Schweitzer Fachinformationen
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Schon als ich den Krater über Margrets Nase sah, hätte mir dämmern müssen, dass auch dieser Frühling alles andere als geruhsam werden würde. Gefährlich kam der Sache sogar noch wesentlich näher. Aber das wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Und das war gut so. Seit ich mit Margret zusammen in ihrem Cottage lebte, schienen kriminelle Jahresanfänge zur allgemeingültigen Norm unserer kleinen WG geworden zu sein, zu einer gruseligen Routine, die besagte, dass wir im Frühjahr grundsätzlich Mordfälle zu lösen hatten. Das heißt, meine Freundin löste sie und ich assistierte ihr, denn sie war das geistige Genie von uns beiden. Sie war Sherlock Holmes, ich war Watson. Nur dass Watson sich neben seiner Assistenz um Patienten kümmerte und ich mich um den kulinarischen und den gesellschaftlichen Part. Nach dem Tod meines Mannes Harry war ich bei Margret eingezogen. Das Haus lag zwar am Rande von Rosefield und damit für meinen Geschmack etwas zu weit weg vom Ortsgeschehen, aber allein zu leben war nicht meine Sache. Ich war kommunikativ und brauchte Gesellschaft. Und obwohl Margret an manchen Tagen wenig gesprächig war, genoss ich unser Zusammenleben. Ich hatte inzwischen sogar die Vorzüge kennengelernt, die es mit sich brachte, wenn man am Ende der Hauptstraße wohnte, und wusste sie zu schätzen. Der Blick aus den hinteren Fenstern war Balsam für die Seele und brachte auch das hektischste Gemüt zur Ruhe. Nichts als Wiesen, Felder und Bäume schmeichelten dem Auge und in der Ferne bildete das Herrenhaus Old Mansion Hall ein Hintergrundbild, nach dem sich mancher Künstler die Finger lecken würde. Es war das Prunkstück unseres Örtchens. Wenn im Winter eine Schneeschicht die Landschaft bedeckte, sah man oft weit und breit keinen einzigen Fußabdruck. Wie in Acryl verewigt, lag die Umgebung Rosefields dann schlafend im weißen Gewand, bis sie im Frühling von den ersten Sonnenstrahlen wieder geweckt wurde. Im Sommer summten unzählige Insekten über den Wildblumen, die einen würzigen Duft verbreiteten. Manchmal stand ich einfach nur da, ließ meinen Blick über unseren Gemüsegarten schweifen und seufzte beglückt. Aber ich hatte auch gelernt, dass ich einem Trugschluss erlegen war, einem Idyll, das uns hin und wieder Lügen strafte. Denn so harmlos, wie sich die Landschaft dem Unwissenden darbot, war sie nicht?.
Unser Cottage war eines dieser Bilderbuchhäuser, verwinkelt, mit Rosen bewachsen und mit einem Apfelbaum im Vorgarten, unter dem ein Tisch mit zwei schmiedeeisernen Stühlen stand. Wie man es von Postkarten her kennt oder von Wandkalendern mit Gartenmotiven und Achtsamkeitssprüchen darunter. Margrets Eltern hatten das Haus vor über siebzig Jahren gebaut und dem Dörfchen damit zu noch mehr Glanz verholfen. Es umarmte jeden, der zu Besuch kam und auch jeden, der die Absicht hatte, länger zu bleiben. Ich hatte mich in dem Moment wohlgefühlt, als ich mit den Rollen meiner Koffer über die Schwelle geruckelt war. Obwohl ich schon als Kind häufig im Wohnzimmer gesessen und auf Margret gewartet hatte, um mit ihr zu spielen, war es in mehr als einer Hinsicht ein ganz neues Ankommen gewesen. Ein neues Kapitel meiner Lebensgeschichte. Viele bezeichneten Margrets Elternhaus als das schönste Fleckchen des Ortes, und ich konnte dem nur aus tiefstem Herzen zustimmen. Aber es war nur das Cover meiner neuen Lebensgeschichte. Jedes Kapitel, das ich aufschlug, seit ich am Ende der Hauptstraße wohnte, schien mit einem Kriminalfall aufzuwarten. Ständig passierte etwas. Die einigermaßen ruhigen Passagen dazwischen hatten bislang lediglich für ein kurzes Durchatmen gereicht und mich an die große Pause auf unserem Dorfschulhof zwischen zwei unliebsamen Fächern erinnert. In diesen ruhigen Phasen hatten wir Scrabble gespielt, waren um den See spaziert oder hatten gelesen. Und dabei hatte ich mir eingeredet, dass nun alles ruhig bleiben würde, ohne es selbst zu glauben. Ich brauchte keinen Mord und keinen Totschlag, um mich lebendig zu fühlen. Ganz im Gegenteil. Gemütlichkeit war mein zweiter Vorname. Und wenn ich Betätigung suchte, hatten wir den Gemüsegarten hinter dem Haus und den Blumengarten vor dem Haus. In dem arbeitete ich besonders gerne, während meine Freundin auf einem der Stühle unter dem Apfelbaum