Ibn Ammar packte sein Schreibgerät zusammen, die Papierrolle, die Schilfmatte. Er ließ sich Zeit, viel Zeit. Und ärgerte sich selbst über dieses schäbige Beispiel kleinlicher Rache.
Sie liefen schweigend nebeneinander her. Als sie auf den weiten Platz hinauskamen, der die Moschee vom Bazar-Viertel trennte, war plötzlich von der Straße her, die zum Valencia-Tor führte, der Schlag einer einzelnen Trommel zu hören und ein scharf klatschender Laut, der einen seltsam gleichmäßigen, langsamen Takt dazu schlug. Die Trommel verstummte, und eine schreiende Ausruferstimme setzte ein, so schrill, daß sie nicht zu verstehen war.
Der Sabi war langsamer geworden, und Ibn Ammar sah, daß er angestrengt zu jener Ecke des Platzes hinüberspähte, wo die Straße einmündete. Zwei Lanzenreiter, die die Farben der Palastwache des Qa'id trugen, bogen auf den Platz ein. Dahinter kam der Trommler, gefolgt von einem hohen, zweirädrigen Eselkarren. Auf dem Karren stand ein Mann, der ihnen den Rücken zuwandte. Er war mit ausgespannten Armen zwischen zwei Pfosten gebunden. Ihm gegenüber stand ein großer Neger mit nacktem Oberkörper, auf dem Kopf eine gelbe Lederkappe, an den Händen gelbe Lederhandschuhe. Von ihm kam das klatschende Geräusch. Er schlug dem Gefesselten ins Gesicht, weitausholend, unerbittlich, rechts und links und rechts und links mit schauerlicher Regelmäßigkeit.
Der Zug nahm den Weg zum al-Qasr, kam genau auf sie zu. Wieder setzte die Trommel aus, und wieder ließ sich die schreiende Stimme vernehmen, und jetzt sahen sie auch den Mann, der schrie, und konnten ihn verstehen. Ein kleiner, dicker Mann mit kahlgeschorenem Schädel und aufgerissenem Gewand, kein Ausrufer, sondern wahrscheinlich ein Diener des Gefesselten, der sich seine Freiheit damit erkaufte, daß er seinen Herrn auf dem Weg zur Hinrichtung verfluchte.
Er schrie: »Seht her? Seht diesen Verfluchten, den Gott in die tiefste Verdammnis stürzen soll! Seht ihn euch an, Abu Musa Ibn Abdallah, den streunenden Hund und Sohn eines streunenden Hundes. In einem lodernden Feuer soll er brennen, wie Abu Lahab, und seine eigene Frau soll das Feuer schüren! Seht her! So ergeht es allen, die unseren Herrn verraten, den erhabenen Qa'id Abu Bakr Ahmad Ibn Tahir, den Großmütigen, den Gott uns erhalten möge!«
Der Sabi hatte abrupt angehalten, als der Name des Verurteilten gefallen war. Er stand starr mit geballten Fäusten, sein Gesicht war fahl geworden unter der Wetterbräune.
Der Zug näherte sich rasch. Leute kamen über den Platz gelaufen, bildeten eine Gasse. Ein paar Halbwüchsige liefen johlend neben dem Karren her, bewarfen den Gefesselten mit Pferdemist.
