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Wenn wir geboren werden, sind wir das Ergebnis von vier Faktoren, die wir uns nicht aussuchen können: unserer Mutter, unseres Vaters, unserer Geschwister und des Ortes, an dem wir das Licht der Welt erblicken. Daraus entwickelt sich die Leidenschaft, die uns antreibt. Alle anderen Einflüsse sind Nebensache, Dekoration. Ich weiß, ich weiß, nicht jeder wird dieser Definition zustimmen.
Es wird indes noch etliche Seiten dauern, um zu erkennen, was Cristiano Ronaldo antreibt - womit also beginnen? Mit der Mutter, der Familie, dem Ort, an dem er geboren wurde?
Dolores Aveiro ist die Mutter, die ihren zwölfjährigen Sohn von zu Hause weggehen ließ, damit er seinen Traum leben konnte, Profifußballer zu werden. Es tat weh, doch sie ließ sie ihn in so jungen Jahren davonziehen. Vielleicht war es die beste oder die einzige Möglichkeit. Vielleicht war es aber auch, weil ihr etwas Ähnliches widerfahren ist. Man sagt ja oft, dass die Tugenden und Fehler des Lebens sich von Generation zu Generation wiederholen. Seinerzeit hatte Dolores' Vater die Familie verlassen, nun ging Cristiano nach Lissabon, um dort seine Karriere bei Sporting fortzusetzen. Für mich ist da ein unsichtbarer Faden, der beide Erfahrungen miteinander verbindet. Man muss das Leben seiner Mutter kennen, um Ronaldo zu verstehen.
Insofern müssen wir jenen Ort besser kennenlernen, an dem Dolores und Cristiano geboren wurden, an dem sie aufgewachsen sind und von dem sie schließlich geflohen sind. Wir müssen nach Funchal reisen.
Funchal ist .
. die Hauptstadt der portugiesischen Insel Madeira vor der Nordwestküste Afrikas.
. eine extrem grüne Insel, die erfüllt ist vom Geist der Verstorbenen und der heutigen Bewohner, die kurz vor dem Ableben stehen.
. ein Gefängnis ohne Türen.
. ein Scheideweg.
. ein Sprungbrett.
Und: Funchal wurde zufällig entdeckt.
Gehen wir zurück ins frühe 15. Jahrhundert, in das Zeitalter der großen Entdeckungen. Heinrich der Seefahrer, Infant von Portugal und erster Herzog von Viseu6, bewegte sich am Hof des portugiesischen Königs. Heinrich hatte trübe Augen, aber eine entschlossene Stimme, und verschaffte sich mit viel Geschick das Monopol auf die Erkundung der afrikanischen Küste. Er versammelte die besten Navigatoren und Kartografen des Landes und damit der gesamten damaligen Welt. Er schickte sie auf die Entdeckung neuer Länder mit Rahseglern, meist Dreimaster, ausgestatte mit einfachen Instrumenten: einem Astrolabium7, einer Sanduhr und einem Kompass.
Die Winde vor der afrikanischen Küste waren tückisch, die jungen Kapitäne João Gonçalves Zarco und Tristão Vaz Teixeira verirrten sich, es vergingen Tage, ohne dass Land in Sicht kam. Dann entdeckten sie eine Insel mit goldenen Stränden, die sie Porto Santo ("Heiliger Hafen") nannten. Nachdem sie die Gewässer kartiert hatten, kehrten die Seefahrer nach Portugal zurück, um von ihrer Entdeckung zu berichten.
"Danke", sagte Infant Heinrich. "Kehrt jetzt zurück und kolonisiert die Insel. Und sucht weiterhin nach neuen Horizonten."
Das war im Jahr 1419.
Nicht weit von Porto Santo entfernt, in südlicher Richtung, erkannten die Forscher riesige Wolkenformationen, die, wie jeder weiß, der schon einmal auf Madeira war, ebenso charakteristisch für die Insel sind wie ihre steilen Straßen und der Wein.
Jede Seemeile war ein Schritt ins Unbekannte, ein Kampf gegen Aberglaube und Angst, ein Kampf gegen Winde und Wellen. Von Porto Santo aus gelangten sie zur Bucht von Machico, dem Tor von Madeira, 400 Kilometer von den Kanarischen Inseln entfernt und auf demselben Breitengrad gelegen wie Casablanca in Marokko: Madeira war entdeckt worden.
Heinrich der Seefahrer schickte bald darauf Familien, vor allem Bauern von der Algarve, um die neuen Ländereien zu besiedeln. Heute leben dort fast 270 000 Menschen.
Zwar wurde das portugiesische Kolonialreich 1975 formell aufgelöst, aber Madeira blieb als ein Überbleibsel dieser goldenen Ära, wenn auch bis heute wie ein entfernter Cousin, der der Familie in Portugal reichlich fremd ist.
* * *
Vor meiner ersten Reise nach Funchal machte ich einen Zwischenstopp in Lissabon. Ich traf mich mit Freunden im Clube de Jornalistas zum Essen, einem Ort, den man für einen Hort intellektueller Diskussionen halten könnte. Nicht jedoch, wenn es um Madeira geht: "Die Madeirer haben nicht nur einen seltsamen Akzent, sie sind auch seltsam", so die landläufige Meinung. Ich nehme an, Sie haben von der Armut gehört, die die Insel prägt. Es handelt sich um eine kleine Diktatur mit dem am längsten amtierenden Staatschef des Landes. Madeira ist nicht Portugal, es ist etwas anderes.
