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Eine junge Politiklehrerin ist erschrocken: sie hatte einen Jugendoffizier in ihren Unterricht eingeladen und ist nun mit dem Protest einer Friedensbewegung in ihrer Gemeinde konfrontiert - sie habe einseitig eingeladen und womöglich einseitig "informieren" lassen (vgl. Lange/Haarmann 2015). Welcher politische und pädagogische Kontext ist hier zu berücksichtigen?
Ein demokratisches System zeichnet sich vor anderen politischen Systemen durch die Gleichachtung und Gleichberechtigung seiner Bürger aus. Die Gesellschaft, verfasst als Staat, regelt politisch gemeinsame Angelegenheiten, über deren Regelungsbedarf und Regelungen ein Konsens (und sei es durch Mehrheiten) hergestellt wurde. Dabei haben alle Staatsangehörigen das formal gleiche Recht auf Teilhabe, das sich konkret im gleichen Wahlrecht materialisiert. Dieser universale Wert der wechselseitigen Anerkennung ist die fundierende Norm für das Zusammenleben. Das gleiche Recht auf Teilhabe bindet zugleich alle Bürger und Bürgerinnen aneinander, sie sind voneinander abhängig, so dass "Demokratie-Lernen" ein Teil der Allgemeinbildung sein muss. Demokratie ist keine natürliche Tatsache, sondern muss von jeder Generation errungen und ausgestaltet werden.
Demokratische politische Systeme sind Konflikt-Systeme, denn es wird in der Gesellschaft um Definitionen und mögliche Lösungen für Probleme gestritten, Parteien konkurrieren mit ihren Vorschlägen und kämpfen um die politische Entscheidung. Streit, Konkurrenz und Kampf bedürfen des Konsenses über das friedliche Austragen der Konflikte (Konsens über Verfahren), und zwar sowohl auf der Seite von Institutionen (Verfassung als Rahmen) als auch auf der Seite der Bürger und Bürgerinnen (politische Kultur als Dimension der Zivilisation). Konflikt und Konsens bedingen einander - diese Dialektik bestimmt politisches Leben und Lernen.
Die wechselseitige Gleichachtung der Bürger und Bürgerinnen verlangt den Respekt und die Toleranz der anderen Meinungen, auch wenn sie nicht mit der eigenen übereinstimmen (mit Ausnahme demokratiefeindlicher Bestrebungen). Nur: Wie gehe ich mit dem Problem um, dass ich als Lehrerin eine persönliche politische Meinung habe, diese aber nicht meinen Schülerinnen und Schülern aufdrängen möchte? Denn es geht ja um deren eigene Urteilsbildung (vgl. Kap. 1). Wie gehe ich mit dem Misstrauen um, ich vererbte meine Sicht auf die Welt und die Politik, statt politisch zu bilden? Was mache ich mit demokratiefeindlichen Äußerungen von Lernenden?
In den 1960er und 1970er Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde um die Ziele und Wege des Politik-Unterrichts heftig gestritten (vgl. Gagel 2005, 218-221). In einer Situation der Polarisierung didaktischer Konzepte lud die Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg 1976 in den Ort Beutelsbach zu einer Tagung ein. Das berühmt gewordene Ergebnis dieser Tagung war keine inhaltliche Einigung über Ziele und Konzepte, aber ein Konsens zu Grundprinzipien für den Unterricht wurde festgestellt. Dieser Beutelsbacher Konsens ist ein allgemein anerkannter Baustein der Politik-Didaktik:
1.Überwältigungsverbot. Es ist nicht erlaubt, den Schüler - mit welchen Mitteln auch immer - im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der "Gewinnung eines selbständigen Urteils" zu hindern. Hier genau verläuft nämlich die Grenze zwischen politischer Bildung und Indoktrination. Indoktrination aber ist unvereinbar mit der Rolle des Lehrers in einer demokratischen Gesellschaft und der (.) Mündigkeit des Schülers.
2. Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muß auch im Unterricht kontrovers erscheinen. (.) (W)enn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten. Zu fragen ist, ob der Lehrer nicht sogar eine Korrekturfunktion haben sollte (.).
3. Der Schüler muß in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene politische Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen. Eine solche Zielsetzung schließt in sehr starkem Maße die Betonung operationaler Fähigkeiten ein (.). (Wehling 1977, S. 179f. - gekürzt)
Die drei Grundsätze Überwältigungsverbot, Kontroversgebot und Interessenlage der Schüler sind unmittelbar einleuchtend. (Der Grundsatz der Kontradiktorik wurde schon in der Zeit der Weimarer Republik für staatsbürgerliche Bildung diskutiert, vgl. Busch 2015.) Für Lehrende stellt sich die Frage, wie er/sie das Kontroversgebot - das sich aus dem ersten Grundsatz ergibt und zum dritten Grundsatz hinführt - im Unterricht verwirklichen kann. Aus dem Postulat muss Handeln, aus Theorie muss Praxis werden (Reinhardt 2014, 29-32; Grammes 2014). Es wäre ein Irrglaube, Politikunterricht könnte neutral und unparteilich sein, denn das widerspräche der Eigenart demokratischer Politik und der Eigenart der Sozialwissenschaften. Die Scheu vor Konflikten ist zwar verständlich, aber keine angemessene Antwort (Henkenborg u. a. 2008). Der Unterricht darf nicht nur politisch sein, er muss es sein. Aber wie?
