Schweitzer Fachinformationen
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»Denk daran«, begann Iain. »Es kann unmöglich schlimmer sein als das an der Middleton Avenue.«
Die neunundzwanzigjährige Harriet Cookson sog die kalte, feuchte Luft tief in die Lungen, rückte ihre rote Wollmütze zurecht und steckte ein paar blonde Strähnen darunter. Sie und ihr Freund Iain standen vor einem kleinen Reihenhaus, das sie bisher nur von Fotos kannten. Sie erinnerte sich noch an den grässlichen Kieselputz. Auf der Versteigerung hatten sie sich buchstäblich in allerletzter Sekunde für den Kauf entschieden. Das Haus lag in einer guten Gegend an einer von Bäumen gesäumten Straße und nur zwanzig Gehminuten vom Zentrum entfernt. Die nahe gelegenen Schulen waren von offizieller Seite als »gut« eingestuft worden. Achten mussten sie allerdings auf die Energieeffizienzklasse des Gebäudes. Harriet hoffte, dass die Nachtspeicheröfen funktionierten und die Fenster nicht erneuert werden mussten. Die Kosten dafür würden den Profit drastisch schmälern.
Harriet schloss die Augen, wie sie es immer tat, streckte die Hände aus und berührte die Hauswand. Es fühlte sich sogar hässlich an, aber das spielte keine Rolle. Immerhin war das nicht ihr neues Zuhause, und das würde es auch nie werden.
»Und jetzt . Tür auf!«, verkündete Iain so feierlich, als würde er ein Band durchtrennen und den Zugang zu einem Festplatz freigeben. Er legte Harriet die Hand aufs Kreuz und schob sie mit sanftem Druck vorwärts. Harriet sträubte sich ein wenig. Warum hatte es Iain so eilig? Er wusste doch, wie viel ihr dieser Augenblick bedeutete, vor allem dann, wenn sie ein Haus zum allerersten Mal betrat. Sie liebte dieses überwältigende Wie konnten wir nur so eine Bruchbude kaufen-Gefühl, in das sich sogleich ein aufgeregtes zweites mischte: Ich sehe alle Schönheitsreparaturen schon genau vor mir, und diese gelb gekachelte Arbeitsfläche ist das Erste, was dran glauben muss! Vorfreude erfüllte sie, als sie mit ihren Winterstiefeln auf den dünnen Teppichboden trat. Sie konnte sich von den Fotos genau daran erinnern. Die Grundfarbe war ein dunkles Orange mit so vielen Kringeln darin, dass einem schwindlig wurde vom bloßen Hingucken. Vielleicht ganz gut, dass sie die Augen noch geschlossen hatte. Ihr war sowieso schon ein bisschen schwummrig, weil sie nur ein paar Mince Pies zu Mittag gegessen und sich stattdessen durch ein Immobilienportal geklickt hatte. Dort war ihr ein kleines Cottage aufgefallen, das allerdings nicht so ganz in ihre Preisvorstellungen passte. Harriet war nicht sicher, ob die Gewinnspanne groß genug wäre, um Iains Interesse zu wecken. Aber es hatte definitiv Potenzial, und sie wusste, dass es ihr keine Ruhe lassen würde. Sie wurde immer ein bisschen hibbelig, wenn sie nicht genug Projekte an der Hand hatte. »Ohne Fleiß kein Preis«, sagte ihre Großmutter Lorna immer.
»Das Bad?«, fragte Iain. Eine Fingerspitze an ihrem Ellenbogen dirigierte er sie leicht nach links.
Harriet nickte. »Na klar!«
Das Bad kam immer als Erstes. Das gehörte zu ihrem Ritual. Weil das Bad meistens am schlimmsten aussah, begannen sie ihren Rundgang dort. Harriet, die Augen immer noch geschlossen, eine Hand auf dem Handlauf, stieg vorsichtig die Treppe hinauf. Iain ging dicht hinter ihr.
Sie erinnerte sich, dass das Bad in einem schaurigen Avocadogrün gehalten war. Als sie sich vor sechs Wochen, eine Stunde vor Versteigerungsbeginn, mit den Einzelheiten befasst hatte, war ihr aufgefallen, dass die auf Halbmast hängende Jalousie in Grün und Lila überwiegend aus Schimmel bestand. Es schien sich um einen halbherzigen Versuch des Eigentümers zu handeln, das Ganze ein wenig aufzupeppen, ehe alles wieder der Verwahrlosung überlassen worden war. Die Jalousie musste als Allererstes raus, bevor sich die Schimmelsporen weiter ausbreiteten. Einen verborgenen Schatz gab es im Bad allerdings auch, und das waren seine Fliesen. Sie sahen aus, als wären sie aus den gewaltigen Steinblöcken von Stonehenge gehauen worden. Der aktuelle Trend ging nicht zum absoluten Minimalismus in Weiß und nüchternen Formen, sondern hin zu farblichen Akzenten, »Love«- oder »Home«-Neonleuchten, künstlichen Pflanzen und Büchern, die kein Mensch je lesen würde. Harriet war gespannt, wie die Fliesen aussehen würden, wenn sie erst einmal gründlich geputzt worden wären. Normalerweise investierten sie in kleine Apartments oder Maisonettewohnungen für junge Berufstätige, aber bei diesem Haus mit seinen zwei Schlafzimmern und dem handtuchgroßen Garten auf der Rückseite hatte Harriet sofort an eine junge Familie gedacht.
