Schweitzer Fachinformationen
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Lucy kehrt nach ihrem Studium auf die Kamelieninsel in der Bretagne zurück, wo sie in die Kosmetikfirma ihrer Mutter Sylvia einsteigen soll. Aber es ist nicht so einfach, sich wieder in den Ort ihrer Kindheit einzufinden. Als eine Reise nach Japan zu einer Kamelienölmanufaktur ansteht, ist Lucy darüber mehr als erfreut, zumal sie unterwegs den attraktiven Finn kennenlernt und mit ihm einen zauberhaften Tag in Tokio verbringt. Doch ist Finn wirklich der, den sie in ihm sieht? Und kann sie ihre Mission für die Kosmetikfirma ihrer Familie erfüllen? Denn die Manufaktur steht durch den Tod ihres Inhabers kurz vor dem Aus und Lucys Zeit in Japan verläuft völlig anders als geplant ...
Die Kamelieninsel hüllte sich in einen rotgoldenen Schleier, als Lucinde Riwall an diesem Herbstabend die bretonische Küste erreichte. Im Westen war gerade die Sonne untergegangen und ließ den Himmel in spektakulären Farben erglühen. Lucy, wie sie von allen genannt wurde, steuerte ihren Peugeot über die vertraute, mit uralten Platanen gesäumte Allee und betrachtete fasziniert, wie sich mit jedem Augenblick das Spiel von Licht und Schatten veränderte, bis das Rot verblasste und sich ein lavendelfarbenes Blau, schimmernd wie Glas, über die Landschaft legte, in der die Insel in der Ferne zu schweben schien.
Lucy öffnete das Fenster und sog tief die Luft ein. Es roch nach Meer und Kindheit. Hier war sie aufgewachsen, inmitten dieses beständigen Wechsels der Gezeiten und der Wetterlagen, vertraut mit Sturm und Wind, Sonne und Regen, Nebel und funkelnden Tagen unter einem leuchtend blauen Himmel. Und sie fühlte ganz deutlich, dass ein Teil von ihr an diesem Ort fest verwurzelt war, so wie die uralten Kamelienbäume im Garten ihres Vaters, auch wenn sie dies während ihrer Zeit in Paris mitunter vergessen hatte. Doch was war mit dem anderen Teil in ihr? Wohin zog sie der?
Die ersten schiefergrauen Häuser des Küstenstädtchens kamen in Sicht, gespannt hielt Lucy nach Veränderungen Ausschau, seit sie im Sommer das letzte Mal hier gewesen war. Die kleine Ferienanlage mit den zehn Wohnungen, über die es so viele Diskussionen gegeben hatte, war inzwischen fertig, sicher würden an Weihnachten die ersten Gäste darin schon ihre Ferien verbringen. Lucy fand, dass sich die Aufregung der Anwohner nicht gelohnt hatte: Die Anlage war im Stil der traditionellen bretonischen Häuser aus dem grauen Stein der Gegend erbaut worden und fügte sich angenehm ins Ortsbild ein. Wenn in den Grünflächen um die Gebäude erst einmal die Kamelien größer geworden waren, die aus der Gärtnerei von Lucys Vater stammten, würde das Ganze noch viel unauffälliger wirken.
Der Ort selbst erschien ihr nach ihren Jahren in London und Paris wie eine Ansammlung von Puppenstuben. Hier die Bäckerei, dort die Apotheke und etwas erhöht die graue, trutzige Kirche. Die Reifen des Peugeots rumpelten über das Kopfsteinpflaster, vorbei an Maylis' Crêperie - und schon hatte Lucy den Hafen erreicht. Sie parkte vor dem Bistro und stieg aus. Wie so oft, wenn sie hier ankam, schlug ihr eine heftige Böe zur Begrüßung die langen Haare um den Kopf, sodass sie einen Moment lang nichts sehen konnte. Sie kramte in ihrer Handtasche nach einer Spange und stellte sich mit dem Gesicht in den Wind, um ihre goldblonde Mähne zu bändigen.
