Schweitzer Fachinformationen
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Es war halb sieben. Immer noch dunkel, der Mond war längst untergegangen. Ganz im Westen der »vereinheitlichten« europäischen Standardzeitzone - die Bretonen sahen auch das als eine kleine Okkupation an - wurde es Anfang Mai erst um sieben Uhr hell. Kommissar Georges Dupin saß im Le Bulgare und trank seinen zweiten café, einen dritten hatte er eben bei der energisch agierenden Kellnerin bestellt. Vor ihm lag aufgeschlagen sein kleines Notizbuch. Es ging laut und solide zu. Der Tag war längst in vollem, unsentimentalem Gange, hier gab es nichts Gemächliches am frühen Morgen. Das ganz und gar unidyllische Café lag direkt an der Route Nationale, unmittelbar am vierten der dicht aufeinanderfolgenden rond-points der Zufahrt nach Quimper. Von hier aus waren es fünf Minuten zum kleinen Flughafen. Dupin kam nicht häufig hierher, aber er mochte es gern, und heute war es seine Rettung gewesen.
So früh es auch war, Dupin hatte bereits einiges hinter sich. Er war um zwanzig nach fünf aufgestanden - nachdem er erst um kurz nach halb zwei im Bett gewesen war und dann ohnehin fast die ganze Nacht wach gelegen und sich alle paar Minuten von der einen auf die andere Seite gewälzt hatte. Irgendwann hatte er das Gefühl gehabt, er hätte Fieber, wieder und wieder hatte er die Ereignisse des Tages überdacht, die Fakten, das wenige, was sie wussten. Ob es nicht Hinweise gab, die sie nur nicht gesehen hatten. Eine Spur. Er war sich dabei sehr wohl darüber im Klaren gewesen, dass es besser gewesen wäre, zur Ruhe zu kommen, zu schlafen. Dass es vollkommen unsinnig war, sich in einer solchen Verfassung den Kopf zu zermartern.
Er wäre auch schon früher aufgestanden, wenn er gewusst hätte, wie er an Koffein hätte kommen können, das Amiral machte erst um Viertel vor sieben auf, darüber hatte er schon einige Male mit Girard sehr ernst diskutiert. Dupins infam teure Espressomaschine aus Paris hatte von jetzt auf gleich den Geist aufgegeben, wie er beim letzten Notfall - denn das Amiral war jedes Jahr am 2. Januar geschlossen - hatte feststellen müssen.
Um Viertel vor sechs hatte Dupin Riwal angerufen, er wollte die Nummer des Bürgermeisters von Fouesnant haben. Ganz genau konnte Dupin sich nicht mehr an seine Gedankengänge erinnern, aber irgendwann in der Nacht hatte er entschieden gedacht, ihn sprechen zu wollen.
Und dann, letztendlich, hatte Dupin doch den Präfekten angerufen, um fünf nach sechs. Er würde sich ab jetzt einigermaßen regelmäßig melden müssen. Außerdem war ihm klar geworden, dass der Präfekt selbst eine relevante Person in diesem Fall war, wenn auch nur am Rande: Er war mit Konan befreundet gewesen. Die ersten fünf Minuten hatte Dupin die übliche Tirade über sich ergehen lassen - warum er sich nicht gemeldet habe am Vortag und dann jetzt plötzlich mitten in der Nacht, dass das keine seriöse Arbeitsweise sei. Dupin hatte nicht einen Moment lang wirklich zugehört. Er hatte gänzlich unbeteiligt zugesagt, der Präfektur sämtliche Verlautbarungen an die Presse zu überlassen und vor allem mindestens drei Mal am Tag Rapport zu erstatten bei diesem »vollkommen exzeptionell wichtigen Fall, der dringend einer schnellst-, schnellstmöglichen Aufklärung bedarf«. Der Präfekt hatte alle möglichen »desaströsen Szenarien« entworfen, was Dupin, ihm selbst, der Polizei des Finistère, dem kompletten Département blühte, wenn ihnen nicht eine rasche und vollständige Lösung des Falles gelänge. Dupin hatte gewartet, bis sich der cholerische Furor legte, und dann begonnen, seine eigenen Fragen zu stellen. Immer »im Interesse der schnellen Aufklärung«. Zunächst hatte Locmariaquer mit einigem Erstaunen, bei dem Dupin nicht wusste, ob es gespielt oder echt war, die Frage gestellt, inwiefern es von Bedeutung sei, was Konans Geschäfte waren und ob er Feinde gehabt hatte. Der Präfekt hatte dann aber erkennbar eingelenkt, und so war das Telefonat passagenweise zu einem waschechten Ermittlungsgespräch mit einem »Zeugen« geworden. Dupin hatte seinen Vorgesetzten zuletzt mit einem überaus freundlichen und formellen »Dank für die Unterstützung« perplex zurückgelassen und aufgelegt. Der Präfekt hatte sich bei dem Gespräch anscheinend zunehmend unbehaglich gefühlt. Es war ihm nämlich ab einem gewissen Punkt sehr daran gelegen gewesen, deutlich zu machen, dass Konan kein enger persönlicher Freund im strengen Sinne gewesen war, sondern ein >Bekannter - eine gewichtige Figur in der Bretagne und darüber hinaus<, mit der er aus gebotenen professionellen wie sozialen Gründen in einer guten Verbindung gestanden hatte. Dupin glaubte ihm, erstaunlicherweise. Ein paarmal hatte der Präfekt dann gar eine kritische Distanz zu Konan aufblitzen lassen. Er hatte erwähnt, dass Konan ab und zu mit dem Finanzamt »Probleme« gehabt hatte und dass das Geflecht seiner Investitionen ein wenig unübersichtlich schien. Von einem konkreten akuten oder schwelenden Konflikt mit jemand Bestimmtem hatte er nichts gewusst. Das letzte Mal gesehen hatte er Yannig Konan vor drei Wochen, bei einer Feier des Klubs der Freunde bretonischer Bierbrauer, von denen es in den letzten Jahren mehr und mehr gab - von beiden: sowohl von den regionalen Bierproduzenten als auch von ihren Freunden (zu denen, auch wenn er es nicht zugeben würde und stets Plädoyers für sein geliebtes 1664 hielt, Dupin mittlerweile selbst gehörte). Der Präfekt war sich sicher, dass Konans Frau wenig über das aktuelle Leben ihres Mannes wusste. Bis vor ein paar Jahren hatten die Locmariaquers die Konans einmal jährlich zum Abendessen eingeladen. Bis die Ehekrise offiziell geworden war. Was der Präfekt ebenfalls bestätigt hatte: Pajot war anscheinend wirklich ein enger Freund Konans, Locmariaquer wusste von regelmäßigen gemeinsamen Abenden der beiden in Paris. Er selbst hatte Pajot nur ein paarmal auf irgendwelchen Empfängen gesehen.
