Schweitzer Fachinformationen
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»Abomo, Abomo, wo bist du?«, erkundigte sich Katha mit angstvoller Stimme.
»Hier, hier in der Küche. Was ist passiert?«
»Etwas Fürchterliches! Etwas Fürchterliches!«, wiederholte sie seufzend.
Katha kam gerade zurück von ihrem Feld. Auf dem Rücken trug sie eine Hotte, die sie mit Mais und Gemüse gefüllt hatte. Sie japste, als sie über die Türschwelle trat, immer noch gequält von der Angst, die sie den ganzen Vormittag schon bedrückte. Die Hotte, die sie auf dem Rücken trug, zog ihren Kopf nach unten und belastete ihre Beine so sehr, dass sie hin und her taumelte. Als Abomo sie unter ihrer erdrückenden Last schwanken sah, erhob sie sich schnell von ihrem Bambusbett, lief auf sie zu und half ihr, die Hotte auf den Boden zu stellen.
»Gott! Du zitterst! Was ist los?«, fragte Abomo, die nun erschrocken vor Katha stand.
»Abomo, die Hotte bleibt erst hier . Ich habe mich allzu sehr überschätzt. Ich bin todmüde! Eben dachte ich, der Boden wankt unter meinen Füßen.«
»Es sah wirklich so aus. Ich dachte schon, du fällst zu Boden . Erzähl! Was ist passiert?«
»Weh mir! Ich kann ihn immer noch hören, obwohl es schon Stunden her ist«, jammerte Katha, die sich dabei die Ohren zuhielt.
»Katha, von wem sprichst du?«
»Abomo, heute morgen ., heute morgen habe ich einen Schuss im Wald gehört. Es war nicht weit von meinem Feld . Dieser Schuss hat jemanden getroffen!«
»Jemanden?«
»Ja ., jemanden«, sagte Katha, die immer noch außer Atem war.
»Bitte, komm, setz dich und erzähl genau«, verlangte Abomo, die Katha gleich einen Platz auf dem Bambusbett zuwies und sich kurz danach zu ihr setzte. »Bitte, erzähl«, wiederholte sie.
»Ich dachte, ich sterbe . Heute morgen war ich nicht besonders munter, wegen des langen Tages gestern, dieses mühsamen Palmsonntags! Ich wollte nur Mais und Gemüse von meinem Feld holen. Mehr nicht. Ich hatte meine Hotte auf dem Rücken und machte mich schon auf den Weg nach Hause, als ich diesen Schuss hörte. Ich habe zur gleichen Zeit einen Schuss und den Schrei von einem Mann gehört. Danach war nur Grabesstille. Ich wollte wissen, was los ist, aber ich hatte solche Angst, dass ich mich schnell in meiner Hütte versteckt habe. Dort habe ich nur gezittert! Abomo, es war fürchterlich! Stundenlang stand ich hilflos in meiner Hütte. Zum Glück habe ich eine, sonst hätte mich die Angst umgebracht.«
»Gott! Kann so etwas möglich sein? Seit wann werden in unseren Wäldern Menschen erschossen?«
»Abomo, seit heute, seit heute morgen!«
»Katha, ich hoffe, du irrst dich. Ich hoffe es wirklich. Wenn wahr ist, was du sagst, dann ist das Schlimmste seit der Zeit unserer Ahnen heute morgen geschehen . Ich hoffe, du irrst dich.«
Es war genau zwölf Uhr. Bestürzt sah Abomo ihre Freundin an, sie fragte sich, ob Katha ihr von einem Alptraum erzählte, ob sie selbst, Abomo, am hellen Tag träumte. Sie wollte es nicht glauben, fürchtete, es könnte die Wahrheit sein, weil sie Angst hatte, nach dem frühen Tod ihres Mannes nun auch noch ein Kind begraben zu müssen, das aus ihrem eigenen Leib gekommen war.
