Partizipation und Menschenrechtsbildung im Kontext polizeilicher Aus- und Fortbildung
Überlegungen am Beispiel der Fortbildung "Lehre lernen - Lernen lehren" der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS)
Partizipation und Menschenrechtsbildung im Kontext polizeilicher Aus- und Fortbildung
Ruth Billen und Sandra Reitz
1 Vorüberlegungen und zentrale Fragen
Im Rahmen des Fachforums "Demokratisch lehren und lernen: Möglichkeiten und Grenzen der Partizipation im Kontext polizeilicher Aus- und Fortbildung" (2. Juni 2022) beteiligte sich das Deutsche Institut für Menschenrechte mit einem Beitrag zu Partizipation und Menschenrechtsbildung.
Unsere Motivation dabei war, ein menschenrechtsbasiertes Verständnis von Partizipation in die Diskussion einzubringen. Darüber wiederum lassen sich Menschenrechte allgemein und eine entsprechende Haltung einbringen, die relevante Aspekte wie Diskriminierungsschutz und Rassismuskritik beinhaltet. Wichtig ist dabei, Menschenrechtsbildung - und dementsprechend auch Partizipation - als Querschnittsthema zu behandeln, das auf alle Aspekte der Aus- und Fortbildung und natürlich auch auf den Polizeialltag insgesamt Auswirkungen hat.
Die Abteilung Menschenrechtsbildung verfügt über mehr Erfahrungen mit Partizipationsrechten im Bildungskontext allgemein (etwa in Bezug auf schulische Bildung) als speziell in der polizeilichen Aus- und Fortbildung. Sicherlich sind hier Grenzen durch die stärkere hierarchische Organisation als in anderen Berufsausbildungen gesetzt, dennoch bleibt Partizipation ein relevantes Thema, sowohl allgemein in der Gesellschaft als auch innerhalb der Polizei. Bei der Thematisierung von Partizipation an der Hochschule bzw. Ausbildungsstätte muss eine Brücke geschlagen werden zwischen Rechten und Partizipation im Innenverhältnis, also etwa Mitbestimmungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten in Gremien (sowohl von Lernenden als auch von Lehrenden), und den inhaltlichen Aspekten zu rechtebasierter Partizipation, wie sie an die Lernenden vermittelt werden sollen.
Ziel von einem solchen menschenrechtsbasierten Vermittlungsprozess ist es, dass die Auseinandersetzung mit eigenen Menschenrechten dabei unterstützt, die Menschenrechte anderer anzuerkennen. Im Kontext der Polizei ist dies mit einem komplexen Professionsverständnis verbunden: Gemäß staatlichem Auftrag sind Menschenrechte zu schützen, gleichzeitig kann sich aus dem Auftrag aber auch die Notwendigkeit ergeben, Menschenrechte einzuschränken - und schließlich gibt es Beispiele von Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. Teil einer kritischen Auseinandersetzung mit Menschenrechten sollte auch sein, anzuerkennen, dass das Erleben von Sicherheit für einige gesellschaftliche Gruppen, insbesondere vulnerable Gruppen, sich von anderen unterscheidet. Faktische Diskriminierung durch die Polizei gehört zum Alltag, Betroffenenwissen im Bereich Rassismus erfährt immer noch zu wenig Beachtung (vgl. Billen/Reitz 2022).
Die folgenden Fragen sind dabei zentral für die Behandlung des Themas Partizipation in der polizeilichen Aus- und Fortbildung: Lehrenden kommt eine wichtige Rolle darin zu, Partizipation im Kontext der polizeilichen Aus- und Fortbildung zu stärken und dadurch zu einer "Kultur der Menschenrechte" beizutragen. Doch was genau bedeutet eigentlich Partizipation? Welche menschenrechtlichen Vorgaben in Bezug auf Partizipation im Bildungskontext gibt es? Und welche guten Rahmenbedingungen braucht es, um Partizipation an der Hochschule zu stärken? Aber auch: Wo liegen die Grenzen von Partizipation in einer hierarchisch aufgebauten Institution wie der Polizei(hochschule)?
2 Zum Zusammenhang von Menschenrechten, Menschenrechtsbildung, Demokratie(lernen) und Partizipation
Das Verhältnis zwischen Demokratie und Menschenrechten ist ein komplexes: Einerseits sind in den Menschenrechtsdokumenten relevante Aspekte wie das Recht auf freie Wahlen (Art. 21 AEMR), freie Meinungsäußerung (Art. 19 AEMR), kulturelle Teilhabe (Art. 27 AEMR) und das Recht des Kindes auf Beteiligung (Art. 12 KRK) verankert. Das Wort Demokratie kommt nicht explizit vor, ebenso wenig der Begriff der Partizipation. Partizipation wird aber in seinen verschiedenen Dimensionen, z.B. Teilhabe, Verfahrensrechte, Beteiligung, Zugang zu Leistungen und Einrichtungen, als menschenrechtliches Prinzip gesehen und von Fachausschüssen für die jeweilige Konvention konkreter ausformuliert. Insbesondere in der Philosophie existieren deshalb Debatten zum genauen Verhältnis zwischen Menschenrechten und Demokratie (vgl. Kirste 2018, vgl. Lutz-Bachmann/Brunkhorst/Köhler 1999). Es scheint Konsens darüber zu geben, dass es eine enge, sich gegenseitig stärkende Verbindung zwischen Menschenrechten und Demokratie gibt. Mehrdad Payandeh (2019: o.S.), deutscher Rechtswissenschaftler und Mitglied im UN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form der rassistischen Diskriminierung der Vereinten Nationen, formuliert dazu:
"Ebenso wie Menschenrechte sich am ehesten in einer Demokratie entfalten können, ist nachhaltige demokratische Herrschaft ohne Respekt, Schutz und Verwirklichung von Menschenrechten nicht vorstellbar. Menschenrechte und Demokratie sind keine Antipoden, sondern wechselseitige Gelingensbedingungen politischer Gemeinschaft."
