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Am 26. April des Jahres 121 n. Chr. – Tacitus war gerade gestorben und Sueton stand kurz vor der Entlassung aus dem kaiserlichen Dienst Hadrians – wurde in Rom dem Marcus Annius Verus und seiner Frau Domitia Lucilla ein Sohn geboren, der nach seinem Urgroßvater Marcus Annius Catius Severus genannt wurde. Nach dem Tode seines Vaters um 130 wurde er von seinem Urgroßvater väterlicherseits adoptiert und hieß nun Marcus Annius Verus. Wieder acht Jahre später wurde er von seinem Onkel Titus Aurelius Antoninus adoptiert, den seinerseits Kaiser Hadrian im Februar 138, fünf Monate vor seinem eigenen Tod, adoptiert hatte, und nun hieß er Marcus Aelius Aurelius Verus. Der Onkel wurde bald darauf Kaiser unter dem Namen Antoninus Pius und verlobte dem neu angenommenen Sohn seine Tochter Annia Galeria Faustina. Nach dem Ableben des Kaisers im Jahre 161 wird der Adoptivsohn Kaiser und führt den Titel Imperator Caesar Marcus Aurelius Antoninus Augustus. Die Engländer nennen ihn (Marc) Antoninus, wir Marc Aurel. In die Geschichte ist er als der »Philosoph auf dem Kaiserthron« eingegangen. Seine spätantike Biographie legt ihm ein Platonwort als ständige Maxime bei: »Die Staaten blühen nur, wenn entweder Philosophen herrschen oder die Herrscher philosophieren.« Marc Aurel hat Wort gehalten. Der schweizerische Gelehrte Willy Theiler bescheinigt diesem Kaiser, daß er der »letzte Stoiker war, der Wesentliches zu schreiben wußte«.
Eine der positivsten, vorbildlichsten Gestalten des römischen Kaiserreichs, aber wider Erwarten ist es in der Geschichte ziemlich ruhig um ihn. Zuviel Ruhe und zuwenig Dynamik, zuviel Geist und zuwenig Charisma, zuviel Bewahrung und zuwenig an Neuerung gehen von ihm aus, als daß er sich wie Caesar oder Augustus oder Trajan als ideologische Propagandafigur hätte nutzen lassen. Einzig der Kaiser Julian, zweihundert Jahre nach ihm, der »Apostat« und Restaurateur des vorchristlichen Römertums, würdigt seinen großen Vorläufer gebührend, freilich auf seine Art. Bei einem großen satirischen Götterbankett, zu dem Romulus an den Saturnalien einlud, werden auch die vergöttlichten Kaiser zugelassen und nach ihren Verdiensten und Siegen gefragt. Marc Aurels Lebensziel war es, Gott gleich zu werden, und da er auch sonst sehr weise zu reden versteht, siegt er bei der geheimen Schlußabstimmung. Bei der Nachwelt hingegen fallen zwei schwere Schatten auf diesen unendlich tüchtigen und hochgebildeten Mann. Zum einen gab es unter seiner Regierung zwei Christenverfolgungen – Justin und Polykarp sind die prominentesten Opfer –, zum andern bestimmte er seinen unfähigen Sohn Commodus zum Nachfolger, und die Erklärung dieser Entartung beim Sohn macht die Sache eher schlimmer: Commodus sei das Ergebnis eines Ehebruchs der Kaiserin mit einem Gladiator gewesen. Der große englische Marc-Aurel-Forscher Anthony Birley hält dies für ein Gerücht. Galeria, inzwischen zur Kaiserin Faustina avanciert, hatte Marc Aurel bis 160, dem Geburtsjahr des Commodus, bereits sieben Kinder geboren, insgesamt wurden es dreizehn, von denen die meisten freilich bald starben. Aber das hartnäckige Gerede von Faustinas Affären mit Schauspielern, Ballettleuten und Soldaten sowie die lange, kriegsbedingte Trennung von Marc Aurel nach 169 verleiteten Birley zu dem halbherzigen Urteil: »Einige wenige Seitensprünge dürften nicht schwer genug gewogen haben, die Erinnerung an mehr als zwanzig glückliche Ehejahre auszulöschen.« Wie dem auch sei, unsterblich ist Marc Aurel bei den Kennern philosophischer Literatur durch seine griechisch abgefaßten zwölf Bücher ›An sich selbst‹ (??? ??????), eine Sammlung von nach und nach niedergeschriebenen Essays, die meisten von aphoristischer Kürze, andere von der angenehmen Länge eines guten Feuilletons, hierzulande meist unter dem Titel ›Selbstbetrachtungen‹ bekannt, reizvoll schon durch den Gedanken, daß sie im Feldlager an der nördlichen Donau von einem Manne notiert wurden, dessen Tageslauf aus hartem Kriegshandwerk bestand. Diese leise Tragik von außen verbindet sich mit der starken Innerlichkeit einer ans Sentimentale streifenden Vergänglichkeitsphilosophie zu einem besonderen Reiz für den, der Sinn für diese Schwingungen hat.