»Fertig?«, fragte Iain. Harriet nickte. Sie wusste, dass sie jetzt vor dem putzigen, aber ausreichend großen Badezimmer standen. Ihre Anspannung wuchs. Sie konnte es kaum erwarten, einen Blick hineinzuwerfen, alles in sich aufzunehmen, voller Vorfreude auf die Verschönerungen, die sie durchführen würde. Nur wenn das Objekt jemandem gefiel, würde es sich für Iains und ihre Firma finanziell auszahlen.
»Achtung, los geht's!«
Sie riss die Augen auf, wie immer voller Sorge, weil sie fürchtete, dass sie sich mit dem Kauf vielleicht doch übernommen hätten. Doch dann haute es sie beinahe um.
Von Avocado keine Spur mehr. Stattdessen Badewanne, Waschtisch, Toilette in strahlendem Weiß, die Wasserhähne aus blitzendem Chrom. Die alte Jalousie war durch eine billige in Silbermetallic ersetzt worden. Statt der rustikalen Steinfliesen klebten jetzt die schlichten, glänzenden weißen an der Wand, die Iain bevorzugte. Harriet wusste nicht, was sie sagen sollte, deshalb sagte sie gar nichts. Sie stand da, blinzelte ein paarmal und fragte sich, ob sie wie Alice im Wunderland in das Kaninchenloch gefallen war.
»Du bist ja richtig geschockt!«, stellte Iain mit selbstgefälliger Miene fest. »Also wenn es dir wegen der paar kleinen Veränderungen schon die Sprache verschlägt, kann ich mir die Weihnachtsgeschenke dieses Jahr wohl sparen!«
Harriet wusste immer noch nicht, was sie sagen sollte. Wie war das möglich? Sie hatten die Schlüssel doch erst heute bekommen! Aber irgendjemand musste vorher schon Zugang zum Haus gehabt haben, anders waren die nagelneuen Sanitärinstallationen nicht zu erklären. Das gefiel ihr nicht. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Was sollte dieser Alleingang? Wieso hatte Iain das nicht mit ihr abgesprochen? Schön, dann würden sie eben jetzt darüber reden. Sie ging zu der Jalousie hinüber, die so billig war, dass nicht einmal sie sie für dieses Haus ausgesucht hätte, obwohl sie es doch schnellstmöglich wieder verkaufen würden. Sie legte einen Finger auf eine der Lamellen, die unter dem leichten Druck sofort nachgab. War sie womöglich wie diese Lamelle? Leicht manipulierbar? Manchmal überempfindlich? Zu nachgiebig? Sie schluckte und ärgerte sich, dass ihr Gehirn sie mit diesen Vergleichen überrumpelte.
»Wann hast du das alles denn gemacht, Iain?«, fragte Harriet und drehte sich zu ihm um. Hoffentlich würde er sie nicht anlügen. Obwohl sie seit zwei Jahren und fünf Monaten zusammen waren und sie seine Vorlieben und Abneigungen zu kennen glaubte, hatte sie manchmal den Eindruck, dass sie im Grunde kaum etwas über ihn wusste.
»Was?« Er vergrub seine Hände in den Manteltaschen und setzte ein Lächeln auf wie ein ungezogener Schuljunge, der versucht, seinen Charme spielen zu lassen. »Gefällt es dir nicht?« Er legte sich in gespielter Bestürzung eine Hand auf die Brust. »Erzähl mir bloß nicht, dass du dieses komische Grün gemocht hast! Das hat doch ausgesehen wie . wie einer dieser grässlichen Drinks, die dein Dad in Spanien für uns gemixt hat und die einem das Hirn durchpusten.«
Schön, gelogen hatte er nicht, aber er wich ihr aus.
»Wann hast du das alles gemacht?«, fragte sie noch einmal. »Ich dachte, du hättest die Schlüssel heute erst bekommen.«
Iain lachte und wollte ihr die Hände auf die Schultern legen, ließ sie dann aber wieder sinken. »Freust du dich nicht über meine Überraschung?«
Früher hatte sie Überraschungen geliebt, aber das Leben hatte sie gelehrt, dass sie nicht immer nur schön waren. Manche brachen einem das Herz. Und heute war jede Abweichung von der Routine imstande, sie aus der Bahn zu werfen. Außerdem war Iain normalerweise nicht der Typ für Überraschungen. Jedenfalls nicht mehr seit der Geschichte mit den vegetarischen Quorn-Topinambur-Spießen, die sie sich hatten liefern lassen. Da hatten sie mehr gebetet als gegessen.
»Iain«, sagte Harriet seufzend. Das Ganze fühlte sich einfach falsch an. Jede Freude an dem Rundgang war ihr verdorben. Hatte er noch mehr Räume renoviert? Vielleicht schon eine neue Küche eingebaut? Warum wurmte sie das so? Das sollte schließlich kein Zuhause für sie beide werden, das war einfach nur ein Haus. Sie war doch sonst nicht so empfindlich. Warum also jetzt?
»Was?« Iain senkte den Kopf ein bisschen, damit er ihr ins Gesicht blicken konnte. »Freust du dich nicht?«, fragte er zum zweiten Mal. »Ich dachte, jetzt wo Weihnachten vor der Tür steht, wäre es sinnvoll, schon mal anzufangen. Oder willst du über die Feiertage in Dreck und Staub wühlen?«
Warum denn nicht? Sie konnte es nicht ausstehen, dass über die Festtage alle in den Ruhemodus schalteten. Sicher, sie freute sich auf all das köstliche Essen in der Weihnachtszeit, aber abgesehen davon war sie froh, wenn der Jahreswechsel und mit ihm neue Projekte anstanden.
Iain wartete nicht auf eine Antwort. Er legte seine Arme um sie, zog sie an sich, bis ihr Gesicht in seinen Tweedmantel gedrückt wurde, und tätschelte ihr den Rücken. Zu größeren...
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