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Zwei Menschen. Zwei Schicksale - kann die Liebe ihre Wunden heilen?
Das Licht umstrahlt die Berliner Lampenkünstlerin Indica wie Magie. Das bemerkt auch René, als er eines von Indicas berühmten Lichterfesten besucht. Als sie sich treffen, sind beide auf der Suche: René braucht dringend ein Zuhause, nachdem er fünf Jahre als Kriegsreporter durch die Welt gereist ist. Denn nur mit einer Wohnung bekommt er das Sorgerecht für seine Tochter. Und Indica benötigt einen Untermieter, um ihre heißgeliebte Altbauwohnung nicht zu verlieren. Kurzentschlossen zieht René bei Indica ein. Aber was als reine Zweckgemeinschaft begann, entwickelt sich schnell zu einer echten Liebesbeziehung. Doch sowohl Indica als auch René werden von Erinnerungen verfolgt, die ihrem Glück im Weg stehen. Ist ihre Liebe stark genug, um die Vergangenheit zu überwinden?
Niemand hatte je herausgefunden, wann oder wo oder unter welchen Umständen Indica Lumina Stern geboren worden war. Manch einer behauptete sogar, sie sei gar nicht geboren worden, sondern einfach erschienen, dort auf dem Treppenabsatz im vierten Stock des Altbaus am Maybachufer, an jenem Sommertag 1985. Wie ein Gemälde aus Licht und Farbe hatte sie dagelegen, eingewickelt in bunte Decken, aber ohne Kleidung, ihr Gesicht beschienen von dem ersten Sonnenstrahl, der sich durch das Blätterdach der Straßenbäume fädelte und seinen Weg in den dämmerigen Hausflur fand.
An genau dem Platz neben der Wohnungstür, an der Nikolas Gustav Stern für gewöhnlich leere Farbtöpfe, eingetrocknete Pinsel und gefüllte Müllbeutel abstellte, ehe er sie zu den Mülltonen in den Hof brachte, lag nun das winzige Menschenbündel, als hätte es sich aus Farben, Licht und Fantasie zu einem atmenden Wesen zusammengesetzt. Doch im Gegensatz zu den Farbtöpfen und Müllbeuteln, deren Lebenszeit verronnen war, wartete das kleine Kind darauf, in die Wohnung eingelassen zu werden und ein Leben zu beginnen.
Indi hatte nicht geschrien. Das berichtete Georgios, der Grieche aus der Wohnung gegenüber, der sie an jenem Morgen fand. Ihre dunkelblauen Babyaugen, die angesichts ihrer Hautfarbe ganz sicher einmal braun werden würden, blinzelten und begrüßten verwundert den wärmenden Lichtstrahl - und gleich darauf den fremden Mann, der sich ebenso verwundert hinabbeugte und es nicht wagte, den kleinen Findling zu berühren. Stattdessen klingelte Georgios an Nikolas Sterns Tür.
Doch in der Wohnung im vierten Stock rechts blieb es still. Nur im dritten Stock erhob sich Getümmel, als die beiden älteren Söhne von Mehtap und Jusuf Mutlu die Treppe hinunterpolterten, um zur Schule zu gehen.
In seiner Hilflosigkeit rief Georgios ein paar ungeordnete Worte über ein ausgesetztes Baby nach unten, woraufhin Mehtap alarmiert die Treppe heraufstürmte. Mehtap, erfahrene Mutter von vier Kindern und momentan schwanger mit dem fünften, wusste sofort, was zu tun war. Während sie das Baby auf den Arm hob, instruierte sie ihre vierjährige Tochter, die ihr gefolgt war, mit leiser Stimme auf Türkisch. Die kleine Elif irrte sich jedoch zweimal in der Tür, an der sie klingeln sollte, und so kam es, dass sich in Kürze sämtliche Bewohner aus dem zweiten und dritten Stock auf dem Treppenabsatz vor Nikolas Sterns Wohnung versammelten. Mehtap konnte eine großzügige Anzahl an Helfern jedoch gut gebrauchen. Während ihre Freundin Azra saubere Babykleidung aus Mehtaps Beständen heraussuchte, machte sich Gitti auf den Weg zum Drogeriemarkt, um Säuglingsmilch und Windeln zu besorgen. Eigentlich musste sie bald zu ihrer Arbeit auf der Sozialstation - aber das hier war immerhin ein Notfall in ihrem Fachgebiet, und eine Verspätung wäre sicher entschuldbar.