»Salut, Lucy«, hörte sie eine Stimme hinter sich. »Wie war die Fahrt?«
Mit großen Schritten kam ein junger Mann auf sie zu, er strahlte über das ganze Gesicht.
»Salut, Gaël!«, rief Lucy freudig und umarmte ihn. »Wie schön, dass du mich abholst! Ich hoffe, du hast nicht allzu lange warten müssen?«
»Pas de problème«, antwortete Gaël. »Kein Problem, ich hab mich drinnen gut unterhalten. Du weißt ja, bei Tanguy erfährt man immer das Neueste. Im Moment ist das Inseljubiläum im nächsten Frühjahr Gesprächsthema Nummer eins.« Er lachte. »Möchtest du noch auf einen Schluck reingehen oder sollen wir gleich los?«
Lucy sah auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor sieben. »Auf der Insel warten bestimmt alle schon.« Fröstelnd schlang sie die Arme um ihren Oberkörper. Natürlich war es hier Ende Oktober viel frischer als in Paris, und langsam senkte sich die Dämmerung über Land und See.
»Du hast recht. Gleich ist Zeit fürs Abendessen. Rate mal, was es gibt.« Er zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
»Womöglich eine godaille?«, fragte Lucy gespannt.
»Ganz genau! Elise hat noch mal selbst Hand angelegt, damit sie wirklich gelingt. Und sogar Solenn hat ihre Kommentare dazu abgegeben. Da kannst du dir vorstellen, wie begeistert Yvonne war.« Er lachte leise in sich hinein und hob Lucys Gepäck aus dem Kofferraum.
»Die Ärmste!« Auch Lucy musste lachen bei dem Gedanken, wie die beiden alten Damen der Haushälterin in die Kochtöpfe schauten. »Das ist sicher nicht immer einfach für sie.« Rasch schlüpfte sie in eine winddichte Jacke, nahm ihren Rucksack aus dem Wagen und folgte Gaël hinaus auf den Anlegesteg zu seinem Boot.
»Na, Hauptsache, sie verderben alle miteinander nicht den guten Fisch«, meinte Gaël und half ihr an Bord der Laouen, was auf bretonisch »freudig« bedeutete. »Iven hat einen super Fang von einem seiner Fischerfreunde besorgt.«
Lucy lief das Wasser im Mund zusammen. Ihr Magen knurrte vernehmlich, seit dem belegten Baguette vor ihrer Abfahrt hatte sie nichts mehr gegessen, und den bretonischen Fischeintopf aß sie für ihr Leben gern.
Sie warf einen prüfenden Blick auf den Atlantik.
»Ziemlich ruhig heute«, sagte Gaël mit verständnisvollem Grinsen und half ihr an Bord. Verlegen verstaute Lucy ihr Gepäck und zurrte zum Schutz vor dem unvermeidlichen Spritzwasser eine Plastikplane darüber, holte die Rettungsweste aus ihrem Klappfach und legte sie an. Jeder hier an der Küste wusste, dass Lucy bei der Schaukelei während der Überfahrt hin und wieder übel wurde, ganz besonders Gaël, der sie kannte wie ein Bruder seine Schwester, denn als Sohn von Coco und Gurvan, den Mitarbeitern von Lucys Vater, waren sie gemeinsam auf der Kamelieninsel aufgewachsen. »Alles klar?«, fragte er, und als sie nickte, löste er die Leinen und startete den Motor.
Umsichtig steuerte er die Laouen aus dem Hafen. Sogleich griffen die Wellen nach dem Boot, und Lucy hielt sich an der Reling fest, konzentrierte sich darauf, im Rhythmus des Seegangs zu atmen. Eine Weile folgten sie der Uferlinie des Festlands, und Lucy reckte den Hals, um einen Blick auf das Kamelienhaus zu erhaschen, den Sitz der Kosmetikmanufaktur ihrer Mutter. In der aufwendig restaurierten historischen Konservenfabrik waren außerdem eine ganze Reihe von Geschäften und ein Café untergebracht. Die unzähligen Fenster in der Backstein-Fassade blitzten im letzten Abendschimmer kurz auf, dann änderte Gaël den Kurs in Richtung offene See, und das Gebäude versank hinter ihnen im Dunst.