Gehen wir dem Lebensweg dieses Mannes einmal nach, dessen Aufstieg aus einfachen Verhältnissen zur Kaiser- und Philosophenwürde sich in den Wandlungen seines Namens niederschlug. Meistens hört man nur von ›sorgfältiger Erziehung‹ späterer Geistesgrößen. Bei Marc Aurel erfährt man, daß er sich auch musischen Künsten widmet, der Malerei vor allem, und schon früh der Philosophie, und zwar in lateinischer und griechischer Sprache. Seinem sympathischen und offenen Wesen muß er die frühe Aufmerksamkeit des Kaisers verdanken. Der alte Hadrian ruft ihn – damals ja noch Annius Verus – zärtlich »Verissimus«, den »Superwahren«, und Hadrian war es auch, der die Adoption von 138 arrangierte und ihn damals als Prinzen designierte, gemeinsam mit dem Sohn des verstorbenen, eigentlich vorgesehenen Nachfolgers. Dieser junge Mann, den Antoninus Pius ebenfalls adoptieren mußte, wurde Marc Aurels Mitkaiser Lucius Verus. Es sind nun ein paar Briefe beider erhalten, und die Geschichte bestätigt das Unwahrscheinliche: Der Doppelprinzipat funktionierte, das Verhältnis der beiden ›Adoptiv-Brüder‹ untereinander und vorher zum gemeinsamen Adoptivvater Antoninus Pius sei herzlich und harmonisch gewesen. Sie hatten gemeinsame, hochkarätige Lehrer: für die lateinische Rhetorik, die Redekunst und Literaturkunde einschloß, den bekannten Rhetor und Stilisten Cornelius Fronto, für die griechische Rhetorik den jedem Griechenlandtouristen bekannten Kunstmäzen Herodes Attikus, einen Mann, der durch Zufall, einen Schatzfund, unermeßlich reich geworden war und mit diesen Mitteln einer kaiserlich vergrößerten griechischen Baukunst klassizistisch zum Durchbruch verhalf.
Von der sehr persönlichen und intimen Hinneigung zu Fronto reden Gelegenheitsbriefe, z. B. Geburtstagsglückwünsche, aber auch thematische Diskurse. In einem recht locker anmutenden, aber wohldurchdachten Kunstbrief schildert Marc Aurel seinen Tagesablauf etwa im Jahre 147 n. Chr.: ». . . ich habe wegen einer leichten Erkältung erheblich länger geschlafen, aber das scheint nun erledigt zu sein. Ich habe also von der elften Nachtstunde (fünf Uhr) bis zur dritten Tagesstunde (neun Uhr) teils in Catos ›Landwirtschaft‹ gelesen, teils selbst geschrieben, und – mein Gott – gewiß weniger erbärmlich als gestern. Nach der Begrüßung meines Vaters habe ich mit Honigwasser, das bis zur Kehle eingezogen und wieder ausgeworfen wird, meinen ›Rachen geheizt‹ – diesen Ausdruck setze ich für ›ich habe gegurgelt‹ denn so steht’s, glaube ich, bei (dem alten Komödiendichter) Novius und anderswo. Nun, nach der Rachenputzerei ging ich zu meinem Vater hinüber und assistierte bei der Opferzeremonie. Dann schritt man zum Frühstück. Was glaubst du, habe ich gegessen? Nur wenig Brot, während ich zusah, wie die anderen Schalenbohnen, Zwiebeln und wohl geschwängerte Heringe verschlangen. Danach gab ich mir mit der Traubenlese Mühe und geriet in Schweiß und war lustig und ließ, wie der Dichter sagt, ›einige hochhängende Überreste der Weinlese zurück‹. Ab der sechsten Stunde (zwölf Uhr) waren wir wieder zu Hause. Ich habe ein bißchen herumstudiert, aber das war sinnlos. Danach habe ich mit meinem Mütterlein, das auf einem Polster saß, viel geplaudert. So verlief nun mein Gespräch: Ich: ›Was, glaubst du, macht jetzt mein Fronto?‹ Sie: ›Was, glaubst du, macht jetzt seine Frau, meine Cratia?‹ Ich: ›Was macht wohl unser Spätzchen, die kleine Cratia?‹ Während wir uns so unterhalten und necken, wer von uns wen von euch lieber habe, schlug der Gong, was die Meldung bedeutet, daß mein Vater zum Bade rübergegangen sei. Wir speisten also frisch gewaschen in der Kelterstube – nicht in der Kelterstube gewaschen, sondern wir speisten gewaschen –, und wir hörten mit Vergnügen den Winzern zu, wenn sie einander hernahmen. Wieder zurück, mache ich, bevor ich mich auf die Seite drehe und durchschnarche, meine Hausaufgabe und gebe meinem herzallerliebsten Lehrmeister Rechenschaft über den Tageslauf, und wenn ich mich noch mehr nach ihm sehnen könnte, würde ich gern noch ein bißchen mehr vor mich hinleiden . . .« Neben dieses familiär idyllische Tableau mit Blick auf den kaiserlichen Frühstückstisch stellen wir das Konterfei, das Julian von Marc Aurel beim Betreten des göttlichen Speisesaals zeichnet; für Authentizität kann aber nicht garantiert werden. »Danach wurde auch Marc Aurel gerufen, und er kam herbei, äußerst distinguiert, die Augen und das Gesicht von der Arbeit angespannt, und er zeigte eine unsägliche Schönheit einfach dadurch, daß er sich nachlässig und ungeschminkt gab. Er hatte einen von der Oberlippe ausgehenden dichten Bart, sein Gewand war glatt und vernünftig, und infolge der eingeschränkten Nahrungsaufnahme erschien sein Körper ganz klar schimmernd und durchsichtig, wie ich mir das allerklarste und geläutertste Licht vorstelle.« Zieht man die karikierende Anspielung auf das stoische Asketentum des letzten Satzes ab, bleibt dasselbe schlichterhabene Porträt zurück, das uns antike Bildhauer zahlreich überliefert haben und das noch vor kurzem den Rombesucher hoch zu Roß auf dem Kapitol begrüßte.
Der Spannweite dieser beiden Momentaufnahmen entspricht die des Lebensschicksals. Im Jahre 161 war mit der ›goldenen Jugend‹ – Marc Aurel ist immerhin schon vierzig – auch der sonnige Frieden der Ära des Antoninus Pius beendet. Ausgerechnet der Philosoph im Kaiserpurpur mußte das Reich in...
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