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Kapitel 7
Der Botschafter war nicht erbaut, dass Ricardo Müller mit einer westdeutschen Kollegin auftauchte.
"Sind Sie noch bei Trost, eine westdeutsche Polizistin in die Vertretung mitzubringen? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, was das für eine Herausforderung darstellt, sie ständig unter Kontrolle zu halten und sicherzustellen, dass sie hier nichts sieht, was sie nicht sehen soll?", hatte er ihn angefahren, nachdem er ihn beiseite- und außer Hörweite von Ellen Zerwas gezogen hatte.
"Herr Botschafter, Sie erwarten sicherlich, dass ich ehrlich mit Ihnen bin. Also muss ich Ihnen sagen, dass es absolut kontraproduktiv wäre, wenn wir in allen Punkten mauern. Wenn dieser Fall aufgeklärt werden soll, dann werden wir wohl oder übel bei einigen Punkten Offenheit walten lassen müssen. Die westdeutschen Kollegen sind erfahrene Ermittler und lassen sich nicht für dumm verkaufen. Da wir ja beide sicherlich davon ausgehen, dass Rubischke nicht von den Herren der Staatssicherheit ermordet wurde, scheint mir das Motiv woanders zu liegen. Je eher wir das belegen können, umso besser für die hohen Herren in der Politik. Ihnen wäre es doch sicherlich am liebsten, wenn es ein kapitalistisches Komplott wäre und wir eine harsche Protestnote an die Regierung dieses Landes senden könnten, da sie zugelassen haben, dass einer unserer Landsleute in ihrem Land ermordet wurde."
Der Botschafter sah ihn mit deutlichen Zweifeln im Gesicht lange an. Aber Ricardo erkannte schnell, dass er die richtigen Worte gefunden hatte. Selbstverständlich hatte auch der Botschafter die Befürchtung, dass es sich um eine Strafaktion der Staatssicherheit gehandelt haben könnte, was wieder zu neuen Verwicklungen im deutsch-deutschen Verhältnis geführt hätte.
"Nun gut, ich will sehen, was ich machen kann. Ich denke mal, unser verehrter Kulturattaché kann uns mehr über die Familienverhältnisse von Rubischke sagen."
Ricardo konnte zwischen den Zeilen heraushören, dass es auch dem Botschafter nicht angenehm war, in der Person des Kulturattachés einen Aufpasser des MfS in seiner Nähe zu haben. Das konnte eine gute Voraussetzung dafür sein, dass er vielleicht mithilfe des Botschafters auch Informationen am Schnüffler der Staatssicherheit vorbei austauschen konnte.
"Es wäre sicherlich auch nützlich, wenn wir wüssten, mit welchen Personen aus dem Westen Rubischke Termine hatte. Immerhin könnte auch einer von denen hinter dem Mord stecken."
Botschafter Neubauer nickte bedächtig.
"Gehen Sie am besten mit der Kollegin in ein Büro, das Ihnen mein Sekretär zuweisen wird, und warten Sie dort. Ich will sehen, was ich an Informationen bekommen kann, und lasse sie Ihnen dann dort zukommen."
Folgsam dackelten Ricardo und Ellen hinter dem eilends herbeigerufenen Sekretär des Botschafters her, der sie in ein Büro im dritten Stock der Botschaft brachte. Schon beim Betreten war Ricardo klar, dass es kein normales Büro war, denn außer einem Schreibtisch und zwei Stühlen gab es keine anderen Einrichtungsgegenstände, wie zum Beispiel Schränke oder die sonst üblichen Aktenböcke. Auf dem Schreibtisch stand verloren ein uraltes Wählscheibentelefon, aber es gab weder Papier noch Stifte.
"Was soll das denn für eine Art von Büro sein?", entrüstete sich Ellen mit in die Hüften gestemmten Händen, sobald der Sekretär sie alleine gelassen hatte.
"Unsere Büros sind alle eher spartanisch, Frau Kollegin", gab Ricardo ihr zur Antwort. Dazu legte er einen Finger auf die Lippen, zeigte anschließend gegen die Decke und in die Ecken des Raumes und machte dann mit beiden Händen eine Geste, die riesige Ohren andeutete.
Die Kollegin begriff sofort, und ihr Mund formte ein überraschtes "O".
"Aber ich denke", fuhr Ricardo fort, "dass es sich um ein freies Büro handelt, das für überraschend zugeordnete oder auf Dienstreise befindliche Kollegen gedacht ist und eben nur ausgestattet wird, wenn es erforderlich ist."
Ellen schien zu überlegen, was sie noch sagen konnte oder durfte. Aber sie war auch nicht der Typ, der nun eine unbestimmte Zeit schweigend dasitzen und die nackten Wände anstarren würde.
"Du kannst mich übrigens Ellen nennen, wir sind ja eigentlich sonst alle bei der MK per Du. Willst du mir erzählen, wieso du mit Vornamen Ricardo heißt? Das ist doch ein eher ungewöhnlicher Vorname, oder?"
Das war eine sehr gelungene Überleitung zu einem Thema, bei dem er keine Rücksicht auf eventuelle Zuhörer nehmen musste, und Ricardo begann ihr ausführlich über seine Herkunft zu berichten.
"Aber du siehst so gar nicht aus wie ein Halbkubaner. Müsstest du nicht eine dunklere Hautfarbe haben?"
Ricardo grinste in sich hinein. Diesen Einwand hörte er nicht zum ersten Mal.
"Nicht unbedingt, denn meine Mutter war auch keine reinrassige Kubanerin, ihr Vater war ein hellhäutiger und blonder Spanier. Bei mir haben sich wohl die Gene meines Berliner Vaters und meines spanischen Großvaters durchgesetzt."
