Schweitzer Fachinformationen
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»Die schwarze Venus? Frag mich nicht! Jedenfalls bist du schöner als sie«, scherzte Manfred.
»Geschmacksache«, sagte Abeng lachend.
Sie standen dicht am Fenster ihres neuen Hauses und schauten nun belustigt in den Himmel. Ein Schwarm schwarz-weißer Vögel beflog das blaue Gewölbe. Der Himmel hing über dem schwarzen Erdteil. Auf dem Hinterhof des Hauses spielten zwei hellbraune Kinder neben alten Mauerruinen, neben Stein und Sand. Ab und zu beobachteten Abeng und Manfred ihre Kinder, sahen Stein und Sand, sahen, wie sie einst über Stock und Stein liefen: sie erinnerten sich an die Quidproquos.
Wer Reisen zwischen Afrika und Europa gemacht hat, kennt zweifellos die Quidproquos. Wer aber nur den eigenen Erdteil kennt und sich nun ein Herz faßt, um diese und ähnliche Reisen zu machen, sollte vorher diese Geschichte lesen.
Das Kind Abeng hatte eine ungewöhnliche Kindheit, man könnte sagen, es hat keine Kindheit gehabt. Es wußte einfach zu viel, um lange ein Kind zu bleiben. In ihren frühen Lebensjahren erfuhr Abeng von einer verhängnisvollen Geschichte, von einer Geburt, die wie >ein schlechter Stein< auf ihrer Verwandtschaft lastete. Zur Welt kam >keine schlechte Frucht<, aber >die Frucht< kam >von einer grausamen Liebe<.
Es war Akono Assam, Abengs Großvater, der ihr die verhängnisvolle Geschichte verriet. Es fiel seiner Enkelin schwer, diese wahre Geschichte von den alten Märchen zu trennen, die ihre Großmutter ihr oft am Abend am Küchenfeuer erzählte.
Dann wurde das kleine Mädchen neugierig, forsch. >Ein schlechter Stein, die Frucht von einer grausamen Liebe, was meint Opa damit<, fragte sie immer wieder ihre Verwandten, die älter als sie waren. >Frag ihn selber<, war die Antwort, die Abeng immer bekam. Akono Assam aber schwieg, er wollte nicht weiter in seinen alten schlechten Erinnerungen wühlen. Auch war Akono Assam ein schweigsamer Mann. Nur manchmal, wenn er sich berufen fühlte, seinen Nachwuchs aufzuklären, redete er gern. Aber dann sprach er wie seine Ahnen, er verwendete alte Sprüche, Sprichwörter. Er brachte sie seinem Nachwuchs bei, wollte, daß seine Nachkommen die Sprache der Ahnen lernten und später, wenn sie selber Nachwuchs hatten, an ihn weitergaben. Nur: Abeng verstand die Sprache der Ahnen nicht. Nun sorgten die Jahre dafür, daß Abeng manches zu hören bekam, was den Nebel um die grausame Liebe lichtete.
Manchmal erlebt man ungewöhnliche Tage und Nächte. Dann fragt man sich, ob solche Tage und Nächte Zeichen für die nächste Enthüllung sind, die Enthüllung eines lange verborgen gehaltenen Geheimnisses. Abeng sah Zeichen, sie sah Tag und Nacht zwei Elstern auf dem Dach ihres Elternhauses, schwarz-weiße Vögel, bis die neuen Nachbarn kamen, Messina und Trousson, die schwarz-weißen Vögel. Sie verkündeten eine neue Zeit: eine sonnige und dämmerige.
Eine Woche nach dem Umzug lernte Abeng die beiden kennen, in der Nachbarschaft. Es waren die Stimmen der neuen Nachbarn, die Abeng neugierig machten. Messina und Trousson waren zweisprachig. Sie sprach meist Französisch und er Englisch, um die Qual, die sie mit dem Schulenglischen und er mit dem Schulfranzösischen hatten, so lange wie möglich fernzuhalten. Ihre vierjährige Tochter verstand Englisch und sprach Französisch. Auf dem Spielplatz des Viertels machte Abeng ihre Bekanntschaft. Von Nadine, so hieß sie, erfuhr Abeng, daß Trousson kein Engländer, sondern ein Franzose war, der bei seiner englischen Mutter in London groß geworden war.
