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Es war schon spät, als er an jenem Abend auf der Post Road unterwegs war, doch Paul Davis hätte schwören können, dass es sich bei dem Wagen, der in diesem unberechenbaren Fahrstil vor ihm fuhr, um den seines Kollegen Kenneth Hoffman handelte. Der alte, dunkelblaue Volvo Kombi gehörte zum festen Inventar des West Haven College und bediente alle Klischees des fahrbaren Untersatzes eines typischen Professors.
Paul fragte sich, ob Kenneth - immer Kenneth, niemals Ken - eigentlich wusste, dass mit dem linken Rücklicht etwas nicht stimmte und weißes Licht durch die gesplitterte rote Plastikabdeckung nach außen drang. Hatte er nicht neulich erst davon gesprochen, dass ihm jemand ans Auto gefahren war, ohne eine Nachricht unter dem Scheibenwischer zu hinterlassen?
Ein kaputtes Rücklicht hätte Kenneth bestimmt nicht einfach hingenommen. Eine gestörte Symmetrie am Fahrzeugheck, quasi das Äquivalent zu einer Ungleichung, konnte Kenneth, Professor für Mathe und Physik, nicht ungerührt lassen.
Wie der Volvo zur Mittellinie driftete, um ruckartig wieder in die eigene Spur zurückzufinden, ließ in Paul den Verdacht aufkommen, dass mit Kenneth etwas nicht stimmte. War er am Steuer eingenickt, wieder aufgewacht und hatte bemerkt, dass er auf die andere Straßenseite zusteuerte? War er auf dem Heimweg, nachdem er irgendwo dem Alkohol zugesprochen hatte?
Wäre Paul Polizist, würde er Blaulicht und Sirene einschalten und ihn anhalten.
Paul war aber kein Polizist und Kenneth auch nicht irgendein Autofahrer. Er war ein Kollege. Nein, nicht nur das. Er war ein Freund. Sein Mentor. Pauls Auto hatte weder Blaulicht, noch war es mit einer Sirene ausgerüstet. Vielleicht konnte er Kenneth auf sich aufmerksam machen, ihn dazu bringen, rechts ranzufahren, zu einer Pause überreden, bis er wieder fit genug war, um weiterzufahren, oder ihn zur Not gleich nach Hause bringen.
Das war das Mindeste, was Paul tun konnte, auch wenn die Freundschaft zwischen ihnen nicht mehr so eng wie früher war.
Als Paul ans West Haven kam, hatte Kenneth sich fast wie ein Vater seiner angenommen. Auf einer Fakultätsversammlung hatten sie festgestellt, dass sie ein gemeinsames, wenn auch mäßig anspruchsvolles Interesse teilten. Sie hatten eine Schwäche für Science-Fiction-Filme aus den Fünfzigerjahren. Alarm im Weltall, Endstation Mond, Fliegende Untertassen greifen an, Der Tag, an dem die Erde stillstand. Der Angriff der 20-Meter-Frau, darin waren sie sich einig, war ein geniales Meisterwerk. Nachdem sie sich ausgerechnet über ein so verrücktes Thema gefunden hatten, bot Kenneth Paul eine Schnelleinführung in das West Haven College an.
Die Gepflogenheiten der akademischen Welt konnten warten. Wichtiger war es, dem Neuzugang zu erklären, wie man einen guten Parkplatz ergatterte, an wen man sich in der Buchhaltung wenden musste, wenn etwas mit der monatlichen Gehaltsabrechnung nicht stimmte, und wann man die Mensa besser mied. (Am Dienstag, wie sich herausstellte. Dienstags gab es immer Leber.)
Mit den Jahren wurde Paul klar, dass Kenneth für ihn eine Ausnahme gemacht hatte, denn diese Einführung bot er sonst eher neuen Angestellten weiblichen Geschlechts an, und zwar um einiges hingebungsvoller, wie Paul erfuhr.
Kenneth hatte verschiedene Seiten, und Paul war sich immer noch nicht sicher, ob er alle kannte.
Allen Mutmaßungen über den Kollegen zum Trotz konnte er nicht zulassen, dass der Mann seinen Kombi in den Graben fuhr und sich umbrachte. Und es wäre in diesem Fall nur er allein - soweit Paul erkennen konnte, war der Beifahrersitz neben Kenneth leer.
Fast eine Meile war der Wagen inzwischen gefahren, ohne von der Spur abzukommen, woraus Paul schloss, dass Kenneth alles im Griff hatte. Dennoch empfand er die Fahrweise als irritierend. Immer wieder gab Kenneth Gas - dann leuchteten die Bremslichter auf, auch das defekte -, um anschließend wieder vor sich hin zu schleichen. Dann gab er neuerlich Gas. Eine Viertelmeile später fuhr er wieder langsamer. Wie es schien, wandte er den Kopf immer wieder nach rechts, als hielte er Ausschau nach einer bestimmten Hausnummer.
In dieser Gegend nach Hausnummern zu suchen war sonderbar, denn Wohnhäuser fanden sich hier nicht. Auf diesem Abschnitt der Post Road gab es fast ausschließlich Gewerbebetriebe.
Was hatte Kenneth vor?
Nicht dass man etwas Bestimmtes vorhaben musste, wenn man eine halbe Stunde vor Mitternacht durch Milford fuhr, denn Paul war schließlich ebenfalls unterwegs. Und wenn er nach dem Besuch des Theaterstücks, das die Studenten im West Haven aufgeführt hatten, gleich nach Hause gefahren wäre, wäre er inzwischen auch da. Jetzt aber war er hier, weil er ziellos in der Gegend herumgefahren war und nachgedacht hatte.
Über Charlotte.
