Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Der junge Journalist Stanislaw Assejew wurde 2017 von moskautreuen Separatisten festgenommen und saß mehr als zwei Jahre im Foltergefängnis »Isolyatsiya« in Donezk, bevor er in einem Gefangenenaustausch freikam. Über seine Erfahrungen hat er einen Bericht verfasst, der wie kein zweites Dokument das Terrorsystem beschreibt, das der russische Geheimdienst FSB 2014 im Donbas etabliert hat und heute auf den okkupierten Territorien der Ukraine weiterbetreibt. Assejew erzählt vom Überleben der Folter und von der Rückkehr aus der Unmenschlichkeit. Sein »ungeheuer klug reflektiertes Buch über kaum zu ertragendes Unheil« (Deutschlandfunk) ist ein bedeutendes Dokument der Lagerliteratur.
Wir werden einzeln abgeladen. Einigen haben sie die Hände mit Isolierband zusammengebunden, meine werden von Handschellen aneinandergepresst. Alle haben eine Plastiktüte oder einen Sack über dem Kopf. Das Einzige, was ich aus dem Keller der »Zentrale« mitnehmen konnte, sind meine Aufzeichnungen. Und meine Kleider. Wir werden mit den Tüten über dem Kopf an die Wand gestellt und durchsucht.
Das ist die Ankunft. Jedem von uns wird schnell klar, dass wir hier nicht in ein Gefängnis gekommen sind, vielmehr nicht in ein offizielles Gefängnis. Hier geht es um völlig andere Dinge: Spionage, Terrorismus, Extremismus. Auch ich werde später, nach zwei Jahren in der »Isolation«, meine beiden Urteile erhalten: nach sieben Artikeln des Strafgesetzbuchs. In sechs Anklagepunkten werde ich wegen meiner Tätigkeit als Journalist schuldig gesprochen, der siebte Punkt: Spionage. Jedes Urteil lautet 15 Jahre. Bei fast allen hier war es ähnlich. Eine Haftanstalt für »besonders gefährliche Verbrecher« - so hat die Gefängnisleitung uns Neuankömmlinge bezeichnet.
Die Adresse: »Isolation«, Heller Weg 3.
Wir sind auf dem Gelände einer ehemaligen Fabrik für Isoliermaterialien im Stadtzentrum von Donezk 18angekommen. Hier befindet sich ein Militärlager und gleichzeitig eines der grausamsten Gefängnisse der sogenannten Volksrepublik Donezk. Für dieses Gefängnis gibt es keine Kategorie, offiziell existiert es gar nicht. Inoffiziell befinden sich Dutzende Gefangene in den Zellen und Kellern.
Wir werden auf Zellen verteilt: Alle Türen sind dick mit schwarzer Farbe bemalt, die Fenster mit weißer. In jeder Zelle brennt rund um die Uhr Licht, auch am Tag kann man es nicht ausschalten. Kaum hat sich die Tür etwas geöffnet, springen alle von ihren Pritschen, ziehen ihre Tüte über den Kopf, legen die Hände hinter den Rücken und drehen sich zur Wand. Das alles spielt sich innerhalb von zwei, drei Sekunden ab. So sind die Regeln hier: Liegen verboten, zum Fenster oder zur Kamera schauen verboten.
Zunächst können wir es gar nicht fassen, dass es in der Zelle ein Waschbecken und eine Kloschüssel gibt. Nach dem Keller in der »Zentrale« rieseln immer noch Hautfetzen von uns herab. Ich war sechs Wochen dort, andere hatten weniger Glück, sie saßen 200 Tage an diesem Ort. Die Haftbedingungen in der »Isolation« irritieren uns, sie irritieren jeden, der von diesem Gefängnis erfährt. »Ein Konzentrationslager mit Klimaanlage? Machen Sie Witze?« Das habe ich oft gehört, als ich nach meiner Befreiung zu schildern versuchte, was das für ein Ort war.
Wer im Sommer ankommt, wird von Blümchen un19ter dem Fenster empfangen, und in manchen Zellen gibt es wirklich eine Klimaanlage aus der Zeit vor 2014. Es ist die Wahrheit, aber eben nicht die ganze - mein Nachbar, der hier innerhalb eines Monats ergraut ist, kennt den anderen Teil der Wahrheit. Er konnte eine Woche lang nicht sprechen, nachdem er eine ganze Nacht geschrien hatte - wegen der Stromkabel, die an seinen Genitalien befestigt waren. Die sich schälende Haut seines Hodens sagt mehr über die »Isolation« als das Vorhandensein einer Klimaanlage.
Geht man ohne Tüte oder Sack über dem Kopf durch die »Isolation« - dieses Recht kann man sich nach einem Monat verdienen -, begegnet man Lenin, dessen Porträts am Kellereingang hängen. Es gibt sogar eine Büste. Die einstige Isoliermaterialfabrik war nach ihrer Stilllegung eine Zeit lang ein Ausstellungsort und Kunstraum gewesen. Künstler und Kulturinteressierte kamen hierher, es gab Ausstellungen und Installationen. Mit der Ankunft der »russischen Welt« und des FSB in Donezk obsiegten Lenin und sein »Heller Weg«. Die Straße in die lichte Zukunft, ins kommunistische Paradies, führte erneut in einen Abgrund. Der aus sowjetischen Zeiten stammende Luftschutzkeller wurde zu einem Folterlabyrinth, in den Hallen stehen nun Panzer, zwischen den Stellwänden, an denen die Bilder hingen, lagern hunderte Minen.
