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Er flößte Respekt ein, obgleich er altmodisch aussah und schmutzig war. Die bedeutenden Persönlichkeiten in Cuzco pflegten ihn feierlich zu grüßen. Er trug immer einen Stock mit goldenem Griff bei sich; der Hut mit dem schmalen Rand warf ein wenig Schatten auf seine Stirn. Es war mühsam, ihn zu begleiten, weil er vor allen Kirchen und Kapellen niederkniete und den Hut in auffälliger Weise abnahm, wenn er die Mönche grüßte.
Mein Vater haßte ihn. Er hatte als Sekretär in den Haciendas des Alten gearbeitet. »Mit der Stimme eines Verdammten schreit er von den Gipfeln herab, damit seine Indios glauben sollen, er sei immer und überall gegenwärtig. Er lagert die Früchte in den Haciendas und läßt sie verfaulen, weil er findet, es lohne sich nicht, sie nach Cuzco oder Abancay zu bringen, um sie zu verkaufen, und es reut ihn, sie seinen colonos zu schenken. Er wird zur Hölle fahren«, sagte mein Vater von ihm.
Sie waren verwandt, und sie haßten sich. Und doch schmiedete mein Vater in Gedanken an diesen Mann einen merkwürdigen Plan. Obgleich er mir sagte, wir würden nach Abancay gehen, machten wir uns von einem fernen Dorf auf den Weg nach Cuzco, aber nur, um dort wenige Tage zu bleiben. Voller Sehnsucht erwartete ich die Ankunft in der wunderbaren Stadt. Und bei einer unvergeßlichen Gelegenheit lernte ich den Alten kennen.
Wir erreichten Cuzco bei Nacht. Der Bahnhof und die breite Allee, die wir langsam entlanggingen, versetzten mich in Erstaunen. Die elektrische Beleuchtung war schwächer als in manchen kleinen Dörfern, die ich kannte. Zäune aus Holz oder Eisen schützten Gärten und moderne Häuser. Das Cuzco meines Vaters, die Stadt, die er mir tausendmal beschrieben hatte, konnte das nicht sein.
Mein Vater drückte sich im Schatten der Wände entlang. Cuzco war seine Geburtsstadt, und er wollte nicht, daß man ihn erkannte. Wir sahen wohl wie Flüchtlinge aus, doch wir kamen nicht als Besiegte, sondern um einen großen Plan zu verwirklichen.
»Ich werde ihn zwingen. Ich kann ihn vernichten«, hatte mein Vater gesagt.
Er meinte den Alten.
Als wir in die engen Straßen kamen, ging mein Vater hinter mir und den Trägern her, die unser Gepäck brachten. Ich sah die geschnitzten Balkone, die mächtigen gleichmäßigen Portale, die gewundenen Gassen am Abhang des Berges. Doch keine einzige alte Mauer.
Ich kannte sie alle, diese vorspringenden Balkone, die steinernen Portale, die kunstvollen Säulengänge, die großen Patios mit ihren Bogen. Ich hatte sie in der Sonne von Huamango gesehen. Auf dieser Straße aber suchte ich Mauern der Inkas.
»Sieh da drüben«, sagte mein Vater. »Das war der Palast eines Inka.«
Als mein Vater auf die Mauer zeigte, blieb ich stehen. Sie war dunkel, rauh; sie lockte mich mit ihrer schrägen Oberfläche. Die weiße Wand des ersten Stockwerkes stieg senkrecht aus der Mauer empor.
»Du kannst sie dir später in Ruhe ansehen. Gehen wir jetzt zum Alten«, sagte mein Vater.
Wir hatten das Haus des Alten erreicht. Es stand in der gleichen Straße wie die Mauer des Inka.
Wir betraten den ersten Patio, der von einer Säulengalerie mit steinernen Bogen umgeben war. Darüber erhob sich das erste Stockwerk mit dünnen Säulen und engeren Bogen. Trübe Lampen beleuchteten den Patio, alles war still. Mein Vater rief. Aus dem ersten Stock kam ein Mestize herunter, ein Indio folgte ihm. Die Treppe war im Vergleich zu der Weitläufigkeit des Innenhofes und der Galerien sehr schmal.
Der Mestize trug eine Lampe und führte uns in den zweiten Patio, der weder Bogen noch ein weiteres Stockwerk, sondern nur Galerien mit hölzernen Säulen hatte. Er war dunkel, elektrisches Licht gab es nicht. In ein paar Kammern brannten Lampen, und wir hörten Stimmen. Es waren wohl Zimmer, die der Alte vermietet hatte, denn er selber wohnte gewöhnlich auf der größten seiner Haciendas, im Tal des Apurímac. Er kam nur gelegentlich in die Stadt, um Geschäfte zu erledigen, oder an Feiertagen. Als wir vorübergingen, traten ein paar Mieter aus ihren Zimmern und blickten uns nach.
Im Patio hing der Duft einer kleinen Verbene mit dünnen Ästen. Der Stamm hatte nackte weiße Flecken, ein Zeichen, daß ihn die Kinder gequält hatten.
Der Indio trug unser Gepäck. Ich hatte ihn mir aufmerksam angesehen, weil ich annahm, daß er ein pongo sei. Die enge Hose bedeckte seine Beine nur bis zu den Knien. Er war barfuß, und an den nackten Waden traten die Muskeln hart und glänzend hervor. Der Alte wird ihm gesagt haben, er müsse sich in Cuzco waschen, dachte ich. Seine Gestalt war zart und wirkte eher aufgeschossen als groß. Aus den Seitenrändern seiner Mütze kam das Stroh hervor. Er blickte uns nicht an. Unter dem Schirm der Mütze konnte ich seine Adlernase, die tiefliegenden Augen und die herausstehenden Sehnen am Hals sehen. Der Ausdruck des Mestizen dagegen war fast frech. Er trug einen Reitanzug.
