Schweitzer Fachinformationen
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Ich werfe einen Blick aufs Handy, keine verpassten Anrufe mit der Ländervorwahl 0046. Kristoffer nimmt die Kurven zu schnell, mir ist schlecht, und ich versuche, die halbvolle Fantaflasche und die leere Chipstüte auf dem Boden neben meinen Füßen zu ignorieren. Er ist dicker geworden, hat vollere Wangen, ich überlege, ob Olea und er heimlich naschen und Limonade trinken, wenn Marthe nicht dabei ist; seine Arme sind gebräunt. Marthe schrieb mir, dass sie anfangs gutes Wetter gehabt hätten, sie wären mehrmals zum Baden zu den Inseln rausgefahren, aber jetzt sei es eher wechselhaft, deshalb habe ich sowohl meinen Bikini als auch einen Wollpulli eingepackt.
«Wann kommen Mama und Stein?», frage ich.
«Morgen», antwortet er. «Eigentlich nicht schlecht, dass wir heute Abend noch unter uns bleiben. Marthe ist nicht so ganz fit.»
«Na, großartig», sage ich.
«Du weißt doch, wie das ist», sagt Kristoffer und kratzt sich den Bart. «Die Hormone.»
Er sagt das, als wäre es ganz naheliegend, du weißt, wie das ist, obwohl er doch weiß, dass ich gar nichts weiß, und trotzdem sage ich puh, ja.
«Arme Marthe», sage ich, verschränke die Arme so, dass meine Finger die nassen Achselhöhlen streifen, versuche, unauffällig herauszufinden, ob ich nach Schweiß rieche.
Sie haben es drei Jahre lang immer wieder versucht, schon seit sie sich kennen. Marthe hatte zwei Fehlgeburten. Sie schafft es einfach nicht, den Mund zu halten, ich war stets ebenso gut informiert wie sie, wusste, wann sie ihre Tage hatte, wann der Eisprung kam. Immer wenn wir uns sehen, reden wir darüber, immer wenn wir Mama sehen, redet Marthe darüber und weint, erzählt, dass sie es nicht mehr aushalte, dass sie nicht länger nur Stiefmutter sein will, aber Marthe, kein Mensch benutzt heute noch das Wort Stiefmutter, sagt Mama dann und streichelt ihr den Rücken, das heißt Bonusmama, Bonus, erwidert Marthe, es ist doch verdammt noch mal kein Bonus, dass er ein Kind hat und ich nicht, aber das wird schon noch werden, sage ich, und streichle ihr ebenfalls den Rücken, sowohl Mama als auch ich sagen, das werde schon noch werden, jedes Mal, aber wann ist dieses schon noch denn endlich, schreit Marthe. Manchmal erzähle ich meinen Kollegen beim Mittagessen von meiner kleinen Schwester, die sich so einen Stress damit mache, Kinder zu bekommen, ich sage, dass ich nicht verstehen würde, wo sie die Energie hernehme, es müsse doch noch andere Dinge im Leben geben, als es die ganze Zeit zu probieren.
Als wir an das Ferienhaus kommen, richte ich mich im Sitz auf.
«Habt ihr gestrichen?», frage ich.
«Ja», antwortet Kristoffer. «Na ja, um ehrlich zu sein, vor allem ich. Ist es nicht schön geworden?»
«Doch», sage ich. «Total schön.»
Sie haben das Haus weiß gestrichen. Es ist immer gelb gewesen, das gelbe Haus, so habe ich es den Leuten immer gesagt, das gelbe Haus gehört uns. Jetzt sieht es aus wie alle anderen Häuser hier, gewöhnlich.
Kristoffer nimmt meine Reisetasche. Ich sage, ich würde das auch allein schaffen, ich bin ja nicht wie Marthe, die will, dass Kristoffer ihr bei allem hilft, aber Kristoffer sagt ist schon okay und trägt sie weiter. Olea springt vor uns her, über den Kies und den gepflasterten Gartenweg an der Hecke entlang. Sie rennt immerzu, als würde hinter der nächsten Ecke etwas Lustiges auf sie warten. Als ich klein war, bestand die Hecke noch aus dichter, dunkler Thuja, aber Mama hat sie vor ein paar Jahren durch einen Pfeifenstrauch ersetzt, sie sagte, sie wolle etwas Leichteres haben.
Marthe tritt auf die Treppe hinaus, sie sieht müde aus und reibt sich das Gesicht. Ich bin plötzlich ganz aufgekratzt.
«Na, habt ihr Tante Ida abgeholt», fragt sie und wuschelt Olea durchs Haar. Olea duckt sich weg, schüttelt die Hand ab und rennt weiter. Marthe weiß, dass ich nicht gern Tante Ida genannt werde, sagt es aber trotzdem. Ich sehe die alten Elsa-Beskow-Zeichnungen vor mir, Tante Grün, Tante Braun und Tante Lila, ein bisschen vertrocknet und knarzend.
Wir umarmen uns.
«Hallo», sagt Marthe.
«Hallo, meine Liebe», sage ich. «Schön, dich zu sehen.»
Marthe riecht gut, vertraut, es könnte fast mein eigener Geruch sein. Ihr Haar ist heller geworden, der Ton wirkt nicht ganz natürlich, und der Schnitt war vor ein paar Jahren modern, wenn ich mich richtig erinnere.
«Echt schick», sage ich und hebe es an.
«Findest du?», fragt Marthe. «Ich finde, es ist ein bisschen zu hell geworden.»
«Nein, steht dir», antworte ich.
Die Leute finden mich hübscher als Marthe, so war es schon immer, und Marthe hat Komplexe wegen ihrer Nase und ihrer Brüste, deshalb freut sie sich immer, wenn ich ihr sage, sie wäre hübsch. Es ist so leicht, Marthe glücklich zu machen, man muss ihr einfach nur ein paar solcher Sachen sagen.
