Schweitzer Fachinformationen
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Wollen Sie in einer Demokratie leben, die diesen Namen verdient, mit gleichen Chancen auf ein selbstbestimmtes Leben, neben- und miteinander? Dann spielen Verfassungsgerichte für Sie eine wichtige Rolle. Wollen Sie in einem Land leben, in dem Sie weder von irgendwelchen vermeintlich Stärkeren oder Schlaueren, weder von großen Unternehmen noch von gewählten Mehrheiten völlig übergangen werden dürfen? Dann sind Verfassungsgerichte für Sie wichtig. Wollen Sie einen Staat, in dem es eine unabhängige Institution gibt, die auch dann, wenn es kontrovers wird, sorgfältig darauf achtet, möglichst alle und alles zu hören, und dann im Konsens klärt, was geht? Und sind Ihnen Urteile gegen Vorurteile wichtig? Dann geht Sie das Verfassungsgericht etwas an.
Ein Verfassungsgericht garantiert das alles natürlich nicht. Aber es ist ein wichtiger Baustein der Demokratie: Es schützt davor, dass niemand unter die Räder kommt. Klar: Da entscheiden nur wenige Menschen sehr viel. Klar auch: Auf diese Personen kommt es an; deshalb sind die Wahlen in dieses Amt speziell geregelt und politisch so wichtig wie heikel. Was ist da entscheidend? Es braucht eine Haltung zu so einem hohen Amt, denn das ist nicht nur fordernd, weil viel Arbeit, sondern auch eine Herausforderung. Aber es kann funktionieren.
Dahinter steckt eine alte, weltweit anerkannte Idee, und dafür gibt es ein ausgeklügeltes Konzept: Das Bundesverfassungsgericht zieht die roten Linien, die nach dem Grundgesetz in Deutschland nicht überschritten werden dürfen. Das Gericht funktioniert also bestenfalls wie ein Sicherheitsgurt; es schnürt nicht ein, blockiert aber im Notfall und verhindert schwere Verletzungen. So lässt ein Verfassungsgericht jenen, denen Sie als Bürgerinnen und Bürger Ihre Stimme geben, möglichst viel Spielraum, setzt aber auch Grenzen, wenn Grundrechte und die Regeln der Demokratie verletzt werden. Die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts ist es also, die Demokratie zu schützen; die Richterinnen und Richter sind »Democracy's Guardians«, so hat der Amerikaner Justin Collings sein Buch über »Karlsruhe« genannt. Nicht einschnüren, aber notfalls blockieren. Fordernd, auch eine Herausforderung. Das ist das Bundesverfassungsgericht.
Oder wie im Sport: Verfassungsgerichte sind die Unparteiischen. Damit auf dem Feld fair gespielt wird, braucht es ja nicht nur Regeln, sondern auch Leute, die sie durchsetzen. Wenn es auf dem Platz hoch hergeht, entscheiden die Unparteiischen, wie weitergespielt wird. In einer Gesellschaft, die sich streitet, entscheiden Verfassungsgerichte, wie weiter gestritten werden darf und was dann »außer Streit steht«, als gemeinsames Fundament. Verfassungsgerichte verteilen dabei zwar keine gelben und roten Karten, aber sie sprechen durchaus Machtworte, klären neue komplizierte Fragen oder winken mit dem juristischen Zaunpfahl, stellen sich dem Unrecht entgegen, der Ungerechtigkeit, den zu weitgehenden Einschränkungen der Freiheit, der Benachteiligung, jeder Verletzung dessen, was Demokratie ausmacht. Im Sport gibt es dafür Regeln; in Deutschland steht das im Grundgesetz. Was daraus folgt, muss notfalls das Bundesverfassungsgericht entscheiden.
Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist ziemlich bekannt, in Deutschland und auch in London oder Paris, in Brüssel bei der EU oder in New York bei den Vereinten Nationen, in Delhi oder Johannesburg. Wie es wirklich arbeitet, wissen allerdings nur wenige. Schon deshalb lohnt sich ein Blick hinter die Kulissen. Da zeigt sich außerdem, was heute so wichtig wie selten ist: Hier zählt nicht die Uneinigkeit, sondern die Einigkeit, hier wird auch zu großen Kontroversen der Konsens gesucht, hier streiten bewusst verschiedene Menschen miteinander, ohne zu spalten. Das wäre auch sonst schön: Wenn nicht der Streit im Vordergrund stünde, sondern die Einigung, wenn nicht nur betont würde, was uns trennt, sondern mehr, was wir gemeinsam haben und wollen. Auch darauf kommt es jedenfalls an, wenn wir fair miteinander spielen wollen. Die Praxis des Bundesverfassungsgerichts ist natürlich nicht unfehlbar, aber sie zeigt vielleicht auch, wie das gehen kann.
Es ist ja nicht zu übersehen, dass gerade ziemlich viel gestritten wird - und heftig. Klima, Migration und Sicherheit, der Sozialstaat, Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, politische Parteien und Demokratie. Um diese Kontroversen geht es auch hier. Das Bundesverfassungsgericht befasst sich zwar mit noch viel mehr, aber gerade da zeigt sich, welche Herausforderungen lauern und wie das Gericht mit ihnen umgeht. Vor allem wird deutlich, was das Gericht ausmacht: alles beachten, was dazugehört, gründlich klären, was man zunächst sehr unterschiedlich sieht, gemeinsam entscheiden, also Beschlüsse fassen und Urteile fällen, schon juristisch ziemlich komplizierte Fragen beantworten, die noch dazu häufig über Deutschland hinausreichen, zur Begründung überzeugende Argumente finden und letztlich auch kluge Vorgaben machen, die möglichst lange halten.
