Schweitzer Fachinformationen
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An den großen dunklen Glastüren des Polizeigebäudes gibt es keine Klingel. Mit zittrigen Händen wählt sie Margaretas Nummer. Nach dem ersten Signal antwortet eine barsche Stimme.
»Ich komm gleich runter und mach dir auf.« Nur Sekunden später erscheint eine schwarzgekleidete Frau mittleren Alters hinter der Glasscheibe. Sie sieht überhaupt nicht so aus, wie Harriet sie sich vorgestellt hat. Margareta ist keine blonde athletische Person, sondern groß und dürr und trägt ihr graues Haar in einem strengen Pagenschnitt. Absolut nicht der Typ, der eine Zweierpackung Mazarin-Törtchen kauft - eines für gleich und eines für den Geschmack. Es ist, als könnte Harriet die leere Mazarin-Verpackung knistern hören, die seit ihrer gestrigen Zugfahrt irgendwo ganz unten in ihrer Tasche liegt. Margareta begrüßt sie mit einem festen Handschlag, und Harriet registriert ihre unlackierten, allerdings sehr gepflegten Fingernägel. Schnell zieht sie ihre Hand zurück und hofft, dass Margareta ihren abgeblätterten hellrosa Nagellack nicht sieht. Harriet hätte ihn abwischen sollen, aber Eugen hatte keinen Nagellackentferner zuhause.
»Gut, dass du sofort anfangen konntest. Nach der Umstrukturierung herrscht hier das reinste Chaos, und das ist das Resultat. Man muss sich leider daran gewöhnen«, sagt Margareta und führt Harriet durch einen dunklen Bürokorridor hinter der Rezeption.
»Am Empfang arbeitet normalerweise Lena. Sie wird dir morgen mit der Zugangskarte und solchen Dingen helfen«, fährt sie fort. »Aber vielleicht musst du sie noch mal erinnern. Sie gehört zu den Leuten, die beim Denken oft Pech haben.«
Harriet kommt zu keiner Antwort, aber sie registriert, dass Lenas Bildschirm mit Notizzetteln in unterschiedlichen Farben vollgeklebt ist.
»Beim Bereitschaftsdienst ist gestern Abend ein Notruf über eine Leiche eingegangen, ich möchte, dass du bei der Sache von Anfang an dabei bist«, erklärt Margareta und mustert sie während des Weges durch den Korridor scharf. »Wir haben hier nicht viele Leute, und das, was vorher Aufgabe der Spezialermittler in Malmö war, wurde jetzt auf lokaler Ebene uns zugeschoben. Wenn etwas passiert, müssen wir ganz einfach bereit sein. Auch wenn Wochenende ist. Ich habe noch einen polizeilichen Ermittler angerufen, aber er kann erst nach dem Mittagessen kommen.«
Sie betreten einen Pausenraum mit hellen Birkenholztischen und Sofas mit fleckigem lila Neunzigerjahre-Bezug. Margareta zieht schnell einen Pappbecher heraus und reicht Harriet einen zweiten, bevor sie weiter über die neue Polizeiorganisation schimpft. Die Kaffeemaschine macht solchen Krach, dass Harriet kaum hört, was sie sagt.
»Welchen Hintergrund hast du?«, fragt sie, als die Maschine verstummt. »Ich war bei deiner Einstellung nicht dabei, du musst es mir noch mal erzählen.«
»Ich bin Sozialpädagogin. Ich habe mit Jugendlichen und bedürftigen Familien gearbeitet, und dann Alltagsverbrechen«, antwortet Harriet und zieht ihren Pulli nach unten, der unter der Bomberjacke hochgerutscht ist. Sollte sie vielleicht erzählen, dass sie auch Jura studiert hat und ihr Vater Professor für Zivilrecht ist und eine gewisse Verankerung im Rechtswesen hat? Vielleicht würde das gut klingen.
Margareta nimmt einen Schluck Kaffee. Die Falten um ihren Mund sehen aus wie Spinnenbeine, wenn sie trinkt.
»Ich meine deinen Hintergrund als Ermittlerin. An der Uni lernt man nicht, wie man Kriminalfälle löst. Warst du schon mal bei einer Mordermittlung dabei?«
Harriet fingert ein bisschen an ihrem Becher herum.
»Nein, aber ich arbeite seit fast drei Jahren als Ermittlerin«, bringt sie heraus.
Und ich bin mutig, analytisch und eine gute Beobachterin, würde sie gern hinzufügen, denn das hat ihr früherer Chef immer gesagt. Und das ist wesentlich wichtiger als Jura.
Margareta verzieht keine Miene.
»Komm, wir gehen in mein Büro. Deines ist noch nicht fertig. Wir werden einen speziellen Raum für diesen Fall hier einrichten, wenn ihn nicht Malmö übernimmt, aber das glaube ich nicht. Alle Ressourcen dort brauchen sie gerade wegen dieser Schießereien.« Sie geht vor Harriet weiter durch den Gang auf die einzige Tür zu, hinter der Licht brennt.
Es ist ein großzügiger Raum. Ein Schreibtisch, zwei überfüllte Regale mit Ordnern, ein Sessel und ein Sofa, über dem ein Bild von der Zitadelle in Landskrona hängt. Margareta setzt sich an den Schreibtisch und weist mit einem Kopfnicken auf den Stuhl gegenüber.
»Wir können uns mal beim Mittagessen weiter unterhalten, wenn wir Zeit haben, ich bin kein Freund von viel Geplapper. Ich möchte dir gleich den Fall vorstellen.« Margareta gibt etwas in den Computer ein und fügt hinzu: »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du so jung bist.«
Harriet schlägt die Beine übereinander und stützt sich auf die Armlehne. Es fällt ihr schwer, auf dem harten Besucherstuhl bequem zu sitzen.