Der Tumult im Treppenhaus lockte derweil auch die Bewohner aus dem ersten Stock nach oben. Selbst Jusuf, der bereits in seinem Import-Export-Laden im Erdgeschoss gewesen war, kam noch einmal die Treppe herauf, und schließlich entbrannte eine wilde Diskussion darüber, woher das Kind stammen mochte.
Seine Hautfarbe weise eindeutig auf eine arabische Familie hin, meinte Azra. Jedoch wunderte sie sich, warum ein arabisches Kind hier oben abgelegt wurde, anstatt bei einem fürsorglichen Familienmitglied groß zu werden.
Vielleicht sei es ein Mädchen, mutmaßte Politikstudent Fabian aus der WG im ersten Stock und schloss die gewagte These an, dass das Geschlecht auch der Grund sein könnte, weshalb es in seiner Familie unerwünscht sei. Für einen winzigen Moment herrschte Sprachlosigkeit im Treppenhaus, während Fabian kopfüber aus dem sozialpolitischen Fenster der Neuköllner Achtzigerjahre baumelte.
Dann eilte ihm seine Freundin Kathrin zur Rettung. »Eigentlich sieht sie aus wie ein Latino-Mädchen«, behauptete sie hastig, und Kathrin musste es wissen, immerhin hatte sie ein ganzes Jahr in Mexiko verbracht.
Fast sämtliche Nachbarn nickten zustimmend, oder erleichtert, oder einfach nur deshalb, weil dies nicht der richtige Moment für eine sozialpolitische Diskussion war. Nur Annegret aus dem dritten Stock, die wie immer von einer leichten Räucherstäbchenwolke umweht wurde, brachte eine weitere Idee ins Spiel: »Ihr Gesicht ist nach indischem Abbild geschaffen.« Die Armbänder aus bunten Glassteinen klimperten, als sie ihre Hand über den Kopf des Kindes streichen ließ. Derweil murmelten ihre Lippen ein Gebet - oder einen Segen. Oder eine Zauberformel? Irgendetwas jedenfalls, das sich aus einer eigentümlichen Mischung von esoterischen, heidnischen und buddhistischen Glaubensfragmenten zusammensetzte. »Die Geister sprechen von dem Licht und der Freude, aus denen sich ein Engel materialisiert hat, um dem armen Nikolas aus seiner Verlassenheit zu helfen.«
Wieder verstummten sämtliche Stimmen im Treppenhaus. Dann setzte sich die Diskussion in eine andere Richtung fort: Was nun mit dem Kind zu tun sei, ob die Polizei gerufen werden musste oder ob sich damit noch warten ließe, bis Nikolas Stern zurück war. Immerhin wäre es denkbar, dass er die Herkunft des Kindes erklären konnte.
Irgendwann, inmitten des Gewirrs, begann das Baby doch zu schreien. Weder Mehtaps mütterliche Arme noch das Wiegenlied, das die alte Frau Hoffmann aus dem ersten Stock anstimmte, konnten es beruhigen. Erst Gittis Rückkehr aus dem Drogeriemarkt, eine eilig auf den Stufen gewechselte Windel, frische Kleidung und warm zubereitete Milch ließen das Schreien versiegen - und bestätigten so ganz nebenbei, dass es sich tatsächlich um ein Mädchen handelte. Die glitzernden Tränchen und nassen schwarzen Wimpern umrahmten den Blick der Kleinen, während sie gierig an der Flasche sog.
