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Mademoiselle Josephine Baker brach in lautes Lachen aus, als ich ihr bei unserem ersten Treffen - Ende des Jahres 1926 - den Vorschlag machte, ihre Memoiren zu schreiben.
Sie war gerade zwanzig Jahre alt geworden und bewohnte zwei große Zimmer in einer ruhigen Familienpension in der Nähe des Parc Monceau.
Zwölf Uhr mittags.
Josephine Baker schlief noch.
»Ach, das macht nichts«, sagte sie und hüpfte von einem kleinen Sofa. »Gut, dass Sie mich geweckt haben. Setzen Sie sich doch.«
Das alles auf Englisch, denn Mademoiselle Baker konnte noch kein Französisch, von ein paar Worten abgesehen, beispielsweise »Bonjour«, »Bonbon«, »pauvre oiseau«, »phonographe«, »coco« »Champs-Élysées«.
Sie trug einen rosafarbenen Morgenmantel und Pantöffelchen in derselben Farbe: Sie war hochgewachsen, schmal, biegsam, und sie lachte.
Sie sah aus wie ein kleines wildes Mädchen, schalkhaft und charmant, und wenn sie lachte, blitzten ihre 32 weißen, soliden Zähne; das geölte Haar trug sie hastig an den Schädel geklebt, die Nägel waren silberfarben lackiert.
»Memoiren . Aber ich erinnere mich noch gar nicht an meine Erinnerungen. Warten Sie mal .«
Ich wartete fünf Minuten auf den Dolmetscher, der sich verspätet hatte. Neben einer Büste von Ludwig XIV. saßen Sittiche in einem Käfig. Auf einem Empiremöbel lag eine Stoffpuppe, die sich selbst mit dem Fuß einen Nasenstüber versetzte. Etwas entfernt, auf einem kleinen Tisch, stand ein spielbereites [14]Grammophon, darunter klemmte ein Bündel zerknüllter Hundert-Francs-Scheine.
»Paul Colin«, sagte sie, »hat mich gebeten, ein Vorwort für sein Album Dans le tumulte noir zu schreiben. Das war lustig! Ich habe einen Stift genommen und Husch! Husch! schon war die zwei Seiten lange Geschichte auf dem weißen Papier fertig, aber das mach ich nicht noch mal, o nein!«
»Warum nicht?«
»Sie wissen ja nicht, wie das ist. Schreiben! Oh là là! Ich tanze, ich liebe nur den Tanz, ich werde mein ganzes Leben lang tanzen!«
Die schwarze Tänzerin schmiegte sich in einen Ledersessel, zog fröstelnd den Kopf zwischen die Schultern, schloss die Augen, schleuderte eines ihrer Pantöffelchen in die Luft und fing an zu lachen.
»Nein, wirklich, das ist ganz unmöglich. Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen meine Erinnerungen erzählen, und Sie schreiben meine Memoiren, wäre das was?«
»Ja, das wäre was.«
»Na gut, also ich wurde an den Ufern des Mississippi geboren! O weh! Schauen Sie bloß, meine armen Vögel .«
Es klopfte an der Tür. Das Telefon klingelte. Die Sittiche stopften Ludwig XIV. Kerne in die Nase.
Es ist so eine Sache mit Josephine Baker.
Sie hat ganz allmählich, auf erstaunliche Weise, die Varieté- und Theaterbühnen erobert, mit Tanz, Gesang, den Gesten, Haltungen und Verwechslungsspielen im grellen Scheinwerferlicht.
Die vorliegenden Memoiren wurden in der Absicht geschrieben, diese Entwicklungen zu bezeugen, sie entstanden allerdings in mehreren Teilen und in großen zeitlichen Abständen.
Zunächst die Anfangszeit Josephine Bakers, als Star in der Revue Nègre; damals sang sie noch nicht, sondern tanzte in [15]einem schlichten Bananenschurz. Dann, rund 20 oder 23 Jahre später, als das amerikanische girl, inzwischen eine weltberühmte Chansonsängerin, Schauspielerin und Französin, das Ave Maria von Schubert sang oder Maria Stuart darstellte, in einem prächtigen Vertugado, einem Reifrock, unter dessen langer Schleppe sich leicht 50 kleine Schwarze hätten verstecken können, und sich, am oberen Absatz einer bombastischen Treppe, auf hinreißende Weise den Hals durchschneiden ließ.
Aber immer hübsch der Reihe nach.
Ende Oktober 1925 war ich an Bord eines Frachtschiffes der Compagnie Tripcovitch von Triest aus auf dem Weg nach Genua und befand mich vor der Küste bei Nizza. An Bord sprach lediglich der Funkoffizier Französisch. Er deklamierte unentwegt Verse des Dichters Gabriele D'Annunzio. Daneben sammelte er Reispudersorten aus allen Ecken der Welt, Parfümflakons und Seidenstrümpfe.
Es war abends. Das stille Meer glänzte im Mondlicht wie Lack, und wir tranken im Kartenraum spanischen Chartreuse, der es in sich hatte. Zwischen zwei Zügen an seiner Zigarette wandte sich der junge Funkoffizier mir zu:
»Zurzeit spielen sie in Paris eine Revue nègre, ein Riesenerfolg«, sagte er zu mir. »Die Entdeckung heißt Josephine Baker.«
Einige Zeit später, zurück in Marseille, las ich zufällig in einem Muschelrestaurant am Vieux-Port eine Ausgabe der Candide.
