Schweitzer Fachinformationen
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Eine Umfahrung zwang sie, das Bahnhofscenter zu umrunden, bevor sie hinter der Eisenbahnbrücke in die Schwarzstraße einbogen. Dahinter musste der Fluss sein, der die Stadt in zwei Teile schnitt: links der alte Machtbereich des Erzbischofs mit seinen imposanten Plätzen und Palastanlagen, rechts, auf ihrer Seite, die dichtgedrängten Bürgerhäuser. Cemil trommelte mit den Fingern ungeduldig auf das Lenkrad. Sie waren kaum einen Kilometer gefahren und hatten dafür zehn Minuten gebraucht. »Ich habe nachgedacht. Ich glaube, du brauchst etwas Abstand von meiner Mutter.«
»Wie scharfsinnig von dir«, sagte Gülcan, während sie das Schloss Mirabell passierten, dessen Gartenanlagen sie nach wie vor nur aus Büchern kannte.
»Du bist der selbständige Typ«, analysierte er weiter. »Eine Existenz als Hausmütterchen wird dich niemals ausfüllen.«
»Deswegen will ich ja auf die Reiseleiter-Akademie. Du kennst meine Pläne.«
Sie ließ sich nichts anmerken, doch langsam begann die Neugier an ihrer Gleichgültigkeit zu nagen. Als ein Lieferwagen vor dem Hotel Sacher seinen Parkplatz aufgab, zwängte Cemil sich in die frei werdende Lücke.
»Wieso halten wir vor einem Hotel?«
»Wirst du gleich sehen, mein Goldschatz.«
Er ließ die Heckklappe hochschnellen und griff sich eine der Schachteln, aber statt dem Knistern der Plastikfolien drang das gedämpfte Klirren von Porzellan an Gülcans Ohr. Er überquerte die Straße, und Gülcan folgte ihm durch das Innere Lederertor in ein Salzburger Durchhaus - so nannte man hier eine kurze Passage, die zwei Straßen oder Plätze miteinander verband. Auf der linken Altstadtseite waren solche Verbindungsgänge vollgestopft mit Touristenläden, aber dieser war weniger vornehm und hatte etwas von einem Mauseloch.
»Ziemlich düster«, sagte Gülcan.
Der Durchgang machte eine Biegung. Weiter vorne lag die Linzergasse mit ihren Boutiquen, eine herausgeputzte Fußgängerzone, die eine große Menge Touristen über die Salzach lockte. Wer von drüben oder vom Mirabellgarten kam, musste sich für eine Möglichkeit entscheiden, und der Weg durch die Lederergasse war so gut wie alle anderen. Natürlich war dieser Zugang vergleichsweise unscheinbar, aber dank der gewaltigen Menschenströme, die das Städtchen Tag für Tag fluteten, fielen auch für die Geschäftsleute in diesen dämmrigen Gewölben ein paar Brocken ab.
Vor einem Gassenlokal stellte Cemil die Kiste ab und kramte nach dem Schlüssel. Über der Glastür stand Lederreparaturen auf der Mauer, es waren die Schatten verschraubter Lettern, die man schon vor langer Zeit abgenommen hatte, aber zwischen dem P und dem A ragten zwei frisch verlegte Stromkabel aus dem Putz.
»Das Leuchtschild hätte gestern montiert werden sollen«, sagte Cemil mit einem Anflug von Enttäuschung.
»Was für ein Leuchtschild?«
Seine Augen blitzten auf, als hätte er auf diese Frage gewartet. Er erlaubte sich eine Kunstpause, bevor er sich in Pose warf und den Arm ausstreckte wie ein Showmaster:
»Adem Süper Chicken.«
Gülcan lachte, aber es klang zu laut und hysterisch, und das Gewölbe warf ein hässliches Echo zurück. Zwei Mädchen, vielleicht Verkäuferinnen auf dem Weg zur Arbeit, drehten sich um. Cemil blieb ernst und drückte Gülcan durch den Türspalt. Hier drinnen war es kälter als draußen. Die Neonröhren flackerte zweimal auf, bevor sich das Licht stabilisierte. Zwei Plastiktische, ein Stapel knallroter Plastikhocker, eine gläserne Vitrine und eine riesige Fritteuse, die gleich dahinter auf einem Küchenarbeitstisch stand. Der Boden war gepflastert mit Terrakottafliesen. Es roch nach Staub und aufgestemmten Wänden, und man spürte eine muffige Feuchtigkeit, was wohl daran lag, dass man sich im Erdgeschoß eines fünfhundert Jahre alten Hauses befand. Auf den Tischen stapelten sich Kartons in allen Größen, weswegen der Laden eher einem Lagerraum glich als einem zukünftigen Schnellrestaurant. Gülcan ging um die Glasvitrine herum. Die Fritteuse roch nach altem Fett und hatte Flecken an den Rändern.
»Ein Schnäppchen«, sagte Cemil. »Aus einer Krankenhauskantine.«
Gülcan tippte auf den fettverklebten Tasten der Kassa herum, und ein paar grüne Zahlen leuchteten auf, doch ihr Verhalten war so einleuchtend wie die Übersprunghandlung eines Huhns, das inmitten eines brennenden Maisfeldes Körner aufpickte.
»Die Registrierkassa«, erklärte Cemil, als wäre sie geradewegs aus Papua-Neuguinea angereist.
Dahinter hingen zwei rote Schürzen mit gelber Bordüre, die in etwa zur Farbe der Papiertischtücher passten. »Gelb und Rot ist unser Corporate Design«, sagte er und zerrte stapelweise Servietten aus einem Karton. Dann schnitt er mit einem Teppichmesser eine weitere Schachtel auf und begann Besteck und Teller in die dafür vorgesehenen Fächer zu schlichten. Draußen liefen Leute vorbei, doch niemand schien sie zu bemerken.
