ein wenig zu viel synthetischer Tequila getrunken (Julius und Jonathan) und viel zu viel von einem widerlichen medizinischen Getränk mit Traubengeschmack (Ophelia).
Sie und Julius hatten mit ein paar Jahren Abstand voneinander das Ausbildungsprogramm für Psychologie und Verhaltensevaluation bei Montrose durchlaufen. Aber seit dem Tag, als ihr das schmuddelige kleine Sprechzimmer gleich neben dem von Julius zugewiesen wurde, sind sie nicht nur Kollegen, sondern auch Freunde. Außerdem hatte er sie nicht ein einziges Mal nach ihrer Familie gefragt oder auch nur angedeutet, dass er wusste, wer die Brays waren.
Jeder wusste das.
»Es tut mir leid, Sir, aber dies ist eine private Einrichtung und.«, beginnt Ray.
»Erstens heißt es Doktor«, unterbricht Julius.
Ophelia versucht, nicht mit den Augen zu rollen. Er legt immer dann Wert auf seinen Titel, wenn er jemanden beeindrucken will. Oder mit etwas durchkommen, das ihm nicht zusteht.
»Zweitens bin ich ihr Notfallkontakt und ihre Vertrauensperson.« Er deutet...
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