Schweitzer Fachinformationen
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orsichtig öffnete Wite die Tür. Rota stand dicht hinter ihr, ein schmaler Sonnenstrahl erhellte die dunkle Hütte. Die Sturmwolken schienen sich endgültig verzogen zu haben. Rota musste sich beherrschen, nicht nach vorne zu drängen, so groß war ihr Verlangen, hinauszukommen und Licht auf ihrem Gesicht zu spüren. Die stickige, schwüle Luft im Raum war für sie kaum noch auszuhalten, die Frische draußen mehr als einladend.
Wite schien es nicht eilig zu haben. Das Chaos draußen war gefährlich. Der heftige Wind hatte mit Gewissheit Bäume umgerissen. Giftsorpos konnten zwischen den Zweigen und Blätterhaufen stecken. Wite würde sich langsam vorantasten, das wusste Rota, doch dafür fehlte ihr die Geduld.
Sie warf einen Blick auf die Schemen ihrer Eltern und Geschwister, die im Raum standen und darauf warteten, dass Wite die Tür ganz öffnete. Die Dunkelheit schien die Luft noch zu verdichten. Rota musste hinaus.
"Und, alles wieder gut?" Ungestüm drängte sie sich an ihrer Schwester vorbei. Sobald sie vor der Tür stand, atmete sie durch. Es war draußen fast genauso schwül wie drinnen. Doch es wehte ein Wind, der den Geschmack von Salz und Meer mit sich trug statt abgestandenem Atem. Rota konnte nicht anders, als ihre wiedergewonnene Freiheit tanzend zu begrüßen. Sie drehte sich im Chaos aus Skrupainblättern, Speni Mos und Soluästen, die der Sturmwind losgerissen und vor ihre Tür getürmt hatte, im Kreis.
"Endlich wieder frei." Sie strich sich über ihr langes Haar, das ihr offen über den Rücken fiel. Ein Blick zurück zur Tür zeigte ihr, dass Wite immer noch dort verharrte, die Gesichter der drei Brüder und zwei Schwestern um sie herum, als wären sie eine mehrköpfige Kreatur. Im Gegensatz zu Rota und den anderen Kindern hatte Wite weißes Haar und eine helle Haut, die wirkten, als wäre die Farbe ausgewaschen worden. Laut der Niambo, den spirituellen Lehrenden des Sumpfvolkes, hatte zu Wites Geburt ein heftiger Sturm gewütet. Der älteste der Niambo, der besonnenwanderte Bagara, erzählte die Geschichte bei jeder Gelegenheit gerne wieder. Hamdi, der Geist des Todes, sei über den Bay gekommen und habe versucht, Leben zu nehmen. Mehrere Hada waren zu dieser Sonnenwanderung gestorben oder für immer verschwunden. Nur der Intervention einer Niambo war die Rettung des Babys zu verdanken. Sie hatte Ayu Vido, den Geist des Himmels, angerufen - das am meisten verehrte Lowa des Sumpfvolkes - und sich von ihm besteigen lassen, um Hamdi zu vertreiben. Die Geister der Naturkräfte in sich aufzunehmen war das Natürlichste der Welt für die Niambo. Doch Wites Rettung hatte seinen Tribut gefordert. Ayu Vido hatte die Farbe von ihr genommen und ihr Herz. So behaupteten es zumindest einige Hada, denen Wites unterkühlt anmutendes Verhalten fremd war. Wite sprach die Dinge aus, wie sie waren, auch wenn es manchen unangenehm war. Aber das war nicht alles, was Ayu Vido an dem Kind verändert haben sollte. Alle im Bay sprachen ihre medizinische Gabe der Berührung der Lowa zu. Mit gerade einmal fünf Oiezyklen hatte sie den Husten ihres Vaters mit einem Kraut geheilt, das die Hada nicht einmal zum Kochen nutzten. Als hätten die Lowa selbst ihr geflüstert, wie sie Nirm heilen konnte. Seitdem waren ihre Kenntnisse ständig gewachsen und ihr Kräutersud galt als wirksamer als der aller anderen Hobalis. Für Rota war Wite einfach ihre Schwester; die, die sie am meisten von allen liebte.
"Nehmt die Körbe, Kinder, und sammelt ein, was Agji uns geschenkt hat", rief ihre Mutter Idis aus der Hütte. Die Gesichter der Geschwister verschwanden. Wite nahm zwei Körbe entgegen.
"Agji sei Dank", sagte die Mutter.
"Agji sei Dank", wiederholte Rota und nahm einen langen Ast zur Hand, den der Sturm von einer Zisu gerissen hatte. Achtsam verschob sie das Durcheinander an Blattwerk, das dem Haus am nächsten lag, um ungebetenen Besuch zum Vorschein zu bringen.
"Komm, hilf mir, Tulo", forderte Rota ihren ältesten Bruder auf. Er war gerade zehn Oiezyklen alt, doch wie man Sorpos aufspürte, ohne gebissen zu werden, das wusste er. Sie hatte es ihm gezeigt. Bereitwillig nahm er einen langen Skrupainstock und tat es Rota nach. Schicht für Schicht wendeten sie das Gewirr aus Sturmgaben.
"Das ist aber viel." Sano, die jüngste der Geschwister, machte große Augen.
Alle sagten im Chor: "Agji sei Dank und der großen Ayu Vido."