Er wollte gerade noch mehr aus seiner Kindheit erzählen, als ohne Vorwarnung die Tür aufflog. Ein kleiner, drahtiger Mann in den Dreißigern in einem Anzug, der mit Sicherheit nicht in den staatlichen Nähereien der DDR geschneidert worden war, betrat den Raum. Sein wieselähnliches Gesicht strahlte etwas Verschlagenes aus, und die ungepflegten, strähnigen Haare passten so gar nicht zu seinem Anzug. Als sich sein Mund zu einem Lächeln verzog, das wohl freundlich aussehen sollte, entblößte er schlechte und teilweise übereinanderstehende Zähne.
"Guten Tag, Frau Kommissarin Zerwas, Hauptmann Müller, mein Name ist Kubitschek, und ich bin der Kulturattaché der Botschaft. Ich freue mich, Sie hier in der Botschaft der DDR begrüßen zu dürfen. Herr Botschafter Neubauer hat mir Ihren Wunsch übermittelt, und ich darf Ihnen gerne hier die uns bekannten Daten zu dem armen Mordopfer übergeben."
Mit einem Grinsen übergab er Ellen Zerwas ein einziges DIN-A4-Blatt, das lediglich zur Hälfte beschrieben war. Noch bevor Ricardo die Möglichkeit hatte, einen Blick auf das mit Schreibmaschine beschriebene Blatt zu werfen, nahm Kubitschek ihn am Arm.
"Darf ich Sie auf ein kurzes Gespräch nach draußen bitten, Herr Hauptmann?"
Sein Blick ließ keinen Zweifel aufkommen, dass es sich nicht um eine Bitte handelte. Ricardo nickte Ellen kurz zu und ließ sich von Kubitschek nach draußen führen. Die Tür hatte sich kaum hinter ihnen geschlossen, als der Attaché ihn halblaut anfauchte: "Sind Sie wahnsinnig, Mann? Man könnte meinen, Sie wären nicht instruiert worden. Da ich aber mit Major Zimmermann in ständigem Kontakt stehe, weiß ich, dass er Ihnen Ihre Aufgaben und vor allem Ihre Grenzen aufgezeigt hat. Wenn Sie noch einmal eine West-Beamtin in der Botschaft anschleppen, sind Sie schneller wieder zu Hause, als Sie 'Klassenfeind' sagen können. Sie wissen, welche Verantwortung Sie für Ihre Familie tragen, diese Krise zu einem guten Ende zu führen."
Ricardo war schlau genug, sich nicht mit diesem MfS-Mann anzulegen, und nickte, bevor er mit ruhiger Stimme seine Bedenken äußerte: "Wenn ich das Vertrauen der hiesigen Beamten erlangen will, muss ich vorgeben, auf ihrer Seite zu stehen. Die Kollegen sind sehr vorsichtig und trauen mir nicht. Also lassen Sie mir ein wenig Freiraum, sonst erfahre ich bei den laufenden Ermittlungen nichts oder nur sehr wenig."
Kubitschek beäugte ihn misstrauisch, gab sich aber schließlich einen Ruck. "Ich will mal glauben, dass Sie hier nicht versuchen, mir einen Bären aufzubinden. Ich kann Sie nur noch einmal eindringlich warnen."
Ricardo versuchte auszuloten, wie weit er gehen konnte, und stellte eine entscheidende Frage: "Ist es in Ordnung, wenn ich mit meiner Dienststelle in Berlin telefoniere und dort Ermittlungen zur Familie in Auftrag gebe? Ich muss den West-Kollegen etwas anbieten können, vielleicht erfahre ich dann auch im Gegenzug etwas."
"Natürlich, das verstehe ich. Benutzen Sie das Telefon in diesem Büro, die Nummer werden Sie ja wohl kennen", gestand Kubitschek ihm überraschend schnell das Telefonat zu. Ricardo war selbstverständlich klar, dass dieses Telefonat sehr aufmerksam mitgehört werden würde.
Kubitschek wedelte ungeduldig mit einer Hand. "Gehen Sie, gehen Sie und lassen Sie die Kollegin nicht zu lange alleine warten." Dann wandte er sich um und ging davon.
Fünf Minuten später wählte Ricardo auf dem altertümlichen Wählscheibentelefon im Beisein von Ellen Zerwas die ihm nur zu gut bekannte Telefonnummer seines Kollegen Oberleutnant Friedrich Kümmel.
Der Zettel, den Kubitschek ihnen übergeben hatte, gab nur das Nötigste her, aber es war zumindest ein Ansatz. Außer den Familienverhältnissen des Opfers hatte er lediglich drei Namen mit den jeweiligen Dienststellenbezeichnungen enthalten, aber darum wollten sie sich später in den Räumen der MK kümmern. Jetzt galt es zunächst, seinen Kollegen mit den erforderlichen Ermittlungen zu beauftragen.
"Kümmel, Morduntersuchungskommission", meldete sich sein Kollege.
"Ich bin's, Ricardo. Ich hätte da einen Ermittlungsauftrag für dich."
"Wow, Ricardo, schön von dir zu hören. Und, wie ist es im Westen? Hast du schon Freunde gefunden? Hat man dir einen Job angeboten?" Kümmel lachte sich beinahe schlapp, nachdem er seine provokanten Fragen gestellt hatte.
"Hör auf mit dem Scheiß, Friedrich. Du weißt, dass ich ein treuer Anhänger unserer Partei bin. Also lass uns darauf konzentrieren, was wir unternehmen können, um diesen feigen Mord...
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