Ähnlich sieht es im Bildungskontext aus, also im Rahmen von Demokratielernen und Menschenrechtsbildung. So betont der Europarat die wechselseitige Unterstützung der beiden Felder (Education for Democratic Citizenship & Human Rights Education). Unterschiede existieren laut Europarat "eher in Bezug auf Schwerpunkt und Geltungsbereich als in Zielsetzung und Arbeitsweisen" (Ministerkomitee des Europarates 2010).
Bei einem Blick auf Programme und Projekte des Demokratielernens wird ersichtlich, dass ein Bezug zu Menschenrechten vor allem allgemeiner Natur ist, etwa im Zusammenhang mit Minderheitenschutz und allgemeiner Rechtsstaatlichkeit (vgl. KMK 2018: 2). Naturgemäß steht bei Demokratiebildung die Einübung von Demokratie- und Partizipationsprozessen in Gremien oder, weiter gefasst unter dem Schlagwort "Demokratie leben", der Versuch, die Alltagswelt möglichst partizipativ zu gestalten, im Fokus (vgl. Reitz/Rudolf 2014: 19). Auch wenn Bezüge zu Partizipationsrechten, Kinderrechten allgemein und auch zu Diskriminierungsschutz in einigen Programmen vorhanden sind (vgl. DeGeDe: o.J.), sind Bezüge etwa zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten kaum zu finden.
Gerade das Recht auf Wahlen ist meist an Staatsbürgerschaft gebunden. Es bildet diesbezüglich aber eine Ausnahme innerhalb der Menschenrechte, die ja gerade unabhängig von einer bestimmten Staatsbürgerschaft Geltung beanspruchen. Menschenrechtsbildung erlaubt es, wegen der Bedeutung des Rechts auf Partizipation, diese Differenzierung zu thematisieren und nach alternativen Beteiligungsformaten in der Einwanderungsgesellschaft zu fragen. Mit dem Begriff der Partizipation als menschenrechtliches Prinzip ist es möglich - in Abgrenzung zum Begriff des Demokratielernens -, stärker rechtebasiert zu argumentieren. Es ergeben sich breitere Anwendungsmöglichkeiten, etwa auch im Bereich der Kultur oder der Ökonomie. Zudem wird ein rechtebasiertes Verständnis gefördert, in Unterschied zu einem funktionalen Verständnis, wie es bei Demokratiebildung vorkommen kann: Ein stark formales Verständnis führt dazu, dass auf das Einüben von Demokratieprozessen fokussiert wird, und dementsprechend aus der Hierarchie heraus auch entschieden werden kann, wann und wie dies geschieht, also gar keine "echte" Mitbestimmung praktiziert wird (vgl. Reitz/Rudolf 2014, vgl. Reitz 2015).
Abb. 1: Drei Ebenen der Menschenrechtsbildung
Quelle: Eigene Darstellung. Nach: UN-Generalversammlung (2011: Art. 2).
Wird Partizipation aus Perspektive der Menschenrechtsbildung in den Fokus genommen, gilt es, die drei Ebenen der Menschenrechtsbildung (vgl. UN-Generalversammlung 2011: Art. 2) abzudecken (vgl. Abbildung 1).
In Bezug auf "Bildung über Menschenrechte", also die Vermittlung von Wissen und Werten, sollten Beteiligungsrechte als Thema gesetzt und damit zusammenhängende Werte diskutiert werden. "Bildung durch Menschenrechte" bedeutet, die Lernumgebung so zu gestalten, dass die Rechte aller geachtet werden. Entsprechend sollte auf gleichberechtigte Teilhabe geachtet werden, auf Diskriminierungsschutz, und deutlich gemacht werden, dass Partizipation freiwillig ist. "Bildung für Menschenrechte" stärkt darin, sich für die eigenen und die Rechte anderer einzusetzen. Dementsprechend muss Mitbestimmung auch gelebt werden, Selbstwirksamkeit erfahren werden können. Es gilt, auch zu hinterfragen, ob nicht auch bei Themenfeldern, die üblicherweise von der Hierarchiespitze oder zumindest von den Lehrenden bestimmt werden, eine breitere Partizipation möglich ist. Etwa, dass auch an Inhalten, Methoden, Strukturen und Finanzentscheidungen mitgewirkt werden kann.
Die hier genannten Ebenen lassen sich in der praktischen Umsetzung nicht immer scharf trennen. Jedoch sollte Menschenrechtsbildung immer alle drei Ebenen beinhalten, um tatsächlich wirksam werden zu können und eine "Kultur der Menschenrechte" zu fördern (vgl. UN-Generalversammlung 2011: Art. 4).
3 Zusammenhang von Menschenrechten, Diskriminierungsschutz, Inklusion und...