Dabei werden die Herausforderungen nicht kleiner. Auch das Bundesverfassungsgericht muss mit der »Wahrheitskrise« umgehen, denn immer öfter ist schon umstritten, was eigentlich im Streit steht, also von welchen Tatsachen, von welchen Fakten auszugehen ist. Außerdem ist auch das Gericht mit Wut konfrontiert, manchmal sogar mit Hass. Wie lässt sich streiten, ohne den Respekt voreinander zu verlieren, wie etwas klären und auch erklären, was zwar nicht alle begeistert, womit aber alle leben können? Im Bundesverfassungsgericht muss das gelingen. Ich beschreibe zuerst die Idee, dann geht es um die Menschen, die da tätig sind, und um die Praxis, wie also tatsächlich gearbeitet wird; im zweiten Teil stehen die großen Kontroversen im Vordergrund.
Wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen, liegt natürlich zuerst in unserer eigenen Verantwortung. Wir entscheiden selbst, ob in der Familie, im Freundeskreis, im Verein, in der Schule oder im Betrieb, was wir tun oder lassen. Für die Gesellschaft übertragen wir diese Verantwortung in Wahlen »der Politik«, also auf Parteien und Abgeordnete im Parlament und auf die Regierung. Außerdem engagieren sich viele Menschen in Vereinen oder auf Demonstrationen oder mit der eigenen Meinung in traditionellen oder sozialen Medien, mischen sich also auf diese Art politisch ein, in die allgemeinen, die öffentlichen Belange. Und das ist gut so. Deshalb ist all das in der deutschen Verfassung, dem Grundgesetz, geschützt - für eine lebendige Demokratie. Und ein Verfassungsgericht entscheidet, damit sie auch im Streitfall funktioniert. In den Bundesländern sind das die Landesverfassungsgerichte, für ganz Deutschland das Bundesverfassungsgericht, kurz »Karlsruhe« mit den Acht - oder Sechzehn - in den roten Roben. Das ist hier das Thema.
Das Bundesverfassungsgericht ist bemerkenswert, im wahrsten Sinne des Wortes wert, bemerkt zu werden, historisch und politisch und international, und auch von Ihnen: Es entscheidet über Ihr Leben. Schon deshalb haben Sie das gute Recht, mehr zu erfahren. Wie arbeitet es? Wer sitzt da in den roten Roben - und wer sitzt da sonst noch? Wie ist der Arbeitsalltag, was ist gefordert in so einem Amt, wie gehen die Richterinnen und Richter damit um? Was macht das Gericht, wenn öffentlich heftig gestritten wird, wie reagiert es auf hohe Erwartungen, auf Druck und Kritik? Bislang hat das Bundesverfassungsgericht einen ziemlich guten Ruf, in Umfragen genießt es viel Vertrauen. Aber gibt es auch ein »Zuviel des Guten«, geht das Gericht also manchmal zu weit, beim Klima oder dem Datenschutz? Oder tut es zu wenig, wie in der Coronapandemie oder für die soziale Gerechtigkeit? Warum kommen einige Themen immer wieder vor das Gericht? Und inwiefern hat es »das letzte Wort« auch in Europa, wo es doch ebenfalls einen Gerichtshof gibt, und in der Welt mit Menschenrechtsgerichten?
Solche Fragen treiben viele Menschen um. Sie sind mir im Laufe meiner zwölf Jahre als Richterin des Bundesverfassungsgerichts oft gestellt worden, nach Vorträgen und in Gesprächen an Schulen, mit Studierenden und bei privaten Begegnungen, und sie beschäftigen die Richterinnen und Richter auch selbst. In der Arbeit an den Fällen wird das dann ganz konkret. Aber auch als Richterin musste ich zuerst für mich klären: Was rechtfertigt das Vertrauen in dieses Gericht? Welche Idee steckt dahinter? Welche Haltung ist hier gefragt, wie viel Öffentlichkeit tut dem Gericht gut, auch jenseits der Entscheidungen, und was bedeutet es, mit so unterschiedlichen Menschen so eng zusammenzuarbeiten? Wie läuft das in der Praxis? Das finden Sie im ersten Teil.
Ich war zwölf Jahre lang Richterin in diesem Karlsruhe, bekleidete zwölf Jahre dieses hohe Amt im Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts. Für mich war das eine große Ehre mit sehr viel Verantwortung, und um ehrlich zu sein: Es war auch sehr viel Arbeit. Zwölf Jahre Akten, Voten, Beratungen, Beschlüsse und Urteile, die Arbeitstreffen im In- und Ausland, Vorträge und Gespräche und eben auch Streit, vor allem in den großen Kontroversen. Was Sie hier finden, stützt sich auf diese Erfahrung.
Über die Zeit davor und danach und auch über diese zwölf Jahre würden andere vermutlich anderes erzählen. So ist das Bundesverfassungsgericht ein Zwillingsgericht, in dem zwei Senate Recht sprechen; »mein« Erster Senat ist für die meisten Grundrechte zuständig. Da sind die Bürgerinnen und Bürger zentral, denn sie bringen die Fälle vor Gericht, in denen ich dann mitentscheiden durfte. Diese Fälle sind mir natürlich vertrauter als die...
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