Sie führten uns in den dritten Patio, in dem es keine Galerien gab.
Es roch nach Abfällen. Doch die Erinnerung an die Mauer des Inka und der Duft der Verbene trösteten mich. »Hier?« fragte mein Vater.
»So hat es der Herr befohlen. Er hat die Kammer ausgesucht«, antwortete der Mestize.
Er öffnete die Tür mit dem Fuß. Mein Vater bezahlte die Träger und entließ sie.
»Sag dem Herrn, daß ich ihn sofort in seinem Schlafzimmer aufsuchen werde. Es ist dringend«, befahl mein Vater dem Mestizen.
Dieser stellte die Lampe auf eine Steinbank in der Kammer. Er wollte etwas sagen, aber mein Vater sah ihn mit befehlender Miene an, und der Mann gehorchte. Wir blieben allein. »Eine Küche! Wir sind im Hof für das Vieh!« rief mein Vater.
Er nahm mich am Arm.
»Es ist die Küche der Viehtreiber«, sagte er. »Morgen in aller Frühe gehen wir weiter nach Abancay. Weine nicht! Ich will nicht wegen des verfluchten Alten verdammt sein.« Seine Stimme klang gepreßt, und ich umarmte ihn. »Wir sind in Cuzco«, sagte ich. »Deshalb, deshalb.«
Er verließ das Zimmer, und ich folgte ihm bis zur Tür.
»Warte auf mich oder geh und sieh dir die Mauer an«, sagte er. »Ich muß mit dem Alten sprechen, sofort.« Er ging sehr schnell über den Hof, als wäre dieser hell erleuchtet.
Das Zimmer, das man uns zugewiesen hatte, war eine Küche für die Indios. In der Ecke, in der sich eine steinerne Feuerstelle befand, wie sie die Indios benutzen, reichten die Rußflecken bis zur Decke. Bänke aus ungebrannten Lehmziegeln liefen rings um den Raum. Eine Bettstelle aus geschnitztem Holz mit einer Art Baldachin aus rotem Tuch störte die demütige Bescheidenheit dieser Küche. Die Decke aus fleckenloser grüner Seide, die auf dem Bett lag, hob den Gegensatz noch mehr hervor.
>So ist der Alte<, dachte ich, >so empfängt er uns.<
Ich fühlte mich jedoch nicht unbehaglich in diesem Raum. Er glich jener Küche, in der ich meine Kindheit verbringen mußte, jener dunklen Kammer, in der mich die indianischen Mägde und die concertados liebevoll umsorgten, in der ich ihrer Musik, ihren Liedern und ihren weichen, süßen Stimmen lauschte. Doch was sollte die geschnitzte Bettstatt bedeuten? Die schändliche Seele des Alten, sein niedriges Verlangen, den Neuankömmling, den Vagabunden zu beleidigen, der es gewagt hatte, zurückzukehren? Wir brauchten ihn nicht. Warum besuchte ihn mein Vater? Warum wollte er ihn vernichten? Es wäre besser gewesen, ihn in seinen Sünden verfaulen zu lassen.
Der Alte war vorher benachrichtigt worden und hatte ein sicheres Mittel gewählt, um meinen Vater zu kränken. Aber wir würden im Morgengrauen über die Pampa von Anta weiterreisen. So war es vorgesehen. Ich lief hinaus, um mir die Mauer anzusehen.
Sie bildete einen Winkel, lief eine breite Straße entlang und setzte sich in einer engen und dunkleren Straße fort, in der es nach Urin stank. Diese enge Straße führte den Berg hinauf. Ich ging Stein für Stein neben der Mauer her. Ich entfernte mich ein paar Schritte, betrachtete sie von weitem und näherte mich ihr wieder. Ich berührte die Steine mit den Händen und folgte der gewundenen Linie, die unübersichtlich war wie der Lauf der Flüsse, in denen Felsblöcke liegen. In der Stille der düsteren Gasse schien die Mauer zu leben; auf der Innenseite meiner Hände brannten die Fugen der Steine, die ich berührt hatte.
Lange Zeit kam niemand durch diese Straße. Doch als ich am Boden kauernd einen der Steine betrachtete, erschien am oberen Ende der Straße ein Mann. Ich erhob mich. Gegenüber stand eine hohe, halb zerfallene Wand aus Lehmziegeln. Ich lehnte mich an sie. Der Mann ließ mitten auf der Straße Wasser und setzte dann seinen Weg fort.
>Er muß verschwinden<, dachte ich, >er muß im Boden versinken.< Nicht weil er Wasser ließ, sondern weil er nun stillstand und es aussah, als kämpfte er gegen den Schatten der Mauer. Ich wartete vollständig verborgen in der Dunkelheit, die aus den Steinen drang. Mühsam ging er schließlich an mir vorbei. Als er die erleuchtete Ecke erreicht hatte, fiel er hin. Er mußte betrunken sein.
Doch sein Erscheinen hatte die Aufmerksamkeit, mit der ich die Mauer betrachtete, die Verbindung, die sich zwischen ihr und mir zu bilden begann, nicht gestört. Auf den Reisen, die wir durch Peru unternahmen, von Osten nach Westen und von Süden nach Norden, hatte mir mein Vater von seiner Geburtsstadt, von ihren Palästen und Tempeln und von den vielen Plätzen erzählt. Auf diesen Reisen war ich groß geworden.
Wenn mein Vater seinen Feinden gegenüberstand und noch mehr, wenn er aufrecht auf den Plätzen der Dörfer die Berge betrachtete und aus seinen blauen Augen Ströme von Tränen zu fließen schienen, die er,...
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