Schweitzer Fachinformationen
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Frau Eberhard blieb geduldig und freundlich, und meine Hartnäckigkeit zahlte sich letzten Endes aus. Zwar hatte der Almwirtschaftliche Verein keine Alm für uns in Aussicht, doch Frau Eberhard hatte bei einem Almkurs eine Sennerin getroffen, die den nächsten Sommer nicht mehr auf die Alm gehen konnte oder wollte. Sie gab mir deren Telefonnummer und sagte, ich solle die Frau doch einfach mal anrufen. Der Haken an der Sache war, dass die Alm in Tirol lag und dass es dort zwölf Milchkühe gab, die gemolken werden müssten. Da Sophie und ich überhaupt keine Erfahrung mit dem Bewirtschaften einer Alm hatten, mit Melken schon gar nicht, hatten wir uns eigentlich mit einer reinen Jungviehalm an das Ganze herantasten wollen. Die Tiere aus dem Stall und wieder hinein zu treiben konnte so schwierig nicht sein, dachten wir zwei Möchtegern-Sennerinnen. Als ob es damit getan wäre!
Nun also auch Milchvieh. Ich wollte jedoch auf keinen Fall riskieren, dass wir schließlich gar keine Alm bekommen würden. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, bin ich bereit, Berge zu versetzen. Ich rief die Sennerin an, und während des Telefonats lösten sich viele meiner Bedenken in Wohlgefallen auf. Auch sie war mit zwei Kindern auf der Alm gewesen und hatte einen Sommer lang sogar schwanger die Almarbeit gemeistert. Sie gab mir die Telefonnummer von den Bauersleuten in Brandenberg in Tirol, und nach Rücksprache mit meiner Schwester rief ich dort an. Ich hatte schreckliche Angst, dass sie mich auslachen würden: Zwei junge Frauen, ohne jegliche Erfahrung, dafür mit zwei kleinen Kindern wollen eine Alm bewirtschaften, zwölf Kühe melken und obendrein zwölf Jungrinder und zwei Kälbchen versorgen.
Aber ich wurde nicht ausgelacht. Im Gegenteil, die beiden schienen froh zu sein, dass sich ein Interessent meldete, und auf meine ehrliche Aussage, dass ich keine Erfahrung hatte, meinten sie nur: »Wennst mogst, lernst ois« (Wenn man will, kann man alles lernen). Sie luden mich ein, gleich am kommenden Wochenende bei ihnen vorbeizuschauen. Da meine Schwester keine Zeit hatte, begleitete mich mein Mann. Mit unseren beiden Mädchen im Gepäck - im Dezember war Luise auf die Welt gekommen - machten wir uns auf den Weg. Als wir schließlich die abenteuerliche Kurvenstraße nach Brandenberg hinauffuhren, ging mir das Herz auf. Der Ort liegt auf einem wunderschönen Hochplateau, und an den steilen Abhängen ringsum stehen verstreut viele alte Bauernhöfe. Die Wegbeschreibung führte uns immer weiter hinauf, sodass wir schon dachten, wir hätten uns verfahren. Aber dann tauchte doch noch ein Weiler und der gesuchte Bauernhof vor uns auf, ein uraltes uriges Gebäude. Lisbeth und Albert baten uns in die gemütliche Stube, und mein erstes »Vorstellungsgespräch« als Sennerin begann. Die beiden erzählten mir, dass die Krumbachalm, für die sie mich bräuchten, eine sogenannte Hochlegeralm sei und was es damit auf sich habe: Den ersten Teil des Almsommers verbringen die Kühe auf einer Niederlegeralm, die, wie der Name schon anklingen lässt, niedriger liegt, weshalb dort früher Gras wächst. Wenn die Almwiesen auf der Niederlegeralm abgegrast sind, ziehen die Kühe für ungefähr sechs bis acht Wochen hoch zur Hochlegeralm. Wenn sich dort das Gras dem Ende zu neigt, geht es für die Kühe zurück auf die Niederlegeralm, auf der in der Zwischenzeit das Gras nachwachsen konnte. Dort bleiben die Kühe bis in den Herbst und kehren anschließend zurück auf den Hof.
Brandenberg ist eines der wenigen Gebiete, in dem viele Bauern noch ihre eigene Almhütte haben und manchmal eben auch zwei: Niederleger und Hochleger. Der Unterhalt, die Instandhaltung, das Bewirtschaften - egal ob die Bauern es selbst übernehmen, wodurch ihre Arbeitskraft im Tal fehlt, oder ob sie einen Senn oder eine Sennerin dafür bezahlen -, all das kostet Geld, weshalb viele Bauersleute in anderen Gebieten und leider auch zunehmend in Brandenberg eine ihrer Hütten und manchmal sogar beide aufgeben. Vorzugsweise trifft es den Hochleger, aus dem einfachen Grund, dass er weiter vom Hof entfernt ist und dort die Weideflächen kleiner sind. Letzteres bringt es mit sich, dass sich die Tiere weniger weit verstreuen können und die Weiden daher stärker beansprucht werden. Früher konnte sich die Natur über den Winter regenerieren, doch seit die Kühe immer mehr auf Ertrag gezüchtet und dadurch immer schwerer werden, richten sie zum Teil massive Schäden auf den Böden an. Manche Hochlegeralm ist am Ende des Sommers völlig zertrampelt. Wenn klar ist, dass die Weiden auf der Niederlegeralm nicht den ganzen Sommer alle Kühe satt machen, müssen die Milchkühe im Tal bleiben, und nur das Jungvieh darf auf die Alm. Oder es wird zugefüttert. Mit der Auflassung von Almhütten und dem Aufgeben der Almwirtschaft im ursprünglichen Sinn, deren Hauptzweck nicht die Verköstigung von Wanderern war, geht wieder ein Stück Bauernkultur und Tradition verloren. Wie schade.
