Schweitzer Fachinformationen
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1.
Alexandra Székely wusste genau, was ihr bevorstand, als sie aus dem Küchenfenster blickte und die leicht schwankende Gestalt des Bauern Hatvany die Straße entlang kommen sah.
"Oh nein, bitte nicht heute", sagte sie laut, obwohl niemand da war außer Oszkár, ihrem alten Golden Retriever, der auf seiner Decke lag. Sie hatte im Büro eine volle Mailbox abzuarbeiten und Kunden, die bereits ungeduldig anriefen.
Es gab zwar einen Gehsteig, doch benutzte Hatvany ihn nicht - wahrscheinlich, weil er das Gehen auf Landstraßen gewohnt war. Sie konnte keinen Hund an seiner Seite erkennen, also trug er wohl einen, vielleicht auch mehrere sehr kleine Welpen in den Jackentaschen bei sich. Alexandra Székelys Tochter hatte eben das Haus verlassen, um mit dem Fahrrad zur Schule zu fahren, und sie selbst hatte vorgehabt, nachdem die Frühstückssachen weggeräumt waren, auf schnellstem Weg in die Arbeit zu fahren. Das konnte sie nun vergessen. Seit dem Tag, an dem sie den Bauern davon abgehalten hatte, einen Sack voller Steine mit ein paar Welpen aufzufüllen und in den Bach zu werfen, hatten sie einen Deal: Er brachte ihr alle Hunde, die er auf seinen Feldern auffand, und bekam dafür die Gewissheit, zum zivilisierten Teil der Menschheit zu gehören, sowie ab und zu ein Päckchen Zigaretten.
Tatsächlich bog János Hatvany in ihre Auffahrt ein und ging auf die Haustür zu. Noch immer konnte sie nirgends ein Welpenschnäuzchen entdecken. Alexandra Székely stellte den Toaster hin, den sie von Krümeln gesäubert hatte, und ging zur Tür, noch ehe es klingelte.
"Junge oder Mädchen?", fragte sie, nachdem sie einander durch wortloses Kopfnicken begrüßt hatten. Der Bauer bestand darauf, erst in den warmen Flur einzutreten und die Tür hinter sich zu schließen, ehe er ihr seinen Fund zeigte. Im Lauf der Jahre war er fürsorglich geworden und keiner seiner Schützlinge sollte von einem kalten Luftzug geschädigt werden.
"Ein Junge", sagte er dann, holte Berti aus seiner Brusttasche und hielt ihn Frau Székely so vor die Nase, dass sie die Beweisstücke an dessen Unterleib direkt in Augenschein nehmen konnte. Sie nahm den schwarzen Welpen in die Hände und begutachtete ihn von allen Seiten.
"Oje, das ist keine Rasse", meinte sie. "War er alleine?"
"Hab keinen anderen gesehen", erwiderte der Bauer.
"Wo hast du ihn gefunden?"
"In den Zuckerrüben. Nicht weit von der Straße."
Frau Székely trug Berti in die Küche, wo sie ihn auf den Boden setzte, damit er und Oszkár einander beschnüffeln konnten. Berti war außer sich vor Freude, einen anderen Hund kennenzulernen. Einen großen, wunderbaren Hund, fast so wunderbar wie seine Mama Pihe! Immer wieder versuchte er, auf den alten Graubart hinaufzuklettern, und tappte ihm mit den Pfoten ins Gesicht. Dieser aber war wenig geneigt zu spielen. Er war alt, er war träge, er war ein Golden Retriever: Seine Aufgabe war es, Ruhe auszustrahlen. Als es ihm zu bunt wurde, hob er seine mächtige Pranke und hielt Berti damit am Fußboden fest.
Der Bauer war in der Küchentür stehengeblieben. "Also, dann .", sagte er.
"Warte noch, ich habe Kirschkuchen!", rief Alexandra Székely. Sie wusste, dass die Frau des Bauern Krebs hatte und öfter im Spital war als zu Hause, um zu backen. Hastig öffnete sie das Rohr und holte ein Blech Kuchen heraus. Sie schnitt ein großes Stück ab, wickelte es in Alufolie und drückte es János Hatvany in die Hand.
"Danke", sagte er, "also ."
"Warte!", rief sie und riss eine Schublade auf, aus der sie ein Päckchen Zigaretten nahm. "Ich danke dir", sagte sie, als sie es dem Bauern überreichte.
Nachdem die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, ging sie in die Küche zurück. Der schwarze Welpe lag auf der Hundedecke neben Oszkár, der ihn mit seiner großen, flatternden Zunge abschleckte. Es sah aus, als würde der Pfleger einer psychiatrischen Anstalt versuchen, einen hyperaktiven Patienten zu kalmieren.
Frau Székely hob den Kleinen auf und setzte ihn auf die Anrichte. In eine Untertasse füllte sie eine Pfütze Wasser und stellte sie vor ihn hin. Gierig schleckte er alles auf. Währenddessen griff sie zum Telefon und rief bei ihrer Arbeitsstelle an, um mitzuteilen, dass sie sich aufgrund eines Notfalls den Vormittag freinehmen müsse. Sobald die Untertasse leer war, füllte sie etwas Joghurt hinein, das Berti ebenfalls aufschleckte. Sie rief bei der Tierschutzorganisation an, der sie all die Zeit widmete, die sie gar nicht hatte, und gab bekannt, dass es einen Neuzugang gab. Welpe, männlich, allem Anschein nach gesund. Rasse Mischling, wahrscheinlich irgendwas mit Dackel, schwarz. Vermittlungschancen gut. Sehr gut. Aufgeweckt und kontaktfreudig.
