Schweitzer Fachinformationen
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Es war 6 Uhr 32.
Dupin saß seit ein paar Minuten im Amiral. Mit dem Sonnenaufgang hatte er das Haus verlassen und war Richtung Innenstadt gefahren. Er mochte es, so früh morgens unterwegs zu sein, die langsam erwachende Stadt zu beobachten, die langsam erwachende Welt.
Es war eine kurze Nacht gewesen. Mit wirren Träumen. Um halb sechs war er hellwach gewesen. Um Viertel vor sechs hatte er seinen ersten petit café getrunken. Auf der Terrasse, wo er mit Claire noch bis Viertel vor drei gesessen hatte. Auf dem Weg ins Bett hatten sie kurz das weitere »Programm« für Claires Eltern am Wochenende besprochen, Dupin war es leichtgefallen, Claires Vorschlägen nachdrücklich zuzustimmen, er würde ohnehin nicht dabei sein.
In den Träumen, er konnte sich bloß bruchstückhaft erinnern, war es um den fremden dunklen Zauberer gegangen, den Françoise gestern in der Galerie erwähnt hatte. Der Fall und die uralte Legende aus der Ville Close hatten sich in absurder Weise vermischt, der Zauberer hatte in der ganzen Stadt Feuer gelegt, Explosionen verursacht, am Ende war Concarneau in lodernden Flammen versunken.
Es war eine verrückte Geschichte, die von Siprian und der übernatürlich schönen Emilia, einem jungen Liebespaar, das eines Tages in ein teuflisches Dilemma gerät. Die Stadt wird von einem Schiff wilder Piraten bedroht, der einzige Ausweg besteht darin, das perfide Angebot eines plötzlich erscheinenden mysteriösen Fremden anzunehmen, der verspricht, die Stadt zu retten, wenn Emilia für eine Nacht die seine wird. Die junge Frau nimmt an. Der Fremde gibt sich als mächtiger Zauberer zu erkennen und als die Piraten angreifen, lässt er entlang der Insel massive Steinmauern in die Höhe schießen. Nachdem Emilia den finsteren Zauberer mit einem Schlaftrunk ausgetrickst hat, um gefahrlos die Nacht mit ihm verbringen zu können, spricht dieser am nächsten Morgen einen fürchterlichen Fluch aus: Unsterblich sollen Siprian und Emilia sein und sich unsterblich lieben. Emilia aber wird die Ville Close mit ihren Stadtmauern nie mehr verlassen und Siprian sie nicht mehr betreten können. Tragischer ging es nicht, fand Dupin. Auch Siprian und Emilia waren in seinen wirren Träumen vorgekommen.
Der Kommissar hatte sich draußen ans Ende der Terrasse gesetzt. Wo er auch gestern schon mit Le Menn und Nevou gesessen hatte.
Noch war es frisch, aber man spürte schon, dass auch dieser Samstag ein herrlicher Frühsommertag werden würde. Die Sonne ließ die hübschen Pflastersteine glänzen, der Platz vor ihm würde sich erst nach und nach beleben; im Fischerei- und Werfthafen hingegen herrschte bereits eifriger Betrieb.
Dupin aktualisierte die Liste der Personen, mit denen er sprechen musste. Er versuchte auch, die Dinge neu zu systematisieren; zu bestimmen, was im Moment die akutesten Fragen und Punkte waren. Nolwenn und die beiden Polizistinnen würden gleich kommen, sie würden sich kurz besprechen. Trotz der kurzen Nacht war Dupin voller Energie.
»Morgen, Chef!«
Dupin traute seinen Augen nicht.
»Da bin ich.«
Er sprang auf.
»Wo .«, er brach ab.
Inspektor Riwal stand direkt vor ihm!
»Wie - ich meine . Wo kommen Sie plötzlich her?«
»Um vier Minuten nach fünf hielt ein Polizeiwagen vor dem Haus meiner Schwester. Mit Sirene und Blaulicht. - Sie haben mich zum Hafen nach Le Palais gefahren, wo das Boot schon wartete.«
Unglaublich. Nolwenn musste alles noch gestern Nacht organisiert haben.
»Nolwenn und ich haben bereits telefoniert - ich bin einigermaßen im Bilde, Chef.«
»Sehr gut. Ich bin«, wie sollte er es sagen, ohne dass es zu sentimental klang, »froh, dass Sie da sind, Riwal!«
Riwal konnte nicht ahnen, wie froh er war. Dupin hatte schon nicht mehr daran geglaubt. Nach Nolwenns plötzlicher Rückkehr die zweite wunderbare Wendung.
Der Inspektor setzte sich umstandslos. Er wirkte hellwach. Tatendurstig.
»Guten Morgen, Riwal! - Auch einen café?«, Ingrid kam auf die Terrasse.
»Unbedingt!«
So langsam fühlte sich alles wieder normal an - soweit man das unter diesen Umständen sagen konnte. Und zusammen mit den beiden Polizistinnen und der weiteren Unterstützung im Kommissariat war jetzt ein schlagkräftiges Team beisammen.
»Finden Sie das nicht ein bisschen unheimlich, Chef? Ein Mord im Amiral? Und dass es ausgerechnet um einen Apotheker und einen Arzt geht? Ganz wie im Gelben Hund, Simenons berühmtem Kriminalfall. - Da gibt es auch einen Apotheker und einen Arzt. Auch wenn der Arzt gar kein praktizierender Arzt ist. Und der Apotheker streng genommen nicht zu den Hauptfiguren gehört.«
»Nein«, eine sehr klare Antwort. »Ich finde es nicht unheimlich. Und der Mord fand ja gar nicht im Amiral selbst statt.«
Der Inspektor kratzte sich am Kopf: »In dem Buch gibt es übrigens auch einen Weinhändler. Der allerdings direkt am Anfang angeschossen wird und in der Folge keine große Rolle spielt.« Das Detail hatte auch Françoise schon erwähnt. »Dafür aber einen Journalisten, der in unserem Fall wiederum fehlt.«
»Verstehe.«
Dupin schwirrte der Kopf.
