Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es war der Samstagabend vor dem vierten Advent. Wie gebannt lauschte Chefinspektor Martin Egger der weihnachtlichen Musik im aus dem achtzehnten Jahrhundert stammenden Mössler Stadel in Neukirchen am Großvenediger. Er konnte gar nicht genug bekommen von der Musik. Es war ja auch kein Wunder, denn schließlich befanden sich soeben seine Frau Julia und sein dreizehnjähriger Sohn Moritz, einer seiner beiden Zwillinge, dort oben auf der Bühne und spielten ein Weihnachtslied. Moritz auf dem Klavier und Julia auf einer Geige, die sie vom Verein der Musikfreunde in Salzburg zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Extra für diese Aufführung hatte man ihr die wertvolle Geige von Giuseppe Guadagnini gegeben, mit der Bitte, sehr gut darauf aufzupassen. Schließlich war diese Geige, dieses einzigartige Instrument, Millionen von Euro wert. Nicht nur deshalb wurde sie in einem Museum, das der Verein leitete und betreute, aufbewahrt. Julia und Moritz waren von der Autorengruppe Schreib's Auf gebeten worden, bei dieser adventlichen Veranstaltung mitzuwirken.
Martin beobachtete die anderen Zuhörer. Ihm fiel dabei auf, dass viele der Anwesenden junge Mädchen waren. Offenbar waren sie nur wegen Moritz hier, der neben seiner Mutter Julia groß angekündigt worden war. Vielleicht hatte Moritz auch Freikarten verteilt, die er als teilnehmender Künstler zur Verfügung gestellt bekam.
Soweit Martin wusste, hatte Julia ihre Karten ihm überlassen. Sie behielt nur wenige für sich, die sie in der Nachbarschaft verteilt hatte. Martins Schwester Helga war nicht dabei, denn sie musste auf die dreijährige Leni und Max, den Zwillingsbruder von Moritz, aufpassen. Max hatte sich vehement dagegen gewehrt, weil er meinte, dass er mit seinen dreizehn Jahren keinen Aufpasser mehr brauche und auch Lenchen durchaus alleine beaufsichtigen könne.
Max und Moritz waren zwar Zwillinge, aber dadurch, dass sie zweieiige Zwillinge waren, dennoch so verschieden wie Tag und Nacht. Während Moritz seiner viel zu früh verstorbenen Mutter glich, ähnelte Max mehr seinem Vater. Moritz hatte blonde Haare, blaue Augen und Sommersprossen. Er war schlaksig und sportlich. Seine Lieblingsbeschäftigungen waren zu musizieren und Fußball zu spielen. Das Talent zur Musik hatte er von seiner Mutter geerbt, die zu Lebzeiten Meisterschülerin in Salzburg gewesen war. Max dagegen hielt sich am liebsten in seinem Zimmer auf, wo er gerne und viel las. Er war genauso wie Martin dunkelhaarig, hatte braune Augen und war pummelig, was dazu führte, dass Moritz ihn ab und zu aufzog.
Max war mehr als froh gewesen, dass er nicht mit zum Konzert gemusst hatte. Er hielt Moritz' Musik für altertümliche Dudelei und völlig überflüssig, da er selber lieber moderne Musik hörte. Diese Musik wiederum veranlasste Moritz zu protestieren: »Mach dieses Geschrei aus. Da krieg ich ja Ohrenkrebs!«
Martin bewunderte seine Frau, die in einem bodenlangen moosgrünen Dirndl mit goldfarbener Schürze und weißer Bluse auf der Bühne stand. Dazu trug sie eine silberne Kropfkette mit roten Korallen. Moritz hatte seinen neuen Anzug herausgeholt und angezogen. Der alte stammte noch von seiner Firmung und war inzwischen etwas klein geworden. Mit dem weißen Hemd und der schwarzen Schleife sah er richtig professionell aus.
Inzwischen waren Moritz und Julia mit ihrem Stück am Ende und verbeugten sich vor dem Publikum, das frenetisch stehend applaudierte und eine Zugabe forderte. Martin wusste, dass Julia sich dem nicht entziehen konnte. Julia warf einen Blick zu der Autorengruppe, von der sie wusste, dass sie eigentlich einen streng geplanten Zeitablauf hatte. Erst als eine der Autorinnen nickte, flüsterte sie Moritz etwas zu, der sich sofort wieder ans Klavier setzte. Sie spielten das im Salzburger Land vor zweihundert Jahren erstmals aufgeführte Lied »Stille Nacht, heilige Nacht«.
Es dauerte nicht lange, da fiel das Publikum ein und sang mit voller Inbrunst mit. Martin lief ein angenehmer Schauer den Rücken hinunter. Er beobachtete die Leute und sah, dass die jungen Mädchen nicht umhinkonnten, die eine oder andere Träne wegzuwischen.
Schließlich war das Stück zu Ende und wieder forderte das Publikum eine Zugabe. Julia wollte aber den Ablauf offenbar nicht weiter stören, sondern verbeugte sich mit Moritz an der Hand. Martin sah, wie sie die Geige hinter die Bühne brachte, wo er einen Polizeibeamten abgestellt hatte, der sie übernehmen sollte, und wo auch ein weiterer Kollege wartete.
