Kapitel 1
»Kannst mir dein Auto leihen?«, fragte Tina ihre Freundin Bärbel.
»Ja freilich. Wo willst denn hin?«
»Auf Neukirchen rüber zum Einkaafn. Wir habn kaa Milli mehr und Farin und Nudeln brauch mer aa.«
»Fia wos? I hob denkcht murgn gibt's Fisch?«
»Des scho, aba wenn i schnö amoi Palatschinkn oda an Kaiserschmoarrn fia de Kinder mochn muass, nacha hob i nix dafia daham.
»Bringst nacha a an klaan Kübl Buttaschmaoiz mit? Des is nämli aa aus.«
»Freili. Warum steht des ned aufm Einkaufszettl?«
»I hob vogessen das is aufschreib.«
»Oiwei des gleiche mit dia. Du hoist de Sachan ausm Keller und i soi nacha wissen, wos mia brauchn«, lachte Tina.
Tina besaß zwar selbst ein Auto, aber das befand sich wieder mal in der Werkstatt. Normalerweise reparierte Günther, Tinas Exmann, ihr Auto, aber diesmal hatte er keine Zeit, denn er war in Graz zu einer Besprechung.
»I muass mi dummeln. Da Lodn macht glei zua«, sagte Tina zu Bärbel. »Wo host deine Schlüssel?«
»De hengan wia oiwei am Bord im Hausgang.«
»Danke. I bin glei wieda do. Sog de Kinder bittschön, dass eahna Zimmer endle aufraama soin.«
»Schon erledigt!«, rief eine helle Stimme von der obersten Treppenstufe.
»Kathi? Ihr habt das endlich geschafft? Ich dachte schon, das wird gar nichts mehr.«
»Nachdem du uns gesagt hast, dass wir nicht nach Salzburg in den Tierpark fahren, wenn wir so einen Saustall im Zimmer haben, haben wir uns gedacht, dass wir besser nachgeben«, antwortete Tommy, Tinas zwölfjähriger Sohn, der neben der achtjährigen Kathi oben an der Treppe stand.
»Ich fahr jetzt einkaufen. Wollt ihr mit?«
»Ja!«, riefen die beiden unisono und kamen die Treppe herunter gerannt.
Tina zog sich eine leichte Jacke über und gab auch den Kindern ihre Westen, die an der Garderobe hingen. Gemeinsam verließen sie das Haus und fuhren mit Bärbels Wagen nach Neukirchen zum Supermarkt, in dem sie bereits Stammkunden waren.
Tina holte sich einen Einkaufswagen und betrat, gefolgt von den beiden Kindern, den Markt. Sie begab sich zum Obststand. Die Kinder liefen zum Regal mit den Süßigkeiten, denn sie gingen davon aus, dass ihnen ihre Mutter wieder einmal etwas kaufen würde. Während Tina in der Lade mit den Bananen kramte, dachte sie: Alle schon alt. Keine frischen dabei. Schade!
Jemand räusperte sich laut und vernehmlich hinter ihr. Tina drehte sich um und erkannte das Gesicht des Ladeninhabers Christopher Langer.
»Ja, bitte? Kann ich Ihnen helfen?«
Der Mann scharrte mit den Füßen und hielt sich die Hand vor den Mund, während er sich noch einmal räusperte. »Frau Gründlich, es ist mir äußerst unangenehm, aber würden Sie mich bitte in mein Büro begleiten?«
Neugierig fragte sie: »Wieso? Glauben Sie, ich hätte was gestohlen?«
»Nein, Frau Gründlich. Es ist nur - es ist mir unangenehm, aber ich möchte nicht hier vor allen Leuten . Sie verstehen?«
»Ich verstehe gar nichts! Also? Was wollen Sie?«
Langer zeigte den schmalen Gang entlang. »Bitte kommen Sie mit. Ich erkläre Ihnen alles!«
Tina suchte ihre Kinder, konnte sie aber nirgends entdecken. »Kathi! Tommy! Wo steckt ihr?«, rief sie laut.
»Hier Mama!«, kam Kathis Stimme aus der Richtung der Schokoladenregale.
»Kommt mal her!«
Die beiden kamen sofort angerannt und blieben vor Tina mit fragenden Augen stehen. »Was gibt's, Mama?«, fragte Tommy.
»Ich muss mal mit Herrn Langer reden. Nehmt bitte den Wagen und holt ein Kilo Mehl, eine Packung Nudeln, einen kleinen Eimer Butterschmalz und zwei Liter Milch. Ich bin gleich wieder da.«
»Dürfen wir uns auch was Süßes raussuchen?«, fragte Kathi und blickte Tina mit ihren dunkelbraunen Augen an.
»Ja, aber keine Schokolade«, lächelte Tina. Sie drehte sich zu Langer und nickte ihm auffordernd zu. »Gehen wir? Ich bin gespannt, was Sie mir zu sagen haben.«
Wieder zeigte ihr Langer die Richtung. »Bitte, folgen Sie mir!«
Tina ging hinter ihm her bis zur Fleischtheke. Sie folgte ihm auch durch den schmalen Durchgang bis zu einer Türe, die augenscheinlich in Langers Büro führte. Er zeigte auf einen Stuhl gegenüber seines Schreibtisches und bat sie: »Nehmen Sie doch bitte Platz!«
»Nein, danke. Ich will jetzt sofort wissen, was los ist.«
Langer verzichtete nun ebenfalls darauf, sich zu setzen und schnaufte tief durch, bevor er begann. »Nun, ich weiß nicht, wie ich es sagen soll .«
»Fangen Sie einfach von vorne an«, unterbrach ihn Tina mit freundlicher Stimme. »So schlimm kann es doch wohl nicht sein.«
»Nun, schlimm sicher nicht.« Langer versuchte ein Lächeln, was ihm aber gründlich misslang.