Aber die »Isolation« war nicht nur als Haftanstalt für Andersdenkende eingerichtet worden. Viele meiner 22Zellengenossen waren wegen »regelwidriger Korrespondenz« oder proukrainischen Äußerungen in den sozialen Medien hier. Beides fällt unter »Extremismus« und zieht mindestens fünf Jahre Haft nach sich. Allein für die Anführungszeichen, in die ich in meinen Reportagen die Wörter »Volksrepublik Donezk« gesetzt hatte, sollte ich fünf Jahre erhalten. Ich wollte nur verdeutlichen, dass dieses Gebilde von der internationalen Gemeinschaft nicht anerkannt wird, selbst Russland erkannte sie damals nicht an. Die Anführungszeichen führen sofort dazu, dass man seine Unterschrift unter ein Papier setzt, in dem stolz mitgeteilt wird, dass ein Verbrecher gestellt wurde, der »die staatliche Souveränität der Volksrepublik Donezk leugnet«. Ich fragte den mit meinem Fall befassten Untersuchungsrichter: »Sie haben mir sieben Paragraphen angehängt, für die ich das halbe Leben sitzen werde. Diese Anführungszeichen haben für mich keine Bedeutung mehr. Aber Sie, kümmert es Sie wirklich nicht, dass Sie das Leben von Menschen zerstören, weil diese auf ihrer Internetseite einen einzigen Satz geschrieben haben? Nur dafür fünf Jahre?« Worauf der Untersuchungsrichter mir ganz offen antwortete: »In aller Regel können wir denen, die >Volksrepublik Donezk< in Anführungszeichen schreiben, später auch Spionage nachweisen.« Ein endloses Fließband. Aus dem unerschöpflichen Strom von »Spionen« und »Extremisten« wird alles herausgesaugt, was zu holen ist. Autos, Geld, Häuser, Eigentum. In mei23nem Fall sogar Küchenmesser und ein paar Parfumfläschchen. Sie wurden bei der illegalen Durchsuchung meiner Wohnung gestohlen. Wie ihre Urgroßväter in den Kunstledermänteln verschmähen auch die Donezker Erben der sowjetischen Tschekisten nichts.
Neben den Andersdenkenden, »Extremisten« wie mir, gibt es in der »Isolation« noch diejenigen, die für dieses System gekämpft haben und jetzt selber von ihm zermalmt werden. In den 28 Monaten, die ich dort verbracht habe, gab es keinen Tag, an dem ich nicht mit jemandem aus den örtlichen Milizen in einer Zelle saß. Sämtliche Dienstgrade haben diese Keller zu Gesicht bekommen, vom Gefreiten bis zum Generalmajor.
Kaum waren im Jahr 2014 die Bilder und Kunstobjekte gegen Stacheldraht und MG-Nester vertauscht worden, wurde die »Isolation« zu einer Folterkammer für die sogenannten Kosaken: Bis 2016 wurden ihre Verbände von den ehemaligen »Kampfgenossen« entwaffnet und die Mitglieder hierhergebracht. An den Wänden meiner Zelle sah ich ihre Höhlenmalerei: Kampfnamen, Aufenthaltsdaten. In die »Hütte« kam übrigens nur, wer Glück hatte; die meisten wurden einfach im Keller festgehalten, wo sie auf Paletten schliefen. Und ein Teil wurde einfach umgebracht. Wie viele Leichen auf dem Gelände der »Isolation« liegen, ist bis heute nicht bekannt. Aber wenn man im Sommer auf dem Weg zu den Duschen an einem der Entlüftungsschäch24te vorbeigeht, steigt einem der Gestank verwesender Körper in die Nase.
In den Jahren 2017/2018 arbeitete die Maschine nicht mehr ganz so grob. Zuvor hatte sich niemand ernsthaft über offizielle Anklagen Gedanken gemacht. Jetzt wurden Kämpfer aus den eigenen Reihen wegen »Staatsverrat« oder »illegalem Waffenbesitz« verurteilt. Vertreter aus nahezu allen lokalen Brigaden und Bataillonen haben mit mir in einer Zelle gesessen, darunter auch Stabschefs und stellvertretende Brigadekommandeure. 2017 wurden sie in immer neuen Fuhren in die Keller verfrachtet und anschließend hoch zu uns in die Zelle gebracht - als gebrochene Menschen, die nicht mehr verstanden, wofür sie noch ein Jahr zuvor gekämpft hatten. Besonders Sturköpfige wurden mit ihren Frauen hergebracht, damit der Gatte gesprächsbereiter ist und schneller das benötigte Dokument unterzeichnet.
Vom ersten Moment an spüre ich, dass hier etwas nicht stimmt. Mir wird nicht gleich klar, dass es mit den leicht geöffneten Fenstern zu tun hat. Autos! Hinter unseren Fenstern verläuft eine Straße, von dort dringt Verkehrslärm herüber. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Schlag. In dem Keller, in dem ich bis vor kurzem festgehalten worden war, hörten wir nur das Geräusch eines Aufzugs. Wenn es aufhörte und irgendwann wieder einsetzte, wussten wir, dass eine Nacht vorüber ist. Auf diese Weise...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.