Schweitzer Fachinformationen
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Am Anfang war keine konkrete Idee, kein Konzept, kein Layout, kein Titel, kein Geld. Am Anfang war der Wille zur Zeitschrift - und so etwas wie ein Gespür dafür, was fehlte und die Zeit verlangte: eine periodisch-regelmäßige, populäre wie anregende, seismografische wie gediegene, originelle wie kenntnisreiche Sichtung der literarischen Landschaft der Gegenwart und ihrer Geschichte, im komplexen, mit- und gegeneinander wirkenden Zusammenspiel von Literatur und Reflexion. Als sich Heinz Ludwig »Lutz« Arnold der Gründungslegende zufolge im Sommer 1962 22-jährig mit seinen ehemaligen Klassenkameraden Joachim Schweikert und Lothar Baier im Karlsruher »Ring-Café« zusammensetzte, war eigentlich nur klar, dass >irgendetwas< mit Anspruch >irgendwie< anders gemacht werden sollte als die bereits etablierten Zeitschriften. TEXT+KRITIK interessierte sich nicht für die Förderung junger Gegenwartsliteratur wie die 1953 von Walter Höllerer und Hans Bender gegründeten »Akzente«, reproduzierte nicht das bunte Durcheinander von Kurt Morawietz' »horen« (1955 ff.), publizierte nicht nur literarische Texte wie die österreichischen »manuskripte« (1960 ff.) und unterwarf sich keiner programmatischen Agenda wie die seit den 1960er Jahren eng an die TU Berlin, seit den 1970er Jahren ans Literarische Colloquium Berlin (LCB) gebundene »Sprache im technischen Zeitalter«. Stattdessen stellte die neue Zeitschrift einen Autor oder eine Autorin und ein Gesamtwerk ins Zentrum eines Hefts, das seinen jeweiligen Gegenstand von unterschiedlichen Seiten, auf unterschiedlichen Beobachtungsniveaus, mit unterschiedlichen Zu- und Abneigungen beleuchtete.
Zu Beginn aber wussten die Beteiligten so genau noch nicht, wie das zu gründende Organ aussehen sollte. Auch die Frage nach der Finanzierung war keinesfalls geklärt. Lutz Arnold und seine Freunde waren fasziniert von der Literatur, alles Weitere würde sich finden. Zu den legendären Gründungsgeschichten gehört das trickreiche Fundraising für das erste Heft: Lutz Arnold unterstützte Anfang der 1960er Jahre jeweils für einige Wochen im Jahr Ernst Jünger als eine Art Sekretär. Kurzerhand nutzte er die Kontakte und den Namen seines Chefs: »Ich schrieb an zwei Korrespondenten, Freunde von Jünger, von denen ich wusste, dass sie reich waren und großen Firmen vorstanden: Ich schrieb sie persönlich an und bat um eine Anzeige ihrer Firmen: Preis je Anzeigenseite: 150.- DM (800.- DM insgesamt hätten wir für das erste Heft benötigt), Absender: Heinz Ludwig Arnold, c/o Ernst Jünger, Wilflingen«.1 Der eine versprach eine Anzeige, der andere, Werner Traber, Vorstandsvorsitzender der Hamburger Reederei Hamburg-Amerikanische Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (HAPAG), wollte seiner Werbeabteilung nicht in die Quere kommen und stellte schlicht einen Scheck über 1000 DM aus. »Damit war die erste Nummer von TEXT+KRITIK gesichert, wir konnten loslegen.«
Das Eröffnungsheft erschien im »Heinz Ludwig Arnold Verlag Göttingen« - mit anderen Worten: in einem mit »5 Mark Gewerbeeröffnungsgebühr« gegründeten Selbstverlag.2 Gedruckt wurde in Flensburg, weil es dort am billigsten war und weil Gerd Hemmerich, der als vierter Zeitschriftengründer hinzugekommen war, sich vor Ort darum kümmern konnte. Da der Transport der Auflage zu teuer war, holte Lothar Baier die Hefte mit seinem »Leukoplastbomber« genannten Lloyd 300 höchstpersönlich ab. Als er in Göttingen ankam, so erinnerte sich Heinz Ludwig Arnold, »wurde er gefeiert wie der einlaufende Sieger eines Marathon-Laufs«.3 Die TEXT+KRITIK-Macher versandten Exemplare der ersten Nummer (sie war Günter Grass gewidmet) an etwa 500 Adressen und legten sie in den Göttinger Buchhandlungen aus. Die Zeitschrift bekam, so Arnold, auf Anhieb 450 Abonnenten, wohl auch bedingt durch den äußerst günstigen Bezugspreis - »ein zu billiger Startpreis, der uns lange nachhängen sollte«. Die weitere Verlagsgeschichte erzählt vom anhaltenden Unabhängigkeitsstreben der Zeitschrift: Bevor sich TEXT+KRITIK ab 1969 mit dem in Stuttgart und München beheimateten Richard Boorberg Verlag zusammentat, erschien die Zeitschrift einige Jahre lang in einem Aachener Gartenbauverlag (Dr. Rudolf Georgi). In dessen Programm dominierten ansonsten Zeitschriften wie »Die Gartenschönheit« oder »Deutsche Friedhofskultur«. Wie genau TEXT+KRITIK in dieses Umfeld geriet, lässt sich nicht mehr ermitteln. Der von Berndt Oesterhelt geleitete juristische Boorberg Verlag jedenfalls passte da zunächst einmal sehr viel besser und ließ der Zeitschrift ebenfalls ihre Unabhängigkeit. Weder musste >die Kritik< auf jene >Texte< Rücksicht nehmen, die bei Boorberg verlegt wurden, noch konkurrierte man im literarischen Urteil mit den Lektorinnen und Lektoren des Verlags. Oesterhelt, im Fach Kunstgeschichte promoviert, bot dann mit der edition text+kritik ab 1975 ein eigenes Zuhause für TEXT+KRITIK; seit 1978 erscheint darin außerdem das von Heinz Ludwig Arnold begründete Loseblattwerk »Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur« (KLG) und seit 1983 das »Kritische Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur« (KLfG).
