Schweitzer Fachinformationen
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1Einleitung
Erste physiotherapeutische Theorieentwürfe stellen den Bewegungsaspekt des Berufs in den fachspezifischen Fokus (Hislop 1975, Cott 1995, Hüter-Becker 1997, Probst 2004, Schämann 2005, Scheel 2010). Aspekte der Berührung hingegen sind in der bisherigen Diskussion unterrepräsentiert oder werden allenfalls indirekt berücksichtigt. Obwohl Berührung einen wesentlichen Bestandteil der meisten physiotherapeutischen Interventionen darstellt, wird sie überwiegend als "Mittel zum Zweck" und selten als wichtige physiotherapeutische Fähig- oder Fertigkeit betrachtet. In einer studentischen Befragung stellte Astrid Schämann (2005, 205) fest, dass "die Hand als zentrales Moment physiotherapeutischer Identität expliziert (werde)" und somit das Behandeln und Berühren für Physiotherapeuten ein zentrales Charakteristikum ihrer Arbeit darstellt. Interessanterweise gehörte "Bewegung" in der Befragung nicht zum berufsbezogenen Selbstbildnis der ProbandInnen. Auch Annette Probst (2012, 183) meint, dass die Bedeutung des physiotherapeutischen Kontakts buchstäblich "auf der Hand läge", bisher aber wenig untersucht sei.
In der Physiotherapie wird Berührung unter drei Gesichtspunkten betrachtet, nämlich als "Palpation" im Sinne der Informationsgenerierung, als "Intervention" im Sinne einer technischen Applikation und als "Kommunikation" im Sinne eines interaktiven Austausches bestimmter Informationen. Probst (2012, 185) nennt exemplarisch das "Ertasten von Spannungsunterschieden", die "Mobilisation von Bewegungseinschränkungen" und das "Herstellen von Vertrauen". Wagener (2000, 27 ff.) wünscht sich über den gut etablierten "bio-mechanischen" Einsatz hinaus mehr Beachtung der Mehrschichtigkeit von Berührungswirkungen im therapeutischen Kontext. Nicht nur in der Physiotherapie, sondern im gesamten Gesundheitswesen vollzieht sich zurzeit ein Paradigmenwechsel von bio-medizinischen zu bio-psycho-sozialen Therapieansätzen, welche unter Physiotherapeuten häufig unter dem Begriff der "Ganzheitlichkeit" thematisiert werden. Schämann (2005, 197 ff.) stellte in ihrer bereits erwähnten studentischen Befragung fest, dass ihre physiotherapeutischen ProbandInnen häufig den Begriff der "Ganzheitlichkeit" nutzten, ohne diesen allerdings weiter vertiefen zu können. Auch in der physiotherapeutischen Fachliteratur des letzten Jahrzehnts sowie auf einschlägigen Tagungen und Kongressen taucht das Thema "Ganzheitlichkeit" häufig auf1.
Die Physiotherapeutin und Medizinpädagogin Schrader (2007) vermutet, dass die "sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und (das) sich ändernde Krankheitsspektrum (Multimorbidität, chronische Erkrankungen)" als ursächlich "für einem zunehmenden Wandel in der Betrachtung von Krankheit und Gesundheit" zu erachten seien, und betont, dass entsprechende "Konzepte unmittelbare Konsequenzen für das Verhalten im Gesundheitswesen tätiger Personen und Laien" haben. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass sich die verinnerlichten Vorstellungen bezüglich der Beeinflussbarkeit gesundheitlicher Probleme auf entsprechende Lösungsstrategien auswirken und zwar sowohl seitens des Therapeuten als auch seitens des Patienten. Exemplarisch seien hier die Lehren der Homöopathie, der Anthroposophie, der Schul- oder Biomedizin, der traditionellen chinesischen Medizin oder esoterische Ansätze2 genannt. Alle Ansätze implizieren unterschiedliche Vorgehensweisen, Annäherungen und Lösungen hinsichtlich des Umgangs mit gesundheitlichen Problemen.
Angesichts dieser Entwicklung erscheint es nachvollziehbar, dass neben den mechanischen Wirkungen der Berührung zunehmend auch psychische und soziale Komponenten wahrgenommen und thematisiert werden. So glaubt Himmelseher (2008, 70f.) mittels einer Literaturanalyse feststellen zu können, dass innerhalb der Berufsgruppe der Physiotherapeuten über die dominierende bio-mechanische Betrachtung der Berührung hinaus auch interaktive und kommunikative Dimensionen reflektiert werden, allerdings in einer kaum ausdifferenzierten und für den professionellen Einsatz wenig ausgereiften Form3. Insofern birgt die unreflektierte Integration "mehrschichtiger Berührungswirkungen" die Gefahr, dass sich der Therapeut auf unprofessionelle Art zwischenmenschlich verirrt und seine professionelle Distanz einbüßt.
