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Dieses Buch bietet eine umfassende Orientierung zur großen Krankenhausreform 2025 und gibt praktische Antworten auf zentrale Fragen rund um Vorhaltefinanzierung, Leistungsgruppen, den Transformationsfonds und sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen.
Die große Krankenhausreform, über die zwei Jahre lang intensiv und kontrovers diskutiert wurde, tritt am 1. Januar 2025 in Kraft - unter dem Namen Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz. Sie ist die erste große Reform seit Einführung der DRG-Fallpauschalen vor rund 20 Jahren. Die Einführung der Vorhaltefinanzierung bringt tiefgreifende Veränderungen bei der Vergütung von Krankenhausleistungen mit sich. Sie ist gekoppelt an Leistungsgruppen, wie sie bereits aus der neuen Krankenhausplanung Nordrhein-Westfalens bekannt sind, und zielt besonders darauf ab, Schwerpunktbildung und Konzentration zu fördern. Dazu ist ein üppig ausgestatteter Transformationsfonds und die Möglichkeit zur Umwandlung von kleinen Grundversorgungskrankenhäusern zu sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen (SÜV) vorgesehen.
Einiges wird sich daher in den kommenden Jahren ändern und viele Fragen stellen sich derzeit den Akteuren des Gesundheitswesens. Wie wird die Vorhaltefinanzierung genau funktionieren? Was ist bei den Leistungsgruppen zu beachten? Welche Erfahrungen gibt es dazu bereits aus Nordrhein-Westfalen? Auf welche Weise wird der Transformationsfonds Konzentrationsbemühungen in den Regionen unterstützen? Und wie kann ich die neuen SÜV nutzen? Welche Erfahrungen haben Krankenhausträger bei der Umwandlung von Klinikstandorten in der Vergangenheit gemacht und welche Empfehlungen können schon mitgegeben werden? Diese und weitere Fragen werden im vorliegenden Buch ausführlich behandelt.
Boris Augurzky
1 Die Zeit war reif für eine tiefgreifende Reform
2 Welche Themen behandelt das KHVVG?
3 Was muss noch kommen?
Literatur
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Für das Jahr 2024 geht das Statistische Bundesamt davon aus, dass wir 12,5 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Gesundheit ausgeben. Aufgrund der Corona-Pandemie waren es vorübergehend sogar mehr als 13 %. In den 1990er Jahren lagen die Ausgaben unter 10 % des BIP (Abb. 1). Sie sind also stärker gestiegen als die Wirtschaftskraft des Landes. Das muss nicht schlecht sein, schließlich ist uns Gesundheit viel wert und wir werden im Durchschnitt alle älter und brauchen daher mehr Gesundheitsleistungen. Zudem macht die Medizin Fortschritte und kann mehr bieten als vor 30 Jahren. Allerdings scheint die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland nicht unbedingt von den hohen Ausgaben zu profitieren. Die allermeisten anderen vergleichbaren Länder geben weniger Geld für ihr Gesundheitswesen aus und schneiden in dieser Hinsicht nicht schlechter ab.
Abb. 1:
Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP
Quelle: Augurzky et al. (2025).
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Schon lange wird man den Eindruck nicht los, dass das deutsche Gesundheitswesen nach dem Motto verfährt "viel hilft viel". Wir haben die höchste Zahl an stationären Krankenhausfällen pro Kopf, aber auch eine äußerst hohe Zahl an Arztkontakten in der ambulanten Versorgung (Karagiannidis et al. 2025). Ein weiteres Rätsel in der Krankenhausversorgung ist, dass die Zahl der Vollkräfte im ärztlichen Dienst laut Statistischem Bundesamt seit Einführung der DRG-Fallpauschalen im Jahr 2004 bis zum Jahr 2023 um 50 % gestiegen ist (Abb. 2). Im medizinisch-technischen Dienst lag der Anstieg bei 33 % und im Funktionsdienst bei 31 %. Selbst im Pflegedienst nahm die Zahl der Vollkräfte um 26 % zu, vor allem in den 2010er Jahren und noch stärker in den 2020er Jahren. Dagegen lag die stationäre Fallzahl 2023 mit 17,2 Millionen nur um 2 % höher als damals im Jahr 2004 und die Zahl der Belegungstage sogar um 16 % niedriger. Vor der Corona-Pandemie im Jahr 2019 war die Fallzahl mit 19,4 Millionen noch um 16 % höher als 2004 und die Belegungstage um 5 % niedriger. Also selbst vor Corona nahm die Personalmenge im Krankenhaus deutlich stärker zu als die Fallzahlen. Dafür gibt es gute Gründe. Zum Beispiel stieg auch die Fallschwere und neue Arbeitszeitgesetze erforderten mehr Personal, um eine Stelle im Krankenhaus rund um die Uhr besetzen zu können. Auch kann es sein, dass eine Vollkraft heute effektiv weniger Stunden pro Woche arbeitet als eine Vollkraft im Jahr 2004.