Berti versuchte ungeschickt, seine joghurtbeschmierte Schnauze sauber zu lecken, und blickte sie erwartungsvoll an.
"Noch immer hungrig?", fragte Frau Székely. Sie öffnete eine Dose Hundefutter und gab einen Löffel davon auf die Untertasse. Als hätte er bereits sein Leben lang feste Nahrung zu sich genommen, fraß Berti alles auf. An seinem Blick erkannte Frau Székely, dass es nun eilte. Sie hob ihn auf und rannte mit ihm vor das Haus, einige Meter weg von ihrem Grundstück, wo sie ihn auf den Grasstreifen neben dem Gehsteig setzte. Prompt erleichterte sich Berti, als wäre alles, was er zu sich genommen hatte, einfach durch ihn hindurchgeronnen.
2.
Der Tierarzt leuchtete Berti in den Rachen, in die Augen und in die Ohren. Er maß seine Temperatur, indem er ihm ein kaltes Thermometer in den After schob, und hörte ihn mit dem harten Bruststück seines Stethoskops ab. Er zwang Berti, eine zerdrückte, nach Erbrochenem schmeckende Wurmtablette zu schlucken und reinigte seine milbenbefallenen Ohren mit Wattestäbchen, die er in eine stinkende Flüssigkeit getaucht hatte. Er stach ihm eine Spritze mit einem Cocktail an Impfseren ins Hinterteil, sowie eine weitere mit Antibiotika, für alle Fälle. Berti merkte sich, dass Menschen in weißen Kitteln böse waren - sehr böse.
"Und, wie soll er heißen?", fragte der Tierarzt, der sich an seinen Tisch gesetzt hatte, um Berti einen EU-Pass auszustellen. Frau Székely war es schon seit geraumer Zeit leid, den von ihr aufgenommenen Hunden Namen wie Borzi oder Laska oder Piros zu geben, und nicht zuletzt in der Hoffnung, dadurch ihre Vermittlungschancen zu erhöhen, war sie dazu übergegangen, ihnen die Namen von berühmten Hollywood-Schauspielern zu verleihen. Der Erfolg gab ihr recht - immerhin hatten Sandra Bullock, Katherine Heigl, Daniel Craig und selbst eine humpelnde Dogge namens Alec Baldwin bereits gute Plätze gefunden. Nachdenklich betrachtete sie den kleinen schwarzen Rüden.
"Er sieht wie eine Fledermaus aus", bemerkte der Tierarzt, um ihr zu helfen. Sie dachte an Fledermäuse, an Vampire, an die Vampirfilme, für die ihre Tochter so schwärmte. Und dann wusste sie es.
"Robert Pattinson", sagte sie.
3.
Binnen einem Tag war Berti von der Hölle des Rübenackers in ein Paradies gelangt, von dem er niemals träumen hätte können. Das Futter war herrlich und wurde in schöner Regelmäßigkeit dargereicht, sodass erst gar kein quälender Hunger aufkam. Das Haus war groß und warm und hatte viele kuschelige Ecken. Es duftete gut nach Hund, was Oszkár zu verdanken war, der zwar an einem bedauerlichen Mangel an Bewegungsdrang litt, dafür aber auch deutlich weniger zum Maßregelungsschnappen neigte als Pihe. Das Beste aber war Gréta, die zwölfjährige Tochter der Frau Székely. Sie roch nach vielerlei Früchten, Schokolade oder Vanille, je nachdem, welche Kosmetika sie auf ihre Haut auftrug, und darunter lag ihr eigener warmer, leicht nussiger Menschengeruch. Er ähnelte jenem der Sonnenblumenkerne, die die Vögel viele Wochen später in einem anderen Land von den Feldern in den Garten tragen würden, um damit ihre Jungen zu füttern. Sie würden die Kerne aus den Schalen picken, die Schalen zu Boden fallen lassen, Berti würde daran schnuppern und sich an Gréta erinnert fühlen.
Gréta war über die Maßen entzückt, als sie von der Schule nach Hause kam und dort Robert Pattinson vorfand. Endlich einmal hatte ihre Mutter einen guten Namen ausgewählt! Sie trug den Welpen in ihr Bett und ließ ihn dort auf ihrem Bauch liegen, während sie alle ihre Freundinnen anrief. Zwei derselben kamen gleich herüber und quiekten und herzten den Kleinen, der fand, dass er endlich als der Prachtkerl gewürdigt wurde, der er im Grunde war. Menschen waren fantastisch. Während Gréta ihre Hausaufgaben machte, durfte Berti über den Schreibtisch spazieren, an den Stiften nagen und aus ihrem Wasserglas trinken. Gréta kannte das Procedere, wie ihre Mutter trug sie ihn danach ins Freie, damit er sich entleeren konnte.
"Oh wie süß!", rief sie, "du pinkelst ja noch wie ein Mädchen!" Noch hatte Berti nicht gelernt, wie ein richtiger Rüde das Hinterbein anzuheben, sondern senkte beim Pinkeln einfach das Becken ein wenig ab.
Natürlich wusste Gréta, dass die Hunde, die ihre Mutter aufnahm, nie lange blieben. Als sie klein war, hatte sie so manche Träne darüber vergossen und sich lange, verschwurbelte und generell vollkommen unlogische Erklärungen ihrer Mutter anhören müssen. "Wir können sie nicht alle behalten." Wer redete denn von allen, um den Einen ging es, nur den Einen! Aber der Eine wurde immer weitervermittelt, und dann gab es den nächsten Einen, der ebenfalls ging. Einige Jahre lang hatte Gréta die Hunde sogar...
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