Dies war der Moment, in dem Nikolas Gustav Stern von seiner morgendlichen Joggingrunde zurückkehrte. Als er wie immer die Stufen hinaufsprintete, um den Alterungsprozess seines Körpers noch vor dem fünfzigsten Geburtstag aufzuhalten, wurde er im dritten Stock ausgebremst. Fast sämtliche Hausbewohner hatten sich vor seiner Wohnungstür und auf den Stufen darunter versammelt. Während Nikolas verdattert auf dem Absatz unter ihnen stehen blieb, verstummten sie abrupt. Er entdeckte alle vier Bewohner der Studenten-WG, die alte Frau Hoffmann, die eigentlich keine Treppen mehr steigen konnte, und die esoterische Annegret, die an diesem Morgen aussah, als wäre sie von einer medialen Aura umgeben. Georgios von gegenüber schaute betreten und nickte vage in Richtung der Dachbodentreppe. Oder meinte er Nikolas' Wohnungstür? Mehtap, Jusuf und Azra hatten eben noch auf Türkisch miteinander geredet, traten nun aber schweigend aus dem Weg. Hinter ihnen auf der Stufe spielten Mehtaps Töchter mit einer Barbiepuppe. Aber selbst die Mädchen rückten zur Seite und ließen Nikolas hindurchtreten. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein, weshalb sie sich alle hier versammelt hatten. Oder etwas Schönes? Warum sonst sollte dieser sonderbare Zauber auf ihren Gesichtern leuchten?
Zögernd stieg Nikolas die letzten Stufen zu seinem Stockwerk hinauf - und dann sah er sie: Auf dem Treppenabsatz, der zum Dachboden hinaufführte, saßen Gitti und ihre zwölfjährige Tochter Susanne. Susi, die um diese Zeit eigentlich in die Schule gehörte, hielt ein winziges Baby im Arm und fütterte es mit einer Milchflasche.
Nikolas musste nur einen Blick in das Gesicht des Säuglings werfen, um zu ahnen, was hier vorging. Seit wann hatte er nichts mehr von Valeria gehört? Seit sie erwachsen war? Oder schon länger? Viel zu wenig hatte er sich um seine Tochter kümmern dürfen, und viel zu früh war sie in der Welt verloren gegangen. Konnte es sein, dass sie jetzt ein Kind bekommen hatte?
Zumindest war es die einzige Erklärung, die ihm einfiel.
In genau diesem Augenblick stieß die esoterische Annegret ein tiefes, urtümliches Keuchen aus, das alle herumfahren ließ. »Lumina«, stöhnte sie, und ihre Augen schauten in die Tiefen des Universums, aus dem sie den Namen empfangen hatte. »Die Leuchtende.«
An diesem Tag, in diesem Hausflur und in der Obhut einer ganzen Hausgemeinschaft begann also das Leben von Indica Lumina Stern. Indica war der Name, den Nikolas auf einem Zettel in dem Bündel fand, als er die Decken vor der Waschmaschine aufschüttelte, Lumina wählte er als Zweitnamen, weil in diesem einen Augenblick nicht nur Annegret, sondern auch er und der Rest der Hausgemeinschaft an die Macht des Universums glaubten. Und Stern wurde ihr Nachname, nachdem ein Bluttest ergab, dass Nikolas tatsächlich ihr Großvater war.
Indi war fünf Jahre alt, als Nikolas Gustav Stern die Erlaubnis erhielt, sie zu adoptieren, weil sich der Aufenthaltsort der Mutter nicht feststellen ließ.
Und so wuchs Indica auf, in diesem Altbau am Maybachufer, zwischen den Staffeleien und Farben ihres Großvaters und inmitten einer Hausgemeinschaft, die sich für sie so verantwortlich fühlte, als hätten sie an diesem lichtdurchfluteten Morgen 1985 alle gemeinsam ein Kind bekommen.
Indica liebte das Haus und die Menschen darin. Sie liebte die Farben und das Licht, ebenso wie das Wasser in dem Kanal vor ihrer Haustür. Sie liebte Berlin, ihre Stadt, und das Leben, das in ihr pulsierte. Indica liebte alles - und wurde von allen geliebt. Denn etwas in ihrem Inneren leuchtete und brachte die Menschen zum Strahlen - viele Jahre später noch genauso wie an jenem ersten Tag.
Und dennoch versteckte sich ein Schatten in ihr. Tief verborgen hinter dem einen Geheimnis, das sich nicht einmal im hellsten Licht erleuchten ließ: Indi wusste nicht, woher sie...
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