Schweitzer Fachinformationen
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Wie beweist man glaubhaft, dass man etwas wirklich nicht kann? Schwierig.
Man tut es. Es klappt nicht. Und zack: Der Vorwurf, absichtlich zu versagen, steht sofort im Raum.
Beispiel: Der Mann kann nicht singen. Kein bisschen. Für mich nicht zu begreifen. Jeder kann singen. Also lasse ich nicht locker, bis der Mann singt. Es ist tatsächlich nicht so schön. Sogar die Rauchmelder schlagen an. "Ja, klar", sag ich, "das hast Du doch extra schlecht gemacht. Mach mal richtig jetzt!"
Anderes Beispiel: Ich kann den viel zu großen Wagen des Mannes nicht in die viel zu kleine Garage fahren. Trotz oder gerade wegen der hohen Kosten, die die Beweisführung verursacht, unterstellt der Mann mir stumm Vorsatz. Jedes Mal.
Schwimmen. Auch so eine Sache. Der Mann kann nicht gut schwimmen, sagt er. Nur ein paar Bahnen. Dann ist Schluss. Ich denke, er ist einfach nur zu faul. Tod durch Ertrinken wäre da eigentlich der einzige ernst zu nehmende Beweis. Und selbst dann ist Faulheit nicht völlig vom Tisch. Finde ich.
Es ist Sonntag. Es ist Juni. Der Mann und ich frühstücken auf dem Balkon.
"Das ist der perfekte Tag zum Wandern!", sage ich.
Der Mann ignoriert mich eine Idee zu auffällig.
"Das ist schön, das machen jetzt alle!", erkläre ich.
"Das ist das, wo man irgendwo rumläuft, obwohl man nirgendwo hinmuss, richtig?"
"Der Weg ist das Ziel."
"Aber wenn das Ziel weg ist, wo ist denn dann der Weg hin?"
Mannomann. Er versucht sich aus der Situation zu kalauern. Das hat noch nie funktioniert. Er sollte das wissen. Es steigert nur meine Entschlossenheit.
"Wir wollten doch mehr unternehmen. Und jetzt fangen wir damit an."
Der Mann schaut sehr ernst: "Ich kann nicht wandern. Echt nicht. Hab 's mal probiert. Ich kann es einfach nicht. Von der Orthopädie her."
"Blödsinn. Jeder kann wandern. Punkt."
Eine Stunde später: Der Mann beginnt damit, seinen Rucksack zu befüllen. Na ja, Rucksack . es ist ein klassischer Turnbeutel. Aus den Achtzigern. Von Puma. Er räumt ihn mehrmals aus und wieder ein. Ich atme hörbar aus und frage: "Kann es sein, dass du Zeit schinden willst?"
"Hast du was zu trinken eingepackt?", fragt der Mann.
"Ja."
"Was zu essen?", fragt der Mann.
"Sonnenmilch? Mückenspray?"
"Was gegen Durchfall, Sodbrennen, Schilddrüsenunterfunktion? Rei in der Tube? Die karierte Decke? Regenkleidung? Strandbekleidung? Und was für wenn 's doch richtig kalt wird? Nachts? Ah. Und was zu spielen. Und was zu lesen. Manchmal dauert es ganz schön lange, bis die Rettungstrupps einen finden."
Im Auto läuft eine CD: Eine todtraurige Gitarre begleitet eine noch traurigere Stimme. Der Mann kaut dazu Unterlippe und fährt ungewöhnlich langsam. Trotzdem meldet das Navi irgendwann, ,Sie haben ihr Ziel erreicht.' "Das bezweifle ich!", mault der Mann. "Das Gerät hat einen völlig falschen Eindruck von mir und meinen Zielen."
Die Beschreibung des Weges im Internet verspricht uns herrlichen Wald, Streuobstwiesen, weite Blicke über die Kulturlandschaft sowie einsame Ruhezonen. Kleiner Schönheitsfehler: Wir haben den falschen Parkplatz erwischt und müssen erst mal eine steil ansteigende, stark befahrene Bundesstraße entlanglaufen. Die Sonne knallt. Der Mann schwitzt und schweigt.
"Da vorne ist schon die erste Erlebnistafel." Ich versuche, die Stimmung zu pushen.
Der Mann rechnet: "Wenn der Wanderweg an sich vier Kilometer lang ist, der Fußweg zum Wanderweg aber schon zehn Kilometer, dann kriegen wir doch noch was raus, oder?"
Am Beginn des Wanderweges machen wir die erste Pause. Wir sitzen auf einem Baumstamm und trinken Capri-Sonne. Der Mann hat sein Knoppers schon im Auto gegessen. Wir teilen uns meins.
Ein Rentnerpaar rast an uns vorbei. Der Mann schnauft verächtlich: "Wenn sie die blitzen, sind die für drei Monate die Rollatoren los."
Ich behaupte, dass es auf der Strecke eine Eisbude gibt. Das zieht. Der Mann tappt wieder los.
"Das ist nicht exakt Wandern, was du da machst. Wandern geht irgendwie . schneller."
Der Mann schnauft. "Dann krieg' ich nix mehr von der Landschaft mit."
Ich versuche den Mann zu motivieren. Ich möchte, dass er seine Wanderblockade löst und sich bewusst auf diese neue Erfahrung einlässt. "Beim Wandern ist es so wie beim Joggen oder beim Schwimmen. Nach einer Weile stellen sich solche Glücksgefühle ein, dass du gar nicht mehr aufhören kannst."
Der Mann tappt jetzt wie Charlie Brown, wenn er traurig ist.
