Schweitzer Fachinformationen
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In Paris treffen sich fünf Experten, um eines der größten Rätsel der Kunstgeschichte zu lösen: Der Verbleib von Vincent van Goghs Porträt des Doktor Gachet, das 1990 für eine märchenhafte Summe versteigert und seither nie wieder gesichtet wurde. In einer abenteuerlichen Schnitzeljagd, die in den Katakomben von Paris beginnt und bis ins entfernte Japan führt, müssen die fünf mysteriöse Aufgaben lösen - und sich Widersachern entgegenstellen, die auch vor Mord nicht zurückschrecken ...
Als ich in der Rue Clauzel Nummer 14 ankam, hatte ich so ein mulmiges, unsicheres Gefühl, und am liebsten hätte ich mich sofort wieder umgedreht und Reißaus genommen. Die ganze Geschichte erschien mir reichlich merkwürdig. Als ich erkannte, dass das Treffen in einer Kunstgalerie stattfinden sollte, auf deren Schaufenster in gelben Lettern PÈRE TANGUY stand, fühlte ich mich gleich wieder etwas besser. Die Fassade war in einem matten Irisch-Grün gestrichen, das im strahlenden Sonnenlicht dieses warmen Augustmorgens bläulich schimmerte. An den Wänden der Galerie hingen überall Bilder, doch es war keine Menschenseele zu sehen. Ich trat ein und entdeckte ein Schild mit einem Pfeil, der nach hinten wies. Jetzt machte ich mir doch wieder Sorgen und hatte umso mehr das Bedürfnis, schnell wieder zu verschwinden. Doch ich ging weiter und las auf einem Zettel an der Tür, dass das Treffen, zu dem ich eingeladen war, tatsächlich an diesem Tag und um diese Uhrzeit stattfinden sollte. Mit gespielter Entschlossenheit trat ich ein.
Es handelte sich um einen mittelgroßen Raum mit ein paar Klappstühlen, die im Kreis aufgestellt waren. Er wirkte wie ein Lager, das man für ein Sektentreffen umfunktioniert hatte. Ein paar Leute sahen mich neugierig an. Ich grüßte mit einem Kopfnicken und setzte mich mit einigem Abstand zu den Anwesenden. Eine Frau telefonierte leise mit der Hand vor dem Mund, damit wir sie nicht verstanden. Mein Gefühl der Unsicherheit verstärkte sich. Das Ganze wirkte ausgesprochen unheimlich.
Die Tür ging auf, und zu meiner Überraschung traten zwei lächelnde Japaner ein. Einer von ihnen war ziemlich groß, von der Statur eines Sumo-Ringers, und trug ein silbernes Schild am Hemd. Als er an mir vorbeiging, konnte ich lesen, dass er der Geschäftsführer dieser Galerie war. Der andere Japaner, klein, dünn und mittleren Alters, stellte sich vor den großen Monitor an der Wand und begrüßte die Anwesenden mit einer tiefen Verbeugung. Der riesige Geschäftsführer verkündete uns mit starkem Akzent auf Französisch:
»Darf ich vorstellen: Ihr Gastgeber und Förderer Monsieur Ichiro Koga.«
Noch war mir nicht ganz klar, was Monsieur Koga genau förderte, aber wenn dieser Mann mit dem kurzen, glatten Haar mir die vertraglich zugesicherte Geldsumme zahlen würde, könnte er mich auch bitten, mit verbundenen Augen von einer Klippe ins Meer zu springen. Für den üppigen Vorschuss, den er bereits auf mein Konto überwiesen hatte, sowie für die vereinbarte Gesamtsumme war ich mehr als bereit, ihm zuzuhören. Die anderen waren gewiss aus demselben Grund gekommen. Es handelte sich um zwei Männer und eine Frau. Der eine Mann war rothaarig und kräftig, Anfang zwanzig, der andere etwas älter, ein Mulatte mit glänzenden blauen Augen. Die Frau, die an die dreißig sein durfte, hatte Mandelaugen, braunes Haar und war nicht sehr groß. Alle drei wirkten ebenso verunsichert wie ich.
