Schweitzer Fachinformationen
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An einem Januarmorgen, noch bevor die Sonne aus ihrem Schlaf erwacht war, hallte ein lauter Knall, gleich einem explodierenden Feuerwerkskörper, durch Warrington House, der mich aus dem Schlaf riss. Aufgeregt schlüpfte ich in meine Pantoffeln, zog den Morgenrock über und trat vor mein Zimmer auf den Gang. Dort empfingen mich helle Beleuchtung sowie Cummings, unser Butler, und Josef, ein Diener. Wir alle dachten ein Tunichtgut hätte diesen Krawall verursacht, um uns zu erschrecken. Was ihm zweifelsohne gelungen war.
Der schrille Schrei von Bessie, dem Küchenmädchen, ließ uns zusammenfahren und in mir eine böse Vorahnung wachsen. Mit hämmerndem Herzen rannte ich hinter Cummings die Treppen hinunter in die Richtung aus welcher der Schrei gekommen war. Wir fanden das Mädchen völlig hysterisch vor dem Büro meines Vaters. Cummings wollte mich davon abhalten hineinzugehen, aber er schaffte es nicht. Der Anblick, der mich erwartete, ließ mir das Blut in den Adern gefrieren. Meines Vaters Kopf lag auf dem Schreibtisch, als wäre er über einer Abrechnung eingenickt. Doch das Loch in der Stirn, aus dem Blut über sein fahles Gesicht rann und sich in einer rotglänzenden Pfütze auf der Tischplatte sammelte, sowie die weitaufgerissenen leeren Augen widersprachen dem friedlichen Bild eines Schlafenden. Die Pistole, mit der er seinem Leben ein Ende gesetzt hatte, lag neben ihm auf dem Boden und auf dem Schreibtisch das Medaillon, in dem er stets eine Locke von mir bei sich trug. Bessie war gerade dabei gewesen, wie jeden Morgen im Erdgeschoss beginnend, die Kamine zu säubern sowie neue Feuer zu entfachen, und hatte ihn daher nach dem Schuss als erste erreicht. Wäre das Mädchen mit dem Kamin im Salon nur eine Minute früher fertig gewesen und hätte sich anschließend, wie sie es immer tat, den Kamin im Arbeitszimmer vorgenommen, wäre sie unfreiwillige Zeugin des Freitodes meines Vaters geworden.
Noch heute, drei Wochen nach diesem schrecklichen Ereignis, träumte das arme Kind von den leeren Augen meines Vaters, die sie leblos angestarrt hatten. Ich hingegen konnte nichts empfinden. Warum sollte ich Mitgefühl für jemanden hegen, der sich feige aus dem Leben gestohlen und mich allein gelassen hatte?
Nein, ich belog mich selbst, dass ich nichts zu fühlen vermochte, entsprach keinesfalls der Wahrheit, ich verspürte doch etwas. Tief in mir kochte ohnmächtige Wut, ihn für immer verloren zu haben. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, starrte die Frau im Spiegel an, die ein schlichtes schwarzes Kleid trug, das sie noch blasser wirken ließ, als ihr Teint schon von Natur aus war. Einst gab mir mein Vater das Versprechen, mich niemals zu verlassen und doch hatte er es gebrochen. Ein Umstand, den ich ihm nur schwerlich verzeihen konnte. Auch wenn ich wusste, dass es dem Allmächtigen nicht gefiel, wenn die Lebenden den Toten etwas nachtrugen.
»Warum nur hast du das getan? Du selbst hast gesagt, dass es aus jeder noch so hoffnungslosen Situation einen Ausweg geben würde. Du hast mich Zuversicht gelehrt. Wie konntest du nur?«, flüsterte ich.
»Haben Sie etwas gesagt, Lady Eleonore?«, rissen mich Annes Worte aus meinen finsteren Gedanken. Auf meinen Wangen spürte ich feuchtwarme Tränen. Schmerz, den ich unter meinem Zorn zu begraben versuchte, fraß sich wie eine fette Raupe durch meine Eingeweide. Ich wollte diesen unsäglichen Schmerz nicht fühlen, wandte mein Gesicht vom Spiegel ab und blickte zu Anne. Auch meine Zofe trug schwarz. Bei ihr war es jedoch die übliche Kleidung. Sie strich meinen Rock glatt, die Seide raschelte unter ihren Fingern. Bald würde ich mich von seidener Kleidung verabschieden müssen. Nicht, dass mich das Tragen einfacherer Kleidung über die Maßen erschreckte oder die Tatsache mein luxuriöses Leben aufgeben zu müssen. Dies alles war nur mehr Schein als Sein gewesen, wie ich nach dem Tod meines Vaters erfahren hatte. Aber es bedrückte mich sehr, dass ich mich auch von allen liebgewonnen Bediensteten verabschieden musste und der Gedanke dieses Haus, das ich bis heute mein Heim genannt hatte, für immer zu verlieren, schmerzte unendlich. Ich konnte bei diesem Gedanken kaum atmen. Cummings, der Butler, unsere Hausdame Mrs Smith und die Köchin Mrs Ross waren meine Familie, sie hatten mein Aufwachsen in diesem Haus erlebt.
