Was würde Beyoncé tun?
Yannick
Zu oft muss ich mich in letzter Zeit daran erinnern, warum wir uns von ThelenNetzwerk und damit von Dieter vertreten lassen. Es sollte so vieles einfacher machen. Aufträge und die Abwicklung der Finanzen im Marketing unseres Kanals sollten besser überwacht werden und uns dadurch mehr Freiraum zur Kreativität geben. Nur scheint Dieter zu glauben, dass wir nichts anderes mit unserer Zeit anzufangen wissen, als uns ständig und überall zu präsentieren. Unser Name ist inzwischen groß genug, dass diese Firma nicht wenig Umsatz durch uns allein macht. Ich weiß nicht, seit wann er glaubt, dass er sich über meine Meinung und Entscheidung stellen kann.
»Ich habe klipp und klar gesagt, dass ich so ein Buch nicht veröffentlichen werde! Nicht mit vierundzwanzig und auch nicht mit dreiundachtzig!« Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich Dieter in letzter Zeit gesagt habe, dass seine Idee nicht umgesetzt wird. Mein Werbespezialist springt wieder aus seinem Stuhl und eilt um seinen Tisch herum. Mit beschwichtigt ausgestreckten Händen stellt er sich vor mich. Dolby weicht vor ihm zurück und rückt näher zu der Autorin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe und die alles schweigend beobachtet. Ihre Augen sind verdammt wach und ihnen scheint kein Detail zu entgehen. Hätte ich sie nicht hier in Dieters Büro das erste Mal gesehen, was ein Warnzeichen an sich ist, wäre sie mir trotzdem aufgefallen. Allein schon durch Dolbys Reaktion auf sie. Bis eben dachte ich, dass sie die neue Caroline werden soll und habe sie deshalb nur halbherzig wahrgenommen. Obwohl es schwer scheint, sie zu ignorieren. Ich will sie einfach immer wieder ansehen. Sie ist hübsch, das lässt sich nicht abstreiten und was schlimmer ist: Sie ist genau mein Typ. Ja, eine oberflächliche Beobachtung und ich weiß, dass schon mehr dazu gehört, um jemanden sympathisch zu finden, aber das ist mein Ersteindruck von ihr.
»Hey, hey. Wir haben doch drüber geredet«, beginnt Dieter und ich falle ihm gleich ins Wort.
»Wir haben drüber geredet und ich habe gesagt, dass ich diesen Mist nicht will!«
»Aber deine Fans wollen es«, hält er in seiner Singsangstimme dagegen und ich kann die Eurozeichen in seinen Augen aufblitzen sehen. Er scheint keine Gelegenheit auszulassen, ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen. Das übliche Merchandise, wie Shirts, Pullover oder gar Tassen sehe ich völlig ein. Ich trage selbst gerne Sachen von meinen Lieblingsbands und -künstlern. Aber irgendwo ist auch eine Grenze erreicht. Und Memoiren würden diese Grenze ganz klar sprengen.
»Bullshit! Alles was sie wissen wollen, finden sie im Netz über mich. Ansonsten sind sie nicht auf den Mund gefallen und fragen mich direkt. Sie brauchen keinen weiteren Merch, der ihnen das Geld aus den Taschen zieht.«
»Aber Yannick«, versucht mein Agent es noch einmal in einem Tonfall, der einen glauben lässt, dass er mit einem bockenden Kleinkind redet.
»Dieter! Ich bin kein Kerl voller Lebensweisheiten. Ich bin wie jeder andere in meinem Alter! Die meiste Zeit habe ich keinen blassen Schimmer davon, was ich eigentlich mache.«
»Aber die Verträge habe ich in deinem Namen längst unterschrieben«, sagt Dieter, als wäre jegliche Diskussion ohnehin sinnlos. Was sie vermutlich auch ist, aber das heißt nicht, dass ich das einfach hinnehmen muss.
»Ich kann mich nicht erinnern, etwas unterschrieben zu haben.«
»Das hast du, als du mir eine Vertretungsvollmacht ausgestellt hast, mit den Worten, und ich zitiere dich hier: Damit ich mich nicht um jeden popligen Vertrag kümmern musst.«
Das ist die einzige Unterschrift, die ich bisher in meinem Leben ansatzweise bereue. Es klang mit zwanzig nach einer großartigen Idee und ich sage auch nicht, dass nur Schlechtes aus dieser Kooperation entstanden ist. Im Gegenteil - beide Seiten haben ihren Nutzen daraus gezogen. Nur in letzter Zeit hat Dieter des Öfteren vergessen unsere Meinung einzubeziehen.
»Aber nur für die, denen ich vorher mein Okay gegeben habe.« Ich stöhne frustriert auf.