»Meine Söhne, Esson und Menguele, sind noch nicht zurück. Heute morgen sagten mir beide, dass sie ihre Fallen prüfen und mir Holz bringen würden«, erwähnte sie mit besorgter Miene.
»Die meisten Leute arbeiten noch auf ihren Feldern. Auch meine Söhne, Zok und Nsing, sind noch nicht zurück. Oh Gott, bitte, schütze unsere Jungs«, betete Katha. Sie hatte die Augen zur Küchendecke gerichtet, die ihr den Blick zum Himmel versperrte.
»Ich hoffe, du irrst dich«, wiederholte Abomo.
»Abomo, ich will dich nicht damit quälen, aber ich glaube, es ist besser, wenn du es jetzt weißt: Es gibt nichts mehr zu hoffen. Wir können uns nur noch fragen, warum der liebe Gott manchen Grausamkeiten schweigend zusieht. Auf dem Weg hierher habe ich Minsilis Frauen, Mendo und Angale, getroffen. Auch sie haben diesen Schuss gehört. Sie sagen auch, dass sie gehört haben, wie ein Mann geschrien hat. Aber sie wollten nicht viel dazu sagen. Ich frage mich, warum.«
Abomo schwieg, auch sie wollte nicht mehr darüber reden, wollte auf andere Gedanken kommen, aber Kathas Mitteilung durchdrang sie wie ein Stromschlag, erschütterte sie wie eine Todesnachricht, die sie unmittelbar betraf und eine neue schwierige Wende in ihrem Leben ankündigte.
»Katha, es ist durchaus möglich, dass der Schrei, den ihr gehört habt, von dem Schützen selbst kam. Vielleicht hat ein Jäger ein Tier getroffen und vor Freude losgeschrien. Wir müssen abwarten . Sollte aber heute Nacht jemand aus dem Dorf fehlen, müssen wir morgen den Häuptling benachrichtigen.«
»Abomo, ich kann nicht so lange warten. Das müssen wir gleich tun.«
»Oh Katha, bitte, gedulde dich! Auch ich mache mir große Sorgen um meine Jungs. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass einer von ihnen in diesem Augenblick tot im Wald liegt. Ich will gar nicht daran denken.«
Aber sie konnte nichts anderes tun, als daran zu denken, fürchtete, dieses für die Bauern schwierige Jahr 1986 brächte die Wurzel allen Gräuels, zwänge sie nun, ihre eigenen Verwandten mit allen Mitteln zu töten, selbst mit Waffen, die ihre Ahnen nur gegen die gefährlichsten wilden Gorillas in ihren Wäldern verwendeten.
Alles begann an einem Montag. Es war ein besonders schwüler Tag in diesem Mai des Jahres 1986. In den Dörfern im Süden Kameruns ist Montag der Tag, an dem die noch munteren Bauern wie Arbeitstiere auf ihren Feldern schuften. Aber der Montag, an dem Esson starb, war für Abomo alles andere als ein Arbeitstag. Sie war zu Hause geblieben, weil sie sich noch von den anstrengenden Gebeten des Palmsonntags erholen wollte. Den ganzen Vormittag lag sie allein in dem Bambusbett in ihrer Küche, ohne die geringste Ahnung, dass ihr Sohn im Wald von einem Schuss getroffen worden war. Die anderen Frauen und Männer des Dorfes arbeiteten auf ihren Feldern. Es waren nicht viele Leute. Insgesamt sechs Familien lebten damals in Efek, alle Bissimas Nachfahren.
Bissima war Anfang der sechziger Jahre der Älteste der Efek. Als er 1964 starb, war er genau vierundachtzig Jahre alt. Er hatte zwei Söhne, Mvout und Minya, die jeweils 1970 und 1972 aus dem Leben schieden. Ihre Witwen starben nacheinander 1975 und 1977, hinterließen erwachsene Kinder, die eine drei Söhne, die andere zwei Söhne und eine Tochter.