»Wie lange stehen Sie nun schon in unseren Diensten?«, fragte ich Anne ruhig, obwohl ich am liebsten wie ein Kind laut gezetert und geweint hätte. Doch ich besann mich meiner Erziehung. Es war eine Unart, vor anderen seinen Tränen ungehemmt freien Lauf zu lassen und sie damit in Verlegenheit zu bringen. Für eine Frau aus gehobenen Kreisen galt es immer, Haltung zu bewahren.
»Ungefähr zehn Jahre, Lady Eleonore. Ich kam als einfaches Hausmädchen hierher und seit Ihrem achtzehnten Geburtstag darf ich mich Ihre Kammerzofe nennen, das ist jetzt sechs Jahre her. Dafür bin ich Ihnen und Ihrem Vater sehr dankbar«, erwiderte Anne. Ich reckte ihr meine Hände entgegen, über die sie schwarze Handschuhe streifte.
»Ich habe Ihnen ein hervorragendes Zeugnis ausgestellt, damit finden Sie sicherlich eine gute Anstellung«, sagte ich. Anne nahm ein seidenes Taschentuch vom kleinen Toilettentischchen, das reichverziert an Intarsien und sehr wertvoll war. Nicht einmal ein Möbelstück würde mir bleiben. Vorsichtig tupfte Anne meine Tränen von der Wange.
»Ich werde keinesfalls gehen«, widersprach sie.
»Aber ich kann Sie nicht mehr bezahlen?«
»Ich hab ein bisschen gespart, um eine Weile über die Runden zu kommen. Niemals werde ich Sie in der Welt da draußen allein lassen. Wir werden zusammen eine Anstellung finden. Sie als Gouvernante und ich als Hausmädchen oder Zofe.« Entschlossen hob mir Anne das Kinn entgegen, betrachtete mich mit ihren warmen braunen Augen. Soviel Loyalität erfüllte mein Herz mit Hoffnung, ich nahm ihre Hände in meine.
»Das kann ich nicht von Ihnen verlangen.«
»Ich möchte das tun.« Anne drückte meine Finger.
»Dann wollen wir das Unvermeidliche nicht länger herausschieben«, sagte ich und hoffte meine Stimme klang so entschlossen, wie beabsichtigt.
»Einen Moment noch.« Sie befestigte eine Strähne, die sich aus meiner Hochsteckfrisur gelöst hatte, mittels einer Haarnadel, so dass sie sich wieder akkurat zwischen den anderen einreihte.
»Jetzt sind Sie soweit«, meinte sie. Ich nickte, ging zu der Kommode, um die Schmuckschatulle an mich zu nehmen.
»Bitte folgen Sie mir mit den Zeugnissen«, trug ich Anne auf.
»Natürlich.« Sie ergriff das Bündel zusammengefalteter Schreiben, nur das an sie gerichtete ließ sie liegen.
Nun stand mir ein schwerer Gang bevor, beinahe so schwer, wie das Geleit meines Vaters zu seiner letzten Ruhestätte. Nervös strich ich über meinen Bauch, spürte das Mieder darunter, es kam mir so eng vor. Ich atmete tief durch und ging zur Tür. Langsam schritt ich die Treppen hinunter, Anne war hinter mir. Ihre Nähe und das Wissen, dass sie an meiner Seite bleiben wollte, machte mir die Aufgabe, die ich gleich zu tun hatte, etwas leichter. Vor zwei Wochen hatte Mister Spauldings, der Anwalt meines Vaters und nun Verwalter meiner Belange, dem Personal die Kündigung ausgesprochen, damit die Bediensteten ihre Angelegenheiten regeln konnten. Nun war der Tag gekommen, an dem sie mich verlassen würden.
In der Halle am Fuße der Treppe erwarteten mich alle von der Hausdame bis zum Küchenmädchen. Cummings hatte sie in einer Reihe aufstellen lassen als stünden sie Spalier, um einen hochrangingen Gast zu empfangen. Eine Ehre, die mir nicht gebührte, denn ich stand jetzt eigentlich unter ihnen. Jeder von diesen Menschen hatte seine Aufgabe, war in der Lage selbst dafür zu sorgen, dass Brot auf den Tisch kam. Ich hingegen war ohne jegliche sinnvolle Ausbildung, hatte nur gelernt, mich in adligen Kreisen zu bewegen, zu singen und Klavier zu spielen. Zudem sprach ich Französisch und war in der Lage mit einem Mann eine anspruchsvolle Konversation zu führen, falls er es von mir wünschte. Alles Dinge, die eine Dame von Rang als ihr Tagwerk bezeichnen würde, doch nun erkannte ich die verschwendete Zeit darin. Wenn ich wenigsten kochen könnte oder nähen. Ein leises Seufzen entkam mir, als ich die letzte Treppenstufe hinter mich brachte. Die wartenden Menschen sahen mich aufmerksam an. Ich trat zu unserem Butler, der das Spalier anführte. Wie immer wartete er mit stoischer Miene auf das Kommende, doch in seinen wasserblauen Augen sah ich Schmerz. Über fünfundzwanzig Jahre hatte er diesem Haus gedient, länger als ich lebte. Er war wie ein zweiter Vater für mich gewesen, hatte stets mein Wohlergehen im Sinn gehabt, wenn mein eigener Vater auf Reisen gewesen war. Mein Gegenüber zog die graumelierten Brauen nachdenklich zusammen. Er hätte gerne etwas gesagt, das sah ich ihm an, doch er wartete bis ich das Wort an ihn richtete.
»Mister Cummings, Sie waren...
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