Schweitzer Fachinformationen
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Greystones, County Wicklow
September 1939
In seinem Magen rumort es. Seine Hand zittert, und zwischen den Augen spürt er ein leichtes, unangenehmes Stechen. Die Sonne fällt schräg durchs Fenster und bricht sich in geschliffenem Glas und Tafelsilber. Geblendet verzieht er das Gesicht. Alle anderen haben schon gefrühstückt, und die Reste sind mehr oder weniger kalt.
»Soll ich nach mehr Bacon klingeln?«
Er schüttelt den Kopf, was wehtut.
Der Alkohol scheint immer notwendig, scheint immer die Lösung zu sein. Allerdings schwindet diese Gewissheit beim Trinken; er trinkt bis zum Ekel, und jetzt, einige schlaflose Stunden und einen höllischen Brand später, schwitzt er den Whiskey aus und schluckt bitteren Speichel, während er Butter auf kalten Toast streicht und sie dabei jede Bewegung verfolgt, jedes Zucken registriert. Sie scheint den Whiskey und das Elend zu wittern. Deshalb löchert sie ihn, stochert nach Lösungen.
»Und Eier? Möchtest du Eier essen?« Sie steht schon. »Ich sage Lily, dass sie dir welche machen soll.«
Er antwortet zu schnell, was an der aufsteigenden Übelkeit liegt: »Nein. Danke.«
Sie setzt sich wieder. »Aber du musst doch etwas essen.«
Er beißt in eine Ecke seines Toasts und legt ihn wieder aus der Hand. Er kaut und schluckt. Er isst doch.
»Ich meine etwas Gehaltvolles. Nahrhaftes. Nicht nur Toast.«
»Ich mag Toast.«
»Du isst wie ein Spatz. Bist du krank? Du bist nicht krank.«
Wie ein Spatz . warum nicht wie ein Reiher oder ein Papageientaucher oder ein Basstölpel: ein einziges Schnappen und Stechen, Schütteln und Schlingen; essen wie ein Adler oder ein Falke, der seine Beute zu Boden schleudert und zerrupft. Eulen schlucken ihr Nachtmahl als Ganzes herunter und würgen anschließend einen Brei aus Knochen und Fell hoch. Er zerkleinert seine Toastscheibe und isst noch ein Bröckchen: Vielleicht isst er ja wie ein Pinguin?
Oben schlägt etwas hart auf den Boden: eine Bürste oder ein Schuh. Er zuckt zusammen, doch er schaut nicht auf, während sie, für einen Moment abgelenkt, zu den Rissen in der Decke hochblickt. Ihr Ausdruck wird weicher. Man hört Stimmen und laute Schritte. Eine Tür schlägt zu.
»Die schaffen es noch, dass das ganze Haus über uns zusammenbricht.«
Stabil ist es wirklich nicht, dieses kleine, gemietete Haus am Hafen mit seinen klappernden Fenstern und rauchenden Kaminen. Damit die Wände nicht einknicken und ihr das Dach nicht auf den Kopf fällt, stopft sie die Zimmer mit Gästen voll, seinen Kusinen Sheila und Mollie und Sheilas Mädchen, Jill und Diana - all den Töchtern, die seine Mutter nicht bekommen hat. Von Abreise will sie nichts hören, sosehr der Sommer auch dahinschwindet. Es fegt kein kalter Wind. Der Sommer wird nicht enden. Es gibt keine Wolken.
»Diese Mädchen.« Sie lächelt kopfschüttelnd.
Er schluckt den nächsten Toastbissen hinunter; sie gießt sich eine Tasse Milchkaffee ein. Ein kleiner, glänzender Tropfen sammelt sich am Rand der Tülle, und beide schauen zu, wie er herunterläuft. Als er gerade seinen Stuhl zurückschieben will, blickt sie auf: »Ach, übrigens, neulich habe ich in der Stadt einen Freund von dir getroffen. Reizender Junge. Mediziner. Kann mich jetzt beim besten Willen nicht an seinen Namen erinnern. An der Portora Royal müsste er ein paar Jahrgänge unter dir gewesen sein.«
Er weiß, wen sie meint. »Das war bestimmt Alan Thompson.«
»Ach, ja, Doktor Thompson, genau. Er schlägt sich sehr gut.«
»Bestimmt.«
Und war damals in Enniskillen ein farbloser Frosch in den trüben Wassern der Erne; in der Bibliothek immer mittendrin, wenn flüsternd Köpfe zusammengesteckt wurden, weiße Cricketkleidung, reumütig-freches Lächeln; auch später im Medizin-Studium am Trinity immer mitten im Getümmel, wenn eine Meute den Hof überquerte, mit Weinflaschen bewaffnet und von Zigarrenrauch umweht. Schien immer im Zentrum des Geschehens zu sein, wie jemand, der einfach weiß, wie es geht. Ist ihm seitdem hin und wieder begegnet, haben zusammen getrunken, immer hilfsbereit, wenn Hilfe gebraucht wird. Ein guter Mann.
Er fischt die fettige Haut von seinem Kaffee und legt sie auf seine Untertasse. Und dann sagt er, obwohl er ihr das eigentlich nicht antun sollte: »Es sei denn, es war sein Bruder Geoffrey.«
Sie presst die Lippen zusammen. Geoffrey ist Psychiater. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich so etwas als Medizin bezeichnen würde.«
Aber es bringt Linderung, möchte er sagen. Immerhin kann ich jetzt manchmal schlafen. Und ich kann wieder atmen: Luft strömt in mich hinein und aus mir heraus. Das kann man durchaus als einen Gewinn betrachten. Als sinnvoll verwendetes Geld. Ist es insofern nicht doch Medizin?