Mitte der achtziger Jahre war Efek immer noch ein kleines Dorf, in dem diese sechs Enkel Bissimas mit ihren Familien lebten. Minsili, Assoumou und Oden, die Söhne von Mvout, Brüder aus demselben Leib, heirateten alle früh und lebten mit ihren Frauen im Dorf, weil sie sich wegen ihrer begrenzten Mittel kein Leben in der Stadt leisten konnten. Sie hatten nicht viele Kinder. Minsili, der Älteste, bekam nur einen Jungen, obwohl er zwei Frauen hatte. Assoumou, der mittlere Sohn von Mvout, war selbst Vater von zwei Söhnen. Oden, der letzte von ihnen, war der Ehemann von Abomo. Sie gebar ihm zwei Söhne und drei Mädchen.
Auch Minyas Nachkommen lebten im Dorf, aber aus einem anderen Grund, weil sie nämlich das Leben dort liebten. Mbita, Minyas erster Sohn, war ein reicher Grundbesitzer und erbte von seinem Vater große Kakaoplantagen. Allein wegen seines Reichtums ist er 1976 zum Stammeshäuptling ernannt worden. Zehn Jahre später hatte er sechs Frauen und insgesamt sechs Kinder. Mit sechs Frauen hätte ein Mann wie Mbita mehr Kinder haben können, aber seine vier ersten Frauen gebaren keine Kinder. Sie erzählten dem ganzen Dorf, dass Mbita selbst zeugungsunfähig sei und die Kinder, die er von den anderen Frauen bekommen habe, einen anderen Vater hätten, Mekombo, Mbitas Bruder, dem diese Kinder auffällig ähnlich sahen. Erstaunlicherweise regte sich Mbita nie über das Gerede auf! Deswegen vermutete man, dass dieses Gerücht stimmte und der Häuptling überhaupt froh war, dass sein einziger Bruder ihm auf diese Weise Kinder schenkte. Mbitas Kinder - wie soll man sie sonst nennen - hatten alle die Grundschule im Dorf besucht. Danach schickte der Häuptling nur die tüchtigen ins Gymnasiumsinternat in die nächste Provinzstadt Sangmelima.
Mekombo, Mbitas Bruder, war im Jahre 1986 schon lange verheiratet und hatte drei Kinder. Seine Frau und seine Kinder wollten mit ihm nach Sangmelima gehen, wollten dort leben, aber Mekombo liebte das Grün seiner Felder, den dichten Wald in Efek, wildes Fleisch, frisches Obst und Gemüse, Quellwasser, alles, was man nur selten in der Stadt findet. Daher blieb er mit seiner Familie im Dorf.
Katha, die einzige Tochter von Minya, hatte einen Mann aus der südlichen Kleinstadt Ndjom geheiratet und lebte jahrelang mit ihm und ihren gemeinsamen Kindern dort. 1984, als ihr Mann sich entschied, zu einer Geliebten zu ziehen, kehrte sie mit ihren Kindern zu ihren Brüdern nach Efek zurück.
Trotz ihrer sehr verschiedenen Lebensverhältnisse vertrugen sich Bissimas Nachfahren in Efek, hielten in guten und schlechten Zeiten zusammen, da ihre Bräuche es geboten.
Besorgt verließen Abomo und Katha die Küche und gingen langsam in den Hof, in dessen Mitte sie stehen blieben. Im Sinne der Bräuche der Efek war die eine die Schwägerin der anderen, aber es war weniger die Verwandtschaft als die Freundschaft, die die beiden Frauen verband. Stillschweigend schauten sie zu Boden. Der Wind wehte, kündigte schlechtes Wetter an. Der Himmel über Abomo und Katha war von dunklen Wolken bedeckt. Die Sorge um ihre Söhne verwandelte die verrinnende Zeit in Stunden der Qual. Magenkrämpfe, zitternde Beine, feuchte Hände, rasche Herzschläge, Falten auf der Stirn, Zeichen der inneren Qual, die die eine bei der anderen las. Wenn sie nicht zu Boden schauten,...
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