»Ich sehe schon, du willst es nicht einsehen«, sagt Dieter und mit geschlossenen Augen atme ich einmal durch. Es ist nicht die erste Aktion dieser Art, mit der er mich konfrontiert, aber ich werde einen Weg finden, dass es seine letzte ist. Ich habe zwar keine Ahnung wie ich das anstellen soll, weil nicht nur meine Karriere daran hängt. Das ganze Vorhaben nur aus meiner Sicht zu sehen wäre egoistisch. Mein Team darf unter keiner meiner Entscheidungen leiden. »Die Diskussion ist sowieso sinnlos, Yannick. Die Verträge sind unter Dach und Fach und die Deadlines stehen. Denk an die Jobs, die daran hängen.« Natürlich spielt er diese Karte aus, als ob ich nicht ständig selbst daran denken würde. Er weiß, dass er mich damit in eine Ecke drängt, in der mir nur die Zustimmung bleibt. Nicht umsonst ist seine Agentur eine der gefragtesten, wenn es um die Künstlervermarktung geht. Er ist gut in seinem Job, das kann jeder sehen. Was nicht jeder sehen kann, sind seine Methoden, dank der er seine Ziele erreicht. Mit welchem Recht stelle ich mich über andere und riskiere deren Kopf?
Als wäre das Thema erledigt, geht er zurück zu seinem Tisch und kramt in seinen Unterlagen nach etwas. Mir fehlt Dolbys Wärme neben mir, als ich automatisch meine Hand nach ihm ausstrecke.
Mit angezogenen Ohren und gesengtem Kopf nähert er sich weiter der jungen Frau. Er weiß, dass er gegen das Wort seines Herrchens handelt. Juna, wie mir gerade wieder einfällt, begrüßt ihn mit einem Lächeln und krault ihn ausgiebig hinter den Ohren.
Sie ist wirklich hübsch. Ihre langen rotbraunen Haare fallen über ihre Schultern und sind zur Hälfte zurückgebunden. Die Haut ihres rechten Armes ist mit floralen Tattoos verziert. Das schwarze T-Shirt betont ihren Körper an jeder Stelle vorteilhaft. Der grüne Rock reicht ihr bis über die Knie. Caroline würde mich jetzt vermutlich belehren, dass diese Farbe kein Grün ist, sondern Petrol. Aber sie ist nicht hier, also ist er grün. Schwarze Strumpfhosen, die ihre Haut durchblicken lassen, runden das Outfit ab. Sie ziert sich nicht, als Dolby seine Schnauze in ihren Schoß legt. Viele andere Frauen, die ich kenne, besonders Caroline, hätten ihn beiseitegeschoben oder gequiekt, dass meine Ohren klingeln, aus Angst ihr Outfit könnte durch mögliche Sabber oder Hundehaare versaut werden. Sie streichelt ihn einfach weiter.
»Du bist so ein guter Junge«, flüstert sie ihm zu. Eine ihrer Augenbrauen zieht sich fragend in die Höhe. »Bist du überhaupt ein Junge? Entschuldige, dass ich einfach davon ausgehe. Ich hätte dich fragen sollen. Dolby ist so ein niedlicher Name«, sagt sie und meinem Hund gefällt es. Sein Schwanz hört nicht auf zu wedeln. Ich würde sie vielleicht sympathisch finden, wenn sie nicht die Autorin des schwachsinnigsten Buches des Jahrhunderts wäre. Es ist mehr der Hass gegen diese Memoiren als gegen Juna, der mich antreibt, als ich beschließe sie in diese Schlammschlacht zwischen Dieter und mir hineinziehen.
»Und du? Juna, richtig? Hast du eigentlich keinen Stolz, Liebes?«, frage ich so kühl ich kann. Ich treffe den Ton, den ich anstrebe, ohne große Mühe. So zuwider ist mir die Idee, ein Buch über mein Leben schreiben zu lassen.
»Entschuldigung?«, fragt sie empört und das zurecht. Sie steht auf, aber lässt eine Hand auf Dolbys Kopf ruhen. Ihre Augen haben ein warmes Braun und Caroline wäre auf ihren perfekten Lidstrich neidisch. Sie ist ein Stück größer als Caroline, aber erreicht meine Größe um gute fünfzehn Zentimeter nicht. »Was soll das heißen?«
»Warum schreibt man ein Buch, auf dem der eigene Name nicht erscheint?«, frage ich. Wenn ich sie dazu bekomme, den Auftrag hinzuschmeißen, löst das sicher nicht das Grundproblem, aber es gibt mir Zeit eine Lösung zu finden, bis Dieter mir einen Ersatz vorsetzt. Ich bin mir sicher, dass sie noch andere Bücher zu schreiben hat und ihre Karriere am wenigsten von allen leiden würde.
»Ich habe meine Gründe«, sagt sie. Sie atmet einmal durch, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen, den sie nicht offenbaren will. Wenn ich noch ein wenig bohre, bringe ich sie vielleicht zum Explodieren und zum Hinschmeißen des Projektes insgesamt.
»Oder bist du so schlecht, dass es dir peinlich ist, deinen Namen auf dem Cover zu sehen?«, lege ich nach.
»Das Einzige, was mir peinlich an der Sache sein könnte, wäre meinen Namen neben deinem auf dem Cover zu sehen. Meine Schreibe ist alles andere als schlecht, keine Sorge.« Sie hat Biss. Das gefällt mir. Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, würde ich mich womöglich wunderbar mit ihr verstehen. Johannes würde sie lieben.
»Ich verstehe es trotzdem nicht. Wenn du so gut bist, müsstest du dann nicht stolz sein, deinen Namen unter dein Werk zu setzen? Warum die Stunden und den Schweiß investieren, wenn niemand erfährt, wer es geschaffen hat, Liebes?« Bisher reißt sie sich zusammen, aber ich sehe deutlich, wie es unter ihrer Oberfläche köchelt. Ihre...