Herzwärts ins Glück!
Gisela Rieger
(Maxlrain)
Nach anstrengenden langen Monaten war es endlich geschafft: Ich hatte mein Abschlusszeugnis in der Tasche und durfte mich fortan Köchin und Restaurantfachfrau nennen. Die Prüfungen hatte ich mit Auszeichnung bestanden, und so konnte ich mich, ganz wie es der Familientradition entsprach, an einem allein von mir ausgewählten Ort um eine einjährige Anstellung bewerben. Ich sollte Erfahrungen sammeln und neue Eindrücke bekommen, um im Anschluss in unsere Brauerei mit dem dazugehörigen Gasthof im schönen Innviertel einzusteigen. Mein Herz jubelte - denn für mich war eines sonnenklar: Mein Weg würde, ja musste mich nach Bayern, genauer gesagt, nach Oberbayern führen. Seit jeher habe ich ein Faible für die netten und humorvollen bayerischen Gäste, die bei uns im Innviertel nächtigen. Ich liebe den bairischen Dialekt und, ja, ich oute mich hiermit: Noch nie habe ich eine Sendung der Rosenheim-Cops verpasst. Nach kurzer Recherche stand für mich fest: Ich wollte ins Alpenvorland, in die Nähe von Seen und von schöner Natur, also entschloss ich mich dazu, mich im Chiemgau zu bewerben. Endlich würde sich die Gelegenheit bieten, auf den Wendelstein, die Kampenwand und den Heuberg zu wandern. Und vielleicht würde ich so zu mir selbst finden.
»Über den Weg zur Natur findet man leichter den Weg zu sich selbst.«
Als ich meine Entscheidung vor meinen Familienmitgliedern bekannt gab, stellte sich meine Mutter jedoch aus für mich unerklärlichen Gründen total quer: Bayern käme für mich nicht in Frage! Trotz meiner großen Überraschung, mit einer solch harschen Reaktion hatte ich nicht gerechnet, entging mir dennoch nicht, wie mein Großvater bei diesen Worten aufhorchte. Sein späteres Tun brachte schließlich Ereignisse ins Rollen, die niemand hatte voraussehen können. Die Entscheidung, wo ich mein Arbeitsjahr verbringen würde, wurde also erst einmal vertagt.
Für mich war es fast wie ein Sechser im Lotto, als mir mein Opa wenige Tage später eröffnete, dass er eine Golfwoche im schönen Bayern gewonnen habe, die er selbst nicht antreten könne. Sein Rücken würde eine solche Reise nicht mehr mitmachen. Also schenkte er mir diese Tour als Anerkennung für meine bestandenen Prüfungen. Er erklärte mir, dass meine Reise mich in den Landkreis Rosenheim führen werde - meine Rosenheim-Cops würde ich vermutlich nicht antreffen, aber dafür dürfe ich an der Rosenheimer Golfwoche teilnehmen und im empfehlenswerten B&O Parkhotel in Mietraching übernachten. Alle Greenfees im Golfclub Schloss Maxlrain waren bezahlt und, das war mir natürlich klar, Opa würde mir auch noch etwas Taschengeld zustecken. »Der Mama erzählen wir aber nicht, wohin genau du fährst. Da müssen wir ein bisschen flunkern, sonst lässt sie dich womöglich nicht fahren!«, warnte mich mein Großvater.
Mein Opa ist wirklich ein einzigartiger und bemerkenswerter Mensch. Er arbeitet seit jeher sehr gerne und sehr viel. Als mein Vater kurz nach meiner Geburt verstarb, übernahm er auch noch, so gut er konnte, dessen Rolle für mich. Oft nahm er mich mit einem Zwinkern zur Seite und sagte: »Kathi, wir verschwinden schnell und gönnen uns eine kurze Auszeit.« Wenn Opa diesen Satz sagte, wusste ich Bescheid: Auf zum Golfplatz! Alle 18 Löcher schafften wir nur ganz selten, aber jede Woche mindestens zwei Mal spielten wir neun Löcher. Er sagte oft: »Merk dir eins, mein Kind:
Je mehr der Terminkalender mit Arbeitszeiten gefüllt ist, desto mehr Termine sollten für die Auszeiten eingetragen werden!«
Ich freute mich sehr auf diese Woche und bezog voller Vorfreude ein urgemütliches und dennoch modernes Hotelzimmer. Vom Hotel aus machte ich mich direkt auf den Weg nach Maxlrain, schließlich wollte ich den Golfplatz so schnell wie möglich in Augenschein nehmen. Noch im Auto sitzend stockte mir der Atem: Vor mir erhob sich ein unglaublich schönes Schloss. Wie magisch angezogen parkte ich bei der Schlosswirtschaft direkt neben diesem imposanten Gebäude. Ich kann nicht sagen, wie lange ich vor dem großen Gittertor stand, es kam mir alles so bekannt vor. Mein Déjà-vu allerdings musste ich mir einbilden, schließlich konnte ich unmöglich schon einmal hier gewesen sein, denn meine bisherigen Urlaube hatte ich stets mit meiner Mutter verbracht - und die war auf Bayern und seine Bewohner, wie ich jetzt wusste, nicht gut zu sprechen!
Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine Mutter hatte ein Fotoalbum - das »Album der besonderen Erinnerungen«, wie sie es nannte. Sie sagte immer:
»Wenn du im Alter glücklich sein möchtest, solltest du früh beginnen, schöne Erinnerungen zu sammeln. Erinnerungen, die du im Herzen trägst, kann dir niemand mehr wegnehmen.«
Nun war ich mir ganz sicher, eine Postkarte von diesem Schloss in ihrem persönlichen Album gesehen zu haben!