»Gestern Abend wurde auf einem Gutshof etwas außerhalb von Landskrona eine weibliche Leiche gefunden. Der Pflegedienst hat den Notruf abgesetzt. Niemand hat geöffnet, als sie geklingelt haben, und als sie sahen, dass das Essen immer noch an der Tür hing, ahnten sie wohl, dass etwas nicht stimmte, und gingen ums Haus, um nachzusehen. Sie lag draußen in der Scheune, offenbar zu Tode misshandelt. Die Spurensicherung ist gerade dort. Ich habe sie kontaktiert und gebeten, dass wir hinkommen dürfen.«
Harriet räuspert sich. Margareta und sie kennen sich erst seit zehn Minuten, und schon steckt sie mitten in einer Mordermittlung.
»Wir sind damit nicht an die Öffentlichkeit gegangen, der Ehemann des Opfers wurde noch nicht unterrichtet. Laut Melderegister wohnt er auf dem Hof, aber er ist bisher nicht dort aufgetaucht. Er ist um die siebzig. Ich habe die Zeugin vom Pflegedienst gebeten, Stillschweigen zu bewahren, zumindest bis Montag. Es ist wichtig, dass nichts nach außen dringt.«
Während sie spricht, ruht Margaretas Blick auf dem Bild über Harriets Kopf.
»Die ersten vierundzwanzig Stunden sind absolut entscheidend. Der Täter ist fast immer jemand Nahestehendes, und wenn die Misshandlung im eigenen Heim stattfindet, handelt es sich in achtzig Prozent der Fälle um den Ehemann. Aber du hast sicher schon von diesen Dingen gelesen, genau wie alle anderen. Ich bin sehr daran interessiert, die Sache schnellstmöglich aufzuklären, sodass wir keine Einmischung von außen bekommen«, fährt Margareta fort. »Der diensthabende Staatsanwalt hat angeordnet, dass der Ehemann zum Verhör geholt werden soll, aber wir haben keine Ahnung, wo er steckt. Sie haben eine stille SMS an sein Handy geschickt, aber sie wurde nicht empfangen. Vermutlich ist es ausgeschaltet. Es würde mich nicht wundern, wenn er Panik bekommen und das Land verlassen hätte.«
Margareta öffnet eine Schreibtischschublade, nimmt einen Labello heraus und fährt sich damit über die Lippen.
»Wir werden ihn finden. Das tun wir immer«, sagt sie.
»Was wissen wir über das Opfer und ihren Ehemann?«, fragt Harriet vorsichtig.
»Die Frau ist dreiundfünfzig, sie arbeitet nicht. Ihr Mann ist zweiundsiebzig und seit 1982 Besitzer des Gutshofs. Sein Einkommen war im vorigen Jahr an die viereinhalb Millionen Kronen, ihres ist so gut wie nicht vorhanden. Er hat in Schweden Mittel von zirka hundertachtundzwanzig Millionen, und der Hof hat einen Schätzwert von fast fünfundsiebzig Millionen. Es gibt keine Kinder oder andere Angehörige.« Margareta hält inne und stellt den Labello auf den Schreibtisch. »Sehr angenehm, dann belästigen sie uns wenigstens nicht mit Anrufen.«
Auf Margaretas Schreibtisch stehen keine Fotos von Kindern oder Enkeln, und sie hat auch keinen Ehering am Finger, bemerkt Harriet.
»Der Mann wurde zweimal wegen Misshandlung seiner Ehefrau verurteilt. Der Staatsanwalt hätte ihn genauso gut in seiner Abwesenheit verhaften lassen können, wenn du mich fragst. Aber der diensthabende Staatsanwalt ist noch grün hinter den Ohren«, seufzt sie. »Lennart, der Kriminaltechniker, hat versprochen, uns den Tatort zu zeigen. Er ruft an, sobald sie mit den wichtigsten Dingen fertig sind. Ich habe verlangt, dass wir kommen dürfen, bevor die Öffentlichkeit davon erfährt. Danach wird es chaotisch.«
»Wo liegt der Hof?«, fragt Harriet.
»Ungefähr zehn Kilometer nördlich, nicht weit von der Küste entfernt. Am Rand eines Fischerdorfs namens Lerviken, falls du dich in diesem Teil des Landes auskennst.«
Der Kaffee bleibt ihr im Hals stecken, und Harriet muss husten.
»Die Küste hier wimmelt geradezu von schicken Fischerdörfern. Lerviken war früher ein Ort für ganz normale Menschen, inzwischen ist es der Luxuswohnort der Gegend.«
Das stimmt nicht, denkt Harriet, aber Margareta sieht so verächtlich aus, dass sie nichts sagt.
»Wie heißt das Opfer?«, bringt sie schließlich heraus.
»Laura Andersson. Verheiratet mit dem Finanzier Douglas Andersson. Er hat das Gut von einem Adelsgeschlecht gekauft, aber nie selbst dort Landwirtschaft betrieben. Die Ländereien sind verpachtet.«
Verdammt. Harriet weiß, wer die Anderssons sind. Alle in Lerviken wissen das. Sie hat sie seit vielen Jahren nicht mehr gesehen, aber sie erinnert sich aus der Zeit ihrer Kindheit an sie. Sie hatten ein großes blitzblank poliertes Auto, vielleicht einen Jaguar, das sie immer am kleinen Gästehafen parkten, wenn sie in ihren schneeweißen Bademänteln zum Strand spazierten, um ein morgendliches Bad zu nehmen. Im Dorf wurde viel über sie getratscht. Laura war wesentlich jünger als Douglas, hatte...
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