Schweitzer Fachinformationen
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1.
Es ist Frühling heute, endlich, als ich mich hier in Williamsburg auf die Suche nach einem vernünftigen Waschsalon mache. Türkisblauer, wolkenloser Himmel, im Gully häuft sich, was der Regen letzte Nacht hingespült hat. Ich verlasse meine Wohnung und halte mich links in Richtung Bedford Avenue, vorbei an einem Mann, der mit einer Plastiktüte auf dem Boden kauert, neben ihm träge sein Hund, vorbei an der Brooklyn Brewery, vorbei an dem coolen Plattenladen, für den ich keine Verwendung mehr habe, obwohl ich mir immer wünsche, dass es anders wäre. Auf der Bedford stelle ich fest, dass es all diese vorsintflutlichen Läden noch gibt, die mit den schmuddeligen Fußböden, dem quälenden, die Poren vergrößernden Neonlicht, dem deprimierenden Dröhnen spanischer Musik zum Kreisen abgewetzter Unterhosen in Uraltmaschinen. An der Scheibe ein Aushang, Mitbewohner gesucht, daneben bietet jemand Gitarrenstunden an. Hier kann man auch faxen und Kopien machen. Lange Öffnungszeiten. Ein Kaugummiautomat sammelt armseliges Kleingeld für einen wohltätigen Zweck. Kaum vorstellbar, dass die Maschinen in einer solchen Umgebung imstande sein sollen, meine Sachen sauber zu kriegen. Sie können die Flecken vielleicht malträtieren, bis sie sich ergeben, aber ihnen den Garaus machen ganz sicher nicht.
Ich gehe weiter über die Bedford in Richtung Süden, den Wäschesack auf dem Rücken, vorbei an den gerade erst aus dem Boden geschossenen Restaurants: eine Gourmetpizzeria, die den Duft selbst gezogener Kräuter absondert, ein neuer Bagel-Laden als Konkurrenz für den älteren weiter unten an der Bedford, und gegenüber ein schicker Chinese mit verzierter Fassade und einem Schild, das nach hinten raus einen Garten verspricht. Und jede Menge Klamottenläden und Möbelläden und Läden mit lauter Kram, Zeug, von dem man irrtümlich meint, dass man es braucht, zum Beispiel mundgeblasene Glaskerzenhalter und Hanf-Handtaschen und importiertes Körpersalzpeeling aus Costa Rica. Als ich vor Jahren hierher zu Martin gezogen bin, gab es in dieser Gegend nur Delis und Pizzerien und ein paar polnische Metzgereien. Ich bin froh, dass die Greenpoint Tavern noch da ist, eine schmuddelige, alte polnische Bar, in der es Bier aus Styroporbechern gibt. Beim Anblick all dieser Veränderungen ist mir, als bräuchte ich ein Bier, und fast wäre ich reingegangen, aber es ist erst elf Uhr.
Normalerweise laufe ich am Wasser entlang, wenn ich meine Wohnung verlasse. Falls ich meine Wohnung verlasse. Das gleichmäßige Donnern der Laster ist mir lieber als das Stimmengewirr junger Hipster auf der Bedford. Geräusche von Rädern auf Schotter, wenn sie in Schlaglöcher schlingern. Ein staubiges Stück aufgerissene Straße vor verdreckten Lasterplanen. (Ich denke an diesen dreckigen Kleinen aus den Peanuts-Comics - Pig Pen -, wenn ich dort entlanggehe. Immer verfolgt von einer dunklen Wolke.) Doch es gibt Tage, an denen ich gezwungen bin, mit der Welt in Kontakt zu treten, Tage, an denen mir mein sorgfältig konstruiertes Universum nichts nutzt. Zum Beispiel, wenn die Waschmaschine kaputtgeht - ein Rütteln, Metall knirscht an Metall, und Ende -, ich aber zu pleite bin, um einen Handwerker zu rufen. Ich würde so gern als elegante Frau hoch oben in einem Loft empfindsam meinen Mann betrauern. Aber selbst Jackie O. brauchte saubere Schlüpfer.