»Was sagst du, mein Schatz?«, fragte er und fuhr über den Bauch einer jungfräulichen Nirostawanne, die im Seidenpapier glänzte. Eines musste man ihm lassen, er war nie lange beleidigt. »Sei so gut und stell sie in die Vitrine. Da kommt später das Salatzeug rein.«
An der Glastheke klebten die Reste einiger Sticker. Sobald sie warmes Wasser hätten, könne sie den Dreck abschaben. »Solche Theken kosten neu ein Vermögen«, erklärte er, während er die restlichen Wannen aus dem Abstellraum brachte.
Gülcan nahm sie ihm aus der Hand und wischte sie mit einem Küchentuch blank. Und da sie das Tuch schon mal in der Hand hatte, kümmerte sie sich auch gleich um die übrigen Gerätschaften. Sie arbeiteten bis halb zwölf, dann genehmigte Cemil sich eine Zigarette und schlug vor, im Supermarkt ein paar Snacks zu besorgen. »Du kannst inzwischen die Werbefolien über der Kassa aufkleben. Irgendwo muss die Rolle herumliegen.«
»Bist du nie auf die Idee gekommen, mich zu fragen?«
Er sah sie irritiert von der Seite an, nur einen Sekundenbruchteil, dann vergrub er das Gesicht in einem der Kartons. »Weißt du, es war ein Gelegenheitskauf. Alles musste blitzschnell gehen.« Er sprach ohne eine Spur des Bedauerns. »Du wirst schon sehen - dieses Lokal ist eine Win-Win-Situation für die ganze Familie.«
»Und warum ausgerechnet Hühner? Du weißt, dass ich nicht so gerne Fleisch esse. Gibt es nicht schon genug von diesen Läden?«
»Die Österreicher lieben nun einmal Hühnerfleisch. Das Konzept hat sich tausendfach bewährt.«
»Warum nicht unsere herrlichen anatolischen Gemüseeintöpfe?«
»Wenn die Schulden abbezahlt sind, können wir gerne ein bisschen experimentieren«, sagte Cemil und zog die Klebefolien Stück für Stück aus einer Kartonrolle. Der Anblick erfüllte ihn mit Befriedigung: Hinter die goldbraunen Hühnerteile hatte der Fotograf Tomaten- und Zwiebelringe montiert. Jedes Bild war garniert mit einem Mayonnaiseklecks, auf dem der Preis stand.
»Du hast einen Kredit aufgenommen?«
»Dinge kosten Geld, mein Schatz. Lass uns später darüber reden, okay?« Er drückte ihr einen Kuss auf die Wange und war verschwunden, bevor Gülcan nachbohren konnte. Als er eine Viertelstunde später mit einem Eimer Kartoffelsalat und zwei vakuumverpackten Hühnern zurückkam, hatte sie bereits sämtliche Folien unter die Plexiglashalterungen geschoben.
»Das nennst du Snacks?«, fragte Gülcan. »Willst du sie roh essen?«
»Nein, mein Engel. Wir werden sie zubereiten.«
Er hob einen Zehn-Liter-Kanister Rapsöl aus dem größten Karton und leerte die Hälfte davon in die Fritteuse. In einem anderen befanden sich nicht nur Teller und Plastikbesteck, sondern auch Eier und eine Packung Semmelbrösel.
»Schau mir zu«, sagte er mit der Eindringlichkeit eines Varietékünstlers und befreite die Hähnchen aus der Folie. »Ein Kumpel hat mir gezeigt, wie man es macht.« Mit der Klinge schob er die Haut zur Seite und zeigte auf die Stelle unter der Achsel, wo man den ersten Schnitt setzte. Hier konnte man die Knochen am leichtesten teilen. Dann trennte er die Flügel ab. Schließlich schnitt er mit der Messerspitze vorsichtig die Karkasse entlang, bis alle verwertbaren Teile des Huhns vor ihm auf dem Tisch lagen. Als Nächstes verquirlte er die Eier in einer Nirostawanne und leerte Mehl und Semmelbrösel in die beiden anderen. »Du musst darauf achten, dass jede Stelle mit Ei bedeckt ist. Und danach gut andrücken, siehst du?«
Als die Teile von einem gleichmäßigen Bröselmantel umhüllt vor ihm auf dem Brett lagen, streifte er die Schürze ab und wusch sich die Hände.
»Und jetzt du«, sagte er und reichte ihr das Kochmesser. »Es ist kinderleicht.«
Gülcan hielt die Hände verschränkt und schickte einen dicken Kloß die Kehle hinunter. Wie immer trug er den dunklen Anzug, den ihm der Arbeitgeber als Dienstkleidung vorschrieb, und seit sie ihm die Schuhe putzte, sah er fast wie ein richtiger Geschäftsmann aus. Sie ahnte - nein, sie wusste -, dass er nicht die Absicht hatte, je wieder ein Huhn zu sezieren. Schon in dieser Sekunde sah er sich als Manager eines Imbissladens - oder gar einer künftigen Kette -, während für sie höchstens die Rolle der Mitarbeiterin des Monats vorgesehen war. Doch diesmal würde sie nicht kampflos nachgeben.
»Das kannst du dir abschminken. Ich werde hier nicht arbeiten.«
»O doch, das wirst du«, sagte Cemil sanft. Seine Hand krampfte sich unübersehbar um den Griff des Messers.
»Werde ich nicht!«
Mit einem Schlag verschwand sein Lächeln.
»Nimm das Messer. Sofort.«
Es war der Kommandoton, mit dem man Hunde abrichtete. Gülcan kannte diese Seite an ihm noch nicht, aber sicher war es nur eine weitere...
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