Immer noch in Gedanken nahm ich in der Schlosswirtschaft Platz und bestellte mir zu meinem Kaffee ein paar Apfelkücherl mit Vanilleeis. Dabei fühlte ich mich die ganze Zeit über beobachtet, und so schaute ich mich ein wenig um. Ein älteres Ehepaar, der Sprachmelodie nach Einheimische, sprach mich freundlich an und deutete auf meine Haare: Eine so außergewöhnliche blonde Naturkrause und noch dazu solch leuchtend grüne Augen hätten sie bis dahin erst einmal vorher gesehen. Die ältere Frau meinte, dass hier vor etlichen Jahren eine Frau gelebt habe, die mir zum Verwechseln ähnlich sehe. Dann verabschiedete sie sich lächelnd. Langsam begann ich mich zu fragen, wie das alles zusammenpasste - ach Unsinn, ich schüttelte meinen Lockenkopf und hoffte, damit die unpassenden Gedanken zu zerstreuen. Schließlich war ich hier, um Spaß zu haben und nicht, um ständig vor mich hin zu grübeln.
Um die feinen Süßspeisen besser zu verdauen - O.K., ich gestehe, ich hab mir nach den Apfelkücherln noch ein Stück von dem köstlichen Kuchen gegönnt, den ich am Nachbartisch entdeckt hatte - machte ich mich auf den Rundweg um den Golfplatz. Ich war schon ziemlich gespannt, denn mein Opa hatte mir erzählt, dass der Golfplatz von Maxlrain einer der sensationellsten Golfplätze sei, auf denen er in seinem Leben gespielt habe, und Opa war schon an vielen schönen Orten auf dieser Welt gewesen. Noch dazu gehört der Platz zu den 36 schönsten Leading-Golf-Clubs in Deutschland.
Meine erste Erkundungstour war wirklich beeindruckend. Ein Golfplatz inmitten eines idyllischen Schlossparks mit uraltem Baumbestand und vielen mächtigen Eichen. Als bei einer Wegkreuzung ein älteres Paar an mir vorüberging, hörte ich ein »Liesl«, aber sogleich entschuldigte sich die Frau und meinte, sie habe mich wohl verwechselt. Freundlich nickte ich der Dame zu, ertappte mich aber dabei, wie ich im Weitergehen unwillkürlich den Kopf schüttelte. Es war aber auch zu seltsam, denn mich konnte man eigentlich gar nicht verwechseln. Als Kind hatte ich meine blonde Naturkrause gehasst - aber nun gefällt mir meine »Einzigartigkeit« ganz gut - und jeder, der meinen Namen nicht mehr weiß, sagt einfach »Wuschelkopf« zu mir - und ich fühle mich sofort angesprochen.
Meinen Gedanken nachhängend machte ich noch einen ausgiebigen Spaziergang durch den Forst. Da ich nicht ahnte, wie riesig dieser Wald war, verlief ich mich prompt, fand mich allerdings nach einigen Schreckmomenten außerhalb des Waldes in einem beschaulichen Dörfchen namens Weihenlinden wieder. Dort bestaunte ich entzückt die außergewöhnlich große und wunderschöne Barockkirche. Aber wallfahren wollte ich eigentlich nicht gehen. Auf dem Rückweg zu meinem Auto landete ich hungrig und dem Verdursten nahe in der »Schwemme«. Was für ein seltsamer Ausdruck für diesen wundervollen, eingewachsenen Biergarten mit den typischen großen Kastanienbäumen. Neugierig wie ich bin, habe ich die Wirtschaft natürlich auch von innen begutachtet und war entzückt von den alten Gewölben, die einstmals als Pferdeställe genutzt worden waren.
Nach meiner ungeplanten Laufrunde bestellte ich eine bayerische Schweinshaxe. Ich hatte ja keine Ahnung, dass in der Schwemme eine Schweinshaxe zwar super gebraten und mit einer genialen Kruste versehen, aber die Portion wohl nur von einem sehr stämmigen Bayern zu bezwingen ist. Nun, den Hund am Nebentisch hat's gefreut!
Als ich todmüde wieder im B&O Hotel angekommen war, bemerkte ich auf meinem Nachttisch ein Buch mit dem Titel »Zauberhafte Momente«. Neugierig schlug ich es auf und entdeckte sogleich mein Lieblingszitat von Mark Twain:
»Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.«
Ich las noch ein paar der Geschichten und Zitate und lächelte beim Einschlafen selig vor mich hin, da das Zitat so gut zu meinem Tag passte, denn mein erster Urlaubstag hatte wirklich mit vielen zauberhaften Momenten begonnen.
Am nächsten Morgen genoss ich ein ausgiebiges Frühstück auf der Terrasse direkt am Park und freute mich auf meine erste Runde im Golfclub Schloss Maxlrain. Es fühlte sich fast unwirklich an, in einem echten Schlosspark Golf zu spielen. Am Loch Vier musste ich länger stehen bleiben, um den traumhaften Blick auf meinen geliebten Wendelstein zu genießen. Fast das gesamte Spiel über war ich allein auf dem Platz unterwegs und spielte zügig durch, bis ich zum Loch 16 kam. Da staute es sich ein wenig, da das vorhergehende Turnier noch nicht ganz beendet war. Dort wartete bereits ein großer Mann, den ich auf etwa sechzig Jahre schätzte. Ich grüßte freundlich mit einem: »Servus, ich bin die Kathi, wollen wir die letzten drei...