Die Freundschaft zwischen Nadine und Abeng brachte ihre Eltern zusammen. Trousson wurde ein guter Nachbar Assams, wenige Jahre später war er sein bester Freund. Die Zeit schien reif für Rassen, oder Menschen waren reif geworden. Wer hätte es vor fünfhundert Jahren geahnt?
Trousson wollte Messina heiraten. Eines Tages ging der Franzose mit strahlendem Gesicht zu Abengs Vater. Er brauchte Rat, um all die sinnlosen behördlichen Hürden zu meiden und die Heiratsurkunde so einfach wie möglich zu erhalten. Und wer hätte ihm da besser raten können als Assam? Der zweimal geschiedene und dreimal verheiratete Vater Abengs war in Kondengui der beste Ratgeber, wenn es um Eheschließungen ging. Als seine kleine Tochter von Troussons Absicht erfuhr, sagte sie zu Assam: >Papa, Trousson liebt Messina sehr. Messina ist sehr glücklich. Sie ist nicht traurig wie Oma. Aber warum sagen alle Nachbarn, daß sie irgendwann auseinandergehen? Sie lieben sich doch. Ich will nicht, daß sie sich trennen. Nadine wird ihren Vater sehr vermissen, wenn sie das tun. Sie wird traurig sein wie Tata Evina. Tata Evina ist traurig, weil ihr Vater weggegangen war. Aber ich will nicht, daß Nadine traurig wird. Wenn Nadine traurig ist, hört sie auf zu spielen. Ich spiele gern mit Nadine.<
Abeng war damals sechs Jahre alt, ein Kind. Später, als das kleine Mädchen über die schwierigen Jahre ihrer Körperentwicklung hinweg war und sich als ein selbstbewußtes, ungewöhnlich forsches erwachsenes Mädchen behauptete, erfuhr sie von ihrem Vater, warum die Nachbarn das sagten und warum Evinas Vater weggegangen war: >Die Leute glauben wenig an eine schwarz-weiße Liebe, weil die Weißen allzu oft Heimweh bekommen und ihre Frauen verlassen. Aber der Vater deiner Tante Evina war weggegangen, nicht weil er Heimweh hatte, sondern weil er ein Übel begangen hat. Er hat Merveilles, deine Großmutter, vergewaltigt. Sein Chef, ein französischer General, hat ihn deswegen nach Hause zurückgeschickt. Mach dir keine Sorgen um Nadine! Ihre Mutter liebt Trousson sehr. Sie wird ihm folgen. Beide werden ihrem einzigen Kind zuliebe so etwas nicht tun. Seit ihrer Pubertät ist Nadine sehr anhänglich. Sie hat große Angst vor der Leere. Und die Leere nach einer Scheidung frißt die Kinder auf wie Krebs, gerade Einzelkinder wie Nadine. Das wäre schlimm für sie. Messina und Trousson müssen zusammenhalten. Aber die Frage ist, ob Messina gern in Frankreich sein wird? Sie wird ihren Glauben vermissen. Sie wird Gott vermissen.<
Abeng war für den Zusammenhalt, ob mit oder ohne Gott. Sie liebte Flammen, die sich vom Haß nicht löschen ließen. Sie mochte deshalb Schwarze, die mit Weißen zurechtkamen. Sie bewunderte die Dämmerung, die Ehe zwischen dem Tag und der Nacht. Aber gerade weil Abeng die Dämmerung liebte, drohte sie dem jungen Mädchen mit ihren furchterregenden Schatten. In dieser grauen Zeit bekam Abeng neue Geschichten über die Geburt Evinas zu hören. Sie hörte sie, seitdem sie erwachsen war, nicht nur von ihrem Vater, sondern auch von ihrem Großvater. Dann war es Abeng zuviel. >Es ist Zeit, daß ich dir einiges erkläre<, sagte Akono Assam eines Tages. >Das weiß ich schon, Opa.