»Ohayo gozaimasu«, begrüßte uns Monsieur Koga und neigte den Kopf. »Danke, dass ihr zu unserem Treffen in der Galerie Boutique du Père Tanguy nach Paris gekommen seid.«
Und das im August, wo selbst am frühen Morgen schon eine mörderische Hitze herrschte. Aber dafür waren sämtliche Kosten übernommen worden . Wie sollte ich da nicht nach Paris kommen? Wo sonst konnte man seinen Jahresurlaub besser genießen?
»Es fehlt noch jemand«, erklärte Koga, der sich ganz zwanglos gab. Er schien daran gewöhnt zu sein, vor Publikum zu reden, und wirkte trotz seiner zarten Statur voller Energie. »Leider können wir nicht länger warten. Doch erlaubt mir vorab, euch einander vorzustellen, denn ihr kennt euch ja noch nicht.«
Der fensterlose Lagerraum mit seiner kalten Neonröhre war ziemlich klein, weshalb wir auf unseren Klappstühlen dicht beieinandersaßen. Monsieur Koga zeigte auf die einzige Frau, die kleine Dunkelhaarige, die sich noch kleiner machte und schüchtern lächelte.
»Odette Blondeau aus Marseille. Danke, dass du gekommen bist, Odette.«
Neuerliches Verbeugen, diesmal nur vor der armen Odette, die rot angelaufen war und uns entgeistert anstarrte. Koga wandte sich kaum wahrnehmbar dem kräftigen, rothaarigen Mann neben ihr zu, der sich so ruckartig aufsetzte, dass der Stuhl unter seinem beträchtlichen Gewicht knarrte. Er trug Vollbart und machte einen jämmerlichen Eindruck mit seinem alten Sweatshirt, den fleckigen Jeans und dem zerschlissenen Baseball-Cap.
»John Morris aus Warren, Michigan, USA. Danke, dass du die weite Reise gemacht hast, John.«
Der Amerikaner winkte gleichgültig ab. Nach der obligatorischen Verbeugung war ich an der Reihe. Alle starrten mich an. Ich schob meine Brille so brüsk nach oben, dass ich mir den Bügel fast in die Nasenwurzel rammte. Das hier schien das Treffen einer Sekte zu sein, und ich wollte weg.
»Hubert Kools aus Amsterdam, Niederlande. Danke, dass du gekommen bist, Hubert. Deine Erfahrung wird uns eine große Hilfe sein.«
Meine Erfahrung?, fragte ich mich überrascht. Ich war lediglich der Besitzer einer ganz ähnlichen Kunstgalerie wie diese hier. Welche Erfahrung meinte Koga? Na gut, solange die vereinbarte Summe bezahlt wurde, sollte das kein Problem sein. Meine Galerie, Kools Kunstgalerie, stand kurz vor der Pleite, die Schulden erdrückten mich, und womöglich würde ich auch meine Wohnung verlieren, weshalb Ichiro Kogas Angebot - vermittelt durch Kamidana, ein Geschäft für Künstlerbedarf, bei dem ich seit einiger Zeit Kunde war - mir die einmalige Chance bot, wieder auf die Beine zu kommen und mein Leben einigermaßen anständig weiterzuführen.
»Oliver Roos aus Liverpool, England. Danke für dein Kommen, Oliver.«
Besagter Oliver hatte etwas Außergewöhnliches an sich. Trotz eines schwarzen Vaters oder einer schwarzen Mutter hatte er die blauesten Augen, die ich je gesehen habe. Er trug eine Glatze und war schön wie ein Männermodel. Dieser fast zwei Meter große Engländer konnte kaum älter als fünfundzwanzig oder sechsundzwanzig sein, und obwohl seine Kleidung nicht sonderlich teuer wirkte, verstand er sie zu tragen. Ich war ebenfalls groß und noch immer athletisch, aber schon dreiunddreißig, und ich hatte bereits das eine oder andere graue Haar, nicht nur auf dem Kopf, sondern auch in meinem Schnurr- und Kinnbart. Jedoch fiel das bei meiner hellbraunen Haarfarbe kaum auf.
