Schweitzer Fachinformationen
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Eine große Niedergeschlagenheit hat mich überwältigt. Mein Rücken wird immer krummer, und meine Schritte haben nicht mehr den gewohnten Schwung. Bis zum dreißigsten Lebensjahr habe ich geduldig ein Schicksal ertragen, das nicht einmal meine Feinde verdient hätten. Es gibt für mich nicht mehr genug Gründe, um weiterzumachen. Im Leben geschehen Dinge, die einem die Kraft zum Weitermachen rauben. Als würden die Minuten des Lebens zu Ende gehen. Doch sogar dann gibt es noch Momente, in denen man zweifelt. Zweifelt, ob man wirklich ein Ende setzen soll.
Das Leben ist für mich ein Exil, das meine Eltern mir auferlegt und aufgezwungen haben. Dieses Exil lebe ich in einer Stadt, die ungeachtet ihrer enormen Größe und Betriebsamkeit einer zermürbenden Einzelzelle gleicht. Vor Kurzem habe ich einen Job gekündigt, den ich nicht länger ausüben konnte. Ich bin die Geliebte eines Mannes, der mich im Hinterzimmer seines Ruhms verborgen hält. Ich kann dieses Leben nicht weiterführen, nur um meine Nächsten zufriedenzustellen und ihnen zu gefallen. Es spielt keine Rolle mehr für mich, ob diese Menschen auf mich angewiesen sind und wie sie ohne mich weiterleben werden. Ich sehe mich morgens wie eine Wahnsinnige aus dem Haus laufen und ohne Ziel zögernd an irgendeiner Kreuzung verharren. Manchmal beschreite ich einen Pfad ein ganzes Stück weit, kehre dann jedoch um und gehe auf einem anderen Weg weiter. Wie jemand, der die richtige Adresse nicht gefunden hat, und dem es sehr wichtig ist, irgendwo anzukommen. Ich weiß nicht, was für eine Krankheit das ist; ich laufe so lange herum, dass ich bei meiner Rückkehr Blasen auf den Fußsohlen habe. Was mich aber am allermeisten bedrückt, ist, dass ich zu Hause stets fröhlich sein soll. Sobald ich meine wahre Gemütsverfassung offenbare, überrollt mich eine Woge von Blicken, Fragen und guten Ratschlägen. Alle erwarten von mir, dass ich so tue, als wäre nie etwas Schlimmes geschehen. Als ob das möglich wäre! Wie kann man die schreckliche Vergangenheit vergessen, wenn man sich keine klare und verlässliche Zukunft vorstellen kann? Manchmal wundere ich mich, dass ich überhaupt noch imstande bin, zu laufen und auf die ermüdenden Worte meiner Mutter notgedrungen mit einem Lächeln zu reagieren. Vielleicht wäre mein Zustand glaubwürdiger, wenn ich ans Bett gekettet wäre, mit hervorquellenden Augen und Schaum vor dem Mund. Ich spüre, dass ich frische Luft brauche.
Als meine Freunde letzte Woche nach Armenien gereist sind, fragte ich mich, ob ich, wenn ich meinen Pass gehabt hätte oder Madjid mich hätte ausreisen lassen, überhaupt Lust gehabt hätte, mich mit ihnen zu amüsieren. Bestimmt nicht. Und war ich nicht auch einem Fest ferngeblieben, bei dem alle meine Freunde zusammengekommen sind, obwohl ich dafür die Erlaubnis meines Ehemanns gar nicht gebraucht hätte? In den sechs Jahren, seit ich wieder in mein Elternhaus zurückgekehrt bin und die Freiheit habe, zu tun und zu lassen, was ich will, habe ich mich nur eingeigelt. Wenn mein Geliebter, an dem ich sehr hänge, anruft und mich zu sich einlädt, erfinde ich einen Vorwand, ihn nicht treffen zu müssen. Es stimmt. Ich bin wahnsinnig geworden und finde keinerlei Anzeichen von Gesundheit und Lebenskraft mehr in mir. Dieses Land gleicht dem fruchtbaren Schoß einer Frau. In ihm ist alles vorhanden, was zur Entfaltung nötig wäre. Man kann in ihm heranwachsen und gedeihen, aber wenn er sich nicht rechtzeitig öffnet und gebiert, wenn man zu lange darin verweilt, dann verdorrt der Verstand.
Heute Abend bin ich erschöpft von einem zehnstündigen Spaziergang nach Hause zurückgekehrt. Ich habe mich hingelegt und die Füße gegen die Wand gestemmt, damit vielleicht etwas Blut aus meinen Fersen ins Hirn gelangt. Ich glaubte, dadurch würden die Blitze, die in meinem Schädel aufleuchteten, neutralisiert werden. Doch je mehr das Blut durch meine Adern kreiste, desto greller leuchteten sie. Schon lange habe ich dieses Leben beenden wollen, aber nie habe ich so intensiv und vehement darüber nachgedacht wie jetzt. Eigentlich wollte ich es schon längst erledigt haben, aber erst seit heute suche ich nach einer passenden Methode. Welche selbstbestimmte Todesart wäre sanft und schmerzlos? Ein leichter Tod ist weitaus besser als ein schweres Dasein. Ein Tod, der schmerzloser ist als ein Nadelstich.