In der Physiotherapie wird Berührung primär mit der Verabreichung von Techniken assoziiert, doch z. B. für Andrecht (2008, 1141) scheint "nicht unbedingt die richtige Technik (wichtig) zu sein, sondern die Qualität des Kontaktes, die Verbindung, die Kommunikation, die zwischen Therapeut und Patient aufgebaut wird." Folgerichtig lohnt es sich zu untersuchen, was genau mit der "Qualität des Kontakts" gemeint sein könnte und auf welche Art und Weise Therapeuten diese Verbindungsqualität aktiv und gezielt beeinflussen können, um der beklagten Zufälligkeit und Beliebigkeit entgegenzuwirken. Bernardez und Breidenbach (2011) halten "jede Berührung (für) Kommunikation". Besonders effektiv sei diese, wenn der Behandler die Signale zu lesen verstehe, die der Körper des Patienten aussende. Aus dieser Perspektive müsste das Lesen und Interpretieren von Körpersignalen eine zentrale professionelle Fähig- und Fertigkeit eines jeden Physiotherapeuten darstellen, was gegenwärtig - zumindest in einer systematisierten und ausdifferenzierten Form - noch nicht der Fall ist.
In einer Studie von Roger et al. (2002, 177f.) gaben die befragten Physiotherapeuten an, dass ihnen vor allem ihre therapeutische Erfahrung sage, welche Form der Berührung ihr Patient jeweils brauche. Ihr Berührungsangebot sei grundsätzlich an den Bedürfnissen der Patienten orientiert. Einige Therapeuten beschrieben ihre Herangehensweise als "intuitiv". Roger et al. arbeiteten zwar diverse beobachtbare Techniken ausdifferenziert heraus, die erwähnten intuitiven, erfahrungs- und empathiebasierten Hintergründe bleiben aber unscharf, was nicht zuletzt der Problematik geschuldet ist, dass implizite und inkorporierte Wissenshorizonte nur teilweise dem Bewusstsein bzw. der Beobachtung zugänglich sind. Auch Probst (2012, 187) stellte mittels einer Befragung von Physiotherapeuten fest, dass diese offensichtlich einen "Spürsinn" entwickeln, welcher ihnen sagt, ob eine "Interaktion gut läuft". Erfahrene Physiotherapeuten scheinen also "intuitiv" zu wissen, welche Berührungsart zu welchem Zeitpunkt anzuwenden ist. Eine entsprechende Systematisierung bzw. empirische Validierung, besonders in Bezug auf interaktiv-kommunikative Aspekte der Berührung, liegt allerdings noch nicht vor.
Niedermann (2013, 133) fragt sich im Zusammenhang mit publizierten physiotherapeutischen Studien, ob wir tatsächlich sagen, was wir tun bzw. tun, was wir sagen, und spielt dabei auf die fehlende Repräsentanz praxissensitiver Vorgehensweisen an. Auch Bruderer-Hofstetter (2013, 169) fordert über eine reine Beschreibung der angewandten Techniken hinaus eine stärkere Auseinandersetzung mit den entsprechenden "Dosierungen". Er vergleicht physiotherapeutische Maßnahmen dabei mit der Verabreichung von Medikamenten, einem Forschungsgebiet, in dem richtige Dosierungen einen unumstrittenen Bestandteil des Behandlungserfolgs darstellen. Hier wird deutlich, dass die Beschreibung dessen, was zur Anwendung kommt, nicht ausreicht und um das Wie ergänzt werden muss.
Probst (2012, 187) zeigt sich irritiert darüber, dass ihre physiotherapeutischen Interviewpartner kaum einen Bezug zu eigenleiblicher Erfahrung aus der Ausbildung herstellen, also zu Übungssituationen, in denen Physiotherapeuten "selbst zum (.) Empfänger diverser manueller Techniken" werden. Der thematisierte Selbsterfahrungsaspekt erscheint also in Bezug auf empathische, "sich-hinein-versetzende" Vorgehensweisen in der physiotherapeutischen Patienten-Therapeuten-Beziehung bisher nicht ausreichend beleuchtet. Auch kann Berührung nicht erfolgen, ohne selbst berührt zu werden. Mit anderen Worten ist der Therapeut immer auch eigenleiblich involviert und wird zum unmittelbaren Bestandteil der Berührung. Die eigenleibliche Rolle des Therapeuten blieb aber aus der bisherigen bio-mechanischen Perspektive heraus - wonach der Patientenkörper bearbeitet wird wie ein Werkstück - weitestgehend unberücksichtigt. Da alle Physiotherapeuten im Rahmen ihrer Ausbildung intensive Phasen der Selbsterfahrungen durchlaufen, müssten sich die dort gesammelten leiblichen Erfahrungen nutzen lassen. Wahrscheinlich werden sie bereits genutzt, ohne dass entsprechende Einflüsse ausdrücklich thematisiert werden, denn eigenleibliche Erfahrungen gelten als nicht valide.
Die britische Physiotherapeutin Ruth Parry von der Universität Nottingham wünscht sich mehr empirische Studien, um das praxisrelevante Knowhow von Physiotherapeuten offenzulegen (2005, 204 ff.). Es gelte - auch politischen Entscheidungsträgern gegenüber - bestehende Wissensbestände des Berufs konstruktiv systematisiert aufzuarbeiten und zur Verfügung zu stellen. Gerade in Bezug auf die physiotherapiespezifische Kommunikation müssten erfolgreiche Muster erkannt und herausgearbeitet werden, damit sie über die Lehre verbreitet werden können. In ihren...
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