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Eines der großen unerklärten Wunder der Menschheitsgeschichte besteht darin, dass die geschriebene Philosophie in verschiedenen Teilen der Welt mehr oder weniger gleichzeitig und völlig unabhängig voneinander entstanden ist. Die frühen Upanishaden, die von unbekannter Hand verfassten Grundlagentexte der indischen Philosophie, wurden zwischen dem achten und sechsten Jahrhundert v. Chr. verfasst. Konfuzius, der erste große chinesische Philosoph, wurde im Jahr 551 v. Chr. geboren, und Thales von Milet, der erste bedeutende griechische Vorsokratiker, um das Jahr 624 v. Chr. herum. Das traditionell angenommene Geburtsdatum des Buddha verortet auch ihn im sechsten vorchristlichen Jahrhundert, wobei Expertinnen und Experten heute eher der Auffassung sind, dass er wahrscheinlich nicht vor dem Jahr 480 geboren wurde, also etwa um dieselbe Zeit wie Sokrates.
Diese frühen Philosophien hatten nachhaltigen Einfluss auf die Entstehung unterschiedlicher Kulturen auf der ganzen Welt. Ihre Werte und Lehren haben geprägt, wie Menschen ihre religiöse Verehrung zum Ausdruck bringen, wie sie leben und wie sie über die uns alle betreffenden großen Fragen nachdenken. Zwar bringen die meisten Leute die von ihnen verinnerlichten philosophischen Überzeugungen nicht bewusst zum Ausdruck (vielmehr sind sie sich oft nicht einmal darüber im Klaren, dass sie welche haben), doch Annahmen über das Wesen des Selbst, über Ethik, die Quellen des Wissens und den Sinn des Lebens sind dennoch tief in unsere Kulturen eingelassen und prägen unser Denken, ohne dass wir uns ihrer bewusst wären. Belege für ihren Einfluss finden sich sogar in der Struktur der bedeutendsten Monumente auf der Welt, die wie lebendige Bücher gelesen werden können - als Ausdruck der Philosophien der Menschen, die sie errichtet haben. So ist die Verbotene Stadt in Peking nach konfuzianischen Prinzipien konstruiert worden und die Alhambra in Granada vom islamischen Denken durchzogen; selbst noch die Cafés auf der Rive Gauche von Paris stehen für die existentialistische Vision von der Philosophie als persönliches, alltägliches Unterfangen.
Der Prozess der kulturellen Absorption philosophischer Weltsichten wird manchmal sédimentation genannt. «In allem, was ich je meine Vernunft oder meine Idee nenne, fände man stets, könnte man alles darin Vorausgesetzte entfalten, unexpliziert gebliebene Erfahrungen, massive Beiträge der Vergangenheit wie der Gegenwart, eine ganze , die nicht allein die Genesis meines Denkens betrifft, sondern auch dessen Sinn bestimmt», wie der französische Philosoph Merleau-Ponty im letzten Jahrhundert schrieb.[1] So wie ein Flussbett Ablagerungen aus dem bildet, was durch es hindurchfließt, so «sedimentieren» sich auch Werte und Überzeugungen im Geist der Menschen, die in jene Kulturen hineingeboren werden. Daher können wir diese Ablagerungen auch irrtümlich für ein unveränderliches Flussbett halten. Durch diese Kanäle im Geist strömen unsere Gedanken und Erfahrungen, ohne zu bemerken, wie sie dabei gelenkt und gesteuert werden. Der besondere Wert einer vergleichenden Philosophie besteht darin, dass wir auch unsere eigenen Hintergrundüberzeugungen in den Vordergrund treten lassen, wenn wir die unterschiedlich gearteten Grundüberzeugungen anderer - sozusagen ihre philosophischen Sedimente- explizit machen.
Trotz all der Vielfalt und des Reichtums der philosophischen Traditionen auf der Welt wird die westliche Philosophie - die ich seit über 30 Jahren studiert habe und die ausschließlich auf kanonischen westlichen Texten fußt - als universale Philosophie dargestellt: als die ultimative Untersuchung menschlichen Verstehens. «Vergleichende Philosophie», also die Forschung in zwei oder mehreren philosophischen Traditionen, wird hingegen nahezu vollständig jenen überlassen, die auf den Feldern der Anthropologie oder der Kulturwissenschaften tätig sind. Dieses mangelnde Interesse speist sich aus der Auffassung, dass uns die vergleichende Philosophie zwar die intellektuellen Kulturen Indiens, Chinas oder der islamischen Welt verstehen helfe, aber nichts zum Verständnis des menschlichen Daseins selbst beitrage könne.
