Schweitzer Fachinformationen
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Simon, Mitte vierzig, führt ein ruhiges Leben. Wie bereits sein Vater und Großvater ist er Friseur. Er möchte nicht unbedingt zu viele Kunden, er mag seinen unaufgeregten Alltag und wenn er zwischendurch eine Strähne Einsamkeit an sich entdeckt, dann stört ihn das nicht weiter.Als einer der Stammkunden, ein Schriftsteller, sich für die Geschichte seines Vaters interessiert, der 1977 bei einem Flugzeugunglück auf Teneriffa ums Leben kam, wird auch Simon neugierig. Er hat den Vater nie kennengelernt. Aber stimmt die Geschichte überhaupt? Und noch etwas treibt ihn um: Beim Schwimmunterricht lernt er den stummen Igor kennen - und verliebt sich in ihn.
In überraschenden Wendungen erzählt Bakker von einem Mann, dessen Leben wider seinen Willen Fahrt aufnimmt. Der Sohn des Friseurs ist ein berührender Roman über Sehnsucht, das Bedürfnis nach Nähe und die Notwendigkeit, neue Wege zu gehen.
Der Kunde ist eine Kundin, die Freundin des jungen Mannes mit Hipsterbart. Eine der wenigen Frauen, die Simon frisiert. Eines Tages waren die beiden zusammen gekommen. Die Frau hatte gleich angefangen zu schnuppern. »Das riecht aber gut hier«, sagte sie. Es war das erste und letzte Mal, dass sie zusammen in den Salon kamen. Gut, dass Simon sich meistens auf Ausrufewörter beschränkt, sonst würde er ihr vielleicht erzählen, dass ihr Freund, wenn es darauf ankommt, nicht an sie denken wird. Vielleicht wollen sie ja sogar ihn, Simon, als Mittelsmann benutzen. Menschen . man weiß nie, was sie wirklich wollen, was sie wirklich meinen. Auf jeden Fall reden beide gern. Vor allem über sich selbst. Während Simon kaputte Spitzen abschneidet, rekapituliert er frühere Gespräche. Haben sie ihn jemals etwas gefragt?
»Jasons Bart sah wieder scharf aus«, sagt sie.
»Hm«, sagt Simon. Die Frau hat wunderschönes, kräftiges, dunkelblondes Haar, das immer richtig fällt. Also nicht zu kräftig, denn sonst wäre es nicht zu bändigen. Simon hat noch nie ein Friseurekzem gehabt. Die Duftwässer, die er für die Kopfmassage verwendet, bestehen aus natürlichen Zutaten - schon deshalb sind sie ziemlich teuer -, und wenn irgend möglich, nimmt er für die Haarwäsche kein Shampoo. Das Haar der Frau, Martine heißt sie, hat er nur angefeuchtet. Wenn er fertig ist, wird er es trockenföhnen. Eine Kopfmassage möchte sie nicht. Das sei etwas für Männer, die es genießen, wenn ein anderer Mann ihnen die Kopfhaut massiert, meint sie.
»Nächste Woche geht's in den Urlaub«, sagt Martine. »Deshalb bin ich jetzt hier. Altmodisch, was? Urlaub? Zum Friseur. Geburtstag? Zum Friseur.«
»Wohin geht's?«, fragt Simon. Er schaut sie kurz im Spiegel an, fast so, als wollte er sehen, ob die unerwartete Frage sie ebenso überrascht wie ihn selbst.
»Malediven. Wunderschön. Drei Wochen, und mit etwas Glück hat hier auch der Frühling richtig angefangen, wenn wir wiederkommen.«
»Hm«, sagt Simon. Da kann man nur hoffen, dass sie nicht abstürzen. Ach was, sie sitzen ja zusammen im Flugzeug, Jason braucht sie also nicht anzurufen, um ihr zu sagen, dass er sie liebt. Er kann es ihr an Ort und Stelle sagen. Oder auch nicht.
Simon ist ein einziges Mal in seinem Leben geflogen, hat aber keine Erinnerung daran. Drei oder vier war er damals. Nach Teneriffa, Flughafen Reina Sofia. Los Rodeos wurde da für internationale Flüge schon kaum noch benutzt. Zu neblig. Zu gefürchtet. Das falsche Ende der Insel. Am nächsten Tag flogen sie schon wieder zurück, nachdem seine Mutter und er mit dem Bus über die Autobahn auf die andere Seite gefahren waren, sich dort umgeschaut hatten, zurückgefahren waren. Er weiß es, weil es ihm erzählt wurde, aber er kann in seinem Gedächtnis graben, solange er will, nie wird eine Erinnerung daran wach. Höchstens falsche Erinnerungen, wenn er, was äußerst selten vorkommt, die Fotos betrachtet, die seine Mutter an jenem Tag gemacht hat. Fotos von leeren Lande- oder Startbahnen und dem massiven Tower, verschwommene Berge, darüber Wolken. Vielleicht hätte er doch etwas behalten, wenigstens einen Geruch, wenn es keine Fotos gegeben hätte.
Während er Martines Haar föhnt, denkt er zum ersten Mal seit dem Telefongespräch mit seiner Mutter wieder an den rothaarigen Mann, der über ihn hinüber aus dem Bett gekrochen ist. Martine unterbricht ihn.
»Wir sind seit fünf Jahren zusammen«, erklärt sie. »Deshalb.«
»Hm«, sagt Simon.