Sie fuhren durch die anbrechende Nacht, und Lucy gewöhnte sich an das harte Auf und Ab des Bootes, wenn es die Wellen schnitt. Schließlich erkannte sie zwei wohlvertraute Erhebungen, die wie die ungleichen Höcker eines Kamels aus dem Wasser ragten. Möwen kreisten darüber und verjagten sich gegenseitig mit lautem Kreischen von diesen Schlafplätzen. Lucys Mutter hatte erzählt, dass dies die Überreste einer Landbrücke waren, mit der die Insel vor langer Zeit mit dem Städtchen verbunden gewesen war. Während eines schweren Sturms hatte der Atlantik diesen Fahrdamm unwiederbringlich zerstört. Das war kurz vor Lucys Geburt geschehen, deshalb kannte sie die abenteuerliche Straße, die mitten durchs Meer verlaufen und ausschließlich bei Ebbe passierbar gewesen war, nur von Fotografien und Erzählungen, genau wie Gaël, der ein halbes Jahr jünger war als sie.
Vor ihnen tauchten die spärlichen Lichter der Insel auf, die Positionslaternen der Anlegebucht und darüber der warme Schein aus den erleuchteten Fenstern des großen Herrenhauses. Zwei Lampen erhellten die vielen steinernen Stufen, die von dem kleinen Naturhafen die Steilküste hinauf zum Anwesen führten - ansonsten war die Insel nachts in Dunkelheit gehüllt, was sie zu einem Paradies für seltene Vogelarten machte, über das sich die Besucher im Naturschutzzentrum informieren konnten. Denn außer den Vögeln lebten hier nur Lucys Familie und die Mitarbeiter der Gärtnerei des auf der ganzen Welt für seine erlesenen Züchtungen berühmten Jardin aux Camélias.
Von der Küste zurückgeworfen, bäumten sich die Wellen noch höher auf als auf offener See. Vorsichtig lenkte Gaël die Laouen gegen die Brecher in die enge Bucht. Das war überhaupt nicht einfach, und Lucy erinnerte sich mit Schaudern daran, wie lange sie gebraucht hatte, um dieses Manöver einigermaßen zu beherrschen, ohne dass ein Boot Schaden nahm, und es gelang ihr auch heute nur bei ruhigem Seegang. Was dies anbelangte, schlug sie kein bisschen nach ihrer Mutter, an der ein zweiter Seemann verloren gegangen war, wie Pierrick immer gesagt hatte, der ihr das alles beigebracht hatte. Wehmütig dachte sie an diesen großartigen alten Mann, der die gute Seele der Gemeinschaft gewesen und leider vor einigen Jahren hochbetagt gestorben war. Inzwischen hatte Tristan seine Aufgaben übernommen, kümmerte sich um die Instandhaltung der Gebäude, um die Boote und was sonst so anfiel. Und wenn Tristan seine Arbeit auch ausgezeichnet versah, so vermissten doch alle Pierrick, der schon auf der Insel gelebt hatte, lange bevor Solenn und Lucys Großtante sie gekauft und den Jardin aux Camélias gegründet hatten. Denn Pierrick ersetzen - das konnte keiner.
Gaël sprang aus dem Boot und vertäute sorgfältig die Leinen. Lucy reichte ihm das Gepäck und stieg selbst an Land. Kaum spürte sie den Fels unter ihren Sohlen, hatte sie das Gefühl, eine andere Welt zu betreten, die heile Welt ihrer Kindheit.
Der Weg hinauf zum Haus war steil und beschwerlich, und Lucy fragte sich, wie Solenn, die im kommenden Frühjahr ihren neunzigsten Geburtstag feiern würde, es immer noch schaffte, diese unregelmäßigen Steinstufen zu meistern, denn keiner konnte sie davon überzeugen, ihr geliebtes Boot Sirène aufzugeben und nicht mehr mit ihm, wann immer es ihr in den Sinn kam, ans Festland zu fahren....
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