Zoe Held
Tango der Leidenschaft - Shadows of Love
Der Taxifahrer hält vor einem frisch sanierten Altbau in der Innenstadt. Er hilft mir mit meinem Koffer und braust davon. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Ich betrachte die kleine Steintreppe und die beiden Löwen neben dem Eingang, die vor der klassizistischen Fassade fehl am Platz wirken.
Ein russischer Geschäftsmann, Baubranche, hat Ilja gesagt. Ilja hat mir den Kontakt verschafft, sonst wäre ich gar nicht gefahren. Wir tanzen seit über zehn Jahren zusammen. Wir haben gemeinsam angefangen, uns hochgearbeitet und zusammen Erfolge gefeiert.
Mein Tanzpartner ist zugleich mein bester Freund. Einer der wenigen Freunde, die übrig geblieben sind neben dem Turniertanz und meinem Halbtagsjob in einer Steuerkanzlei. Ilja ist wirklich ein Süßer, vollkommen uneitel und immer hilfsbereit. Er scheint keinerlei Konkurrenzdenken zu kennen, obwohl der Wettbewerb doch so hart ist. Und er war der Einzige, der meinen Plan, mir eine Tanzschule aufbauen zu wollen, von Anfang an vollauf unterstützt hat. Nicht einmal die Fernbeziehung, die er seit einem Jahr mit einem gewissen Sertsch führt, hat daran etwas geändert.
Und keine Angst, Süße, ich kenne ihn. Er hat zwar gerne hübsche Mädchen am Start, aber er hat mir versprochen, dass er die Finger von dir lässt. Er will einfach nur tanzen lernen, und zwar an einem Wochenende. Ich habe ihm gesagt, dass du die Beste für dieses Unterfangen bist.
Ich atme noch einmal tief durch. Leipzig riecht auch nicht anders als andere Städte, ein bisschen nach Teer, ein bisschen nach Abgasen, ein bisschen nach Sonnenschein. Es ist ein schöner Tag, perfekt für einen Stadtbummel. Ich war noch nie in Leipzig, doch für Sightseeing habe ich keine Zeit. Ich hieve meinen Koffer die Treppe hinauf, betätige die Klingel und bewundere das massive Messing, aus dem sie gefertigt ist.
Ilja wusste auch nicht so genau, womit der Mann sein Geld verdient. Ich weiß nur, dass er mir für das eine Wochenende unanständig viel zahlen will. Es wäre ein ordentlicher Zuschuss für das Startkapital, das ich so dringend brauche, um meine Tanzschule zu eröffnen. Um mir meinen Traum vom Tanzen doch noch zu erfüllen, nachdem es mit dem Turniertanz nun leider endgültig aus ist.
Ein leises Summen ertönt. Ich schiebe die schwere Holztür auf und betrete einen Vorraum, der zu diesem Altbau passt: gerade Linien, blanker Marmor, ein Beistelltisch mit einer vergoldeten Venus darauf, an der Decke Stuck und ein kleiner Kronleuchter. Mein zukünftiger Tanzschüler zeigt also gerne, was er hat, aber er übertreibt es damit nicht. Was hatte ich eigentlich erwartet? Ich sollte aufhören, dauernd darüber nachzudenken, was für ein Typ dieser Mann ist, der für ein Wochenende Tanzunterricht mal eben mehr Geld springen lässt, als ich bisher in meinem Leben in einer Summe gesehen habe!
Am Ende des Vorraums führt eine dunkle Holztreppe in das Obergeschoss des Hauses. Sie knarzt, und kurz darauf sehe ich blank polierte Anzugschuhe. Ich halte die Luft an. Ilja meinte, der Typ würde mir sicher gefallen. Ich habe diese Bemerkung mit einem Augenrollen abgetan. Ich weiß ganz genau, warum ich Männer weitgehend aus meinem Leben verbannt habe.
Das Erste, das mir an ihm auffällt, sind seine unwahrscheinlich strahlenden, blauen Augen. Er trägt einen gut sitzenden Anzug, maßgeschneidert. Nur eine Krawatte fehlt, und seine Manschettenknöpfe blitzen etwas zu auffällig. In sein braunes Haar hat sich schon das erste Grau geschlichen, was ihn nur noch tatkräftiger erscheinen lässt. Ein bisschen wie George Clooney, nur dass mein Tanzschüler nicht so braun gebrannt ist.
»Frau Vogt, wie schön, dass Sie pünktlich sind.« Ein amüsiertes Lächeln erscheint auf seinem Gesicht. Er kommt auf mich zu, streckt die Hand aus, und wie von selbst ergreife ich sie. »Andrej Orlow. Lassen Sie den Koffer fürs Erste dort stehen, ich helfe Ihnen nachher damit. Ich habe dem Personal für heute freigegeben. Ich denke doch, es ist besser, wenn wir allein sind.«
»Sehr gut«, antworte ich knapp, weil er schon wieder nicht meine Erwartungen erfüllt. »Das ist wunderbar«, schiebe ich dann hinterher. Will ich wirklich mit ihm allein sein? Ich fühle einen Kloß in meiner Kehle. Kein Zweifel, dieser Mann hat Ausstrahlung. Und er bewegt sich recht geschmeidig, das ist schon mal ein Anfang. Ich versuche, mich ganz auf die Arbeit zu konzentrieren, die vor mir liegt. Gut, die Voraussetzungen fürs Tanzen stimmen also. Wenn er jetzt auch noch Taktgefühl hat, könnte es ein angenehmer Job werden. Wahrscheinlich will er einfach nicht von seinem Personal dabei beobachtet werden, wie er sich auf der Tanzfläche schlägt. Mehr steckt sicher nicht dahinter, dass wir allein sind.
