Schweitzer Fachinformationen
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Cosima Bellani schleuderte den Spiegel in die Ecke und stampfte wütend mit dem Fuß auf.
Der Lärm lockte Amiri herbei, ihren treuen Sklaven, der erst sie anstarrte, dann den Spiegel und diesen schließlich aufhob. Er war heil geblieben, was Cosima trotz aller Wut erleichterte. Die großen Spiegel, die an den Wänden hingen, waren so kostbar, dass sie sie regelmäßig mit Tüchern verhängte, um zu verhindern, dass sie matt wurden. Wollte sie sich betrachten, musste sie den kleinen ovalen nutzen, den sie in ihrer borsetta, einem kleinen Täschchen, stets bei sich trug.
»Gib her!«, sagte sie unwirsch.
Amiri machte keine Anstalten, ihr den Spiegel zu reichen. »Damit er endgültig kaputtgeht? Was hat dir denn der arme Spiegel angetan?«
Cosima schnaubte. »Der Spiegel behauptet, dass ich neben dem Kinn eine neue Kerbe habe und um die Augen neue Falten.«
Amiri trat näher und betrachtete sie. »Ich behaupte das auch. Wirst du mich nun ebenfalls auf den Boden schleudern?«
Trotz der üblen Laune entglitt Cosima ein Lächeln. »Dich kann man nicht mehr kaputt machen, das bist du schon.«
In der Tat war Amiri ungemein hässlich. Er behauptete, nicht ohne Stolz, sogar der hässlichste Mann von ganz Florenz zu sein. Cosima wiederum betonte stets, ihn seinerzeit nur gekauft zu haben, weil sie sich in seiner Gegenwart schöner fühlte. In Wahrheit hatte sie Mitleid getrieben, aber Mitleid ließ sich eindeutig besser verbergen als ihre Falten.
Amiri war ein Berber, dessen Dorf Sklavenhändler überfallen hatten, als er noch ein Kind gewesen war. Man hatte ihn nach Sizilien verkauft, wo er für einen Landbesitzer schuften musste, der ihm die harte Arbeit noch häufiger als mit Brot mit Peitschenhieben entlohnte. Sein erster Fluchtversuch hatte ihm ein übles Brandmal auf der Stirn eingebracht, nach dem zweiten hatte man ihm den rechten Nasenflügel abgeschnitten. Einzig heil an seinem Gesicht waren seine Augen, nicht schwarz, wie man es ob seiner dunklen Haut vermuten könnte, sondern von einem kristallenen Blau. Diese Augen hatten Cosima Hilfe suchend angeblickt, als er zum dritten Mal geflohen, es diesmal sogar bis nach Florenz geschafft hatte, er hier aber von einem sizilianischen Kaufmann erkannt worden war.
Der Blick aus diesen Augen hatte in Cosima etwas zum Klingen gebracht, von dem sie dachte, es wäre an jenem Tag erloschen, als sie ihre Eltern verloren und sich fürs Hurendasein entschieden hatte. »Ich kann einen sarasin brauchen«, hatte sie dem Kaufmann erklärt, ehe er Amiri der Stadtwache ausliefern konnte, »je hässlicher, desto besser.«
Sarasin wurden die schwarzen Diener genannt, die zu besitzen in Mode gekommen war, doch in Wahrheit war Amiri weit mehr als nur ein Diener. Er war ihr Vertrauter, vor dem sie keinerlei Geheimnisse hatte.
»Lass den Spiegel Spiegel sein«, sagte Cosima. »Fang mir lieber eine Taube.«
Amiri hob die rechte Braue, was bei ihm sehr merkwürdig aussah, bewegte sich aufgrund seiner Narbe zugleich die ganze rechte Seite seines Gesichts, auch der Mundwinkel. Es schien, als würde er lächeln. »Hast du mir nicht heute Morgen erklärt, dass wir uns bei einem der lasagneri unser Mittagmahl kaufen würden? Willst du dir stattdessen lieber ein Täubchen braten?«
Cosima aß für ihr Leben gerne lasagna, jene breiten Nudeln, die abwechselnd mit Käse aufeinandergeschichtet wurden. Für gewöhnlich halfen sie gegen sämtlichen Kummer, nur heute bezweifelte sie, dass sie ihr Gemüt aufhellen würden.
»Ich habe nicht vor, die Taube zu braten und zu essen. Ich will sie aufschneiden, die Innereien herausnehmen und den frischen Leib auseinandergeklappt wie eine Maske auf mein Gesicht legen.«
Nun hob Amiri auch die linke Braue, diesmal regte sich ansonsten nichts. Das Gute an Amiri war, dass er grundsätzlich niemals Ekel, Missfallen oder auch nur Befremden zeigte. Sie konnte ihm die verrücktesten Wünsche ihrer Kunden kundtun, ohne dass er auch nur ein einziges Mal gelacht oder entsetzt aufgeschrien hätte.
»Denkst du, das wird deine Falten mindern?«
Cosima zuckte mit den Schultern. »Alles andere hat jedenfalls nichts genutzt.«
Seit einiger Zeit wickelte sie beim Schlafen ihr Gesicht in ein Tuch ein, um Falten zu vermeiden. Außerdem trug sie regelmäßig eine Maske aus Gurkenwasser, Zitronensaft, Quittensamen und - nun ja, dem Schleim von Nacktschnecken - auf. Beides hatte leider nicht zum erwünschten Ergebnis geführt.
»Ich habe gehört, dass sich eine Frau ihr Gesicht mit kochend heißem Wasser übergossen hat in der Hoffnung, das möge ihre Falten glätten«, murmelte sie.