Der Übergang vom Gartenbauverlag Georgi zum Richard Boorberg Verlag gestaltete sich durchaus kurios. Irgendwann im Jahr 1964 stieß Heinz Ludwig Arnold auf eine Anzeige im »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel«: »Lit. Zeitschrift zu verkaufen. 25 000 DM erforderlich«. Arnold ahnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass es sich dabei um TEXT+KRITIK handelte, und war schließlich völlig überrascht von dem Wert, der seiner Zeitschrift zugeschrieben wurde. Auch das erste Zusammentreffen mit Berndt Oesterhelt steckte voller Überraschungen: »Ich erwartete einen älteren Juristen mit literarischem Interesse, er einen älteren Professor aus Göttingen; doch er war 29 und ich gerade 28 Jahre alt, und wir verstanden uns auf Anhieb. Dieses Verständnis, und eine Mischung aus Engagement und Professionalität, gaben den Ausschlag für meine Verbindung mit ihm.«4 Zwar waren ihm offenbar finanziell bessere Offerten gemacht worden, »aber«, so meinte Lutz Arnold, »es kommt nicht vor allem aufs Geld an, wenn man eigene Pläne realisieren will, sondern auf die Unabhängigkeit, diese auch wirklich umsetzen zu können«. Mit dem Heft über Nelly Sachs (Nr. 23) begann die Zusammenarbeit mit dem Boorberg Verlag, und zur Buchmesse 1969 folgte das sehr kontroverse und kritische Heft 24/24a zu Peter Handke, das, womöglich eben deshalb, auf große Resonanz stieß. »Der Start war geglückt, endlich wurde die Zeitschrift professionell betreut [.].«5 Dazu gehörte, dass der Boorberg Verlag das gesamte bis dahin bestehende Programm von TEXT+KRITIK nach und nach neu auflegte, mit überarbeiteten oder sogar gänzlich revidierten Heftfassungen: »TEXT+KRITIK wurde gleichsam runderneuert. Und so besteht es noch heute.« Ja, tatsächlich: bis heute.
Als der erste Band im Februar 1963 erschien, war Lutz Arnold Student der Literaturwissenschaft an der Göttinger Georg-August-Universität. Zeitschriften zu machen war das Mittel der Wahl, um am Gegenwartsdiskurs teilzuhaben, um Verbindungen herzustellen und um sich selbst Ausdrucks- und Publikationsmöglichkeiten zu verschaffen - so wie heute etwa mittels Blogs oder Podcasts. Anfangs erprobte man unterschiedliche Linien. Im ersten Heft stammte der >Text< nicht nur von Günter Grass, also dem Autor, der als >Thema< im Zentrum des Heftes stand, sondern enthielt außerdem das Hörspiel »Nicht länger fliehen« eines Autors namens Michael Gäbler. Weder das Stück noch der Autor sind heute in der Deutschen Hörspieldatenbank verzeichnet; beide fehlten bereits in der schnell nachgereichten zweiten Auflage des Grass-Hefts. Neben dem eigentlichen >Thema< gab es weitere Rubriken (»Polemik«, »Rezensionen«), die aber bald aufgegeben wurden.
Schon im ersten Heft wurde der Zeitschriften-Titel, wie Rainald Goetz meinte, »in schöner sixtiehafter Extratrockenheit mit einem Pluszeichen zwischen Text und Kritik« geschrieben,6 aber die Typografie war noch nicht stimmig. Im Innern des Heftes machten sich in der Bleiwüste Werbe-Oasen breit. Auf dem Cover fehlte das Autorenbild. Es findet sich erstmals in Heft 18/19 (1968) zu »Heinrich Heine«, bis dahin gab es nur gelegentlich ein Foto auf Seite 2.
Im Lauf der Zeit erkannten die jungen Zeitschriftenmacher, was sie da eigentlich auf die Beine gestellt hatten und worin der Markenkern bestand. Das Profil war geläutert und die Erscheinungsform spätestens Ende der 1960er Jahre zurechtgerüttelt. Und dabei ist es geblieben, unberührt von gestalterischen Moden, von den diversen Anzeigen vom >Tod der Literatur< oder vom >Tod des Autors< seit den ausgehenden 1960er Jahren oder dessen >Wiederauferstehung< seit der Jahrtausendwende, von der Verabschiedung des Werks, von den vielen Krisen des Literaturbetriebs oder anderen beunruhigenden Meldungen, die Anlass für einen Relaunch hätten bieten können. Ein weiteres Format kam ab 1970 hinzu: die Sonderbände, die Raum für drängende autor- und werkübergreifende Perspektiven schufen, von »Jean Paul« (1970) bis zu »Literatur im öffentlichen Raum« (2023). Historisch legt sich die Zeitschrift im Prinzip bis heute keine Grenzen auf - auch zu »Homer« wurde ein TEXT+KRITIK-Heft herausgegeben. Die Literatur des 17. bis 19. Jahrhunderts ist immer wieder vertreten. Der Schwerpunkt liegt freilich im 20. und 21. Jahrhundert und hier auf der Literatur der jüngeren Zeit. Eigentlich aber müsste man es anders formulieren: Im Prinzip ging es von Beginn an...
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