Auch Ibn Ammar erinnerte sich jetzt an den Mann. Seit einer Woche wurde in der Stadt hinter vorgehaltener Hand über ihn gesprochen, viele Gerüchte gingen um. Er war vor einigen Jahren völlig mittellos nach Murcia gekommen, aus dem Osten, wie es hieß, ein Mann aus altem arabischen Adel vom Stamm der Quraysh, nach anderen Aussagen ein Abenteurer von zweifelhafter Herkunft. Er hatte überraschend schnell das Vertrauen des Qa'id gewonnen, war jahrelang sein Günstling gewesen, hatte eine einflußreiche Stellung am Hof innegehabt, war zuletzt, kaum dreißig Jahre alt, mit einer Burg belehnt worden und mit großen Ländereien im Süden an der Grenze zu Almeria. Vor einem Jahr, so wurde behauptet, hatte er versucht, sich dem Fürsten von Almeria anzudienen. Der Fürst war zum Schein auf das Angebot eingegangen und hatte ihn festgesetzt, um ihn an Ibn Tahir auszuliefern, aber Abu Musa hatte fliehen und sich nach Granada in Sicherheit bringen können. Zu aller Überraschung war er vor zwei Wochen von dort zurückgekommen, hatte sich dem Qa'id auf Gnade und Ungnade ergeben. Ein Gerücht sagte, daß ihn nur die Sehnsucht nach seiner Frau, die in Murcia zurückgehalten worden war und die er über alles liebte, zu diesem verzweifelten Schritt getrieben habe.
Der Karren fuhr jetzt dicht an ihnen vorüber, und Ibn Ammar konnte den Mann sehen. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit aufgeschwollen, rot wie rohes Fleisch. Aus den Augen, der Nase, dem Mund lief Blut. Der Kopf pendelte haltlos hin und her unter den Schlägen des Negers.
Der Sabi hatte den Blick abgewandt und starrte schweigend auf den Boden. Sie warteten, bis sich die Leute zerstreut hatten und der Karren um die Ecke der Moschee-Mauer verschwunden war. Dann nahmen sie ihren Weg wieder auf.
Als sie in das Gassengewirr des Bazarviertels eintauchten, fragte Ibn Ammar: »Hast du den Mann gekannt?«
Der Sabi gab keine Antwort.
»Ist es wahr, was die Leute von ihm sagen, daß er diese Festung an der Grenze bei Cartagena dem Herrn von Almeria übergeben wollte?«
Wieder keine Antwort. Aber Ibn Ammar konnte sehen, daß es dem Sabi schwerfiel, zu dieser Frage zu schweigen.
»Und ist es wahr, daß er nur aus Liebe zu seiner Frau und zu seiner kleinen Tochter zurückgekehrt ist, wie es heißt?«
Eine kurze Weile kämpfte der Sabi noch mit sich, dann konnte er nicht mehr an sich halten. »Ja, ich weiß, was die Leute reden«, sagte er bitter. »Sie machen eine rührselige Geschichte daraus. Aus Liebe zu seiner Frau!« Mit einem schnell zupackenden Griff faßte er Ibn Ammar am Arm. Der Griff war so fest, daß er schmerzte. »Ich will dir sagen, was ihn dazu gebracht hat, sich zu stellen. Sie haben gedroht, seine Frau an einen Hafenwirt in Cartagena zu verkaufen. Deshalb ist er zurückgekommen.«
»Ist seine Frau Christin?« fragte Ibn Ammar.
»Sie kommt aus einem christlichen Haus, aber sie hat unseren Glauben angenommen. Sie haben behauptet, sie hätte es nur zum Schein getan.«
»Wer hat das behauptet? Wer wollte sie zur Hure machen?«
Der Sabi zog Ibn Ammar am Arm zu sich heran und sagte leise: »Dieselben Leute, die behauptet haben, er hätte sich an den Herrn von Almeria verkauft.«
»Welche Leute?« fragte Ibn Ammar. »Wem war er im Weg? Wer waren seine Feinde?«
»Alle, die ihm geneidet haben, daß er in der Gunst des Qa'id stand und daß er das Vertrauen Hassun Ibn Tahirs besaß, des Kronprinzen.«
»Meinst du Ibn Ta'lab, den Hadjib des Qa'id?« fragte Ibn Ammar.
Der Sabi sagte nichts, und als Ibn Ammar seinen Blick suchte, wich er aus.
»Meinst du Prinz Muhammad, der auf dem Fest deines Onkels war?« fragte er weiter.
Der Sabi nickte kaum merklich.
»Woher willst du das wissen?« fragte Ibn Ammar. »Du warst lange weg.«
»Ich habe Freunde, die es wissen«, sagte der Sabi.