saß und Zeitung las. Vorne am Gartentürchen hatte man einen guten Blick die Hauptstraße hinunter. Wir pflegten einen regen Kontakt zu unserer Nachbarschaft und manchmal bekamen wir Besuch. Margret war das zwar nicht so wichtig, aber ich hatte den Eindruck, dass es ihr guttat, nicht immer nur mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. Zumindest konnte niemand abstreiten, dass sie aufgeblüht war, seit ich dafür sorgte, dass sie regelmäßiger aß und unter Menschen kam. Abends saßen wir meistens in unseren Ohrensesseln vor dem Kamin, Margret strickte und ich knabberte Kräcker oder Kekse und blätterte in einer Modezeitschrift. Schön waren diese Zeiten - aber erfahrungsgemäß eben nur von kurzer Dauer. Das sollten mich die bevorstehenden Tage aufs Neue lehren, denn ich hätte wissen müssen, dass die Schulglocke schneller wieder läutete, als mir lieb war. Dabei hatte ich bis heute keine Erklärung dafür, wieso wir ständig in brenzlige Situationen gerieten. Es war, als wären wir der Minuspol und Verbrechen aller Art der Pluspol. Das nannte man wohl Magnetismus. Ich wusste, dass Margret diesen Umstand auf ihre ganz eigene Margret-Art genoss, denn geistige Nahrung war ihr tägliches Brot. Allerdings nicht jede x-beliebige. Kreuzworträtsel unterforderten sie ebenso wie unseren Tischler Graham Mitchell das Einschlagen eines Nagels. Manchmal war Margret so genervt, dass sie die Rätselseite der Kent News in den Kamin pfefferte, um sie dem Feuertod zu übergeben. Ich hingegen hätte zu gerne einen ganz normalen ruhigen Frühling in unserem Garten erlebt. Meinetwegen auch mit Rätseln der Kent News. Dafür ohne Leiche! Wenigstens ein einziges Mal! Es stand nicht auf meiner To-do-Liste des Glücklichseins, Kriminelle zu jagen. Stattdessen genoss ich es, tagsüber Unkraut zu jäten und abends mit lieben Menschen zusammenzusitzen, etwas Leckeres zu essen und zu trinken und auch mal über andere Themen zu sprechen als über Mordmotive. Das letzte Verbrechen lag nur wenige Wochen zurück und hallte noch in jeder Faser meines Körpers nach. Denn leider hatte sich unsere Serie der Frühlingmorde ausgeweitet und zuletzt auch den Winter in Beschlag genommen.
Die Erinnerung an das schrecklichste Weihnachtsfest meines Lebens würde ich wohl nie ausradieren können. Demzufolge wünschte ich mir kein neues Abenteuer, weder zu Weihnachten noch zum Geburtstag! Es war also ein ganz natürlicher Reflex, dass ich Margrets Nasenfalte an diesem Vormittag keine Beachtung schenkte, ein Verdrängungsmechanismus, denn mein Körper wusste genau, was ich von ihm erwartete. Ich wollte diese Furche an selten dagewesener Tiefe einfach nicht sehen! Basta! Und wenn ich sie nicht sah, gab es sie auch nicht!
Aufgrund meiner Erfahrungen der letzten Jahre hätte ich natürlich wissen müssen, dass die Sache mit dem Verdrängen in Bezug auf Margret in den seltensten Fällen funktionierte?. Und spätestens, als ich mir den ersten Schluck Tee an diesem Morgen als schlechtes Omen über die Bluse geschüttet hatte, katapultierte mich dann auch der theatralische Seufzer meiner Freundin unbarmherzig in die unausweichliche Akzeptanz meiner bösen Vorahnung. Unser Idyll gehörte mal wieder der Vergangenheit an. Die Pause war vorbei! Das mörderische Ausmaß, das uns erwarten sollte, erschloss sich mir in diesem Moment allerdings noch nicht und das war wahrscheinlich besser so! Vor allem für meine Nerven! Wir waren schließlich über 70, da steckte man die Aufregungen, die eine Mörderjagd zwangsläufig mit sich brachte, nicht mehr so leicht weg wie ein Teenager mit Energieüberschuss. Wobei Margret das in der Regel anders sah, so wie sie meistens alles anders sah als ich. Ich hatte sie trotzdem lieb!
Sie vertrat die Meinung, dass es jung und frisch hielt, einen Kriminalfall aufzuklären. Mich hingegen ließ es altern. Seit Weihnachten waren meine Augenringe violett! Da half keine Creme der Welt! Zudem glaubte ich nicht daran, dass mein Verstand für derlei knifflige Kombinationen überhaupt geschaffen war. Wahrscheinlich fehlten mir die entscheidenden Synapsen. Jedenfalls arbeitete er wesentlich langsamer als der von Margret und beschäftigte sich lieber mit Kulinarik und Dorfklatsch. Da war nichts zu machen! Aber es hatte auch sein Gutes! Was den Tratsch betraf, war ich up to date! Ganz weit...
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