"Ich hab Heimweh", sagt er.
"Ich weiß", sage ich und streichle seinen Hinterkopf.
Ein Schild weist uns den Weg zum Keltenhaus. Dem Höhepunkt des Wanderwegs. Dort, wo es auch das Eis gibt. Also sehr wahrscheinlich. Müsste es eigentlich. Besser wär 's jedenfalls.
3,4 Kilometer, sagt das Schild.
"Wie kann das sein?", fragt der Mann. "Wir sind seit fünfzehn Stunden unterwegs!"
"Der Rest geht jetzt ganz fix", lüge ich. Und schleppe Charlie Brown weitere fünfhundert Meter durch den Wald.
Hilfreich wäre jetzt mal ein abrupt einsetzender Landschaftswechsel. Streuobstwiesen wären schön. Vielleicht auch was mit Tigern. Oder Elefanten. Drachen? Wikinger würden die Situation in jedem Fall beleben. Notfalls auch Kelten.
Der Mann lässt sich auf eine Bank plumpsen.
"Der Vogel lacht mich aus", sagt er.
"Welcher Vogel lacht?"
Der Mann zeigt irgendwohin nach oben. Stimmt. Ein Vogel lacht. Ich nehme ein Holzstöckchen und werfe es nach dem Spatz. Zwar treffe ich nicht, aber dem Vogel ist der Spaß vergangen. Darin sind sich Vogel und Mann also schon mal einig.
Ich ziehe einen Schoko-Müsliriegel aus meinem Rucksack und eine bewährte Strategie aus meiner Trickkiste: Ich stelle, weil es mir gerade so durch den Kopf geht, interessiert klingende Fragen zu historischen Boxer-Motoren, also luftgekühlten natürlich. Er frisst den Köder. Kaut auf dem Müsliriegel und beginnt zu dozieren. Dabei nimmt er wieder Fahrt auf.
Seit einer Viertelstunde kommen wir gut voran. Wir werden kaum noch von anderen Wandergruppen überholt. Es läuft.
"Da hinten ist übrigens Südamerika", sagt der Mann nicht ohne Stolz.
"Soll ich dir die Rehe zeigen?", frage ich den Mann. Laut Routenbeschreibung ist hier irgendwo ein Wildgehege. Vor uns ist eine Familie, die auch ein Kleinkind dabeihat. Wir müssten uns nur dranhängen. Die wollen ja bestimmt auch die Rehe besuchen.
"Was tun Rehe?", fragt der Mann.
"Schon gut, war ja nur ein Vorschlag." Für einen Moment hatte ich vergessen, dass der Mann aus der Eifel stammt. Die Aussicht auf Rehe ist ihm völlig egal. Die haben sie früher mit dem Besen von der Terrasse gejagt.
Ein Paar kommt uns entgegen. Seinem traurigen Gesicht ist zu entnehmen, dass er sein Wochenende lieber für ein "Schlemmer- und Wellness-Arrangement" genutzt hätte. Der verkniffen-sportliche Blick von ihr verrät, dass diese Option nie bestand. Nun hat er Trekkingsandalen an. Und Hunger.
Die beiden Männer nicken sich im Vorbeischlurfen schweigend zu. Für einen Moment fühle ich mich ertappt. Dann wische ich den Gedanken entschlossen weg. Nein. Bei uns ist das anders. Er möchte es. Er weiß es nur noch nicht.
Wir haben den Wald hinter uns gelassen. Ein herrliches blühendes Panorama liegt vor uns. Wiesen, Sträucher, Bäume. Alles da. Und so hübsch angeordnet.
"Das ist sooo schön hier!", sage ich. Ich pflücke ein Gänseblümchen und stecke es mir in den Zopf.
Der Mann humpelt jetzt. Eine Blase. Eine Blase? Wie kann man sich in völlig ausgelatschten Turnschuhen eine Blase laufen? Offenbar reine Willenssache.
Die Kuh, deren Weide wir kreuzen, schaut erst den Mann mitleidig, dann mich vorwurfsvoll an. Der Mann lehnt sich an die Kuh, um den Schuh auszuziehen. Er hat tatsächlich eine Blase. Die Kuh sieht es auch.
Das ist zu viel. Ich gebe auf.
"Okay,", sage ich. "Dann ruf halt an."
Wir warten. Der Mann. Die Kuh.Und ich. Eine gewisse Anspannung liegt in der Sommerluft.
Die ersten drei Taxen, die den Wanderweg entlangrumpeln, können uns leider nicht mehr mitnehmen. Offensichtlich haben nachfolgende Wanderer diese Gelegenheit nicht an sich vorbeifahren lassen und sich jedes Mal unser Taxi geschnappt.
Der Mann ruft noch mal in der Taxizentrale an und vereinbart ein Codewort: Der lustigste Müller wandert nicht. Nie. Das klappt. Die Kuh trabt zufrieden ab, während wir ins Taxi steigen.
"Direkt zum Parkplatz oder machen wir die Runde fertig?", will unser Fahrer wissen. Er kennt sich aus.
Der Mann hat offensichtlich wieder neuen Lebensmut: "Sehen wir aus wie Abbrecher? Wir machen natürlich die komplette Runde! Nächster Halt: Keltenhaus." Charlie Brown mutiert zu Homer Simpson.
Wir stehen mit dem Taxi mitten im Wald zwischen zwei Rekonstruktionen historischer keltischer Siedlungshäuser. Unbewohnt,versteht sich. Das Keltenhaus ist etwa so spektakulär wie eine...
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