»Nun reden Sie endlich. Ich hab nicht ewig Zeit. Was ist los?« Tina wurde ungeduldig und ging auf Langer zu: »Jetzt sagen Sie endlich, was Sie zu sagen haben, sonst verlasse ich auf der Stelle Ihr Büro!«
Langer holte tief Luft und blickte Tina um Nachsicht heischend an: »Nun, Frau Gründlich. Wie gesagt, es ist mir äußerst unangenehm, aber ein paar Kundinnen haben sich beschwert und ich .«
»Kundinnen? Beschwert? Über mich?« Tina wurde neugierig. »Wer hat sich warum über mich beschwert?«
Langer knetete seine Hände und mit seinem Dackelblick erreichte er, dass er Tina fast leid tat: »Frau Gründlich. Ich muss zuerst betonen, dass es nicht meine Einstellung ist. Aber es ist nun mal so, dass ein paar Kundinnen mir damit gedroht haben, nicht mehr bei mir einzukaufen, wenn Sie oder Ihre .«, er zögerte, »Lebensgefährtin, wenn ich das so sagen darf, weiter bei uns anzutreffen sind.«
Zunächst war Tina sprachlos und sie versuchte ruhig zu bleiben. »Ein paar Kundinnen? Wie viele denn? Waren es zwei oder drei oder gar hundert? Wie viele Einwohner hat Neukirchen? Zweitausend? Dreitausend? Wie hoch ist der Prozentsatz der Kundinnen, die sich über meine Freundin und mich beschwert haben? Ein halbes Prozent?«
Langer schluckte hörbar. »Naja, wissen Sie, es waren nur ein paar Stammkunden. Ich hab mich auch umgehört. Die meisten haben ja gar nichts gegen Sie. Sie sind sogar der Meinung, dass es ganz in Ordnung ist, wie Sie leben.«
»Aha? Also nur ein paar? Wie viele sind denn ein paar und wer sind sie?«
»Ich kann und darf Ihnen das nicht sagen. Verstehen Sie, man hat mich zum Stillschweigen verpflichtet.«
»Ach? Feige sind die auch noch? Teilen Sie doch bitte den Damen mit, sie möchten zu mir kommen und mir das persönlich ins Gesicht sagen, ansonsten sehe ich dieses Gespräch als nicht geführt und gegenstandslos an.«
»Ich werde versuchen .«
»Sie werden nichts versuchen, Herr Langer. Sie werden es tun. Ganz einfach tun.«
Langer gab nach: »Gut, ich werde es den Damen ausrichten.«
»Sagen Sie den Damen bitte, dass Sie sich nicht scheuen sollen, denn selbst der Pfarrer und sämtliche Nachbarn in Wenns akzeptieren unsere Lebensweise.«
Tina wartete keine weitere Antwort ab und verließ das Büro. Sie zog die Türe schwungvoll hinter sich zu, so dass es krachte und die Scheibe in der Türe und der venezianische Spiegel zum Laden hin zitterten. Tina ging eilig in den Verkaufsraum und suchte ihre Kinder. Natürlich fand sie die beiden dort, wo sie sie vermutete. Tommy streckte sich gerade nach einem Beutel Gummibärchen und Kathi hatte bereits eine Tüte mit Marshmallows in der Hand.
»Kommt, Kinder«, sagte sie und nahm den Wagen. Tommy warf noch eine Tüte Gummibärchen hinein und Kathi die Marshmallows. Tina bemerkte gerade noch, wie Tommy auch eine Tafel Milchschokolade in den Korb des Wagens warf. Sie machte nur: »Hmmm?«, und schüttelte den Kopf. Tommy wusste sofort Bescheid, nahm die Schokolade wieder heraus und legte sie zurück in das Regal.
Tina erledigt noch ihre weiteren Einkäufe, da die Kinder sich offenbar zu lange an dem Regal mit den Süßigkeiten aufgehalten und keine Zeit für die aufgetragenen Sachen hatten. An der Kasse beobachtete sie die anderen Frauen, die ebenfalls etwas warten mussten. Einige grüßten sie sogar freundlich:»Grüß Gott Frau Gründlich. Na? Auch Einkäufe machen? Ist es Ihnen auch aufgefallen, dass alles schon wieder teurer geworden ist? Man weiß ja kaum noch, wo man das Geld hernehmen soll.«
Eine der Frauen, die Tina schon länger kannte, staunte: »Sand des de Kathi und der Tommy? Mein Gott! Seind die groß wordn.«
Eine andere wiederum blickte sie nur abschätzig an, sagte aber kein Wort. Tina bezahlte und schob den Wagen zum Ausgang. Kurz vor der Schiebetüre rannte Kathi zu einem Regal, auf dem Blumenstöcke zum Verkauf angepriesen wurden. »Guck mal, Mama! Die schönen Blumen! Nehmen wir da welche mit?«
»Nein, Kathi. Wo soll ich mit denen denn noch hin? Unsere Fensterbänke sind doch voll davon.«
»Aber Mama, in meinem Zimmer steht gar keiner!«
»Du kannst dir daheim einen vom Küchenfenster aussuchen. Aber nicht wieder das Gießen vergessen«, lächelte sie mühsam. Sie lud die Waren in den Kofferraum und setzte sich ins Auto. Dort wartete sie, bis auch Tommy und Kathi saßen und ließ den Motor an. Tommy saß vorne auf dem Beifahrersitz und beobachtete Tina, die soeben schniefte. Auch Kathi war dies nicht entgangen und fragte deshalb:
»Was ist, Mami? Haben wir etwas falsch gemacht?«
»Nein, meine Kleine. Ihr habt nichts falsch gemacht.«
»Was wollte Herr Langer eigentlich von...