Die Heterogenität der Lerngruppen (vgl. Kap. 6) liefert die ersten Antworten:
In den ersten beiden Fällen kann der Lehrer "unpolitisch" bleiben, nach seiner Meinung wird von den Schülern häufig gar nicht gefragt. In den anderen Fällen muss die Gruppe vom Lehrer zum Streiten veranlasst werden. Manchmal reicht die kognitive Repräsentanz anderer Positionen durch Materialien, manchmal muss der Lehrer aber aufrütteln auch durch (scheinbar) persönliche Stellungnahmen. Dann erscheint er womöglich als politisch einseitig (Was tun? s. "Kontroversen", Punkt d).
Das Unterrichtsgespräch, normativ ausgezeichnet als diskursive Verständigung, ist eine sehr schwierige Sozialform (Massing 2014). Die Aufgabe kann erleichtert werden durch die Einbettung in Methoden des Unterrichts. Alle Methoden des Politik-Unterrichts, die die Struktur der Auseinandersetzung im Verlauf einer Unterrichtsreihe bezeichnen, entfalten die Möglichkeit von Kontroversen um einen Gegenstand. Didaktisch akzentuieren sie unterschiedliche Perspektiven auf den Gegenstand, also entweder auf den Konflikt oder auf das Problem oder auf den Fall usw. (vgl. Kap. 11).
Als Beispiel diene die Konfliktanalyse: Die fünf Phasen (= Unterrichtsschritte) beginnen mit der Konfrontation der Lerngruppe mit dem Konflikt. Hier begegnen die Subjekte ziemlich spontan dem Konflikt (z. B. 2014 dem Konflikt um einen gesetzlich festgelegten Mindestlohn) und zeigen ihre Meinungen in einer Abstimmung. In der zweiten Phase, der Analyse, wird der Konflikt mit Hilfe von Kategorien (z. B. Interesse, Recht, Funktionszusammenhang, Ideologie, Menschenwürde) bzw. Leitfragen differenziert und distanziert betrachtet. Dem schließt sich die dritte Phase der (erneuten) Stellungnahmen der Subjekte an, die in der vierten Phase in einem Kontrovers-Verfahren (z. B. Pro-Kontra-Streitgespräch, Talkshow oder Debatte) als Kontroverse gehandelt werden und in eine erneute Abstimmung münden können. Schließlich wird in der fünften Phase, der Generalisierung, ein allgemeiner Strukturkonflikt zu dem besonderen Konflikt gesucht und formuliert.
Die Regeln der Inszenierung und die Dramaturgie des Geschehens sind der methodische Rahmen für vielfältige Gesprächsoder Spielverfahren. Die Vorgaben ermöglichen die subjektive Teilhabe der Lernenden und die objektivere Bearbeitung des politischen Gegenstandes. Wissen und kategoriale Instrumente werden durch den konkreten Konflikt gefordert und nicht als sog. systematisches Wissen vorgegeben.
Demokratische Politik bedeutet sowohl individuelles und kollektives Urteilen als auch partizipatives Handeln. Kollektives und individuelles politisches Handeln ist als unterrichtliches Handeln an institutionelle, gruppendynamische und psychische Bedingungen geknüpft (s. "Kontroversen", Punkt c). Das fachdidaktische Prinzip der Handlungsorientierung bietet Methoden und Verfahren - auch simulativer Art - an, die das eigene Interesse der Lernenden (vgl. Kap. 10) zum Motor des Lernens machen. Das Handeln kann in der Klasse stattfinden (die Klasse gibt sich Regeln und führt diese durch), es kann die Schule betreffen (vgl. Kap. 17) oder die Gemeinde (eine 6. Klasse erwirkt ge-änderte Busfahrzeiten nach Ende des Unterrichts) und schließlich auch die gesamte Gesellschaft (eine 10. Klasse setzt sich für höhere Strafen gegen Rechtsradikalismus und ein Teil dieser Klasse für eine Änderung des Jugendstrafrechts ein, indem sie Stellungnahmen an politische Akteure formulieren). Dabei geht es nie nur um bloße Aktion oder blindes, wütendes Handeln, sondern die (latente) Kontroversität wird durch Methoden und...
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