Abb. 2:
Leistungsmenge und Personal in Krankenhäusern
Quelle: Statistisches Bundesamt: Grunddaten der Krankenhäuser.
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Zudem kann man festhalten, dass die Ärztedichte in Deutschland, ambulant und stationär, mit die höchste weltweit ist (Statista 2024). Gleiches gilt auch für die Zahl der Pflegekräfte pro Einwohner. So nahm Deutschland im Jahr 2018 im Report "Health at a Glance: Europe 2020" Rang zwei hinsichtlich der Zahl der Pflegefachpersonen je 1.000 Einwohner ein, nur Finnland verfügte über mehr Pflegepersonal; das ärztliche Personal lag auf Rang 4 (OECD 2020). Wenn es nicht so wäre, wäre es auch verwunderlich. Denn der hohe Anteil der Gesundheitsausgaben am BIP bedeutet letztlich, dass die Gesundheitswirtschaft sehr groß ist, also viele Menschen in diesem Sektor arbeiten.
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Nun stehen wir im Jahr 2025 jedoch erst am Anfang einer Alterung der Gesellschaft, die deutlich schneller voranschreitet als in den vergangenen 25 Jahren. Dies ist der besonderen Altersstruktur der Bevölkerung geschuldet. Wir werden daher in den kommenden 20 bis 30 Jahren nochmals deutlich mehr Gesundheits- und Pflegebedarfe haben als bislang schon. Insofern ist mit einem weiteren Anstieg des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP zu rechnen. Hinzu kommt, dass die deutsche Volkswirtschaft seit einigen Jahren nicht mehr wächst und dass es nicht absehbar ist, ob ein Wachstum in relevanter Höhe wieder erreicht werden kann. Es ist daher zu befürchten, dass der Anteil der Gesundheitsausgaben nicht nur aufgrund der Alterung, sondern auch aufgrund der Stagnation des BIP stark zunehmen wird. In der Folge werden die Sozialabgaben überproportional stark steigen. Im Jahr 2025 liegt die Summe der Beitragssätze aller Sozialversicherungen bei rund 42 %. Hochrechnungen verschiedener renommierter Institutionen kommen zu dem Ergebnis, dass sie bis zum Jahr 2035 die 50%-Marke erreicht - wenn wir den Status quo fortschreiben (Abb. 3). Damit bremsen wir die Wirtschaft weiter aus - und damit das Fundament, auf dem die Gesundheitswirtschaft steht. Nur eine starke Volkswirtschaft kann sich ein umfangreiches und großzügiges Gesundheitswesen leisten.
Abb. 3:
Sozialabgaben (GKV, Soziale Pflegeversicherung, Gesetz, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung) in % der beitragspflichtigen Einkommen
Quelle: Karagiannidis et al. (2025).
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Wirtschaftswachstum ist also ein wesentlicher Faktor, um die Gesundheitsversorgung auf qualitativ hohem Niveau weiterhin finanzieren zu können. Er wird aber wahrscheinlich nicht ausreichen. Er hat auch in der Vergangenheit in den wirtschaftlich guten Jahren nicht ausgereicht. Und es wird schwierig werden, diese früheren Wachstumsraten in den kommenden Jahren überhaupt wieder zu erreichen, weil auch die Zahl der Fachkräfte in der gesamten Volkswirtschaft zurückgehen wird. Derzeit treten die geburtenschwächsten Jahrgänge aus den 2000er Jahren langsam in den Arbeitsmarkt ein und können die sich in die Rente verabschiedenden geburtenstärksten Jahrgänge zahlenmäßig nicht ersetzen. Schon heute ist spürbar, dass viele personalintensive Angebote mangels Personals nicht mehr so gut funktionieren wie vor 20 Jahren und zudem deutlich teurer geworden sind.