»Nun ja«, sagt er. »Jedenfalls schön für die alte Mutter, bestimmt ist sie sehr stolz.«
Er nimmt den kleinen Silberdeckel von der Marmelade und hebt den Löffel aus dem Glas.
»Hast du in Paris irgendetwas . geschrieben?«, fragt sie.
Er beobachtet die herabtropfende Marmelade. Sie ist flüssig und gleitet wie Spucke vom Löffel. Er spürt ihr Unbehagen und ihren Wunsch. Könnte er nicht ausnahmsweise einmal etwas Seriöses schreiben, etwas, das sie ihren Gästen zum Bewundern hinlegen könnte? Er stellt den Löffel ins Glas zurück, legt den kleinen Silberdeckel wieder darauf.
»Nein«, sagt er. »Nicht viel.«
»Nun, dann könntest du eigentlich auch hierbleiben.«
Er schaut auf und blickt in ihr kräftiges Gesicht mit den feinen Falten. »Meinst du das ernst?«
»Du bekommst hier viel mehr geschafft, wenn wir uns um dich kümmern. Du kannst diese Artikel für die Zeitung schreiben. Ich weiß, Paris ist billig, aber das hilft dir nicht, weil es dich nur dazu ermuntert, verschwenderisch zu sein. Wenn deine Zuwendungen .«
Er sagt keinen Ton. Genau das beherrscht sie inzwischen perfekt. Der Schnitt präzise gesetzt, die Pause genau platziert.
». wenn du in Paris von deinen Zuwendungen nicht vernünftig leben kannst und du zu sehr vom Schreiben abgelenkt wirst, bleibt dir nichts anders übrig, als hierzubleiben. Zu deinem eigenen Besten.«
Um dann hier das Gefühl zu haben, dass man ihm alles missgönnt. Als wäre ihm nicht jetzt schon hinreichend bewusst, dass alles, was er isst, die Luft, die er atmet, jedes Glas Whiskey und sogar das Wasser, das er trinkt, dass einfach der ganze Raum, den er in der Welt einnimmt, an ihn verschwendet ist.
»Immerhin könntest du deinem Bruder in der Firma helfen.«
»Der würde sich bedanken.«
»Er könnte Hilfe gebrauchen.«
»Beim letzten Mal habe ich ein einziges Durcheinander angerichtet. Auf solchen Ärger kann Frank verzichten.«
Sie verzieht das Gesicht, als hätte sie etwas Saures geschluckt.
»Ich weiß, wenn du dir Mühe geben würdest, wenn du dich anstrengen würdest, dann könntest du .« Sie verstummt. »Auf dem College warst du so gut. Das haben alle gesagt.«
An diesem Punkt angelangt, müsste sie fast fertig sein.
»Es tut mir leid, Mutter.« Sein langer, schmaler Körper richtet sich auf, er schiebt den Stuhl zurück.
»Wohin gehst du?«, fragt sie.
»Frische Luft.«
»Du hast doch noch gar nicht zu Ende gefrühstückt.«
»Das reicht mir, danke.«
Ihr hörbar langes Ausatmen verfolgt ihn durchs Zimmer in den Flur; seine Schultern stemmen sich dagegen.
Allein vor den verstreuten Resten des Frühstücks, von oben der Klang junger Stimmen, presst sie die Finger gegen ihre geschlossenen Lider. Der Lebensstil ihres Sohns, alles so vage, so dürftig; immer von der Hand in den Mund, von einem Tag auf den anderen. Und dann diese Clique in Paris: Was weiß sie schon darüber, so gut wie nichts, und sie will es im Grunde auch gar nicht wissen. Aber ihn so zu sehen, in diesem Krankenhausbett, seine bandagierte Brust, die Französisch plappernden Schwestern: Ihre Augen werden feucht, und sie blinzelt. Wenn sie daran denkt, was aus ihm hätte werden können. Ihr schöner, talentierter Junge. Wirft alles weg, wirft einfach alles weg. Irgendwann wird er ihr damit noch das Herz zerreißen.
Denn es macht ihn doch nicht einmal glücklich, oder? Wenn er doch nur glücklich sein könnte.
Die Mädchen poltern die Treppe hinunter und begrüßen im Flur ihren Onkel; seine Antwort klingt munter, herzlich. Ein Blick auf ihn aus der Ferne. Warum muss er immer gehen.
An diesem Vormittag wollen Jill und Diana in ihren glänzenden Spangenschuhen und adretten Strickjäckchen ausgehen. Er kommt sich schäbig und mürrisch vor, fühlt sich schuldig; die beiden sind so hell und so hübsch und so strahlend. Voller Energie wie zwei ausgelassene Ponys.
»He, wartet mal eine Sekunde«, sagt er.
Er kramt eine Handvoll Münzen hervor, legt sie in die geöffneten Hände. »Kauft euch ein paar Toffees.«
»Danke!«
Als sie die Eingangsstufen zur Straße hinuntertraben, folgt er ihnen. Sie schwatzen fröhlich, und es klingt so englisch; gleich werden sie mit zusammengesteckten Köpfen am Meer die Gehwege entlangschlendern, an den Zeitungsständern vorbei, den Vertrauenskassen vor den Kisten mit Äpfeln, Pflaumen und Tomaten. Auf den Regalen der Süßwarenläden stehen fröhlich die Gläser in Reih und Glied, mit pastellfarbenen Zuckerarmbändern und kreideweißem Pfefferminz gefüllt, mit glänzenden Toffees und Bonbons wie aus buntem Kirchenfensterglas. Knabbernd und lutschend werden die beiden am Kai die im Wind lehnenden Schiffe...
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