Kurz vor der Metropolitan Avenue sehe ich zwei Punks in vor Dreck ergrauten Klamotten, schwarze Hosen, schwarze Springerstiefel, einer in einem T-Shirt, auf dem mit dickem Filzstift gekritzelt »Fuck You« steht, der andere in einem zerfetzten Hemd, das aber irgendwie hält und sich trotzig dagegen wehrt, ein Lumpen zu sein. Sie hocken vor einer Ziegelwand voller Graffiti, keine wilden, aufrührerischen, sondern von der Verwaltung in Auftrag gegebene Graffiti, man achtet nämlich darauf, Gebäudewände abschnittsweise an einschlägige Vandalen zu vergeben, damit sie keinen Ärger machen.
Etwas in mir erwärmt sich für diese Punks, diese Relikte vergangener Jahre, als es im Viertel noch sehr viel chaotischer zuging. Sie halten mir die Handflächen hin, und der mit dem »Fuck you«-T-Shirt sagt: »Gibst du mir ein Bier aus?«
»Klar«, sage ich. Ich stelle meinen Wäschebeutel auf dem Boden ab, schiebe die Hand in die Hosentasche und ziehe einen Dollarschein hervor, den ich ihm in die Hand drücke. Ich bin ihnen schon etwas schuldig dafür, dass sie ihre Rolle in meinem Leben spielen. So ist es immer, wenn ich das Haus verlasse. Jedes Mal kommt es mir vor, als würden sich die Leute zu Gruppen zusammentun, um dann loszulegen, nur für mich eine Show abzuziehen. Und nie kommt es mir vor, als hätte ich teil an meiner Umgebung. Ich stehe einfach da und schaue zu, außerhalb meiner selbst, außerhalb der Welt, in die ich irgendwie nur hineinblicke.
»Danke, Ma'am«, sagt er. Er hat hübsche, konzentrierte blaue Augen. Die Pupillen sind wie Steine.
»Hast du oft Glück?«, frage ich.
»An manchen Tagen«, sagt er. »Meistens laufen hier nur so geizige Drecks-Yuppies rum.« Er schaut mich an in meinen gepflegten Bluejeans, dem albernen rosa Kaschmirpullover, den Martin mir mal zu Weihnachten geschenkt hat, und der Spange, die meine kurzen schwarzen Haare zurückhält. »Nichts für ungut«, sagt er.
Als sich an der Ecke zwei ranke junge Frauen in kurzen Röcken und hohen Stiefeln zum Abschied umarmen, brüllt der andere Punk: »Und wer drückt mich?« Die Frauen drehen sich nach der Stimme um, lächeln dann matt, trennen sich und gehen in entgegengesetzte Richtungen davon.
Er rempelt seinen Freund an. »Hast du das gesehen? Die waren kurz davor, es zu machen.«
»Abends ist besser«, erklärt er dann. »Wenn alle besoffen sind.« Er zuckt mit den Schultern. »Aber schließlich habe ich heute sonst nichts zu tun.«
Das hatte ich verstanden.
Ich bücke mich, nehme den Wäschebeutel und wuchte ihn auf meine Schulter.
»Willst du abhängen?«, fragt er. »Wir könnten Party machen oder so. Wenn du noch Geld hast, ich hab eine Nummer.« Er klopft auf seine Hosentasche.
»Waschtag«, sage ich.
»Wäsche. Ja. Muss ich irgendwann auch mal machen.«
Ich lache, er lacht, ich gehe los. Ich werde mich hüten, meine Zeit mit Nervereien oder auch nur mit Getrödel zu verschwenden.