Schließlich kamen Julia und Moritz zu Martin, der an seinem Tisch zwei Plätze für sie reserviert hatte. Sofort sprangen die jungen Mädchen auf und umringten den Tisch. Mangels eigener Autogrammkarten unterschrieb Moritz der Einfachheit halber auf den Eintrittskarten. Dazu eine Widmung, die er mit einem Herzchen schmückte. Auch Julia wurde um Autogramme gebeten, aber ihre Fans gehörten eher in die Klasse fünfzig plus.
Hofrat Magister Ernst Gmeiner, der direkte Vorgesetzte Martins, saß ebenfalls mit am Tisch und beobachtete die Szene mit leichtem Schmunzeln. Gmeiner war bereits fünfundsechzig Jahre alt und wohl beleibt. Er trug einen Vollbart des Modells Kaiser Franz Joseph des Ersten. Gmeiner war es auch, der es letztendlich ermöglicht hatte, dass Julia die wertvolle Geige spielen durfte. Er hatte durch seine Position die richtigen Kontakte und kannte die wichtigen Leute. Er war ein strenger Vorgesetzter, der es trotz seiner Freundschaft zu Martin und seiner Familie immer wieder fertigbrachte, Martin unter Druck zu setzen. Obwohl er selbst in Salzburg lebte, sagte er in typischem Wiener Dialekt: »Gnädige Frau, es ist mir immer wieder eine wahre Freude, Ihnen zuhören zu dürfen. Dasselbe gilt für dich, junger Mann.«
Moritz schien dieses Lob peinlich zu sein, denn er errötete leicht und blickte nach unten. Sie lauschten noch eine Weile den Gedichten und Liedern, die die Autorengruppe zum Besten gab.
Gerade begann ein Quintett zu singen: »Jo, jo, dürü . jo, jo dürü .«, als es draußen krachte. Die Sänger verstummten sofort und schauten sich entsetzt an. Auch das Publikum war offenbar überrascht worden. Sofort setzte ein Stimmengewirr ein, aus dem verschiedene Meinungen zu hören waren. »Da hat's oam den Reifen zrissn«, »Des woar a Fehlzündung bei am Moped«, »A geh Schmoarrn, do hot oana gschossn«.
Martin sprang auf und rannte nach draußen. Nur dumpf hörte er durch das dichte Schneetreiben den Motor eines Fahrzeugs. Gerade noch die Rücklichter schimmerten durch den heftig fallenden Schnee, bevor es hinter der nächsten Kurve verschwand. Er sah sich um. Gleich um die Ecke lag bäuchlings im Schnee eine Gestalt, die sich nicht mehr bewegte. Unter ihr färbte sich der Schnee blutrot.
Martin lief hin und drehte sie um. Erschrocken sah er, dass es der Polizist war, dem Julia zuvor die Geige übergeben hatte. Aber wo war die Geige und vor allem der zweite Kollege? Martin entdeckte einige Meter entfernt eine weitere Gestalt im Schnee. Diese aber ächzte und stöhnte. Beim Versuch, sich aufzurichten, schwankte der Mann und fiel wieder um. Martin ging hin und half ihm auf die Beine. Es war tatsächlich der zweite Beamte. Martin zog sein Handy hervor und rief in der Neukirchner Dienststelle an.
»Polizeidienststelle Neukirchen, Dienstgruppenleiter Wallner. Was kann ich für Sie tun?«, meldete sich der Kollege.
»Egger hier. Herr Wallner, schicken Sie bitte sofort ein paar Mann zum Mössler Stadel. Es gibt einen Toten. Verständigen Sie bitte auch gleich die Gerichtsmedizin und die Spurensicherung.«
»Sofort, Herr Chefinspektor«, bestätigte Wallner.
Martin trennte die Verbindung und rief den Notarzt. Auch von dort wurde ihm bestätigt, dass ein Fahrzeug zu ihm kommen würde. Inzwischen waren nicht nur eine Menge Leute, sondern auch der Hofrat herausgekommen und standen im Halbkreis um Martin und die Leiche herum.
»Ach, gehen S', Herr Hofrat«, bat Martin. »Schicken S' doch die Leut weg. So was ist unanständig, einen Toten anzustarren.«
Schon war das Martinshorn eines Streifenwagens zu hören, der die Straße hochkam, in die der andere Wagen zuvor verschwunden war. Wallner höchstpersönlich hatte sich der Sache angenommen und stieg aus. Er tippte kurz an die Mütze, als er Martin erkannte.
»Guten Abend, Herr Chefinspektor. Was haben wir denn da?«, fragte er und trat auf den Toten zu.
»Das ist ein toter Kollege, Herr Wallner. Haben Sie die SpuSi und die Gerichtsmedizin verständigt?«
»Ja, hab ich. Die müssten eigentlich auch bald hier eintreffen.«
»Wissen Sie, ob der Mann Familie hat?«
»Ja, hat er. Eine Frau, die im Rollstuhl sitzt und seine Mutter, glaub ich, lebt auch noch.«
»Würden Sie die Familie benachrichtigen?«
»Ja, mach ich, Herr Chefinspektor.«
Martin zeigte in die Runde. »Herr Wallner, könnten Sie nicht noch ein paar Kollegen herbeordern, die hier alles absperren?«
»Sie meinen, wegen der Neugierigen?«
»Ja, und wegen der Spuren, die es hier geben muss.«
»Mach ich sofort, Herr Egger.«
»Dann lassen Sie bitte noch die Straßen in Richtung Gerlos und in Richtung...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.