Plötzlich ging die Tür auf, und ein sehr blonder Kopf schaute sich um.
»Na endlich!«, rief Koga lächelnd. »Konnichiwa, Gabriella. Komm rein. Das ist Gabriella Amato aus Mailand. Jetzt sind wir vollzählig. Danke, dass du gekommen bist, Gabriella.«
Noch bevor mir Zeit blieb, darüber nachzudenken, wie komisch es war, dass wir alle aus unterschiedlichen Ländern stammten, verschlug mir besagte Gabriella, die sich betont kühl neben Oliver setzte, buchstäblich den Atem. Sie war eine beeindruckende Frau: groß, schlank, sehr blond, fast goldblond, mit wunderschön gebräunter Haut. Dazu grüne Augen und ein geradezu perfektes ovales Gesicht. Vermutlich so um die dreißig, sagte ich mir. Ich hätte gern Papier und Stift zur Hand gehabt und sie gezeichnet, obwohl das Zeichnen nicht gerade meine Stärke ist. Sie trug eine ärmellose Bluse in der Farbe ihrer Augen, eine helle, eng anliegende Hose und Sandaletten mit Absatz. Dazu lange, filigrane Ohrringe, die fast die Schultern streiften. Obwohl sie das blonde Haar zurückgebunden hatte, bewirkte das Neonlicht, dass die feinen Härchen, die sich aus der schicken Frisur gelöst hatten, eine Art Heiligenschein um ihren Kopf bildeten. Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden, und ich glaube, den anderen ging es genauso.
»Stellt eure Handys bitte stumm oder schaltet sie aus, was euch lieber ist«, sagte Koga und ergriff die Fernbedienung, die der Geschäftsführer der Galerie ihm hinhielt. »Ich muss euch leider daran erinnern, dass ihr für die Zeit dieses Auftrags eine Verschwiegenheitsklausel sowie die eingeschränkte Nutzung eurer Handys unterschrieben habt. Ihr dürft weder fotografieren noch Bilder oder Informationen ins Internet stellen über das, was wir tun werden, einverstanden? Gut, da wir jetzt vollzählig sind, können wir anfangen.«
Das Neonlicht erlosch, nur die im Boden angebrachten Strahler blieben an, und auf dem Monitor an der Wand erschien eines der letzten Gemälde van Goghs vor seinem Tod, das berühmte Bildnis des Dr. Gachet. Der Arzt hatte auf Empfehlung von Camille Pissarro Vincents Melancholie behandelt, und zwar in Auvers-sur-Oise, einem kleinen Dorf nördlich von Paris, zu jener Zeit knapp eine Stunde Zugfahrt entfernt. Als Vincent Doktor Gachet kennenlernte, schrieb er seinem Bruder in einem Brief, dass der Doktor ein ernstes Nervenproblem hätte und mindestens genauso krank sei wie er.
»Kennt ihr das Bild?«, fragte uns Koga.
»Nein«, platzte der Amerikaner Morris heraus. Wir anderen nickten stumm.
»Keine Sorge, John«, erwiderte Koga freundlich. »Es gehört nicht zu den bekanntesten Werken van Goghs. Alle Welt kennt die Sonnenblumen oder die berühmten Sternennächte, aber nur wenige wissen von diesem Bild, was vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass es 1996 geheimnisvollerweise verschwand und man seither nichts mehr davon gehört hat. Und als wäre das nicht genug, waren die Umstände seines Verschwindens für viele Leute derart unangenehm, dass sowohl in der Kunstwelt als auch in der Politik bis heute eine Art Pakt des Schweigens darüber herrscht.«
Damit hatte er mich ertappt. Ich hatte keine Ahnung, dass das Bild verschwunden war, sondern war davon überzeugt gewesen, dass es hier in...
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