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Die moderne Demokratie hat durch die politischen Parteien einen unerhörten Strukturwandel erfahren. Daraus ist der Parteienstaat heutiger Prägung hervorgegangen. Diese Feststellung ist heute Allgemeingut.[1] Doch fehlt bisher vielfach noch die Erkenntnis, daß sich hinter dem Einheitsbegriff »Parteien« höchst Unterschiedliches verbirgt. Spricht man vom Parteienstaat, geht man meist undifferenziert und pauschal von den Parteien aus.[2] In Wahrheit unterscheiden sich die Parteien nicht nur voneinander (zum Beispiel die FDP von der SPD). Auch jede einzelne Partei ist kein monolithischer Block.
Daß die übliche Betrachtung der Parteien viel zu pauschal ist, um wichtige Fragen und Probleme wirklich in den Blick und in den analytischen Griff zu bekommen, wurde 1992 bei der Parteienkritik des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Helmut Kohls Reaktion darauf besonders deutlich. Weizsäcker hatte den »Parteien und Parteiführungen« vorgeworfen, sie seien »machtversessen auf den Wahlsieg und machtvergessen bei der Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgaben«.[3] Der Berufspolitiker sei »ein Generalist mit dem Spezialwissen, wie man politische Gegner bekämpft . Der Hauptaspekt des >erlernten< Berufs unserer Politiker« bestehe »in der Unterstützung dessen, was die Partei will, damit sie einen nominiert, möglichst weit oben in den Listen, und in der behutsamen Sicherung ihrer Gefolgschaft, wenn man oben ist«. Man lerne, »wie man die Konkurrenz der anderen Parteien abwehrt und sich gegen die Wettbewerber im eigenen Lager durchsetzt«.[4]
Weizsäcker versäumte es aber, zwischen den verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Parteien deutlich zu unterscheiden und ganz klarzumachen, daß seine Kritik nicht die breiten Schichten der Parteimitglieder betraf, die weder von der Politik leben noch nennenswerten politischen Einfluß besitzen, sondern oft selbst zu den schärfsten Kritikern von Mißständen und Fehlentwicklungen des Parteienstaats gehören. Diese Unschärfe des Bundespräsidenten hinsichtlich der Adressaten seiner Kritik nutzten die Betroffenen, insbesondere der Bundesvorsitzende der CDU und Bundeskanzler Helmut Kohl, bei ihrer Erwiderung auf die Kritik Weizsäckers gezielt aus. Kohl berief zu Zeugen seiner Verteidigung ausdrücklich Hunderttausende von Parteimitgliedern, die »vor allem im Bereich der eigenen Stadt oder Gemeinde« ehrenamtlich ein Mandat wahrnehmen und »aus Überzeugung Geld und Freizeit im Interesse des Gemeinwohls« opferten. »Allein um dieser engagierten Bürgerinnen und Bürger willen« verbiete »sich jede pauschale Herabsetzung >der< Parteien«.[5] Von den »zweieinhalb Millionen Menschen in Deutschland, die einer Partei angehören, handle es sich »bei den wenigsten . um hauptamtlich Tätige«. Kohl suchte also durch die Betonung der Rolle der einfachen Mitglieder und des ehrenamtlichen Engagements die Führungsriegen der Parteien, auf die Weizsäckers Kritik ursprünglich gemünzt war, »aus der Schußlinie« zu nehmen und statt dessen diejenigen Gruppen innerhalb der Parteien hervorzukehren, auf welche die Kritik Weizsäckers in der Tat am wenigsten paßte: die »Männer und Frauen . die einfach . da sind, mitmachen, ihre kleinen Pflichten tun. Sie haben nie etwas durch die Parteien erstrebt oder erreicht, aber sie haben, das geht manchmal in unserem Lande durch Familiengenerationen, sich dazugerechnet.«[6]
In Wahrheit waren diese Teile der Parteien, also die zwei Millionen einfachen Mitglieder und die Hunderttausende ehrenamtlich Tätigen, von Weizsäckers Kritik an den Parteien gar nicht gemeint gewesen, und seine Kritik war in der Öffentlichkeit auch durchaus richtig verstanden worden. Das wurde nicht zuletzt daran deutlich, daß große Teile der Presse Helmut Kohl selbst als eigentlichen Adressaten der Kritik, ja geradezu als Personifizierung des kritisierten Politikertyps festmachen zu können meinten.[7] Die Kritik Weizsäckers zielte auf die »Parteiführungen« und generell auf die hauptberuflichen Politiker, also auf die Personenkreise, die wir in diesem Buch als »politische Elite« und »politische Klasse« bezeichnen.
