Vorsorgemedizin ohne umfassende psychosoziale Gesundheitstheorie?.- Polares Denken.- Die Altchinesische Phasenwandlungslehre (Elementelehre) als psychosoziales Entwicklungsmodell.- Polare Aspekte der Phase A - Kontakterlebnisse: Verbindung und Loslösung.- Polare Aspekte der Phase B - Sorgsamkeit: Vorsorge und Konsumation.- Polare Aspekte der Phase C - Gewissen, Verantwortung, Ordnung: Unterscheidung und Ausgleich.- Polare Aspekte der Phase D - Selbstbewusstsein: Selbstbegrenzung und Motivation.- Polare Aspekte der Phase E - Persönliche Leistung: Entfaltung und Zurückhaltung.- Polare Aspekte der Entwicklungsatmosphäre EA: Lebenszeitgestaltung und Sprachentwicklung im Spannungsfeld zwischen Lust und Umwelt.- Psychosoziale Fehldynamik aus altchinesischer und westlicher Sicht.- Hilfe und Hilfe zur Selbsthilfe - Direkte und indirekte Wege zu mehr Balance.- Narzissmus "männlicher" und "weiblicher" Art - Beziehungsfallen zwischen autoritären und abhängigen Persönlichkeiten.- Funktionelle Beschwerden und ihre psychosomatische Gliederung gemäß den 3 Energieumläufen in der Akupunktur.- Schlussbetrachtung.
6. Kapitel Polare Aspekte der Phase D - Selbstbewusstsein: Selbstbegrenzung und Motivation (S. 135-136)
Wer bin ich? Wozu bin ich? Diese Grundfragen individueller menschlicher Existenz haben und werden immer Rätsel aufgeben, weil die Antwort auf diese Fragen letztendlich ein übermenschliches Bewusstsein erfordert. Dennoch stellen sich diese Fragen immer wieder für jeden Einzelnen von uns. Mögliche Antworten sind einem ständigen persönlichen Entwicklungsprozess unterworfen. Auch altchinesische Muster können diese Fragen nicht beantworten. Sehr wohl können sie aber westliche Gedankengänge zum Ich, zum "Selbst" ergänzen und Wege aufzeigen, unter welchen Bedingungen sich ein realistisches Selbstbewusstsein natürlich oder ein realitätsfremdes Ich widernatürlich entwickeln kann.
Natürlich bedeutet hier wiederum Mehrfaches:
1. natürlich - im Sinne von ausgewogen, balanciert (siehe Tabelle 6a polare Aspekte),
2. natürlich - im Sinne der naturgemäßen, uhrzeigergerechten Phasenwandlung entstanden, indem realistisches Selbstbewusstsein auf verantwortungsbewusster Unterscheidung und ehrlichen Vergleichen aufbaut (D-Funktionen unmittelbar aus C-Funktionen entwickelt),
3. sowie natürlich komplex: Im Selbst wirkt auch das Zusammenspiel verschiedenartiger anderer Elemente.
Qualitativ ähnlichartige Begriffe verschiedener Bereiche von Natur und Körperfunktionen werden tabellarisch in der Akupunkturliteratur (etwa unter dem Oberbegriff Funktionskreis bei König-Wancura) wie folgt gemeinsam betrachtet, wobei ergänzend m. E. auch Ideen von Halt und Festigung mittels Abgrenzung und Bereitstellung (wie in Tabelle 2a bereits angeführt) für ein besseres Gesamtverständnis hilfreich sind:
Wandlungsphase Ruhe und Latenz (Latenz aus heutiger Sicht: genetische Information), Element Wasser (das Bild eines ruhenden Sees), Jahreszeit Winter, belastender Wetterfaktor Kälte, typische Emotion Angst, Sinnesfunktion hören, Körperschicht Knochen, Knochenmark, zugeordnetes Hauptmeridianpaar: Niere - Blase, zugeordnete Tugend: Weisheit (bei Heribert Schmidt).
6.1 Begriffsumfang polarer Funktionen in Phase D - Selbstbewusstsein
Die oben erwähnte Assoziationskette wird verständlich, wenn wir bedenken, dass es auf körperlicher Ebene die Knochen sind, die dem Menschen Halt und Festigkeit verleihen. In psychosozialer Hinsicht bewerkstelligen Selbstbewusstsein und ein gewisses Ausmaß von Selbstbestimmung (persönliche Macht und Kompetenz) Halt und Festigkeit.
Auch das Gehör, das Zuhören können, unterliegt ganz wesentlich einem psychosomatischen Wechselspiel mit persönlicher Einstellung, Motivation, Interesse - oder entsprechendes Desinteresse, wie die Erfahrung beweist: So antworten vier von fünf Eltern auf meine Routinefrage an sie bei schulärztlichen Untersuchungen ihrer zehn- bis elfjährigen Kinder: "Hört Ihr Kind normal?" mit: "Ich glaube schon. Mein Kind hört alles, was er (sie) nicht hören soll (bzw. nur das, was ihn interessiert, sonst ist er (sie) manchmal wie taub)." Dieser scherzhafte Zusatz basiert jedenfalls auf realen Beobachtungen über die Kombinationen persönlicher Einstellungen oder persönlicher Aufgeschlossenheit und Hörvermögen. Jedenfalls können solche Beobachtungen genau so bei Erwachsenen gemacht werden bzw. entsprechen diese auch meinen alltäglichen Erfahrungen, etwa in der ärztlichen Praxis.
So ist die hier ebenfalls zugeordnete Emotion Angst einerseits meist mit fehlender Aufgeschlossenheit (gedankliche Einengung bei Phobien) oder ausufernder Aufgeschlossenheit mit Haltlosigkeit (ungerichtete Angstzustände) verbunden.
Außerdem werden Ängste oft von Hörfunktionsstörungen begleitet: Ängstliche Patienten können einerseits anderen oft schlecht zuhören. Andererseits hören ängstliche Patienten oft übertrieben in sich hinein ("sie hören gleichsam im eigenen Körper das Gras wachsen").