Sie waren den Lowa wirklich dankbar. Die Stürme wehten ihnen viele der Dinge, die sie brauchten, direkt vor die Tür. Sie mussten sie nur noch einsammeln.
"Achtet auf gerissene Skrupainblätter", sagte Wite, als sie sich mit den kleineren Geschwistern daranmachte, die sicheren Blätterhaufen zu sortieren, die Rota und Tulo geprüft hatten. Zu oft schon hatte Wite Schnittwunden verbinden müssen, wenn sie Skrupainblätter gesammelt hatten. Die Gefahr von entzündeten Wunden war im Bay allgegenwärtig. "Cora, Kendro, ihr sammelt die Soluzweige."
Die Brüder nickten und stapelten die Äste zu Reisighaufen, die ihnen beim Feuermachen hilfreich sein würden. Das Speni Mos, das sie vom Holz pflückten, legten sie zum Trocknen auf die großen runden Felsen, die unweit ihrer Hütte aus dem Boden ragten. Damit würden sie ihre Matratzen nachstopfen, Seile flechten und Wite würde ihre medizinischen Vorräte auffüllen können.
"Es ist wirklich reichlich von den Bäumen heruntergekommen", sagte Rota. "Der Sturm war sehr stark." Sie hatte es im Gefühl gehabt, dass Agji, Lowa der Stürme, dieses Mal heftig toben würde, lange bevor die anderen Hada die Anzeichen gesehen hatten. Besorgt sah sie zum Miangovwald hinüber, wo die Felder hinter den Bäumen lagen. So großzügig Agji mit den Gaben gewesen war, so hart konnte das Lowa auch über die Anpflanzungen herfallen. Hatten ihm die letzten Opfergaben missfallen, würde es keine Gnade walten lassen.
"Ich hoffe, Vater findet die Felder unversehrt vor", sagte Tulo.
"Das wird schon." Rota vertrieb die Bilder von verwüsteten Sucerinfeldern und rausgerissenen Camolsätzlingen aus ihrem Kopf. "Ayo Vido gibt acht auf die Hada. Sie hat die Felder vor dem Sturm beschützt." Im Gegensatz zu den Petu, die in Ren Ima, der weit entfernten mythischen Stadt mitten im Meer lebten, waren die Lowa den Hada wohlgesonnen.
Als Rota an die Menschen in den Häusern im Wasser dachte, wanderten ihre Gedanken unweigerlich zur Küste. Jedes Mal, wenn ein Sturm den Bay traf, dann war auch die Stadt betroffen. Der Wind riss Dinge mit sich, warf sie ins Meer, als wolle Agji die Petu für ihre Besitzgier strafen und sie Demut lehren. Agiwe, der Geist des Meeres, ließ die Wellen diese Dinge dann an die Küste schwemmen, wie eine Art Ausgleich für all die Opfergaben, die die Hada in ständigem Tribut nach Ren Ima schickten. Oder sie wollten damit zeigen, dass es die mythische Stadt wirklich gab, denn gesehen hatte sie kein Hada. Außer den Niambo, die immer wieder von der Missgunst der dort Lebenden sprachen.
"Was meinst du, was wir dieses Mal finden werden?" Rota sah ihre Schwester Wite an und stellte sich ihre Lieblingsfundstelle vor, dort wo der Cyanal - so nannten sie den Meeresübergang Richtung Stadt - in den Bay überging. Es waren wunderliche Dinge, die dort ankamen, alte Dinge, die teils noch aus der Zeit der Nivasi Drai hätten stammen können, der Zeit, als es noch Unmengen Land gegeben hatte, auf dem eine unvorstellbare Zahl von Menschen gelebt haben sollte.
Rota dachte an das Buch, aus dem sie dieses Wissen entnommen hatte, einer der Schätze, den Agiwe ihr aus Ren Ima geschickt hatte. Es war voller Karten oder dem, was davon übrig war, nachdem es im Wasser gelegen hatte. Es kam Rota wie ein Märchen vor, dass die Welt bis zum Horizont mal von Erde statt von Wasser bedeckt gewesen sein sollte.
"Etwas Nützliches", sagte Wite. "Messer oder andere Metallwerkzeuge."
Rotas Schwester war praktisch veranlagt. Kein Wunder, sie war eine Daktara Holbalis, die ihre Sonnenwanderung damit verbrachte, Kräuter zu sammeln, Medizin herzustellen und Hada zu heilen. Doch auch wenn sie darauf angewiesen war, die Dinge, die sie für ihre Arbeit brauchte, aus der Natur zu holen, wusste sie die Werkzeuge zu schätzen, die sie aus Ren Ima hatten. Da es jedoch keinen Handel zwischen den im Bay Lebenden und den Petu aus der versunkenen Stadt gab, bekamen die Hada nur Metallwerkzeuge in die Hände, wenn der Sturm sie ihnen brachte.
Während Rota noch in Gedanken schwelgte, welche wunderlichen Geschenke sie später finden würden, trat ihr Vater aus der Hütte. Wie alle, die auf den Feldern arbeiteten, um Früchte anzubauen, war er kräftig und hatte ein breites Kreuz. Sonderlich groß waren die Hada allesamt nicht. Die Petu hingegen sollten laut den Niambo schmal und hochgewachsen sein. Den Erzählungen nach hatten die in Ren Ima Ansässigen glatte Haut, die niemals alterte. Vermutlich lag das...
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