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Unter den im letzten Jahrzehnt aus dem Nachlaß veröffentlichten oder im Erscheinen begriffenen Briefwechseln von Hannah Arendt (mit Karl Jaspers, Mary McCarthy, Kurt Blumenfeld, Hermann Broch, Martin Heidegger) nimmt die Korrespondenz mit ihrem Mann Heinrich Blücher eine besondere Stelle ein. In keinem der anderen Briefwechsel sprechen die Teilnehmer mit einer solch selbstverständlichen Vertrautheit und schrankenlosen Offenheit zueinander und schließen Themen und Personen ein, die sonst gar nicht oder nur in abgeschwächter, gemilderter Darstellung auftauchen. Ob sie über die persönlichsten menschlichen Dinge schreiben, ob über Kunstwerke, Städte und Natur oder über weltpolitische Ereignisse, sie sprechen die Sprache vorbehaltloser Partnerschaft.
So stellt dieser Briefwechsel durch seine Unmittelbarkeit eine aufschlußreiche Ergänzung zum bisher Veröffentlichten dar. Er ist vielleicht das persönlichste Zeugnis aus dem Nachlaß, das Hannah Arendt auch in ihrer Verletzbarkeit, in ihrer menschlichen Anhänglichkeit und weiblichen Zartheit erkennen läßt. Über drei Jahrzehnte dokumentiert er die dauerhafte Bindung einer erfüllten Lebensgemeinschaft, einer Liebesbeziehung und Ehe als Ort der Zuflucht in finsteren Zeiten.
Die Korrespondenten - sie war 29 Jahre alt, er 37 - lernten sich im Frühling 1936 in Paris kennen, wohin beide 1933 aus Berlin geflüchtet waren: Hannah Arendt nach kurzer Haft wegen angeblich illegaler Tätigkeit für eine zionistische Organisation, Heinrich Blücher als Mitglied der kommunistischen Partei auf dem Weg über Prag. Der Briefwechsel setzt kurz danach im August 1936 ein, als Hannah Arendt zur Gründung des jüdischen Weltkongresses nach Genf fuhr. Zu der Zeit waren beide noch mit anderen Partnern verheiratet, Hannah Arendt mit Günther Stern (Günther Anders) und Heinrich Blücher mit Natalie Jefroikyn (vgl. S. 299, Anm. 2). Sie konnten erst nach den 1937 und 1938 erfolgten Scheidungen im Januar 1940 heiraten.
Die Briefe der ersten Phase verraten bei allem Gefühlsüberschwang Unsicherheit über die Verläßlichkeit des gegenseitigen Engagements und Zweifel an der Möglichkeit einer dauernden Verbindung. So antwortet Arendt auf Blüchers Einladung, sich »in den dritten Sessel« zu setzen - auf dem zweiten hat sein bester Freund Platz genommen -, mit dem Einwand: »Du hast selbst gesagt: Alles spricht dagegen. Was ist dies >alles< . denn anderes, als daß wir keine gemeinsame Welt haben werden« (S. 45). Sie kommt aus der bürgerlich assimilierten Welt, und im Mittelpunkt ihrer Interessen und Tätigkeiten stehen zu der Zeit ihre Arbeit für die Youth Aliyah und damit zusammenhängende jüdische Angelegenheiten; Blücher ist nichtjüdischer, proletarischer Herkunft, und seine Pariser Tage sind mit Weltrevolutionsträumen und den Vorbereitungen auf Diskussionen mit kommunistischen Freunden ausgefüllt.
Das spiegelt sich bereits zu Beginn in deutlichen Stellungnahmen: Mit einer langen Epistel zur Judenfrage ruft Blücher als »bescheidener Schüler des großen Wunderrabbis« Karl Marx nach einer »jüdischen Kampftruppe gegen den Faschismus in Spanien«, er wünscht die »Volkwerdung« der Juden im Rahmen der kommunistischen Weltrevolution herbei und will Palästina durch jüdische Arbeiter, »zusammen mit den arabischen Arbeitern und Werktätigen«, »von den englischen Räubern« befreit sehen (S. 57 und 53 f.). Dem stellt Arendt nüchtern und realistisch historisch-politische Perspektiven entgegen. Es könne keine »Identifizierung« der Juden mit der internationalen Arbeiterklasse geben, denn die Juden seien kein Volk »wie andere Völker«, »klare eindeutige Interessenpolitik« sei vonnöten, und Palästina stehe »im Mittelpunkt unserer nationalen Aspirationen«, »weil das verrückteste aller Völker sich 2000 Jahre lang damit vergnügt hat, das Vergangene in der Gegenwart zu halten, weil ihm >die Trümmer Jerusalems gleichsam im Herzen der Zeit gegründet sind< (Herder)« (S. 58).