Eine Luftinjektion war meine erste Idee. Ich erinnere mich, dass ich das als Kind in Filmen gesehen hatte: Wollte man jemanden unbemerkt töten, verabreichte man ihm eine mit Luft gefüllte Spritze. Aber meine Schmerzgrenze ist so niedrig, dass ich mir keine Spritze geben kann. Als ich vor einigen Tagen beim Zahnarzt war und die Injektionsnadel in mein Zahnfleisch drang, konnte ich das nicht ertragen. Ich ruderte so wild mit Armen und Beinen und schüttelte mich so heftig, dass der Arzt fürchtete, die Nadel würde abbrechen, und er sie unverrichteter Dinge wieder herausziehen musste. Er schlug mir vor, mein Zahnfleisch zunächst mit einer betäubenden Salbe zu bestreichen, aber ich stand auf, als er noch mitten im Satz war, schlüpfte in meinen Manteau1, den ich auf einen Stuhl gelegt hatte, und verließ die Praxis, während der Zahnarzt mir noch hinterherlief. Wie sollte ich mich also mit etwas so Schmerzhaftem umbringen! Für mich kommt nicht jede Todesart infrage. Ich glaube, bis heute so viele brutale und schmerzhafte Übergriffe erduldet zu haben, um einen leichten Tod zu verdienen. Vielleicht wäre auch Opium nicht schlecht. Die Großmutter meiner Schwiegermutter hat sich mit Opium umgebracht. Ich weiß nicht, ob es schmerzhaft ist, aber zumindest ist die Vorbereitung unkompliziert. Man muss nur etwas Tee in eine Untertasse gießen, ein Stück Opium hineintun, dieses mit dem Boden des Teeglases zerdrücken und dann in der Flüssigkeit auflösen. Vermutlich ein Gebräu, das nach Schlangengift schmeckt. Ein schändlicher Tod!
Ich habe schon einmal Opium geraucht. Ich war gerade vom Kaspischen Meer nach Teheran zurückgekehrt und glaubte, ich könne die Welt erobern. Eines Abends wurde ich zu einer Feier befreundeter Filmproduzenten eingeladen. Es dauerte nicht lange, bis sie ihr Rauchbesteck ausgebreitet hatten. So etwas sah ich zum ersten Mal. Eine große, mit Wasser gefüllte Soßenflasche, deren Öffnung mit einem Pappdeckel verklebt war, durch den man eine Kugelschreiberhülse gesteckt hatte. Ich versuchte, mich wie ein zivilisierter Mensch mit irgendetwas anderem zu beschäftigen. Ich war mir sicher, dass ich unter keinen Umständen Opium rauchen und mich auch nicht dem Kreis der anderen anschließen würde. Das Erstbeste, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog, war die Bibliothek meines Freundes. Obwohl sie klein war, enthielt sie viele gute Bücher. Ich stöberte ein wenig darin herum und zog schließlich »1984« von George Orwell heraus. Obwohl ich den Roman schon gelesen hatte, schlug ich das Buch auf und las die Einleitung. Meine Freunde lachten hin und wieder über mich und luden mich ein, mich ihnen anzuschließen. Aber für mich stand fest: Ich würde weder jetzt noch in Zukunft Opium oder etwas Ähnliches rauchen. Einer der Freunde, der mir näherstand und den ich seit Jahren kannte, sagte: »Komm her, sonst bereust du es nachher. Rumi2 hat alles versucht, um in Trance zu geraten, aber du bist bestimmt schon nach zwei Zügen weg.«
Ich wies ihn mit einem frostigen Lachen ab und begann erneut zu lesen. Wieder sagte er: »Willst du nicht die Welt von Sadegh Hedayat3 kennenlernen?«
Ich weiß nicht, weshalb ich diesen Worten nicht widerstehen konnte. Ich dachte, wie schön es wäre, wenn ich wüsste, in was für einer Welt Sadegh gelebt hatte. Später begriff ich, dass mein Freund, aus welchen Gründen auch immer, mich besser kannte als ich mich selbst. Ich schlug das Buch zu. Misstrauisch ging ich hinüber und kniete mich neben die anderen auf den Boden. Sie stellten lachend das selbstgebastelte Gerät namens Gholgholi vor mich hin, gaben mir eine Kugelschreiberhülse und erklärten mir, wie ich den Rauch mit einem Lungenzug inhalieren solle. Dabei ermahnten sie mich ständig, den Rauch ja ganz einzuatmen, um nichts zu verschwenden. Wir begannen der Reihe nach zu rauchen. Ich spürte keinerlei Veränderung an mir. Jetzt, da ich meinen Vorsätzen untreu geworden war, wollte ich zumindest wissen, wie der Rausch sich anfühlte. Einer meiner Freunde fragte:
»Wie ist es?«
»Schrecklich. Ich spüre nämlich nichts!«
Der Gastgeber stand auf, goss Kirschtee ein, servierte ihn uns, und wir tranken ihn mit Kandis. Er brachte mir auch eine hübsche Opiumpfeife, mit etwas Opiumähnlichem, das aber heller war, und sagte:
»Frauen mögen Schireh4 lieber. Sadegh bevorzugte ebenfalls Schireh.«
Er klebte es an den Pfeifenkopf, hielt immer wieder ein Kohlestückchen daran und sagte zu mir: »Jetzt zieh...
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