Tatsächlich ist die westliche Philosophie derartig parochial, dass man sie als balkanisiert bezeichnen kann. Als ich in Manchester lebte, habe ich philosophische Oberseminare in Gebäuden besucht, die kaum eine halbe Meile voneinander entfernt auf gegenüberliegenden Straßenseiten lagen. Da eines der Institute jedoch auf kontinentale europäische und das andere auf die englischsprachige Philosophie spezialisiert war, war ich fast der Einzige, der die Straße zwischen beiden überquerte, obwohl beide ein gemeinsames Erbe von Descartes und Spinoza bis zu den alten Griechen für sich beanspruchen.
Dieser Umstand wurde mir allmählich etwas unangenehm. Bis vor wenigen Jahren wusste ich praktisch nichts über irgendeine andere Philosophie als die westliche - eine Tradition, die sich vom antiken Griechenland bis zu den bedeutenden Universitäten in Europa und Amerika erstreckt. Wenn ich mir meine Promotionsurkunde oder die Namen der philosophischen Institute ansehe, an denen ich studiert habe, dann steht da allerdings immer nur ein einziges, nicht weiter spezifiziertes Wort: Philosophie.
In letzter Zeit (und mit einiger Verspätung) habe ich die großen klassischen Philosophien aus dem Rest der Welt entdeckt und bin von Kontinent zu Kontinent gereist, um sie aus erster Hand kennenzulernen. Dies war die lohnendste intellektuelle Reise meines Lebens. Ich habe erkannt, dass ein genaueres Verständnis der philosophischen Traditionen einer Kultur auch bedeutet, jene Kultur selbst besser zu verstehen. Um eine Analogie des simbabwischen Philosophen Joram Tarusarira zu bemühen: Das philosophische Grundgerüst einer Bevölkerung zu verstehen, ist wie die Software zu verstehen, mit der ihr Denken arbeitet. «Kennt man ihre Software nicht, dann wird bei der Verständigung im Dialog immer diese Lücke sein», wie Tarusarira sagt. Solche Lücken erklären beispielsweise, warum so viele Entwicklungshilfeprojekte in Afrika gescheitert sind. «Wenn man diese Hilfe wirksam gestalten will, dann muss man sich mit den Menschen beschäftigen; wenn man Nachhaltigkeit will, dann muss man sich ebenfalls mit den Menschen beschäftigen. Viele Projekte waren allerdings unnütz, und zwar im Grunde deshalb, weil diejenigen, die sie initiiert haben, keinen Begriff von der Philosophie und Religion der Menschen vor Ort hatten.»
Die Software-Analogie ist zwar anschaulich, doch das Verhältnis von klassischen philosophischen Texten zur «Alltagsphilosophie» eines Volkes ist ohne Zweifel nicht so einfach zu bestimmen. Ideen, die von den Gelehrten entwickelt und genau analysiert werden, haben zwar durchaus ihre Entsprechungen in der allgemeinen Kultur, jedoch in simplerer, vagerer und breiterer Form. So proklamieren die meisten Amerikaner und Europäer den Wert der persönlichen und politischen individuellen Freiheit, ohne dass sie eingehendere Kenntnisse davon haben, wie diese Konzepte von ihren Philosophen begründet und erklärt worden sind. Millionen Inder führen ihr Leben gemäß den Prinzipien des Karma, ohne tiefergehende Kenntnisse der reichhaltigen und komplexen Literatur zu haben, die beschreibt, was das überhaupt heißt. Und der durchschnittliche Chinese beteuert die Bedeutung der Harmonie, obwohl er über kaum mehr als flüchtige Kenntnisse von den konfuzianischen und daoistischen Texten verfügt, die sie analysieren und darstellen. Dennoch besteht eine Beziehung zwischen anspruchsvoller Gelehrsamkeit und dem Alltagsleben - was dafür sorgt, dass Harmonie, Freiheit und Karma sehr unterschiedliche Rollen in verschiedenen Teilen der Welt spielen.
Selbst wenn wir die denkbar skeptischste Position einnehmen, dass nämlich die populären Versionen dieser philosophischen Konzepte bis zur Unkenntlichkeit verwässert und verfälscht sind, so ist es immer noch wichtig, dass wir begreifen, wie diese Begriffe den rhetorischen Raum erzeugen, in dem Kulturen denken, erklären und rechtfertigen. Wenn ein amerikanischer Politiker in seinen Ansprachen die Freiheit rühmt, dann tut er dies, weil die Kultur verlangt, dass der Wert der Freiheit hochgehalten wird - so wie es in China die Harmonie ist, die verteidigt werden muss. Was an den Philosophien der Welt markant erscheint, ist es tendenziell auch an den...
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