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Kurz vor Weihnachten 2022 berichtete die Bremer Tageszeitung Weser Kurier, Hamburg gebe Benin-Bronzen zurück, Raubkunst im Schätzwert von ca. 60 Millionen Euro. Dafür war am 16. Dezember 2022 im Hamburger Rathaus der Vertrag über die Rückgabe von 179 Bronzen aus dem ehemaligen Königreich Benin an die Bundesrepublik Nigeria unterzeichnet worden. Hamburgs Kultursenator sah darin einen Meilenstein in den Verhandlungen zwischen der Hansestadt und dem westafrikanischen Staat. Nigerias Botschafter sprach von einer »Zeitenwende«.
Bemerkenswert an der Nachricht war zweierlei. Zum einen gab es eine gewisse Begriffsverwirrung: Handelt es sich bei den Bronzen um »Raub-« oder »Beutekunst« (oder »Raub-« und »Beutegut«)? Zum anderen stellte sich die Frage, ob der große ästhetische und materielle Wert der restituierten Objekte nicht die problematische vorkoloniale Geschichte des Königreichs Benin überblende, in deren Kontext die Bronzen auch »Blut-Metall« genannt werden.
Den Uneingeweihten und in der Kolonialgeschichte Afrikas wenig Bewanderten erscheint dieser Beutekunstfall komplex und schwierig, weil er eine koloniale und vorkoloniale Geschichte aufweist und die Streitparteien in den Restitutionsverhandlungen nicht nur die Untiefen des postkolonialen Diskurses umschiffen, sondern auch verschiedene Akteur:innen und Institutionen beider Länder einen Interessenausgleich finden mussten.
Die Forderungen nach der Rückgabe der Benin-Bronze reichen weit zurück.
Wie kompliziert der Fall der Benin-Bronzen ist, illustriert eine überraschende Wendung, die diese Rückgabegeschichte im März 2023 genommen hat. Da verkündete der scheidende Präsident Nigerias, dass er die Eigentumsrechte sämtlicher Benin-Artefakte, sowohl der zurückgegebenen als auch der noch zurückzugebenden, an den Oba von Benin übereignet habe, dem »rituellen König« des alten, nicht mehr bestehenden Königreichs Benin, das im heutigen Nigeria liegt. Das kam für die mit dem Fall betrauten deutschen Vertreter:innen aus Politik, Kultur und Museen sowie für die Öffentlichkeit sehr unerwartet. Während man in Deutschland im Dezember 2022 noch davon ausgegangen war, die Rückgabe erfolge an den nigerianischen Staat und seine Bevölkerung, stellte die neue Sachlage die Verhältnisse scheinbar auf den Kopf. Nun wurde »nationales« (d. h. ehemals deutsches, nun nigerianisches) Eigentum zum Privatbesitz des »rituellen Königs«. Der Präsidialerlass schien aus dem öffentlichen Eigentum exklusives Privateigentum zu machen.
Nur wenn man sich der kolonialen Geschichte Afrikas und der vorkolonialen Geschichte des Königreichs Benin gleichermaßen stellt und sich die historische und aktuelle Bedeutung der Benin-Bronzen vergegenwärtigt, lässt sich die Verwirrung aufklären. Dann wird auch erkennbar, dass die weit zurückreichenden Forderungen nach der Rückgabe der Benin-Bronzen eng mit der Geschichte des europäischen Kolonialismus verknüpft sind.
Mit dem Sammelbegriff »Benin-Bronzen« werden künstlerische Artefakte aus dem Königreich Benin bezeichnet, die vom 16. bis zum 19. Jahrhundert entstanden und vor allem aus Messinglegierungen, Holz und Elfenbein gefertigt wurden. Es handelt sich im Falle der »Bronzen« um Güsse und um Schnitzwerke aus Holz und Elfenbein von höchster Kunstfertigkeit. Besonders die Beniner Handwerker aus der Zeit des 16. und 17. Jahrhunderts waren Meister der Metallverarbeitung. Deshalb verglichen Experten des späten 19. Jahrhunderts ihre Arbeiten mit den besten Werken von Renaissance-Künstlern wie Benvenuto Cellini. Die Benin-Bronzen wurden als Meisterwerke afrikanischer Kunst in eine Reihe mit den wichtigsten Skulpturen der griechischen Antike gestellt.
Die ideelle Wertschätzung drückt sich im materiellen Wert dieser Objekte aus. Ein königlicher Gedenkkopf aus dem 16. Jahrhundert im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe wird auf rund fünf Millionen Euro geschätzt. 2010 wurde im Auktionshaus Sotheby's eine Oba-Maske aus dem 16. Jahrhundert für 4,5 Millionen Pfund angeboten. Selbst weniger exzellente Stücke erzielen Preise ab 50 000 Euro.