Kristoffer folgt Olea hinter das Ferienhaus, Marthe und ich gehen hinein. Die Tür knirscht ein bisschen, drinnen riecht es nach Hütte, vergangenen Sommern, verblichenem Holz.
«Bist du bereit für den großen Tag?», fragt sie, während ich meine Reisetasche in das kleine Schlafzimmer bugsiere, wo ich immer schlafe.
«Geht so», antworte ich. «Ich bin jedenfalls sehr bereit, Wein zu trinken.»
«Meinst du, man erwartet von uns, dass wir etwas sagen?», fragt Marthe und setzt sich auf mein Bett. «Oder gar eine Rede halten?»
«Glaube ich nicht», sage ich. «Aber ich habe vorsichtshalber was vorbereitet.»
«Die Vorzeigetochter», kommentiert Marthe und lächelt mit leicht herunterhängenden Mundwinkeln. «Und ich konnte mich wieder nicht aufraffen.»
Ich ziehe meine Schuhe aus, habe Schweißfüße. Es versetzt mir einen Stich, wenn sie mich Vorzeigetochter nennt, es sollte mich nicht kümmern, sie ist doch nur neidisch.
«Aber ich weiß nicht, ob ich sie und Stein ansprechen soll.»
«Liebe Mama und lieber Gallenstein», sagt Marthe und hebt die Hand, als würde sie mir mit einem Glas zuprosten.
Ich lache. «Stein ist doch so ein Netter, Marthe.»
«Liebe Mama und lieber Steinzeitmann», sagt Marthe.
«Liebe Mama und lieber Stein Schere Papier», sage ich.
Morgen Abend werden wir Mamas fünfundsechzigsten Geburtstag feiern. Marthe, Kristoffer, Olea, ich und Mama und Stein, wir wollen Krabben essen und Wein trinken. Mama meinte, wir könnten doch auch noch meinen vierzigsten Geburtstag mitfeiern, aber ich habe gesagt, das bräuchten wir nicht, drei Monate danach. Ich hatte den Tag auch nicht groß gefeiert, war nur mit ein paar Freundinnen im Restaurant, wir aßen drei Gänge und tranken ein paar Gläser Wein und das war's, die meisten mussten zeitig wieder zu ihren Kindern zurück. Als Mama in den neunziger Jahren vierzig wurde, bekam sie eine Karte mit dem Aufdruck: «Life begins at forty!» Ich erinnere mich noch an die Karte, mit ganz viel Feuerwerk und Wunderkerzen drauf. Sie fand das Motto lustig und lebensbejahend und eignete es sich an, life begins at forty!, sagte sie das ganze Jahr über, und ihre Freundinnen stießen auf sie an. Ich habe sie als sehr erwachsene Damen in Erinnerung, sie hatten eingetrockneten Lippenstift und schulpflichtige Kinder, und wenn sie zusammen ausgingen, nannten sie es Frauenabend. Als ich vierzig wurde, war ich wie immer und hatte auf keinen Fall das Gefühl, jetzt finge das Leben an. An meinem Geburtstag sagte eine Freundin, wohl um mich zu trösten, ich würde toll aussehen, und kurz darauf sagte sie, es sei doch schön, allein zu sein, weil man sich selbst viel besser kennenlerne, und ich dachte, es wäre auch nett gewesen, noch jemand anders kennenzulernen.
Stein und Mama sind seit sechs Jahren ein Paar. Wenn er irgendwohin mitkommt, wünsche ich mir nach wie vor jedes Mal, er wäre zu Hause geblieben, und wir unter uns. Er hat keine Kinder, ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er je welche wollte, und irgendwie scheint er noch nicht ganz begriffen zu haben, wie alt Marthe und ich sind, er redet mit uns, als wären wir Teenies. Mama sagt, Stein und sie seien late bloomers. Marthe und mich schüttelt es immer, wenn sie diesen Ausdruck benutzt. Im Übrigen stimmt es auch nicht, sie war zwanzig, als sie meinen Vater heiratete, und man sieht ja, was schon alles daraus geworden ist. Ich habe oft Lust, sie zu fragen, ob es ihr lieber gewesen wäre, so zu enden wie ich, enden, denke ich, ich darf nicht enden denken, als wäre alles vorbei, nichts ist vorbei, man muss sich selbst sagen, dass das Beste noch vor einem liegt, aber zwischendurch glaube ich, sie und Stein und Marthe und Kristoffer denken genau das über mich. Sie haben keine Ahnung, denke ich, ich habe einen Plan, ich habe ein Geheimnis. Ich beschließe, es Marthe schon jetzt zu sagen und nicht bis heute Abend zu warten, ich kann es auch gleich sagen, dass ich in Schweden Eizellen einfrieren lassen werde, sie wird große Augen machen und wow rufen.
«Du», sagt Marthe. «Willst du eine große Neuigkeit hören?»
In ihrem Gesicht ist etwas Neues aufgetaucht, etwas Ernstes unter dem Lächeln, etwas leicht Zitterndes. Ich sehe sie ein paar Sekunden an, begreife erst nichts, und dann begreife ich doch.
«Ist das wahr?», frage ich.
«Ja», antwortet Marthe, sie lächelt, ihre Augen werden groß und feucht.
«Wow», sage ich und setze mich neben sie auf das Bett. «Ist das wahr.»
Ich versuche, mich an alles zu erinnern, was ich gesagt habe, während sie dort gesessen und darauf gewartet hat, endlich damit herauszuplatzen, lauter dummen Quatsch über das Trinken und Stein und Mama. Ich beeile mich,...
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