»Nichts ist ärgerlicher, als gestört zu werden, während man Schritte lernt. Das kann harte Arbeit sein.«
Er lässt sich nicht anmerken, ob meine Bemerkung ihn in irgendeiner Form beeindruckt.
»Vielen Dank, dass Sie die Reise aus Düsseldorf auf sich genommen haben, Frau Vogt. Darf ich Ihnen das Wohnzimmer zeigen? Ich denke, der Parkettboden dort müsste sich fürs Tanzen eignen und der Platz ausreichen.«
Für diese Summe ist mir kein Weg zu weit, denke ich mir nur und nicke ihm knapp zu. Er will also direkt zur Sache kommen. Umso besser, denn das Tanzen hat mir schon immer geholfen, meine Gedanken zu ordnen. »Geben Sie mir zwei Sekunden, um die Schuhe zu wechseln. Dann können wir starten.«
Er lacht leise auf. Sein Lachen erinnert mich an einen wilden Bergbach, und es scheint tief aus seiner Seele zu kommen. »Verzeihen Sie, ich bin wohl etwas vorschnell. Gleich hier vorn links ist ein kleines Badezimmer. Nehmen Sie sich alle Zeit, die Sie brauchen. Dann gehen Sie einfach den Gang hinunter ins Wohnzimmer. Kann ich in der Zwischenzeit noch etwas für Sie tun?«
»Hier.« Ich krame in meiner Handtasche nach dem USB-Stick, auf den ich die passende Musik gezogen habe. »Wenn Sie dafür sorgen könnten, dass wir Musik haben? Ich habe die Ordner nach Tänzen angelegt. Wir starten mit dem langsamen und dem klassischen Wiener Walzer, die können Sie immer brauchen.«
»Gerne.« Als er den Stick entgegennimmt, berühren sich unsere Hände für einen Augenblick. Ein warmer Schauder fährt durch meinen Körper. Sein Geruch hüllt mich ein. Er hat ein dezentes Aftershave aufgelegt, das mir sofort in den Kopf steigt. »Was kann ich Ihnen zu trinken anbieten?«
»Wasser, ohne Kohlensäure, wenn es geht.« Ich muss mich zusammenreißen. Was hat Ilja noch gleich gesagt? Er mag schöne Frauen, aber dich lässt er in Ruhe? Dann ist er also ein Playboy. Ich sollte mich davon wirklich nicht beeindrucken lassen, schließlich habe ich hier nur einen Job zu erledigen, der mir den Start in eine neue berufliche Zukunft ermöglichen soll. Und ich denke nicht im Traum daran, mich dabei von irgendeinem Geschäftsmann vernaschen zu lassen.
»Selbstverständlich«, antwortet er mir. Seine dunkle Stimme klingt in meinen Ohren nach. Das letzte Mal, als mein Bauch so geflattert hat, hätte es mich beinahe die Karriere gekostet. Und jetzt schon wieder?
Reiß dich zusammen, Julia. Du bist zum Tanzen hier, das ist alles. Und er will auch nichts anderes von dir, kapiert? Ich lächle ihm noch einmal unverbindlich zu, greife fest um die Henkel meiner Handtasche und steuere das Badezimmer an. Sich ein bisschen frisch zu machen kann nach der langen Bahnfahrt wirklich nicht schaden.
Andrej hat wirklich Talent und Taktgefühl. Es fühlt sich vollkommen natürlich an, in seinen Armen zu liegen und von ihm geführt zu werden - auch wenn er sich natürlich nicht so geschmeidig bewegt wie mein Tanzpartner. Der Wiener Walzer liegt ihm besser als der langsame Walzer, mit dem wir zunächst angefangen haben, um die Schrittfolge einzuüben. Nach und nach habe ich das Tempo erhöht, um die Geschwindigkeit des Wiener Walzers zu erlangen, und siehe da, die schnellen Drehungen scheinen Andrej zu gefallen.
Ob dieses Glücksgefühl in meinem Bauch wirklich nur daher kommt, dass mein Schüler sich so gut anstellt und ich mir das wenigstens zum Teil selbst zuschreibe? Ich nutze die Pause zwischen zwei Liedern, um mich für einen Augenblick von ihm zu lösen. Ein konzentrierter Ausdruck liegt auf seinem Gesicht. Er scheint das mit dem Tanzen wirklich ernst zu meinen.
»Darf ich erfahren, für welchen Anlass Sie all das hier lernen wollen?«, frage ich und greife nach der Fernbedienung. »Dann wüsste ich auch, worauf wir den Schwerpunkt legen sollten. Sie können unmöglich an einem einzigen Wochenende alles lernen.«
»Es gibt keinen Anlass.« Plötzlich verdunkelt sich seine Miene. »Das geht Sie nichts an«, knurrt er und wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Wieso stört ihn diese harmlose Frage so sehr?
Gut, es geht mich ja wirklich nichts an, wofür er sein Geld ausgibt. Ich zappe mich durch die Ordner zurück zum Wiener Walzer. Roxette, Crash! Boom! Bang! - schon etwas älter, aber immer noch eines meiner Lieblingsstücke. Eines der wenigen, die wirklich eine Saite in mir zum Klingen bringen und mich an die bisher einzige längere Beziehung in meinem Leben erinnern. Sie war ein Desaster, also lasse ich besser die Finger von weiteren Versuchen. Ich habe das Tanzen, das reicht.
Andrejs Lippen bewegen sich lautlos. Er sucht nach dem Takt, dann hebt er die Arme. Ich schmiege mich an ihn. Ganz von selbst drückt sich meine Hüfte an seine. Mein Herz schlägt wie wild. Für die schnellen Drehungen ist es einfach notwendig, den...