Und als touristische Destination? "Für Engländer aus der Unterschicht", erklärte uns ein Mann, der noch nie einen Fuß auf Madeira gesetzt hatte. Das müsse man auch nicht, sagte er.
Nach der Landung auf dem winzigen Flughafen von Funchal bemerkte ich, dass die Statue von Kapitän Zarco immer noch im Stadtzentrum stand und über die Nachkommen jener Familien von der Algarve wachte, die sechs Jahrhunderte zuvor die Insel vulkanischen Ursprungs besiedelt hatten. Und wie schon die Entdecker, wurden auch wir von tiefhängenden Wolken empfangen, die man fast mit der Hand berühren konnte.
Es war Mai, eine anstrengende Fußballsaison ging zu Ende, ich wollte mich auf Madeira etwas Entspannen und locker Kontakt mit Leuten aufnehmen, die mit der Hauptfigur meines neuen Buches in Verbindung standen. Ich suchte mir ein Hotel in Funchal, nahm mir einen Mietwagen (ohne zu wissen, dass die Straßen Madeiras mitunter über dreißig Prozent Steigung aufwiesen), und machte mich auf die Suche nach ersten Informationsquellen. Einige Lokaljournalisten zeichneten im Gespräch ein überraschendes Bild von Ronaldo. Wann immer er nach Funchal zurückkehre, wirke er distanziert und zeige wenig Interesse an dem, was er hinter sich gelassen habe. Das erinnerte mich an das, was man in Liverpool über die Beatles sagt: Es schmerzt die Liverpooler, dass John, Ringo, George und Paul sich ihrer Geburtsstadt gegenüber nie ersichtlich dankbar gezeigt haben.
Was Ronaldo und Madeira betraf, so war er dort augenscheinlich mit einigen Leuten ins Geschäft gekommen, die sich von ihm Geld geliehen hatten, ohne sich an die damit verbundenen Versprechen zu halten. In der Zwischenzeit, so erzählten die Journalisten mir, hatte sich Cristiano mit der Clique der Mächtigen der Insel angefreundet.
Lassen Sie uns das in einen Zusammenhang bringen. Der ehemalige Präsident der autonomen Region Madeira, Alberto João Jardim, war 37 Jahre lang im Amt, ehe er im Januar 2015 seinen Rücktritt erklärte. Für die einen war Jardim ein herausragender Politiker, Wohltäter und Kämpfer für die Sache Madeiras. Für die anderen der vertrat er das Establishment. In seiner Abschiedsrede vor Journalisten am Tag seines Ausscheidens aus dem Amt sagte er: "Ich hatte nicht vor, jemanden zu verletzen, aber wenn jemand unfair zu mir ist, muss er dafür bezahlen." Jardim war ein Mann, mit dem sich gutzustellen angezeigt war.
Ein erster Blick zeigt zwei Arten von Madeirern: solche wie Jardim, denen die Insel alles bedeutet, und solche wie Zarco, der Entdecker, der wegging, um neue Welten zu erobern, aber der ein Haus auf der Insel behielt. Tatsache ist: Kein Madeirer geht jemals wirklich weg .
Die ersten Siedler bewirtschafteten das Land, und auch heute noch bilden landwirtschaftliche Kleinbetriebe den wichtigsten Wirtschaftszweig der Insel, der jederzeit auf Missernten gefasst sein muss. Da das Land überdies knapp ist, mussten Menschen zu jeder Zeit auswandern. Die meisten taten es in der Hoffnung, eines Tages zurückzukehren.
Es bildeten sich große Gemeinschaften von Madeirern an so weit entfernten Orten wie Südafrika und Venezuela, und die meisten von ihnen wurden schon bald nach der Ankunft in ihren neuen Ländern zu führenden Größen in ihren Branchen: Bau- und Fabrikarbeiter, Rechtsanwälte und Unternehmer im Hotel- und Gaststättengewerbe. Man verlässt sein Heimatland nur, wenn man eine andere Welt erobern will. Heute rühmen sich 750 000 über den ganzen Globus verteilte Madeirer ihrer Herkunft. Erinnert das nicht irgendwie an Ronaldo?
Auf dieser ersten Reise in Cristianos Heimatland suchte ich auch seinen Geburtsort auf: das bescheidene Quinta do Falcão, hineingebaut in einen Berghang und bestehend aus zwei steilen Straßen, kleinen Häusern mit Wäscheleinen vor den Fenstern, einem Geschäft und einer Bar mit Plastikdach und erhöhter Terrasse auf einem unebenen Zementblock. Das Haus von Cristiano wurde gut zehn Jahren abgerissen, um dort Sozialwohnungen zu errichten.
Dank der Zuschüsse der Europäischen Union wuchst der Wohlstand auf der Insel, doch obwohl die autonome Regierung das gern verbergen möchte, schwimmt Madeira tatsächlich in einem Meer wirtschaftlicher Ungleichheit. Um einen Rückgang des Tourismus zu verhindern, spricht die autonome Regierung davon, dass nur etwa zwei Prozent der Madeirer unterhalb der Armutsgrenze leben. Nach Angaben der Wohlfahrtsorganisation União hingegen beläuft sich die tatsächliche Zahl auf zwanzig Prozent. Arbeitslosigkeit ist weitverbreitet, und die staatlichen Leistungen erreichen nicht jeden Bedürftigen. Mehr als 28 000 Bürger Madeiras sind auf subventionierte Lebensmittel angewiesen. Demgegenüber beläuft sich der Anteil der Wohlhabenden an der Gesamtbevölkerung der Insel auf 10 Prozent.
Um die Jahrhundertwende vollzog...
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