Die Bauersleute erklärten mir, was sie von mir erwarteten, und meinten lapidar, das Melken solle ich halt vorher noch lernen. Da Schorschi und ich bei Bauern zur Miete wohnten, die etwa vierzig Milchkühe hatten, sollte das kein Problem sein. Schließlich besiegelten wir meinen »Arbeitsvertrag« per Handschlag. Ich bin Albert und Lisbeth bis heute unendlich dankbar und rechne es ihnen hoch an, dass sie das Risiko eingingen, mir, dem unerfahrenen Stadtkind, die Almstelle zu überantworten, und vor allem, mir ihre Kühe anzuvertrauen. Ohne die beiden wäre mein Traum von einem Almsommer damals geplatzt und vielleicht für immer ausgeträumt gewesen.
Wieder in Fischbachau, rief ich überglücklich meine Schwester an. Ich kam mir wie eine Eroberin vor, die erfolgreich von einem Feldzug zurückgekehrt war.
Nun mussten wir also melken lernen. Wie ich vermutet hatte, waren die Bauern, in deren Zuhaus ich wohnte, gern bereit, es mir beizubringen. Im April startete ich meinen »Lehrgang«. Drei, vier Mal in der Woche ging ich in der Früh, sobald ich Luise gestillt hatte, in den Kuhstall, ließ mir die nötigen Handgriffe zeigen und übte am lebenden Objekt. Voller Stolz trug ich dann die frische, noch kuhwarme Milch nach Hause. Ich hatte gute Lehrer und lernte schnell. Ich verstand bald, dass man viel Gespür braucht, dass jede Kuh anders ist, dass man die Euter einer jeder Kuh kennen kann, dass Hygiene eine wichtige Rolle spielt und dass man gute Karten bei den Kühen hat, wenn man ruhig und gelassen mit ihnen umgeht. Praktischerweise stammte Sophies Schulfreundin von einem Bauernhof, der Milchkühe hatte, sodass auch meine Schwester ohne großen Aufwand erste Melkerfahrungen sammeln konnte.
Mitte Mai fuhren Sophie und ich mit den Kindern nach Brandenberg, um uns die Almhütte anzuschauen und uns ein Bild davon zu machen, was wir alles einzupacken hätten. Auf der Alm war die Natur gerade erst aus ihrem Winterschlaf erwacht, alles stand in einem sanften Grün, geschmückt von unzähligen Frühlingsblumen. Über eine schmale, steile Treppe traten wir in die Stube der Hütte mit einem großen Ofen, einem Tisch und einer Eckbank. Von der Stube führte eine Tür in ein kleines Zimmer mit Bett und, wie es bei vielen Almhütten üblich ist, eine weitere direkt in den Kuhstall. Über eine ebenfalls recht steile und schmale Treppe ging es nach oben in das Schlaflager und auf den Heuboden. Die Hütte war einfach, aber gemütlich und recht komfortabel: Wir hatten Strom und einen Boiler, der das Spülbecken vor der Hütte mit warmem Wasser versorgte, was mit zwei kleinen Kindern von unschätzbarem Wert war. Schon fließend Wasser ist ein Luxus, den man nicht auf jeder Almhütte vorfindet, erst recht heißes Wasser. Das »stille Örtchen«, ein Plumpsklo, lag genau neben dem Misthaufen. Von außen war es nicht gerade ein Genuss für Auge und Nase, dafür hatte man, wenn man drinnen saß, einen herrlichen Ausblick. Da die Alm in einem weiten Kessel lag, konnte der Blick zwar nicht unendlich weit schweifen, aber die Natur ringsherum war wunderschön und die Stille Balsam für die Seele.
Almbeginn für Sophie und mich war der 1. Juli, und bis dahin gab es noch einiges zu tun. Sophie musste ihr Abitur schreiben, und ich musste packen, packen, packen. Und zwar genau so, wie es hier steht: drei Mal - beziehungsweise für drei verschiedene Bestimmungsorte. Mein Mann würde ab Juli einen Italienischkurs in Siena machen zur Vorbereitung auf ein Auslandssemester in Bergamo. Da die Kinder und ich ihn nach Bergamo begleiten würden und wir es uns schlicht nicht leisten konnten, über ein halbes Jahr lang Miete für eine nicht genutzte Wohnung zu bezahlen, hatten wir schweren Herzens den Mietvertrag zum 1. Juli gekündigt. Und das bedeutete, dass die Wohnung komplett leer geräumt werden musste. Ich musste also, erstens, für die Alm packen. Da wir natürlich einiges nach Bergamo mitnehmen würden, musste ich, zweitens, für das Auslandssemester packen und schließlich, drittens, alles das, was nicht mit nach Bergamo oder auf die Alm kam, für das Zwischenlager Burghausen, sprich mein Elternhaus. Gott sei Dank war dort genug Platz, dass wir alles unterstellen konnten, was wir in den nächsten Monaten nicht brauchen würden. Aber es war eine Mammutaufgabe, zu entscheiden, was auf welchen Stapel kam.
Meine Unerfahrenheit in Sachen Almleben brachte es mit sich, dass viel zu viel auf dem Stapel für die Alm landete: Gartentisch samt Stühlen, Sonnenschirm, Puppenküche, Puppenwagen, jede Menge weiteres Spielzeug, Laufrad, Kinderradanhänger, Kinderwagen, Kinderbadewanne, alle meine Kräutertöpfe samt Lavendelstöcken, Werkzeugkasten, Wasserkocher, haufenweise Küchenutensilien und vieles mehr. Da Luise gerade mal sieben Monate alt war, kamen neben der Wickelunterlage...
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