Er hatte sie gefragt, ob sie mitkommen wollte. Paul hatte mit dem Theaterstück selbst nichts zu tun, wohl aber einige seiner Studenten, sodass er sich verpflichtet gefühlt hatte, sie durch seine Anwesenheit zu unterstützen. Charlotte hatte sich entschuldigt. Sie war Immobilienmaklerin und an diesem Abend mit Kunden zu einer Hausbesichtigung unterwegs. Und natürlich war es reizvoller zu warten, bis ein möglicher Käufer sämtliche Schlafzimmer in Augenschein genommen hatte, als auf Godot.
Aber auch wenn seine Frau nicht hätte arbeiten müssen, hätte es Paul überrascht, wenn sie mitgekommen wäre. In letzter Zeit teilten sie eher nur die Wohnung als das Leben. Charlotte verhielt sich distanziert und in sich zurückgezogen. Die Arbeit, sagte sie immer, wenn er wissen wollte, was ihr Sorgen bereitete. Er fragte sich, ob Josh der Grund sein könnte. War es ihr nicht recht, wenn sein Sohn übers Wochenende kam? Nein, ausgeschlossen. Sie mochte Josh. Hatte immer alles getan, damit er sich willkommen fühlte und .
Hallo.
Kenneth hatte den Blinker gesetzt.
Er lenkte den Volvo von der Hauptstraße nach rechts in einen Gewerbepark. Eine lange Reihe von Firmen und Geschäften, die alle seit mindestens fünf Stunden geschlossen hatten.
Falls Kenneth sich nicht wohlfühlte oder müde war, war er jedenfalls klug genug, von der Straße abzufahren und ein wenig zu schlafen. Oder vielleicht wollte er mit dem Handy ein Taxi rufen. Wie auch immer, Paul hielt sein Eingreifen nicht mehr für dringend erforderlich.
Trotzdem ging er vom Gas und steuerte jenseits der Stelle, an der Kenneth abgebogen war, an den Straßenrand. Der Volvo fuhr um ein Gebäude herum auf dessen Rückseite, die Bremslichter leuchteten auf. Wenige Meter vor einem Müllcontainer blieb er stehen.
Warum fährt er hinter das Gebäude? Paul war verwundert. Er schaltete Scheinwerfer und Motor aus und beobachtete den Kollegen weiter.
Drogenhandel blitzte es in seiner überhitzten Fantasie auf, auch wenn Kenneth in dieser Hinsicht nie etwas hatte vermuten lassen.
Und es sah auch nicht danach aus, als würde Kenneth hier jemanden treffen. Weder gab es einen zweiten Wagen, noch trat der Schatten einer verdächtigen Person aus der Dunkelheit. Kenneth stieg aus, die Innenbeleuchtung im Wagen sprang an. Er schlug die Tür zu, ging ums Heck herum zur Beifahrertür und öffnete sie. Er beugte sich vor und hob etwas hoch.
Was es war, konnte Paul nicht erkennen. Der Gegenstand war dunkel - aber schließlich war hier alles ziemlich dunkel - und etwa von der Größe eines Druckers, nur unregelmäßiger in der Form. Kenneths Bemühen, das Gleichgewicht zu halten, während er den Gegenstand die wenigen Schritte zum Container schleppte, ließ darauf schließen, dass es sich um etwas Schweres handelte. Er wuchtete es auf den Rand und stieß es hinein.
»Was zum Teufel soll das alles?«, murmelte Paul.
Kenneth schloss die Beifahrertür, ging um den Wagen herum zur Fahrerseite und setzte sich wieder ans Steuer.
Paul drückte sich tief in den Sitz, als der Volvo wendete und auf die Straße zurückkehrte, dann direkt an ihm vorbeikam und in derselben Richtung wie zuvor weiterfuhr. Paul sah die Rücklichter des Volvos in die Ferne entschwinden.
Er schaute zum Container und überlegte, ob er nachsehen sollte, was Kenneth dort hineingeworfen hatte, oder seinem Freund folgen. Anfangs hatte Paul sich zunächst Sorgen um Kenneth gemacht. Aber aus seiner Sorge war Neugier geworden.
Was auch immer sich dort in dem Container befand, würde in ein paar Stunden höchstwahrscheinlich auch noch da sein.
Paul schaltete Zündung und Scheinwerfer an und legte den Gang ein.
Der Volvo bewegte sich in nördlicher Richtung. Die Häuser, Geschäfte und unzähligen Gewerbeparks hatte er hinter sich gelassen und fuhr über sich windende, schmale Sträßchen zwischen hoch aufragenden Bäumen hindurch. An einer Stelle passierten sie einen Streifenwagen, der am Straßenrand stand, ohne ihnen Beachtung zu schenken, da sie sich an die vorgeschriebene Geschwindigkeit hielten.
Inzwischen fragte sich Paul, ob Kenneth überhaupt ein Ziel hatte. Das Bremslicht des Volvos leuchtete auf, als sie sich einer Abzweigung näherten. Dann beschleunigte der Wagen wieder, bis sie zur nächsten kamen. Wieder sah es so aus, als suchte Kenneth etwas.
Plötzlich schien er es gefunden zu haben.
Langsam fuhr der Wagen auf den Randstreifen. Die Lichter erloschen. Etwa zweihundert Meter hinter ihm konnte Paul keinen Grund erkennen, warum Kenneth gerade dort angehalten hatte. Weit und breit waren weder ein Weg noch ein Haus zu sehen.
Paul überlegte kurz, ob er einfach vorbeifahren sollte, dachte dann aber: Zum Teufel mit der Geheimniskrämerei. Ich muss nachsehen, ob mit ihm alles in Ordnung ist.
Er setzte den Blinker, fuhr auf den Seitenstreifen und kam hinter dem...
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