Immerhin, ein paar Dinge hatte Dupin an diesem Morgen bereits erfahren.
An den beiden Enden des Tresens des Bulgare - fünf, sechs Meter war er lang - liefen gleichzeitig zwei Fernseher mit jeweils unterschiedlichen Sendern, auf dem einen TV Breizh, ein bretonischer Kanal. Natürlich ging es um die Morde. Für ein paar Sekunden wurde sogar ein Foto Dupins gezeigt, »der junge, aber doch schon erfahrene Pariser Kommissar vom Commissariat de Police Concarneau, der in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe aufsehenerregender Fälle aufklärte, führt die Ermittlungen«. Gott sei Dank waren die Menschen im Café zu beschäftigt mit ihrem Tagesbeginn, um dem Kommissar Aufmerksamkeit zu schenken. In den Zeitungen musste heute noch von einem »tragischen Unfall« zu lesen sein - die Nachricht vom Mord war nach Redaktionsschluss gekommen. Ouest France und Télégramme lagen in mehreren Exemplaren auf dem Tresen, gar nicht weit von ihm. Dupin hatte keine Lust, die Artikel zu lesen.
Dupin trank den dritten café aus und erwog, einen vierten zu bestellen, so richtig, hatte er das Gefühl, funktionierte sein Gehirn noch immer nicht. Und er brauchte ein Croissant für seinen Magen. Er hatte eben Blickkontakt mit der Kellnerin aufgenommen, als sein Handy losschrillte.
»Wer ist da?«
Er hatte ungewollt grob geklungen.
Einen Augenblick lang passierte gar nichts.
»Hallo?«, Dupin war genervt.
»Überprüfen Sie die Aktivitäten von Pajots und Konans Firma Medimare und dem Institut Marine de Concarneau.«
Die Stimme klang künstlich verstellt, dumpf und tief, weit weg. Erzwungen monoton.
»Wer ist dort? Hallo? Hallo, wer spricht da?«
»Es geht um Medimare. Die Firma von Yannig Konan und Grégoire Pajot.«
Das war kein Scherz.
»Worum geht es genau? Sprechen Sie mit mir.«
Keine Antwort. Dupin wartete. Nichts mehr, der Anrufer hatte aufgelegt. Ruckartig war Dupin hellwach. Einen Moment verharrte er regungslos.
Noch bevor er Zeit hatte, weiter nachzudenken, klingelte sein Handy erneut.
»Wo sind Sie, Monsieur le Commissaire?«
»Ich - - - Nolwenn?«
»Ja?«
Dupin brauchte einen Moment, um sich zu fangen.
»Was sagt Ihnen Medimare?«
»Hm - gar nichts.«
Bekannt konnte die Firma somit nicht sein.
»Ich habe gerade einen anonymen Anruf erhalten.«
»Aha?«
Dupin war froh, Nolwenn davon erzählen zu können, so gewann es an Realität.
»Ich habe vor einer Minute einen Anruf erhalten, in dem ich aufgefordert wurde, die Aktivitäten von Pajots und Konans Firma Medimare und dem Institut Marine in Concarneau unter die Lupe zu nehmen. Er. «, Dupin fiel etwas ein, »woher hatte er meine Nummer?«
»Ich habe gestern, bevor ich gegangen bin, Ihren persönlichen Anschluss hier auf Ihr Handy umgestellt, so machen wir es doch nachts während eines Falles immer. Er hat wahrscheinlich auf Ihrer Nummer im Commissariat angerufen. Die ist leicht zu bekommen.«
»Prüfen Sie das nach, Nolwenn.«
Dupin stand immer noch unter dem Eindruck dieses merkwürdigen Anrufes.
»Das werden wir gleich wissen. Aber ganz sicher war es eine verborgene Nummer.«
Das stimmte, so dumm wäre niemand.
»Ich kenne den Namen Medimare nicht, aber das ist bestimmt eine der Firmen, von denen ich gestern sprach. Ich werde mir das sofort ansehen. Was halten Sie von diesem Anruf, Monsieur le Commissaire? Das klingt extrem vage.«
»Keine Ahnung....
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