»Deshalb der Urlaub. Schön, nicht?«
Erst jetzt wird ihm etwas bewusst, was seine Mutter über Henny und ihren Bauarbeiter gesagt hat: dass sie auf den Kanaren sind. Regt sie sich deswegen so auf? Sind sie auf Teneriffa? Nicht unbedingt natürlich, es gibt noch genügend andere Kanareninseln. Gran Canaria. Lanzarote und . Weitere fallen ihm nicht ein. Am Samstag nicht vergessen, danach zu fragen. Er schaltet den Föhn aus und geht zum Tresen. Da liegt ein großer Terminkalender. Aus dem Augenwinkel sieht er, dass Martine sich mit der Hand durchs Haar streicht. Das ärgert ihn. Ist den Leuten nicht klar, dass das fast unhöflich ist? Dann schaut er durch die Scheibe mit Chez Jean nach draußen. Es hat angefangen zu regnen. Der Samstag ist frei, ganz frei, wie erwartet.
»Fertig?«, fragt Martine.
»Fertig«, sagt Simon. Als sie hinausgeht, ruft er ihr noch gespielt fröhlich »Schönen Urlaub!« zu.
Er setzt sich auf den Stuhl am Fenster. Den einzigen Frisierstuhl im Salon, der zu nichts dient. Nie sitzt dort jemand, weil Simon nur nach Terminvereinbarung schneidet und rasiert. Schon die bloße Vorstellung, dass jemand hinter ihm sitzen und warten würde, während er arbeitet, ist ihm zuwider. Das Schild mit OUVERT und FERMÉ hängt fast immer mit der FERMÉ-Seite nach außen an der Tür, die Stammkunden wissen das und lassen sich nicht abschrecken. Die beiden Einzigen, die etwas daran auszusetzen haben, sind seine Mutter und sein Großvater. »So schreckt man die Leute ab«, sagt sein Großvater. Wenn Simon antwortet, vielleicht sei genau das seine Absicht, sagt er: »Komischer Vogel«, aber weil er seinem Enkel wohl anmerkt, dass er keinen Scherz macht, belässt er es dabei.
Zu Chez-Jean-Zeiten war der Salon immer gerammelt voll. Nicht nur von Kunden, die sich die Haare schneiden lassen wollten. Auf der Theke stand eine Kaffeemaschine, eine Wigomat, mit der alle Leute aus der Gegend sehr gut umgehen konnten. Der Salon war eher eine Art Nachbarschaftstreff als ein Friseursalon, und genau so wollten es Simons Großeltern. Simons Vater - Cornelis hieß er - fand es schrecklich. Zwischen ihm und den Großeltern soll es öfter Streit gegeben haben, wobei sich Simons Vater vor allem an den vielen »Schnorrern« im Salon störte, wie er die Frauen und älteren Männer aus dem Viertel nannte. Für Simon sind das nur Geschichten. Alles aus zweiter Hand. Die Kunden wollten viel lieber zu seinem Großvater als zu seinem Vater. Aber kann er einem fast Neunzigjährigen, der damit angibt, dass er sich der Frauen im Altenheim kaum erwehren kann, überhaupt etwas glauben?
Nicht viele Leute gehen durch die schmale Straße. Es ist keine Einkaufsstraße. In der Nähe gibt es einen Fahrradladen und ein Stück weiter ein Rahmen- und Farbengeschäft. Zwei Therapeuten. Aber die haben weder ein Schaufenster noch eine offene Tür. Von den Anwohnern, denen der Salon vor vierzig oder vielleicht noch dreißig Jahren als Nachbarschaftstreff diente, dürften nicht mehr viele übrig sein. Oder sie sind in Seniorenwohnungen in Almere umgezogen. Ich müsste mal mit Opa nach Westgaarde, denkt Simon, während er zu den nassen Häusern auf der anderen Straßenseite hinüberstarrt, ohne etwas zu sehen. Es ist Mitte März. Mit Opa oder allein. Er steht auf, nimmt den weichen Besen, kehrt Martines Haare sorgfältig zu einem Häufchen zusammen und das Häufchen mit dem Handfeger aufs Blech.
Dann steht der Mann mit den roten Haaren vor dem Fenster. Seine Haare sind feucht, und er zeigt mit hochgezogenen Schultern auf das Schild an der Tür. Simon schüttelt den Kopf und winkt ihn herein. Der Mann öffnet die Tür, ein wenig schüchtern. Gespielt schüchtern. »Würdest du .«, sagt er.
»Setz dich«, sagt Simon.
Der Mann zieht die Jacke aus und nimmt ohne ein weiteres Wort Platz.
Simon legt ihm keinen Frisierumhang um. Damit gibt er ihm zu verstehen, dass es sich um keinen normalen Friseurbesuch handelt. Er nimmt ein Nackenmesser von dem Wägelchen neben dem Stuhl und fängt an, die wirren grauen Haare vorsichtig wegzuschaben. Ich weiß immer noch nicht einmal, wie er heißt, denkt er. Hat er draußen im Regen gestanden und gewartet, bis Martine herauskam? Der Mann weicht seinem Blick im Spiegel aus. Simon weiß nicht, was er von der Sache halten soll. Ist es das Ende oder ein Anfang? Er legt das Messer weg und entfernt mit einer weichen Bürste die Härchen aus dem Nacken. Dann legt er dem Mann die Hände auf die Schultern....
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