< - >Das ist gut<, murmelte er. Aber er wollte reden, dieses Mal wollte er Abeng seine Sprüche erklären. Er fuhr fort: >Ihr habt viel Glück. Ihr kennt den Krieg nicht. Wir aber! Die Krieger schossen überall hier und vergewaltigten unsere Frauen.< - >Das weiß ich, Opa.< - >Das ist gut<, wiederholte er. Aber er sprach weiter: >Evina, deine braune Tante, ist nicht meine Tochter. Aber ich liebe sie wie meine eigene Tochter, weil ich sie erzogen habe.< - >Das weiß ich.< - >Das ist gut.<
Wie traurig war seine Stimme! Wie schwer diese männliche Stimme! Diese Stimme hörte Abeng ungern, doch ließ sie sie nicht gleichgültig. Denn oft, wenn Abeng allein war, stellte sie sich diese seltsame Zeugung vor. Aber weil diese Vorstellung fürchterlich war, fing Abeng an, von anderen Geschichten zu träumen.
Abeng hatte einmal von einem Erdteil geträumt. Sie hatte von einem kurzen Halt dort geträumt. Es war eiskalt, obwohl die Sonne schien. Überall fiel Schnee. Abeng sah Schwarze, Weiße, Braune, Mittelbraune, Hellbraune und Dunkelbraune. Auf dem Eingangstor dieses Erdteils stand ein Brett, auf dem zehn Buchstaben großgeschrieben und durchgestrichen waren: QUIDPROQUOS. Abeng enträtselte gerade das Wort, als sie von einem starken Strudel erfaßt wurde. Sie landete auf einem Platz voller Gerichtshöfe. Verblüfft fragte sie sich, wo sie war? >Welche Welt hat so viele Gerichte? Ist es der Letzte Tag, den ich hier erlebe? Das Jüngste Gericht? Das letzte Ereignis der Apokalypse? Braucht Gott so viele Gerichte für die Menschheit? Ist der Mensch wirklich so schlecht?< fragte sie sich. Abeng wartete auf die Apokalypse, aber hier erschien kein Gott. Das Jüngste Gericht blieb aus. Wer kam dann auf den Gedanken, so viele Gerichte zu errichten? Wozu? Lebten in Abengs Traumwelt nur Menschen, die mit dem Gericht zu tun hatten? Waren die Helden ihrer Träume nur Angeklagte und Verurteilte? Was hatten die Menschen hier getan? Abeng wollte aus Neugier in eins der Gerichte hineindringen, als ein dunkelbrauner Wächter plötzlich erschien und sie fragte:
>Haben Sie Ärger mit einem Weißen?<
>Nein. Wieso?< fragte Abeng.
>Sie sind dann am falschen Ort.<
>Aber wieso? Warum? Ich verstehe Sie immer noch nicht.<
>Es ist so, daß die Fälle, die hier gelöst werden, schwarz-weiß sind. Die Quidproquos, hier werden nur Quidproquos verhandelt.<
>Quidproquos?<
>Ja, die Richter hier haben nur mit Quidproquos zu tun. Alles andere kümmert sie nicht.<
>Was ist jetzt Quidproquo?<
>Ich nehme ein einfaches Beispiel. Für wen halten Sie mich? Für einen Schwarzen oder für einen Weißen?<
>Selbstverständlich für einen Schwarzen.<
>Hereingefallen! Ich bin nicht schwarz, ich bin auch nicht weiß. Ich bin braun. Mein Vater ist schwarz, meine Mutter weiß. Das war eben ein Quidproquo! Haben Sie jetzt verstanden?<
>Ja. Nur, Sie sind so dunkel, daß kein Mensch darauf kommen würde, daß Sie Mischling sind.<
>Wieder ein...
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