»Und? Ist es geglückt?«
»Nein, das Gesicht war erst krebsrot, dann löste sich die Haut ab, am Ende sah sie noch schlimmer aus als du.«
»Kränk mich nicht. Niemand ist hässlicher als ich.«
»Doch!«, rief Cosima verzweifelt. »Ich werde es bald sein. Schau mich doch an! Vor Kurzem wurde ich noch für meine rosige Haut gerühmt, für meine prallen Bäckchen, für das süße Grübchen an meinem Kinn. Doch jetzt trage ich das Antlitz einer uralten Frau.«
Amiri trat an sie heran, hob die Hände und begann, ihren Nacken zu massieren, wie er es oft tat. Meist zeigte sie nicht, welche Wohltat das für sie war, nun seufzte sie.
»Du bist noch nicht mal vierzig Jahre alt«, stellte er fest.
»Eben!«, rief sie. »In diesem Alter steht man mit einem Bein im Grab . und mit dem anderen in der Gosse, zumindest wenn man eine Kurtisane ist. Wobei mich bald niemand mehr als Kurtisane bezeichnen wird. Von einer Kurtisane erwartet man blühendes Leben, ewige Jugend. Mich wird man als alte Vettel beschimpfen oder als putta.«
Sie hasste dieses Wort für Hure. Sie wusste zwar, dass sie eine war, aber sie war immer stolz darauf gewesen, niemals in einem dreckigen Winkel der Stadt ebenfalls dreckigen Männern ihre Dienste anbieten zu müssen. Stattdessen konnte sie einen ausgewählten Kundenstamm in einem der drei Räume ihrer Mietwohnung empfangen. Dass sie das geschafft hatte, war in einer Stadt wie Florenz eine noch größere Leistung als anderswo. In Venedig oder gar Rom lebten unzählige Kurtisanen, und ihr Ansehen war so hoch, dass sie den Schleier der ehrbaren Frauen tragen durften. Die Florentiner galten hingegen als zu geizig, um für die Liebe zu bezahlen.
»Weißt du, wer die Schwester der Liebe ist?«, sinnierte sie eben.
»Die Sehnsucht? Das Glück?«
»Unsinn, es ist die Schönheit.«
Seine Hände kneteten den schmerzenden Nacken immer fester. »Man kann auch lieben, wenn man hässlich ist«, erklärte er mit rauer Stimme.
»Und doch habe ich im letzten Monat drei Kunden verloren.«
»Es gibt sicher auch welche, die ältere . erfahrene Kurtisanen bevorzugen.«
Wieder stieß sie ein Schnauben aus, löste sich ungestüm von seinen Händen. »Ich kenne den Spruch, wonach eine alte Henne die bessere Suppe gibt. Aber ich kenne leider keine alte Kurtisane. Nur solche, die, sobald ihnen die Kunden ausblieben, nachts singend durch die Wirtshäuser zogen. Leider kann ich nicht singen. Wenn ich es versuche, klingt es so, als wäre besagte alte Henne noch lebend im Suppentopf gelandet. Andere enden als Wäscherinnen und müssen ihrer Arbeit dort nachgehen, wo Metzger ihre Abfälle in den Fluss schütten.« Sie schüttelte sich. »Da ersaufe ich doch lieber im Arno.«
»So schnell wirst du den Hungertod nicht sterben«, sagte Amiri. Kurz machte er Anstalten, seine Hände erneut auf ihren Nacken zu legen, stattdessen deutete er auf die Reichtümer in diesem Raum, die Cosima in den letzten Jahren angesammelt hatte. Wer ihre Räumlichkeiten betrat, wähnte sich zu Gast bei einem erfolgreichen Kaufmann, der seinen Reichtum in Form von goldverzierter Ledertapete auf der einen Wand, türkisfarbenem Damast auf der anderen und Gobelins auf der dritten zur Schau stellen würde, ganz zu schweigen von den Kupfergefäßen in Wandnischen, den edlen Nussholzmöbeln, außerdem lederbezogenen Sesseln und bemalten Sitzbänken und zu guter Letzt ein paar Gemälden von Heiligen oder antiken Gottheiten, die gar nicht so leicht auseinanderzuhalten, in jedem Fall aber kostbar waren.
»Noch nicht«, sagte sie, »doch was soll ich tun, wenn meine Ersparnisse aufgebraucht sind?«
Amiri zuckte mit den Schultern. »Du könntest in ein Kloster gehen.«
Cosima bedauerte, nicht länger den Spiegel in der Hand zu halten, hätte sie ihn doch gerne auf Amiris Kopf zertrümmert. »Wie kannst du so etwas Schreckliches vorschlagen? Ich komme ja auch nicht auf die Idee, dich in Frauenkleider zu stecken und meinen Kunden anzubieten.«
»Was ist so schlimm an einem Kloster? Nicht in jedem wird nur gebetet und gefastet. In vielen verbringen reiche Damen ihren Lebensabend und genießen sämtliche Annehmlichkeiten.«
»Es gibt das Gerücht, wonach man hässliche Frauen nicht in einem Kloster aufnimmt, wäre das doch ein Zeichen, dass die Not sie dorthin triebe, nicht die Frömmigkeit. Und ich bin ja nun hässlich.«
Sie hoffte, Amiri würde widersprechen, aber diesen Gefallen tat er ihr nicht. Wieder gelüstete es sie, den Spiegel auf ihn zu werfen. Am Ende schnaubte sie nur: »Warum stehst du eigentlich noch rum? Wenn du mir schon keine Taube fängst, dann hilf mir wenigstens beim Ankleiden!«
Bislang hatte sie nur ein seidiges Untergewand getragen. Nun half Amiri ihr in ein dunkelgrünes Kleid aus Atlas. Zuletzt schlüpfte sie in einen Mantel, der mit Fuchspelz gefüttert war. Früher hatte sie gerne nur diesen Mantel getragen und nichts...
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