»Georges Simenon hat übrigens nicht bloß den Gelben Hund in Concarneau spielen lassen, Commissaire Maigret reist gleich in mehreren Bänden zu uns! Auch zum Ferienmachen. Und einige von Simenons anderen Romanen sind hier ebenfalls verortet, so auch die Demoiselles de Concarneau, ein .«
»Wir brauchen nähere Informationen zu Héros Naval, Riwal. Irgendetwas muss da im Argen liegen. - Und«, Dupin zögerte, »mehr Informationen über alle anderen gemeinschaftlichen finanziellen Engagements der drei Freunde.«
»Vielleicht geht es um krumme Geschäfte der Firma? - Vielleicht haben die drei sich aber auch untereinander zerstritten?« Riwal hatte umgehend einen ernsten Ton angeschlagen. »Es geht offenbar um viel Geld, um Macht, um Ansehen. Vielleicht hat einer versucht, die anderen zu übervorteilen? Und nun bekriegen sie sich untereinander?«
Eine handfeste Erwägung, die Dupin so, in dieser Ausdrücklichkeit und Konsequenz, noch nicht für sich formuliert hatte.
»Möglich.«
Ein solches Szenario würde theoretisch alles abdecken. Dann hätten Priziac oder Luzel den Arzt getötet. Und, aus welchem Grund auch immer, den Gastank zur Explosion gebracht.
»Eines spricht dagegen«, auch das höchst rationale Abwägen war eine Spezialität von Riwal, das »Mit-sich-selbst-Diskutieren« sozusagen: »Die drei machen schon lange gemeinsame Geschäfte und kennen einander gut. Das schweißt zusammen. Daher würden sie sich, wenn irgend möglich, vermutlich vielmehr gegen andere verbünden, um Vorteile daraus zu schlagen, als ihre Fertigkeiten gegeneinander zu richten.«
Dennoch, Dupin hatte schon alles erlebt. Der wichtigste ermittlerische Grundsatz war, nichts auszuschließen.
»Kennen Sie Docteur Evette Derrien persönlich, Riwal?«
»Nur vom Sehen. Und eine Freundin meiner Frau ist ihre Patientin. Die Freundin ist, sagen wir, sehr anspruchsvoll - und sehr zufrieden mit Derrien. Sie muss ausgesprochen nett und kompetent sein. Passionierte Surferin.«
»Und Docteur Chaboseau, kannten Sie ihn?«
»Ich war mal mit akuten Rückenschmerzen bei ihm, als Docteur Garreg im Urlaub war. Vor vier Jahren oder so. Er hat mir eine Spritze gegeben. - Ein unnahbarer Mensch. Und ein äußerst diskreter Geschäftsmann, habe ich gehört. Aristokratisch diskret. War der Überzeugung, dass man über Geld nicht redet. Erst recht nicht, wenn man viel davon besitzt. Hatte als Arzt einen tadellosen Ruf.« Riwal zuckte mit den Schultern: »Andere Kreise halt.«
»Und diese Sieren Cléac, die Besitzerin der Conserverie?«
»Meine Frau kennt sie, sie hält große Stücke auf ihre Konserven. Ich übrigens auch. Wir waren mal zusammen in ihrer Fabrik, sie hatte meine Frau eingeladen. Sie müssen unbedingt die Rillettes de Sardines aux trois Algues probieren! Sardinen aus der Küstenfischerei, Dulse-, Nori- und Wakame-Algen, dazu Salz aus der Guérande und bretonische Crème fraîche - vorzüglich .«
Er brach ab und kam von selbst auf die Frage zurück: »Cléac wirkt sehr freundlich. Ist erst seit ein paar Jahren in Concarneau, glaube ich.«
Einen kurzen Moment schwiegen sie. Dann setzte Riwal erneut an.
»Und dass Chaboseau einen Sohn hat, wusste ich nicht einmal. Aber dennoch interessant: Hinter dem Ganzen könnte sich vielleicht auch eine dramatische Familiengeschichte verbergen. Eine komplizierte Ehekrise? Oder es ging um das Erbe?«
»Was halten Sie von Madame Chaboseau?«
»Man darf sie nicht unterschätzen. Ich kenne sie von ein paar Vernissagen bei den Gloux'. Ihr Mann hat sie fast nie begleitet. Sie ist eisern, hat einen unbedingten Willen. Zäh und ausdauernd. - Der Apotheker, Priziac«, Riwal schien alle Personen einmal durchgehen zu wollen, Dupin war es recht, »ist ein eiskalter Taktiker. Ohne Skrupel. - Ihm traue ich alles zu.«
Dupin ebenso.
»Der Weinhändler ist ein klassischer Filou. Sehr gesellig. Und ebenso geschäftstüchtig. In der Hinsicht kann er aggressiv werden und anderen das Leben schwer machen. Die meisten kennen ihn allerdings nur als generösen Lebemann.«
Das waren klare Aussagen.
»Was ist mit dem Bürgermeister? Wissen Sie von dem Streit zwischen ihm und Luzel?«
»Was die Öffentlichkeit...
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