An der Ecke suche ich den Horizont ab. Rechts, ein paar Blocks weiter, hinter dem YMCA, ist ein Waschsalon, der auch Postdienste anbietet. Gleich rechts von mir eine Baustelle. Aber da links, da ist er doch, ein riesiger, blanker, neuer Waschsalon. Ich nehme es mir ein bisschen übel, das Neue zu wollen, und fühle mich meinem alten Viertel gegenüber irgendwie illoyal, aber hier geht es nicht um ein lokal gebrautes Bier für sechs Dollar gegen Budweiser im Styroporbecher, hier geht es um meine Klamotten, die letzten Spuren von Identität, die mir geblieben sind. Wenn ich es noch schaffe, gut auszusehen, ein bisschen nur, dann schaffe ich es auch, noch etwas durchzuhalten, für mich, für Martin.
Einen halben Block weiter stehe ich schließlich davor, betrachte die hohen Glasscheiben, das Lagerhausambiente. Da drin stehen locker hundert Maschinen, es gibt ein Galaga-Videospiel, einen Internetarbeitsplatz und einen Sitzbereich mit den üblichen, IKEA-mäßigen Möbeln: heller Holztisch mit Sesseln, dazu eine graue Couch, die aussieht, als wäre sie ganz bequem. Im Waschsalon ist kein Mensch, doch die Maschinen - ein einziges spektakuläres, metallisches Wirbeln - sind in Bewegung. Von hier draußen kann ich die Vibration geradezu spüren, das Wasser, den Schaum, die wilde Wucht des Reinigens.
Ich trete ein, setze meinen Beutel ab und ziehe ihn dann zu den Gängen hinter mir her. Die quadratischen Bodenfliesen sind neu und glänzen immer noch makellos. Von oben kommt Technomusik, deren Wummern den Rhythmus der Maschinen durchdringt. Ein Tanz-Club für Waschmaschinen. Kellner, wo bleibt mein Cocktail? Wie entzückend und absurd. Hier kann ich richtig gut meine Klamotten waschen.
Am Empfangstresen steht ein junger, unbehaarter kleiner Asiate mit winzigen, flinken Händen neben einer älteren Frau, die geformt ist wie ein Geschoss. Sie hat dunkle Haut und gezupfte Augenbrauen. Sie wedelt mit den Händen vor der Kasse herum, und ihre zigarettengegerbte, tiefe Stimme klingt matt.
»Kann ich nichts für«, höre ich sie sagen.
Ich suche mir einen Gang aus - rechts? Links? Nein, genau in der Mitte - und gehe ihn entlang, während mein Beutel hinter mir herkriecht wie eine Riesenschnecke.
Normalerweise mache ich gern die Wäsche. Es gibt mir das Gefühl, etwas erreicht zu haben. Ich kann dafür sorgen, dass sich ein ganzer Tag um nichts anderes dreht. Rotes in eine Ladung, Gelbes in eine andere. Eine Ladung Weiß mit viel Bleiche, eine Ladung Feinwäsche. Alle anderen Farben gehen zusammen, und dann noch eine Ladung für alles, was mit Denim zu tun hat. Jeans, Röcke, eine Jacke und eins von Martins alten Arbeitshemden, in dem ich manchmal schlafe, mit Farbflecken, die für immer in den Stoff gedrungen sind. Wenn man selbst eine Waschmaschine und einen Trockner und massenhaft Zeit hat, gibt es unendliche Möglichkeiten. Aber draußen in der Welt, im Waschsalon, heißt es rein und raus, an die Arbeit, keine Zeit verschwenden. Effizienz. Tempo. Präzision.
Also: Münze, Waschpulver, Start.
Ich schlurfe zurück zum Sitzbereich vorn, suche mir die Couch aus, ziehe die Füße unter mich. Ich nehme ein Village Voice-Heft, das neben mir liegt. Auf dem Cover ist eine Band, ein ziemlich verwegener Haufen älterer Männer, verhärmter Blick,...
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