Ibn Ammar glaubte allmählich zu begreifen, warum der Tuchhändler so viel Distanz zu seinem Neffen wahrte.
»Der Mann auf dem Karren, Abu Musa, war er einer von deinen Freunden?« fragte er mit Wärme.
Der Sabi ließ Ibn Ammars Arm los, als wäre ihm erst in diesem Augenblick aufgegangen, wie fest er ihn die ganze Zeit über im Griff gehalten hatte. »Ich weiß nicht«, sagte er leise. »Für mich war er ein Freund. Ich habe ihn gut gekannt. Ich habe ihm mehr vertraut, als ich meinem Bruder vertraut hätte. Du darfst nicht glauben, was die Leute über ihn reden.«
»Ich glaube es nicht«, sagte Ibn Ammar.
»Ich habe ihn in Aleppo kennengelernt, auf meiner ersten Reise in die Länder des Ostens«, fuhr der Sabi fort. »Er ist auf demselben Schiff nach Cartagena gekommen, das mich von dieser ersten Reise zurückgebracht hat. Er ist der Sohn eines Amirs, aber er hat mich in seinem Haus empfangen wie einen Freund, und auch, als er am Hof war und schon hoch in der Gunst des Qa'id stand, hat er mich nicht vergessen. Gott gebe ihm Kraft.«
»Du glaubst nicht, daß er doch noch Gnade findet vor dem Qa'id?«
»Nein«, sagte der Sabi. Und wie zur Bekräftigung wiederholte er noch einmal: »Nein, ich glaube es nicht.«
»Ein Fürst, der keine Gnade kennt, ist kein großer Fürst«, sagte Ibn Ammar.
Der Sabi blieb stehen und faßte ihn leicht an der Schulter. »Sag so etwas nicht vor den falschen Leuten«, sagte er, und in seinen Augen lag eine ernste Warnung. Ibn Ammar hatte noch nie bei einem Mann Augen von einem so intensiven Blau gesehen.
Der Tuchhändler empfing sie in seinem Kontor, einem kleinen, karg ausgestatteten Raum mit weißgekalkten Wänden, dessen einziger Luxus darin bestand, daß er angenehm kühl gehalten wurde. Irgendwo mußte ein geschickt versteckter Wasserverdunster arbeiten. Ibn Mundhir stand hinter einem Stehpult, schrieb mit langem Arm, ließ sich nicht stören, bis er zu Ende geschrieben hatte.
»Ah, unser junger Mann aus Sevilla!« Knappe Begrüßung. »Du hast eine neue Wohnung bezogen, wie ich höre.« Er kannte den Besitzer des Hauses. »Nicht unbedingt das Passende für einen begabten jungen Mann. Man wird sehen, ob sich etwas Besseres finden läßt.« Dann ohne Übergang zum Geschäft. »Ich habe dich holen lassen, weil ich einige Briefe benötige, die einer besonders ...«, er suchte nach dem geeigneten Wort und fand es nicht, » ... einer besonderen Form bedürfen, du verstehst, was ich meine.«
Er erwartete keine Antwort. Winkte dem Sabi, deutete auf ein Holzkästchen, das neben vielen anderen gleichartigen Kästchen in einer der Wandnischen hinter dem Stehpult stand.
»Ich brauche zunächst zwei Briefe an zwei Empfänger, die mir Geld schulden. Ich benötige das Geld, deshalb bin ich gezwungen, die Zahlung anzumahnen. Aber ...«, er unterbrach sich, während er in dem Kästchen kramte, » ... aber da es sich um sehr hochgestellte Schuldner handelt, muß die Mahnung sehr sorgfältig formuliert sein. Du verstehst, was ich meine.«
Er zog ein kleines Heft heraus, blätterte darin, hielt es mit gestrecktem Arm vor sich bin, las, indem er den Finger zu Hilfe nahm. Er tat sich schwer mit seinen Augen, aber als der Sabi...