In den Objekten verkörperten (und verkörpern) sich einerseits die Ahnen und andererseits manifestiert sich in ihnen so etwas wie ein dreidimensionales Geschichtsbuch. Das Königreich Benin hatte keine Schriftsprache, es hielt die wichtigsten Ereignisse seiner Geschichte - die dynastischen Folgen auf dem Königsthron, Kriege und Kulte - auf reliefartigen Bronzetafeln fest. Man kann in diesen Bronzen eine Art kollektives Gedächtnis der Menschen des Königreichs Benin sehen, das allerdings zu existieren aufhörte, als die Briten das Reich 1897 eroberten und seine Hauptstadt zerstörten. Die in der Literatur genannte Anzahl der dabei geplünderten Artefakte schwankt zwischen 4000 und 5000 Objekten. Dieser kulturelle Aderlass wäre vergleichbar mit dem Raub des Nationalarchivs eines Volkes. Während wir im nationalsozialistischen Kontext bei dem gewaltsamen Kulturgutentzug von Raubkunst sprechen, stellen die Benin-Bronzen im Krieg des britischen Empire gegen das Königreich Benin Beutekunst im kolonialen Kontext dar. Der Raub demütigte und schwächte den Gegner, indem er seine Kultur und Identität zerstörte.
Das Königreich Benin lag in Westafrika. Es bildete eines der mächtigsten Reiche in der Zeit vor dem Kolonialismus und herrschte über ein Gebiet, das sich in der Breite vom Fluss Niger bis Lagos erstreckte. Es umfasste den heutigen Südwesten Nigerias. Benin-Stadt war die Hauptstadt. Die Bevölkerung setzte sich aus den Bini und anderen Gruppen zusammen, deren Sprache Edo war. Darüber hinaus gab es noch weitere Gruppen mit anderen Sprachen.
Benin-Stadt war ein wichtiger Handelsplatz. Zu seinem wirtschaftlichen Aufstieg trugen die Portugiesen bei, als sie Anfang der 1470er Jahre die Bucht von Benin entdeckten und mit Rohstoffen zu handeln begannen. Sie tauschten Kupfer und Messing gegen Sklaven und Elfenbein.
Benin jagte und versklavte seine Nachbarvölker und sorgte dafür, dass zahllose Schiffsladungen von ihren Rechten beraubter Menschen in die Karibik und nach Amerika transportiert wurden. Für jeden verkauften Sklaven bekam Benin Messingarmbänder, sogenannte Manillas, aus denen die Benin-Bronzen gefertigt wurden. Daher erhielten sie die Bezeichnung »Blut-Metall«, denn trotz ihrer ästhetischen Schönheit stehen sie auch für einen mörderischen Handel und ein unmenschliches System. Deshalb spricht man auch davon, dass das Königreich Benin seinen Reichtum auf Unterdrückung und Gewalt gründete.
Das Ende der Sklaverei bedeutete auch das Ende des Sklavenhandels im Königreich Benin. Seine Häfen verloren allmählich ihre Bedeutung. Am Ende hatten von hier aus über zwei Millionen Sklaven eine Reise ins Ungewisse antreten müssen.
Auf der Kongokonferenz in Berlin 1884/85 teilten die europäischen Mächte den Kontinent Afrika unter sich auf. Teile des heutigen Nigeria wurden britisches Protektorat. Das Königreich Benin gehörte nicht dazu. 1892 vereinbarten die Briten mit dessen König ein Freihandelsabkommen, das aber nicht konfliktfrei war, weil der Oba Zölle erhob. Um die zu umgehen, wollte das britische Empire seine Einflusssphäre auf Benin ausdehnen. Man dachte im britischen Außenministerium und bei der Marine darüber nach, wie das Königreich mit militärischen Mitteln bezwungen und der König abgesetzt werden könnten.
Anfang 1897 brach eine britische Delegation auf, um den König aufzusuchen. Das Unternehmen verfolgte keineswegs rein friedliche Ziele, und die Delegation war auch nicht beim König willkommen, der angab, keine Zeit zu haben. Er forderte die Briten auf, umzukehren oder zu einem späteren Zeitpunkt wiederzukommen. Das lehnte der Leiter der britischen Delegation jedoch ab. Er beharrte auf der Fortsetzung der Expedition und setzte sich über alle Warnungen hinweg. Das Unternehmen endete in einem Fiasko. Benins Krieger griffen den Expeditionszug aus dem Hinterhalt an und töteten sieben der neun britischen Delegationsmitglieder. Zweien gelang verwundet die Flucht. Der britische Historiker für Kolonialgeschichte Paddy Docherty sieht das eigentliche Ziel der Expedition in der Führung des Beweises, dass beim König von Benin friedlich nichts auszurichten sei. Ein Scheitern des Unternehmens sei daher durchaus willkommen gewesen, weil sich so der Druck auf London erhöht habe und dieses gezwungen gewesen sei, militärische Maßnahmen gegen das Königreich von Benin zu ergreifen. Genau das geschah auch nach dem Überfall auf die Expedition. Das Empire schickte eine Strafexpedition, die seine getöteten Staatsbürger rächen sollte.
Im Februar 1897 erreichten 1200 britische Soldaten Benin-Stadt. Der militärisch weit unterlegene Gegner war der Streitmacht nicht gewachsen und die Briten marschierten in Benin-Stadt ein. Dort stießen sie auf Spuren von Menschenopfern und die Leichen geopferter Menschen, die sich in verschiedenen Stadien der Verwesung befanden. Später wurden diese grausamen Funde als Rechtfertigung der...
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