Der Artikel eines gewissen Pierre de Régnier erregte meine Aufmerksamkeit:
AUF DEN CHAMPS-ELYSÉES: LA REVUE NÈGRE
Man hat schon viel darüber gehört. Manche Leute haben die Vorstellung zwei- oder sogar sechsmal besucht. Andere stehen nach zwei Szenen plötzlich auf, verlassen türknallend den Saal und schreien, es sei ein Skandal, ein Wahnsinn, ein Verfall der Sitten und reiner Götzendienst.
La Revue beginnt um 22.15 Uhr.
Ganz Paris befindet sich im dunklen Saal.
[16]In der Dunkelheit, vor dem perlgrauen Vorhang, betreten die Musiker des Schwarzen Orchesters einer nach dem anderen mit ihren Instrumenten die Bühne.
Dann hebt sich der Vorhang.
Ein Hafen bei Nacht, in weiter Ferne, irgendwo . beleuchtete Fracht, Mond, Waren am Kai . und Frauen in Hemdchen oder Kleidern, wenn Sie so wollen, mit karierten Kopftüchern, kommen auf die Bühne, eine nach der anderen, und singen ein kurzes Lied. Das sind die girls, die bis auf eine fast alle nahezu weiß aussehen.
Sie tanzen Charleston.
In diesem Augenblick betritt eine sonderbare Figur in aller Eile die Bühne, sie geht rasch und mit angewinkelten Knien, trägt eine zerlumpte Hose und sieht aus wie eine Mischung aus boxendem Känguru, Sen-Sen-Kaugummi und Radfahrer.
Josephine Baker.
Ist es ein Mann? Oder eine Frau? Ihre Lippen sind breit und schwarz geschminkt, ihre Haut ist bananenfarben, das kurzgeschnittene Haar klebt am Kopf wie eine Perücke aus Kaviar. Sie quäkt mit schriller Stimme, bewegt sich unaufhörlich, und ihr Körper windet sich schlangengleich oder vielmehr wie ein zum Leben erwachtes Saxophon: Die Musik scheint aus ihrem Körper zu kommen. Sie schneidet Grimassen, schlängelt sich, schielt, bläst die Wangen auf, verrenkt sich, macht einen Spagat und krabbelt schließlich steifbeinig auf allen vieren davon, den Hintern höher gestreckt als den Kopf wie eine junge Giraffe.
Sie ist schrecklich. Sie ist hinreißend. Ob sie schwarz ist oder weiß, ob sie Haare oder einen schwarzbemalten Schädel hat, niemand weiß es. Niemand kann es in der Eile sagen. So schnell, wie sie gegangen ist, kehrt sie wieder zurück, schnell wie das Tempo eines Onestepps. Das ist keine Frau, keine Tänzerin, sie ist etwas Extravagantes und Flüchtiges, wie die Musik, gewissermaßen das Ektoplasma aller Töne, die wir vernommen haben .
[17]Und jetzt das Finale.
Ein Nachtlokal.
. Ein barbarischer Tanz, getanzt von den girls und Josephine Baker. Er ist von seltener Unanständigkeit, der Triumph der Lüsternheit, die Rückkehr zu den Sitten der Urzeit: Eine Liebeserklärung ohne Worte, mit über den Kopf erhobenen Händen und einer einfachen Vorwärtsbewegung des Bauches, einem Wackeln des Hinterteils. Josephine ist vollkommen nackt bis auf einen winzigen Federkranz um die Hüften und einen zweiten um den Hals. Die Federn zittern im Rhythmus des Taktes, und ihr Zittern steigert sich geschickt mit jeder gespielten Note.
Josephine wirbelt in ihrem Federkostüm umher, die girls kreischen, und der Vorhang fällt mit einem letzten Wirbel des Schlagzeugs und einem abschließenden Beckenschlag.
Dieser Bericht erregte mich sehr.
Barockes Dekor, gelb, blau, rosa, orange, extravagante Kostüme, exotische Verrenkungen, Freiheit, Phantasie, Grimassen, barbarische, synkopische Musik, ein akrobatischer Rhythmus: unbekannte oder verkannte Kunst.
Und das war es wirklich.
La Revue nègre war, in mancher Hinsicht, eine ebensolche Offenbarung wie das Russische Ballett. Über diese Revue wurde genauso heftig diskutiert, sie wurde ebenso enthusiastisch gefeiert oder vehement abgelehnt. Aber schließlich setzte sie sich durch.
Josephine Baker, schwarze Poesie.
Ich habe La Revue nègre nicht gesehen, erinnere mich aber noch genau an die stehenden Ovationen, mit denen die Tänzerin begrüßt wurde, als sie zum ersten Mal die Bühne der Folies Bergère betrat.
[18]»Komische Nacktheit aus Bronze.«
Ein goldener Körper mit nackten Brüsten, hingegeben, verloren, außer sich in Zuckungen der Begierde und Freuden der Liebe.
Lange Beine, willig, rasend, bebende Hüften, zarte, sehr lange Finger, verkrampft und dann wieder streichelnd. Ein außerordentlich ausdrucksvolles, bewegliches Gesicht, strahlende Augen, fleischige, klar umrissene Lippen.
Die Josephine Baker zu jener Zeit, abwechselnd biegsam oder verhängnisvoll, weich oder straff, erzeugte, dem Willen des Saxophons oder des Banjos folgend, mit ihrem Körper phantastische Bilder von höchster Präzision. Ihr Tanz, vom Charleston aus South Carolina bis hin zu den einfachsten mimischen...
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