Am Ende ihres Genfer Aufenthaltes sind zwar Hannah Arendts Zweifel an der Möglichkeit einer dauernden Verbindung »nicht weggepustet«, auch nicht die »Tatsache«, daß sie noch verheiratet ist. Aber für den Anfang scheint es genug: »Wir wollen es versuchen - um unserer Liebe willen« (S. 59). In den folgenden Jahren verblaßt die Bedeutung der gegensätzlichen Herkunftswelten vor dem Bewußtsein der Zusammengehörigkeit: »daß ich so schön klar weiß, wie ich zu Dir gehöre« (S. 77). In der Liebe zu Blücher findet sie Zuflucht und Schutz vor einer Grundbefindlichkeit ihres Lebens: dem immer wieder auftauchenden Gefühl der Ungeborgenheit, dessen frühestes Zeugnis die autobiographische Prosa-Skizze »Die Schatten« ist, die sie 1925 einem Brief an Heidegger beilegt. Darin zeichnet sie, von Schwermut bedrückt, in scheinbar distanziertem Ton ihre Gefühlswelt als von großer Verletzlichkeit bedroht und von der »Angst vor der Wirklichkeit . vor dem Dasein überhaupt« beherrscht. Zwölf Jahre später scheint diese Angst gebannt. »Liebster«, schreibt sie an Blücher, »ich habe immer gewußt - schon als Gör -, daß ich wirklich nur existieren kann in der Liebe. Und hatte gerade darum solche Angst, daß ich einfach verloren gehen könnte . Und als ich Dich dann traf, da hatte ich endlich keine Angst mehr . Immer noch scheint es mir unglaubhaft, daß ich beides habe kriegen können, die >große Liebe< und die Identität mit der eigenen Person. Und habe doch das eine erst, seit ich auch das andere habe. Weiß aber nun endlich auch, was Glück eigentlich ist« (S. 83).
Heimatlos, ungeborgen, verloren sein in der Welt: Die Angst wird immer wieder aufbrechen - »ich bange mich unsinnig« (124), »man soll sich nicht trennen. Es ist Wahnsinn« (S. 128) - und findet Beruhigung nur im beschwichtigenden Zuspruch ihres Mannes, in den handgreiflich gegenwärtigen Briefen - »wie ich auf Deinen Brief gewartet habe, kannst Du Dir gar nicht vorstellen. Das ist das Band, das mir immer wieder klarmacht, daß ich nicht verlorengehen kann« (S. 337) - und in der Beschwörung ihres Zufluchtsortes: »Stups - um Gottes willen die vier Wände, die Du bist« (S. 208).
Bis zu welchem Exzeß sich Hannah Arendts quälende Erfahrungen emotioneller Unsicherheit steigern konnten, zeigt der »bitterböse Brief« (S. 205), den sie noch nach neunjähriger Eheerfahrung an Blücher schrieb, als er die verabredete Briefschreibzeit nicht eingehalten hatte. Sie könne nicht »so in der Welt wie ein verlorengegangenes Rad am Wagen herum . sausen, ohne jegliche Verbindung mit einem Zuhause, mit etwas, worauf Verlaß ist« (S. 200), und sie hält ihm, »verbittert« darüber, »wie es einem gehen kann«, das Beispiel ihrer Freundin Anne Weil vor Augen, die »ihr Leben lang« zwei Undankbare ernährt habe, Mann und Schwester.
Blücher, der zu dieser Zeit ziemlich krank gewesen war, ist tief getroffen durch die »merkwürdigen Vergleiche«, die ihm »metaphysisch unbegreiflich« sind, schließt aber dennoch nachsichtig und versöhnlich: »Sei nicht unruhig und unglücklich. Dein Haus hier steht und wartet auf Dich. Und keinerlei Gespenstersonate wird hier gespielt« (S. 204). In seinem nächsten Brief nimmt er das Thema wieder auf, gesteht: »Gewiß bin ich der Mann, der nicht fähig ist to make a living«, versichert ihr, daß »kein gesprochenes und kein geschriebenes Wort« zwischen ihnen stehe, und erinnert sie an seine eigene Heimatlosigkeit, die er »voll erfahren und akzeptiert« habe: »Ich . konnte immer sagen >Wo ich bin, da bin ich nicht zu Hause<. Dafür habe ich aber auch mir in dieser Welt hier ., mitten hier in ihr, ein ewiges Zuhause gegründet durch Dich und Freunde« (S. 212 f.).
Auch kleine, alltägliche Anlässe können, wenn Blücher nicht zugegen ist, Hannahs emotionelles Gleichgewicht erschüttern und sie »wieder so verletzbar wie früher« werden lassen. So ist sie einmal »vollkommen bis zu Tränen verzweifelt . einfach verletzt« bei der Lektüre der, wie sie es nennt, »wirklich unerhört vulgären Kommentare« zu einem Gedicht in einer amerikanischen Nietzsche-Ausgabe (S. 337).
Man mag die in diesen Briefen hervortretende emotionelle Unsicherheit auf Hannah Arendts sensible Natur zurückführen und auf die Erfahrungen ihrer Kindheit: als Siebenjährige Verlust des Vaters, als Achtjährige bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges Flucht, wenn auch zeitlich begrenzt, aus Königsberg nach Berlin. Daß beiden Ehepartnern für immer ...
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