Sieht man genauer hin, so räumt auch Kohl spezifische Probleme der politischen Klasse ein, wenn er schreibt:
»Es gibt in allen Parteien Mißstände - auch >Filz<, >Verbonzung< und so manche Verkrustung; viele werden gerade deswegen auch politisch aktiv, um solchen Entwicklungen entgegenzutreten. In diesem Sinn ist die Parteienkritik oft innerhalb der Parteien am stärksten. Ich habe mich stets dafür eingesetzt - und dies im Rahmen meiner Möglichkeiten als Landes- und Bundespolitiker immer wieder durchgesetzt -, daß auch sogenannte >Seiteneinsteiger< auf allen Ebenen eine Chance erhalten. Nach meiner Überzeugung darf insbesondere die Auswahl der Abgeordneten nicht allein von persönlichen Beziehungen, der Zugehörigkeit zu bestimmten innerparteilichen Vereinigungen und Gremien oder der Dauer der Parteimitgliedschaft abhängig sein.«[8]
Einige Probleme der Parteien (»auch >Filz<, >Verbonzung< und so manche Verkrustung« und Mängel bei der Auswahl der Abgeordneten innerhalb der Parteien) werden von Kohl also durchaus bestätigt, auch wenn diese Äußerungen - angesichts des Gewichts des Themas und der heftigen öffentlichen Diskussion über die Probleme der Parteien und des Parteienstaats - viel zu knapp gerieten und über eine bloße Problemumschreibung nicht hinausgingen. Andere Probleme allerdings, nämlich die, die mit mangelnder Führung zusammenhängen und deshalb direkt die politische Elite, also zuvörderst Kohl selbst, betreffen (Weizsäcker: »Wahrnehmung der inhaltlichen und konzeptionellen politischen Führungsaufgaben«), wurden dagegen - bewußt - übergangen.
An der Art, wie Kohl sich gegen Weizsäckers Kritik verteidigte, wird deutlich: Die mangelnde Differenzierung innerhalb der Parteien hat auch eine verschleiernde Funktion: Die politische Klasse und die politische Elite benutzen »die Parteien« ganz gezielt - erstere, um ihre eigenen Berufsinteressen, letztere, um ihre Machtinteressen dahinter zu verstecken. Beide Gruppierungen mißbrauchen »die Parteien«, insbesondere die vielen nur zahlenden Mitglieder und ehrenamtlich Tätigen, sozusagen als Schutzschild, um ihre Eigeninteressen zu verdecken. Sie schieben bewußt oder unbewußt die unterschiedlichsten Formen von Gemeinwohlrhetorik, also »politische Formeln«, vor, die die Zusammenhänge vernebeln und die klare Herausarbeitung der Berufsinteressen der politischen Klasse und der Regierungsinteressen der politischen Elite erschweren. Klarheit über die wahre Interessenlage der Akteure und die sie bewegenden Motive aber ist erste Voraussetzung jeder unvoreingenommenen Analyse.
Die Auseinandersetzung zwischen Weizsäcker und Kohl unterstreicht, daß es innerhalb der Parteien ganz unterschiedliche Gliederungen und Gruppierungen mit unterschiedlichen Funktionen und Interessen und mit höchst unterschiedlichem Einfluß gibt. Dabei gehen fortschrittliche Politikwissenschaftler von einem weiten Parteibegriff aus, der neben den Parteien im engeren juristischen Sinn auch die Parlamentsabgeordneten und ihre Fraktionen, die Regierungsmitglieder und die Parteistiftungen umfaßt.[9] Innerhalb dieses weiten Parteienbegriffs interessieren uns in diesem Buch vor allem zwei innerparteiliche Unterscheidungen:
Erstens die Unterscheidung zwischen gewöhnlichen Parteimitgliedern und hauptamtlichen Politikern. Mit letzteren sind solche Personen gemeint, die von der Politik leben. Man könnte - angesichts der Dominanz der Parteien in Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland - auch sagen, daß sie von der Partei leben, in dem Sinne, daß sie ihrer Partei die Stelle verdanken, aus der ihr Einkommen fließt.[10] Dazu gehören nicht nur hauptberufliche Parteifunktionäre, die ihr Gehalt unmittelbar von ihrer Partei beziehen - Max Weber sprach noch von »Parteibeamten« -, sondern auch Parlamentsabgeordnete, Regierungsmitglieder und politische Beamte, die ihre Bezüge mittelbar ihrer Partei verdanken. Diese Gruppierung hauptberuflicher Politiker, die von der Politik leben und ihrer jeweiligen Partei direkt oder indirekt ihren Status verdanken, bezeichnen wir in diesem Buch als »politische Klasse«, unabhängig davon, welcher Partei sie angehören. Der Begriff »Klasse« bringt zum Ausdruck, daß ihre Angehörigen professionalisierte Politiker sind, die gleichgerichtete Berufsinteressen haben und somit eine gesonderte Interessengruppe bilden.
Innerhalb der politischen Klasse ist aber wieder - und das ist die zweite Unterscheidung - nach dem Grad des politischen Einflusses zu differenzieren. Wenn es auch schwierig ist, scharfe Grenzen zu ziehen, so ist es doch offensichtlich, daß es innerhalb der politischen Klasse gewaltige Unterschiede hinsichtlich der Machtverteilung gibt. Insofern unterscheiden wir zwischen der »politischen Elite«, in deren Händen sich die Macht konzentriert, einerseits und der sonstigen politischen Klasse andererseits. Wir werden diese Begriffe später noch genauer bestimmen; schon hier wird aber deutlich, daß mit dem Begriff »politische Elite« nicht die Behauptung verbunden ist, ihre Mitglieder müßten notwendigerweise besondere moralische, praktische oder...
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