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Aber selbst, wenn die Volkswirtschaft wieder anspringt und höhere Wachstumsraten erreichen sollte, stehen neben der Gesundheitsversorgung und den Sozialsystemen weitere mindestens ebenso wichtige Themen an. Erstens erfordern Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels erhebliche volkswirtschaftlicher Ressourcen. Zweitens fordert die Wiederherstellung der Verteidigungsfähigkeit zur Bewältigung der zunehmenden internationalen Krisen ihren Tribut. Inzwischen ist die Rede davon, jährlich 3,5 % des BIP für Verteidigung auszugeben. Das wären mindestens 1,5 %-Punkte mehr als bisher. Würde man diesen Zuwachs mit dem Gesundheitswesen verrechnen, müsste dessen Anteil am BIP wieder auf 11?% sinken - ein Wert wie Anfang der 2010er Jahre. Drittens verfällt die Infrastruktur in Deutschland: Straßen, Brücken und Schienen müssen erneuert werden, wenn man vermeiden will, dass die Wirtschaft noch weiter abrutscht. Auch dies erfordert immense Anstrengungen und Ressourcen.
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Wie man es auch dreht und wendet, das Gesundheitssystem wird all diesen Anforderungen nicht so einfach mit seinen Forderungen nach mehr Geld und mehr Personal begegnen können. Der einfache Ausweg scheint vielen zu sein, alle anstehenden Aufgaben über Schulden zu finanzieren. Damit verlagert man jedoch die gegenwärtigen Probleme in die Zukunft und überlässt sie den - immer weniger werdenden - Enkelkindern. Nur wenn Schulden dazu führen, dass durch kluge Investitionen eine volkswirtschaftliche Rendite erzielt wird und damit die Wirtschaftskraft in der Zukunft gesteigert werden kann, würden auch die Enkelkinder davon profitieren. Beispielsweise dienen Verteidigungsausgaben "nur" der Sicherung des vorhandenen Bestandes und stellen keine Investition in zukünftige Wirtschaftskraft dar. Auch viele Sozialabgaben stellen keine Investition in die Wirtschaftskraft dar. Beispielsweise führen höhere Renten nicht dazu, dass mehr Rentner am Arbeitsmarkt partizipieren.
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Mehr Schulden für die Gesundheitsversorgung erscheint auch vor dem Hintergrund seiner derzeit eher geringen Systemeffizienz nicht sinnvoll. Vielmehr sollte erst die Systemeffizienz erhöht werden, um das erwartbare Nachfragewachstum mit den gleichzeitig knapper werdenden Ressourcen in Einklang zu bringen. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Systemeffizienz nicht mit der betrieblichen Effizienz von Leistungserbringern gleichzusetzen ist. Ein Krankenhaus oder eine Arztpraxis kann hoch effizient arbeiten und trotzdem kann die Systemeffizienz schlecht sein. Ein naheliegendes Beispiel ist die Krankenhausgröße. Wenn 600 Krankenhausbetten auf drei kleine Standorte verteilt sind, anstatt alle 600 in einem großen Standort zu bündeln, kann zwar jeder einzelne der drei kleinen Standorte für sich genommen effizient arbeiten, aber in der Summe können die drei Standorte nicht die Effizienz eines 600-Betten-Hauses erreichen. Denn das größere Haus kann seine Gerätschaften und das Personal viel besser auslasten als jedes der kleinen 200-Betten-Häuser. Das zeigt sich auch in den Daten: Die unter wirtschaftlicher Hinsicht besten Ergebnisse erzielen Krankenhäuser in einer Größe von rund 500 bis 900 Betten (Augurzky et al. 2024).
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Aber auch die Medizin kann in größeren Einheiten bessere Arbeit leisten. Meist steigt die medizinische Qualität in einem Leistungssegment, wenn in...
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